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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Urteil verkündet am 28.04.2006
Aktenzeichen: 3 U 163/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 139
ZPO § 337
ZPO § 514
ZPO § 514 Abs. 2
ZPO § 538 Abs. 2 Nr. 6
ZPO § 543 Abs. 2 Nr. 1
ZPO § 717
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 163/05

Verkündet am: 28.04.2006

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht E., den Richter am Oberlandesgericht Dr. J. und den Richter am Oberlandesgericht B.

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 0.04.2006

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten werden das (zweite) Versäumnisurteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 27.10.2005 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Landgericht Neubrandenburg zurückverwiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

3. Gegenstandswert: 158.103,09 €

Gründe:

I.

Der Kläger machte mit der Klage in seiner Funktion als Insolvenzverwalter nach Anfechtung eines Kaufvertrages ca. 172.500,00 € gegen die Beklagte geltend. Da nach Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens die Beklagte nicht angezeigt hatte, sich gegen die Klage verteidigen zu wollen, erging am 31.01.2005 antragsgemäß ein Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren. Gegen dieses legte die Beklagte form- und fristgerecht Einspruch ein und begründete diesen, wobei sie gegen die Forderung des Klägers die Aufrechnung mit Vergütungsansprüchen für Transportaufträge erklärte.

Das Landgericht beraumte Verhandlungstermin auf den 27.10.2005, 14:00 Uhr an. Am 27.10.2005, 10:25 Uhr, meldete sich die Kanzlei des Beklagtenvertreters bei der Geschäftsstelle des Landgerichts und teilte mit, dass er sich wegen Ausfalls des gebuchten Fluges verspäten werde. Gegen 13:35 Uhr meldete sich das Sekretariat des Beklagtenvertreters erneut bei Gericht, nunmehr bei dem die Verhandlung führenden Kammervorsitzenden, und teilte mit, dass der Beklagtenvertreter gerade in Berlin gelandet sei und nunmehr die Fahrt mit dem Taxi zum Landgericht Neubrandenburg aufnehme. Er werde gegen 15:30 Uhr voraussichtlich dort eintreffen. Bei Aufruf der Sache um 14:00 Uhr erschien der Klägervertreter, für die Beklagte niemand. Der Vorsitzende unterrichtete den Klägervertreter über die Mitteilungen des Beklagtenvertreters und führte aus, dass aus seiner Sicht eine ausreichende Entschuldigung nicht gegeben sei. Wegen der weiteren Begründung wird auf das Sitzungsprotokoll vom 27.10.2005 (Bl. 916, 917 d. A.) Bezug genommen.

Gegen 14:40 Uhr erfuhr der Kammervorsitzende, dass sich der Beklagtenvertreter wegen einer Umleitung weiter verspäten und erst gegen 16:00 Uhr eintreffen werde. Hierauf beantragte der Klägervertreter Erlass eines Versäumnisurteils unter teilweiser Rücknahme seiner Klage über einen Betrag von 14.427,46 €. Das Landgericht Neubrandenburg erließ antragsgemäß zweites Versäumnisurteil.

Gegen dieses richtet sich die am 15.11.2005 eingegangene Berufung der Beklagten. Sie führt aus, die Berufung sei gem. § 514 ZPO zulässig und auch begründet. Ein Fall der verschuldeten Säumnis ihres Prozessbevollmächtigten liege nicht vor. Er habe für den 27.10.2005 einen Flug von Baden-Baden nach Berlin Tegel gebucht. Als Abflugzeit sei 08:30 Uhr vorgesehen gewesen. Bei dem Flughafen Baden-Baden handele es sich um den dem Kanzleisitz und dem Wohnort des Beklagtenvertreters nächstgelegenen Flughafen. Planmäßige Ankunft des gebuchten Fluges in Berlin sei 09:50 Uhr gewesen. Von Berlin-Tegel habe der Beklagtenvertreter die Weiterfahrt mit S-Bahn und Regionalexpress für 11:18 Uhr mit Ankunft in Neubrandenburg um 13:31 Uhr geplant. Er habe zwischen der Ankunft in Berlin und der Weiterfahrt mit dem Zug eine Pufferzeit von ca. 1,5 Stunden gelassen. Am Morgen des 27.10.2005 sei er bei bester Sicht zu Hause mit dem PKW in Richtung Flughafen aufgebrochen. Auch am Vorabend habe beste Sicht geherrscht. Erst kurz vor Erreichen des Flughafens sei leichter Nebel aufgekommen. Der Beklagtenvertreter habe normal eingecheckt. Hinweise, dass der Flug nicht stattfinden werde, habe es zunächst nicht gegeben. Erst um 09:30 Uhr sei mitgeteilt worden, dass die Maschine wegen Nebels in Baden-Baden nicht habe landen können und daher nach Stuttgart umgeleitet worden sei. Den Passagieren stehe es frei, den Flug zu stornieren oder via Bustransfer von Stuttgart aus nach Berlin zu fliegen. Der Beklagtenvertreter habe sich daraufhin entschlossen, den einzigen Weg zu wählen, auf dem er am gleichen Tage noch das Landgericht Neubrandenburg habe erreichen können, und sei mit dem Bus nach Stuttgart gefahren, um von dort nach Berlin zu fliegen. Zuvor habe er seine Kanzlei gebeten, das Landgericht Neubrandenburg zu unterrichten, was unstreitig um 10:25 Uhr auch geschehen sei. Das Flugzeug sei gegen 12:00 Uhr in Stuttgart abgeflogen und kurz nach 13:00 Uhr in Berlin eingetroffen. Während der anschließenden Taxifahrt habe sich in etwa Höhe Oranienburg gezeigt, dass er auf Grund von Umleitungen etwa eine halbe Stunde später ankommen werde. Dies habe er durch seine Kanzlei ebenfalls dem Gericht telefonisch mitteilen lassen.

Der Beklagtenvertreter ist der Ansicht, ihn könne der Vorwurf des schuldhaften Versäumnisses des Termins nicht treffen. Nachdem er von der Flugumleitung erfahren habe, habe er alles ihm Mögliche unternommen, um noch zu Gericht zu gelangen und habe hierüber das Gericht laufend unterrichtet. Hätte das Gericht dies nicht für eine ausreichende Entschuldigung erachtet und nicht auf ihn warten wollen, so hätte es aus seiner Sicht vertagen oder aber ihm dies zumindest mitteilen müssen. Im letzteren Falle hätte er einen Korrespondenzanwalt kurzfristig beauftragt, wobei er dies auf Grund des Aktenumfanges im Interesse einer ordnungsgemäßen Verhandlungsführung für nicht sinnvoll erachtet hätte.

Auch ein Planungsverschulden treffe ihn nicht, da kein Anlass bestanden habe daran zu zweifeln, dass der Gerichtstermin unter Nutzung der vorgesehenen Verbindung erreicht werden könne. Anlass, am Vortage, und etwa mit der Bahn anzureisen, habe nicht bestanden, zumal hierdurch nicht erstattungsfähige Mehrkosten erzeugt worden wären. In den vorausgegangenen Tagen sei die Morgenmaschine nach Berlin jeweils pünktlich geflogen. Allein der Umstand, dass im Oktober gelegentlich Nebel auftreten könne, habe ihn nicht dazu veranlassen müssen, gänzlich auf die Nutzung einer Flugverbindung zu verzichten.

Die Beklagte beantragt,

das Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Hilfsweise beantragt sie das Versäumnisurteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Entscheidung und Verhandlung an das Landgericht zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, der Beklagtenvertreter habe seine Reise nicht sorgfältig genug geplant. Er habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass das Flugzeug am Morgen des 27.10.2005 rechtzeitig fliegen werde. Der Beklagtenvertreter hätte hieran Zweifel haben müssen, da der Wetterbericht der ARD-Tagesschau schon am 26.10.2005 um 16:00 Uhr, 17:00 Uhr und 20:00 Uhr die Möglichkeit von Nebel vorhergesagt habe. Hierzu reicht er entsprechende Internetausdrucke zur Akte (Bl. 990-992 d. A.). Aber auch schon wegen der allgemeinen Wetterlage um diese Jahreszeit hätte der Beklagtenvertreter nicht mit der Pünktlichkeit des Flugzeuges rechnen dürfen. Er wäre vielmehr gehalten gewesen, am Vorabend anzureisen oder den Nachtzug zu nehmen. Spätestens jedoch als er das Haus verlassen habe, hätte er wegen des vorherrschenden Nebels sofort auf die Nutzung der Bahn umplanen müssen, so dass er um 07:00 Uhr noch den letztmöglichen Zug hätte erreichen können, mit dem er zumindest noch vor Verkündung des Versäumnisurteils den Gerichtssaal erreicht hätte. Darüber hinaus hätte es ihm auch 27.10.2005 noch freigestanden, einen Unterbevollmächtigten zu beauftragen.

II.

Die Berufung ist zulässig und in ihrem Hilfsantrag auch begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache ist zur erneuten Verhandlung und Entscheidung gem. § 538 Abs. 2 Nr. 6 ZPO an das Landgericht Neubrandenburg zurückzuverweisen.

1.

Die Berufung ist zulässig, sie ist insbesondere statthaft.

a) Es ist festzustellen, dass die Berufung form- und fristgerecht eingelegt worden ist.

b) Auch die besonderen Voraussetzungen des § 514 Abs. 2 ZPO sind gegeben.

aa) Gem. § 514 Abs. 2 ZPO kann ein echtes Versäumnisurteil gegen die im Termin säumige Partei, das mit einem Einspruch nicht mehr angefochten werden kann, mit der Berufung insoweit angegriffen werden, als diese darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe. Soweit es sich bei dem angefochtenen Urteil um ein zweites Versäumnisurteil handelt, ist dieses mit dem Einspruch nicht mehr anfechtbar.

bb) Der Zulässigkeit einer Berufung nach § 514 Abs. 2 ZPO setzt voraus, dass zum Zeitpunkt des Erlasses des Versäumnisurteils ein Fall der Säumnis nicht vorlag. Über den Wortlaut des § 514 Abs. 2 ZPO ist die Berufung auch dann zulässig, wenn die Partei, gegen die das Versäumnisurteil ergangen ist, zwar säumig war, die Säumnis jedoch unverschuldet war. Entgegen seinem engeren Wortlaut ist § 514 Abs. 2 ZPO auch nach der Prozessrechtsreform weiterhin dahingehend auszulegen, dass beide der vorgenannten Fallgruppen die Berufung rechtfertigen (Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 25. Aufl., § 514, Rn. 6; MünchKomm/Rimmelspacher, Aktualisierungsband, § 514, Rn. 17, 21).

Vorliegend geht der Senat von einem Fall unverschuldeter Säumnis aus. Dieser liegt stets dann vor, wenn die Partei zwar säumig war, der Termin von ihr jedoch unverschuldet nicht wahrgenommen wurde.

Eine auf § 514 Abs. 2 ZPO gestützte Berufung ist jedoch nur statthaft, wenn der Berufungskläger die maßgeblichen Tatsachen für den Ausschluss des Verschuldens der Säumnis vollständig schlüssig vorträgt (BGH NJW 1991, 42; BGH NJW 1999, 2120; BGH NJW 1999, 724; OLG Naumburg MDR 1999, 186; KG Beschluss vom 10.03.2006 - 7 U 20/06 - zitiert nach Juris; OLG Karlsruhe Beschluss vom 04.10.2005 - 1 U 112/05 - zitiert nach Juris). Auch dies sieht der Senat vorliegend als gegeben an, denn die Beklagte hat einen umfassenden lückenlosen Sachverhalt geschildert, der geeignet sein kann, ihre unverschuldete Säumnis zu belegen.

2.

Die Berufung ist begründet. Der Senat nimmt vorliegend einen Fall der unverschuldeten Säumnis an.

a) Für die Beurteilung einer unverschuldeten Säumnis ist der Maßstab des Verschuldens durch das Gericht nicht überhöht anzulegen. So kann nicht verlangt werden, dass ein unabwendbares Ereignis, welches die Säumnis veranlasst hat, dargelegt wird. Es muss vielmehr genügen, dass die Partei ohne ihr Verschulden am Erscheinen verhindert war. Dafür reicht die übliche, von einem ordentlichen Rechtsanwalt zu fordernde Sorgfalt aus (BGH NJW 1999, 724 m.w.N.). Dabei muss sich die Sorgfalt des Anwalts daran messen lassen, welche Maßnahmen er in der jeweiligen Situation zu ergreifen veranlasst war.

b) Der Beklagtenvertreter hat nicht schon dadurch gegen seine Sorgfaltspflicht verstoßen, dass er in seiner Reiseplanung eine Kombination aus Flugreise und Bahnfahrt wählte. Der Rechtsanwalt hat seine Reise grundsätzlich so zu planen, dass er den Termin rechtzeitig erreicht. Er darf dabei auf alle öffentlichen Verkehrsmittel zurückgreifen, ist also nicht verpflichtet, etwa mit dem Kraftfahrzeug zu fahren oder sich auf bestimmte öffentliche Verkehrsmittel zu beschränken. Dies gilt umso mehr, als die erweiterte Postulationsfähigkeit der Rechtsanwälte es mit sich bringt, dass sie ständig in entfernten Gerichten Verhandlungstermine wahrzunehmen haben. Obwohl Verspätungen öffentlicher Verkehrsmittel nicht selten sind, ist den Rechtsanwälten zuzubilligen, ihren Zeitaufwand für die Anreisen möglichst gering zu halten, die jeweils fahr- oder flugplanmäßig schnellste Reiseverbindung zu wählen und auf den störungsfreien Reiseverlauf zu vertrauen. Auch Linienflüge sind Bestandteil des öffentlichen Personenverkehrs. Ihre Nutzung ist heute im Geschäftsverkehr bereits Reisestandard und wird selbst im privaten Reiseverkehr schon regelmäßig genutzt. Dies findet seinen Niederschlag unter anderem darin, dass eine Reihe Flugunternehmen Linienflüge zu Preisen anbieten, die gegenüber Bahnreisen konkurrenzfähig sind. Auch werden Städteverbindungen immer weiter ausgebaut. Dem geschäftlich reisenden Rechtsanwalt ist daher grundsätzlich zuzubilligen, bei Reisen durch die Bundesrepublik Deutschland, die er im Rahmen seiner anwaltlichen Tätigkeit zur Wahrnehmung von Verhandlungsterminen durchzuführen hat, die zeitsparende Nutzung des Flugzeuges in seine Reiseplanung einzubeziehen.

Allerdings ist bei einer solchen Planung zu berücksichtigen, dass auch Linienflugzeuge häufig nicht auf die Minute genau zu dem angekündigten Zeitpunkt auf dem Flughafen landen. Daher ist vom Rechtsanwalt zu verlangen, dass er im Rahmen seiner Reiseplanung sich eine entsprechende Pufferzeit belässt, um das Erreichen des weiteren Anschlusses, etwa mit der Bahn oder dem Mietwagen, sicherzustellen. Dem hat der Beklagtenvertreter mit der Kalkulation einer Pufferzeit von über einer Stunde in Berlin-Tegel hinreichend Genüge getan. Mit dem von ihm geplanten Anschlusszug hätte er den Hauptbahnhof Neubrandenburg um 13:31 Uhr erreicht. Das Landgericht liegt in der Nähe des Bahnhofs. Jedenfalls hätte er den Gerichtssaal innerhalb der gewöhnlicher Weise zu beachtenden Wartefrist von 15 Minuten vor Erlass eines Versäumnisurteils erreicht. Der Senat hat überdies an anderer Stelle (OLG Rostock MDR 1999, 626) ausgesprochen, dass an den Ablauf der Wartefrist im Falle des Erlasses eines zweiten Versäumnisurteils ein großzügigerer Maßstab anzulegen ist. Jedenfalls war das Erreichen des Landgerichts Neubrandenburg durch den Beklagtenvertreter bei ordnungsgemäßem Ablauf der von ihm geplanten Reise sichergestellt.

c) Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagtenvertreter auf Grund der Wetterlage nicht auf den pünktlichen Flug des von ihm gebuchten Flugzeuges vertrauen durfte, sind nicht ersichtlich. Auch insoweit ist ein der gebotenen Sorgfalt entgegenstehendes Verhalten des Beklagtenvertreters nicht erkennbar. Für dessen Beurteilung kommt es allein darauf an, ob die konkreten Witterungsumstände bei einer sorgfältigen Person begründete Zweifel geweckt hätten, dass das Flugzeug rechtzeitig von dem Startflughafen Baden-Baden abfliegen werde. Die allgemeine Erkenntnis, dass im Herbst Witterungsverhältnisse auftreten können, die einem solchen pünktlichen Abflug entgegenstehen können, genügt hierfür nicht.

Konkrete Anhaltspunkte, die den Beklagtenvertreter hätten veranlassen müssen, von seiner bisherigen Reiseplanung Abstand zu nehmen und ggf. am Vorabend mit dem PKW oder dem Zug die Reise bereits anzutreten, mussten sich ihm nicht aufdrängen. Er trägt insoweit vor, noch am Abend des 26.10.2005 habe klare Sicht geherrscht. Auch am Morgen des 26.10.2005 sowie den voran gegangen Tagen habe in Baden-Baden kein Nebel geherrscht. Eine telefonische Nachfrage am Abend des 26.10.2005 am Flughafen hätte insoweit dem Beklagtenvertreter auch keine weiteren Erkenntnisse verschafft, da er nachvollziehbar vorgetragen hat, dass die Flugplanung nur auf Grund der Angaben des Flugwetterdienstes erfolge, die jedoch höchstens sechs Stunden im Voraus erteilt würden.

Ob der Rechtsanwalt bei Planungen seiner Anreise zum Termin unter Einbeziehung einer Flugverbindung grundsätzlich gehalten ist, am Vortage des geplanten Reiseantritts aus allgemein zugänglichen Quellen Wettervorhersagen einzusehen, kann der Senat hier offen lassen. Selbst, wenn der Beklagtenvertreter dem genügt hätte, ergeben bereits die vom Kläger vorgelegten Wetterberichte der Tagesschau vom 26.10.2005 keine Anhaltspunkte dafür, dass der Flug vom Flughafen Baden-Baden nicht stattfinden werde. Zwar weisen diese Wetterberichte für Deutschland teilweise Nebel auf, sagen jedoch für den Süden/Südwesten klare Sicht vorher. Aus diesen Wetterberichten mag sich also allenfalls ergeben, dass im gesamten Bundesgebiet verschiedenen Orts Nebel möglich ist. Für den Bereich des vom Beklagtenvertreters geplanten Abflughafens ist klare Sicht vorhergesagt.

d) Auch beim Verlassen des Hauses am Morgen des 27.10.2005 war der Beklagtenvertreter aus Sorgfaltsgründen nicht gehalten, eine anderweitige Reisegestaltung in Anspruch zu nehmen. Nach Vortrag der Beklagten war beim Verlassen des Hauses die Sicht klar. Den Einwand des Klägers, der Beklagtenvertreter habe bei Verlassen des Hauses den Nebel erkennen müssen, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. Worauf sich die Erkenntnis des Klägers stützt, dass bereits bei Verlassen des Hauses durch den Beklagtenvertreter für diesen ein wahrnehmbarer Nebel herrschte, ist nicht ersichtlich.

e) Eine Sorgfaltspflichtverletzung kann auch nicht darin gesehen werden, dass der Beklagtenvertreter keine anderweitige Reiseroute genommen hat, als die Verlegung des Abfluges nach Stuttgart bekannt gegeben wurde. Eine anderweitige Reisemöglichkeit, die dem Beklagtenvertreter ein pünktliches Erscheinen zum Termin ermöglich hätte, ist insoweit nicht ersichtlich. Vielmehr hat der Beklagtenvertreter die einzige Reisemöglichkeit gewählt, die ihm ein Erscheinen noch am Terminstage bei Gericht ermöglichte.

f) Eine Sorgfaltspflichtverletzung kann zu Lasten des Beklagtenvertreters auch nicht daraus hergeleitet werden, dass bei Mitteilung der Flugverlegung nicht einen Unterbevollmächtigten beauftragte. Vielmehr durfte er vorliegend darauf vertrauen, dass ein zweites Versäumnisurteil nicht ergehen werde. Insoweit hatte er dafür Sorge getragen, dass das Gericht rechtzeitig - hier mehr als drei Stunden vor dem anberaumten Sitzungstermin - von seiner Verspätung erfuhr. Darüberhinaus hatte seine Kanzlei unmittelbar den Vorsitzenden ca. eine halbe Stunde vor dem anberaumten Termin unter Angabe von Gründen davon unterrichtet, dass der Beklagtenvertreter erst gegen ca. 15:30 Uhr im Gericht eintreffen werde. Er hatte die Gründe dargelegt, die seine Verspätung ausreichend entschuldigen. Zwar trifft den gegnerischen Anwalt keine kollegiale Wartepflicht, die ihn daran hindert, ein Versäumnisurteil zu beantragen (vgl. hierzu Zöller/Herget, ZPO, 25. Aufl., Vorbemerkung 12 vor § 330). Allerdings fehlt es an den Voraussetzungen für den Erlass eines Versäumnisurteils, wenn dem Gericht die Entschuldigungsgründe für die Säumnis des Säumigen bekannt sind und somit die Voraussetzungen einer Vertagung gem. § 337 ZPO gegeben sind. Wenn vorliegend das Gericht trotz Mitteilung des Beklagtenvertreters eine hinreichende Entschuldigung nicht annehmen wollte, wäre der Vorsitzende Richter bei dem Ferngespräch mit dem Mitarbeiter der Kanzlei zumindest gehalten gewesen, hierauf gem. § 139 ZPO hinzuweisen, sodass der Beklagtenvertreter noch Gelegenheit gehabt hätte, die Folgen der Säumnis durch kurzfristige Beauftragung eines Unterbevollmächtigten abzuwenden. Allerdings geht der Senat mit dem Beklagten davon aus, dass im vorliegenden Fall eine kurzfristige Beauftragung eines Unterbevollmächtigten dem Sinn und Zweck der mündlichen Verhandlung nicht zuträglich gewesen wäre, da sich der Aktenstand zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung schon auf über 900 Seiten belief und eine umfassende Einarbeitung eines Unterbevollmächtigten nicht zu erwarten war.

g) Schließlich nimmt die Rechtsprechung einen Fall der unverschuldeten Säumnis nur dann an, wenn die Partei bzw. ihr Bevollmächtigter den ihr bekannten Hinderungsgrund dem Gericht rechtzeitig mitgeteilt und dadurch die Vertagung des Termins mindestens ermöglicht hat. Etwas anderes gilt, wenn eine solche Mitteilung der Partei nicht (mehr) rechtzeitig möglich oder zumutbar war (Zöller/Gummer/Hessler, § 514 Rn. 9; OLG Düsseldorf OLGR 1995, 267; OLG Brandenburg OLGR 1998, 324; OLG Celle NJW 2004, 2534). Diesen Anforderungen hat der Beklagtenvertreter hinreichend genügt. Bereits um 10:25 Uhr hatte er das Gericht über seine Verspätung unterrichtet und es im Folgenden bei neuen Anhaltspunkten über die voraussichtliche Ankunftszeit informiert.

3.

Da die Säumnis der Beklagten unverschuldet war, sich die Entscheidung des Landgerichts auf die Säumnis stützt und eine Auseinandersetzung des erstinstanzlichen Gerichts mit dem umfassenden Streitstoff nicht ersichtlich ist, war auf die Berufung der Beklagten hin das zweite Versäumnisurteil aufzuheben und die Sache gem. § 538 Abs. 2 Nr. 6 ZPO an das Landgericht zurückzuverweisen.

III.

Eine Kostenentscheidung ist wegen der Aufhebung und Zurückverweisung nicht veranlasst. Eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist entbehrlich, da nach Aufhebung des zweiten Versäumnisurteils das Verfahren mit der Zurückverweisung an das Landgericht in den Stand des Verfahrens zur Entscheidung über den Einspruch gegen das "erste" Versäumnisurteil gesetzt wurde. Damit verbleibt dem Kläger die Möglichkeit der vorläufigen Vollstreckung aus dem "ersten" Versäumnisurteil, die Beklagte ist ggf. auf Schadensersatzansprüche aus § 717 ZPO verwiesen.

Der Senat lässt die Revision gem. § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zu. Nach Erweiterung der Postulationsfähigkeit der Rechtsanwälte hält der Senat die Frage, welche Anforderungen an die Reiseplanung eines Rechtsanwalts insbesondere mit Blick auf die Nutzung von Flugverbindungen zu stellen sind, für eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung. Rechtsprechung hierzu ist bislang nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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