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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Urteil verkündet am 02.06.2003
Aktenzeichen: 3 U 166/02
Rechtsgebiete: StVO, BGB, VVG, ZPO


Vorschriften:

StVO § 41 Abs. 2
StVO § 41 Abs. 6
StVO § 265
BGB § 823 Abs. 1
VVG § 61
ZPO § 287
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 166/02

Laut Protokoll verkündet am: 02.06.2003

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... den Richter am Oberlandesgericht ... die Richterin am Landgericht ...

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12.05.2003

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 23.08.2002 - 7 O 249/01 - geändert:

Das Versäumnisurteil vom 26.04.2002 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin mit Ausnahme der Kosten der Säumnis vom 26.04.2002, die den Beklagten als Gesamtschuldner auferlegt werden.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 7.408,05 €.

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Schadensersatz wegen der Beschädigung eines gewerblich vermieteten Lastkraftwagens in Anspruch. Die Beklagten mieteten zur Durchführung eines Umzuges einen LKW Mercedes. Dem Vertrag lagen die auf dessen Rückseite abgedruckten allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin zugrunde, die unter Ziffer IV. 2 c und VII. eine Haftungsreduzierung zugunsten des Fahrzeugsmieters bis auf eine Selbstbeteiligung i. H. v. 2.000,00 DM enthalten. Diese greift nur in Fällen vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Herbeiführung des Schadensfalles durch den Mieter nicht ein.

Der Beklagte zu 1) erhielt am 16.06.2000 gegen 06.00 Uhr die Fahrzeugschlüssel des Mietfahrzeuges, das einen Kofferaufbau mit einer Höhe von 3,50 m hat. Gegen 07.15 Uhr führte er den LKW auf der B 105 in der zweispurigen Ortsdurchfahrt in R... aus Richtung R... auf der linken Spur durch das R... Tor. Die rechte Fahrspur wird nicht durch einen Torbogen o.ä. begrenzt. Das Rostocker Tor führt in einem gotischen Bogen durch einen massiven historischen Backsteinturm und weist aus der Fahrtrichtung des Beklagten zu 1) gesehen zu beiden Seiten das StVO-Zeichen 165 "Durchfahrtshöhe" 2,50 m auf. In einiger Entfernung vor der sich gabelnden Ortsdurchfahrt befindet sich zudem auf der linken Straßenseite dasselbe Hinweisschild. Der Beklagte zu 1) blieb mit dem LKW aufgrund der für das Fahrzeug zu geringen Durchfahrtshöhe in dem Tor stecken, wobei das Fahrzeug am Führerhaus und am Kofferaufbau erheblich beschädigt wurde. Zwischen den Parteien besteht Streit darüber, aus welchem Grund der Beklagte zu 1) die linke Fahrspur wählte, ob er einem Fahrradfahrer ausweichen musste und ob ihm die Sicht durch ein vorausfahrendes größeres Fahrzeug verdeckt war.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, die Beklagten könnten sich nicht auf die vertraglich vereinbarte Haftungsreduzierung berufen, weil der Beklagte zu 1) den Schadensfall grob fahrlässig herbeigeführt habe. Die Klägerin hat erstinstanzlich Sachschäden und entgangenen Gewinn i. H. v. 7.408,05 € nebst Zinsen geltend gemacht. Das Landgericht hat die Beklagten gesamtschuldnerisch antragsgemäß verurteilt.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf das Urteil des Landgerichts Bezug genommen. Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Beklagten, mit der sie Aufhebung des Versäumnisurteils und Klageabweisung erstreben.

Zur Begründung tragen sie vor:

Das Landgericht habe zu Unrecht grobe Fahrlässigkeit des Beklagten zu 1) bejaht. Der ihm anzulastende Sorgfaltspflichtverstoß sei nicht in subjektiver Hinsicht schlechthin unverständlich. Allein das Einfahren mit dem LKW in das R... Tor stelle keine grob fahrlässige Verletzung des in § 41 Abs. 2, 6, 265 StVO angeordneten Verbots der Einfahrt für Fahrzeuge mit einer Höhe von 2 1/2 m dar. Erfahrungsgemäß falle es Personen, die in der Regel nur Personenkraftwagen benutzten, beim Führen eines Lastkraftwagens nicht immer leicht, während der Fahrt an die höheren Aufbauten dieses Fahrzeuges zu denken. Beim Durchfahren von Unterführungen bezögen sie deshalb die Hinweise nur auf eine begrenzte Höhe der Durchfahrt, vielfach nicht auf sich selbst. Der Beklagte zu 1) habe sich in einer Stresssituation befunden. Er habe den Umzug seiner Schwester zu bewältigen gehabt, sowie den eigenen Umzug. Die Strecke sei ihm nicht bekannt gewesen. Er sei arbeitslos und gerade aus Dänemark zugezogen gewesen. Zuvor habe er in ... gewohnt. Eine Einweisung durch die Klägerin sei nicht erfolgt. Die Klägerin habe nicht deutlich sichtbar hinter der Windschutzscheibe ein Hinweisschild auf die Fahrzeughöhe angebracht. Der Beklagte zu 1) habe sich auf ein paar hundert Metern Fahrstrecke mit dem Fahrzeug vertraut machen müssen, einem Fahrradfahrer ausweichen, die Höhe des Fahrzeuges präsent haben und das Tor, welches einen Rundbogen habe, der Höhe nach einschätzen müssen. Derartige Schwierigkeiten beim Einschätzen der Höhe seien keine seltenen Ausnahmeerscheinungen, sondern verhältnismäßig häufig anzutreffen. In der jüngsten Vergangenheit sei es im R... Tor zumindest zu vier vergleichbaren Unfällen gekommen. Aufgrund dessen sei das Tor gesperrt worden.

Auch die Versicherung der Klägerin sei von keinem grob fahrlässigen Verhalten des Beklagten zu 1) ausgegangen, da sie den Unfallschaden teilweise reguliert habe. Das Landgericht habe zu Unrecht die Zeugen nicht gehört.

Die Beklagten beantragen,

das Versäumnisurteil vom 26.04.2002 aufzuheben und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das Urteil des Landgerichts unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages. Das Fahrmanöver des Beklagten zu 1) sei subjektiv unentschuldbar gewesen, wobei von besonderer Relevanz sei, dass der Beklagte über Ortskenntnis verfüge. Bei der hier vorliegenden Differenz von 1 m zwischen Fahrzeughöhe und freier Durchfahrt des R... Tores scheide ein geringfügiges Verschätzen des Beklagten zu 1) aus.

II.

Die zulässige Berufung ist begründet.

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg, sodass das Versäumnisurteil des Landgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen ist.

Der Klägerin steht gegen die Beklagten kein Anspruch aus positiver Verletzung des Mietvertrages oder Eigentumsverletzung gemäß § 823 Abs. 1 BGB zu. Den Beklagten kommt die vertraglich vereinbarte Haftungsreduzierung aus Ziffer IV. 2. c. der allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin zugute, da die Klägerin nicht dargelegt und unter Beweis gestellt hat, dass der Beklagte zu 1) den Schaden am 16.06.2002 grob fahrlässig herbeigeführt hat.

Das Landgericht hat richtig ausgeführt, dass die in den AGB der Klägerin als gewerblicher Fahrzeugvermieterin geregelte Einschränkung des dem Kunden eingeräumten Haftungsausschlusses den von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes aufgestellten Anforderungen entspricht (BGH VersR 1991, 349). Die Einschränkung der Haftung orientiert sich am Leitbild der Kaskoversicherung i. S. v. § 61 VVG. Der Haftungsausschluss entfällt nur, wenn der Kfz-Vermieter dem Mieter Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit nachweisen kann.

Die Beweislast für das Verschulden des Mieters trägt der Vermieter. Der Versicherer bzw. der Vermieter muss auch die Tatsachen, die die subjektive Unentschuldbarkeit begründen, darlegen und nachweisen (Baumgärtel, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, Band V, Rn. 7 zu § 61 VVG). § 287 ZPO ist zu Gunsten des Versicherers bzw. des Vermieters nicht analog anzuwenden (Baumgärtel, a.a.O., Rn. 15). Allerdings sind vom rein tatsächlichen her Erfahrungsschlüsse auf Tatsachen, die den Vorwurf groben Verschuldens begründen, möglich Baumgärtel, a.a.O., Rn. 17). Solche Tatsachen hat die Klägerin nicht vorgetragen, bzw. nicht unter Beweis gestellt. Allein aus dem Durchfahren des um 1 m zu niedrigen R... Tores lässt sich kein entsprechender Erfahrungsschluss ziehen.

Vorsätzliches Handeln kommt hier nicht in Betracht.

Auch grobe Fahrlässigkeit scheidet aus. Darunter ist ein gefahrenträchtiges Verhalten - Handeln oder Unterlassen - zu verstehen, bei dem nach den gesamten Umständen die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großen Maße verletzt wird und bei dem dasjenige unbeachtet bleibt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Dabei wird in der Regel das Bewusstsein der Gefährlichkeit vorausgesetzt. Aber auch unbewusste Fahrlässigkeit kann grob sein. Für die Schwere des Vorwurfs macht es keinen Unterschied, ob eine Gefahr erkannt, aber unterschätzt wird, oder ob sie aus Gedankenlosigkeit gar nicht erkannt wird. Neben den besonders schweren Verstoß gegen die objektiv erforderliche Sorgfalt tritt der Vorwurf eines subjektiv nicht entschuldbaren Fehlverhaltens, das erheblich über das gewöhnliche Maß hinausgeht (BGH NJW 1989, 1354, 1355). Bei einer Konzentration erfordernden Dauertätigkeit - wie bei der gefahrengeneigten Arbeit, ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr zu führen - kann auch einem sorgfältigen Kraftfahrer gelegentlich aus einem Augenblicksversagen heraus ein Ausrutscher unterlaufen. Es ist stets zu überlegen, ob es sich um ein bei der menschlichen Unzulänglichkeit typisches einmaliges Versagen handelt (BGH, a.a.O.).

Danach ist dem Beklagten zu 1) nicht grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Maßgebend ist, dass er keine Erfahrung als Fahrer eines Lastkraftwagens besaß. Dieser Umstand ist als subjektives Entlastungsmoment von wesentlicher Bedeutung (OLG Köln, VersR 1982, 1151, 1152 m.w.N.). Auch wenn die Hinweisschilder auf die Durchfahrtshöhe vor dem R... Tor rechtzeitig und gut erkennbar waren, kann dem Beklagten zu 1) aufgrund seiner Unerfahrenheit keine besonders schwerwiegende Schuld vorgeworfen werden, zumal er nach seiner unwiderlegten Behauptung durch das Ausweichmanöver abgelenkt wurde. Der Sorgfaltsverstoß mag objektiv grob gewesen sein, da die Differenz zwischen der möglichen Durchfahrtshöhe von 2,50 m und der Höhe des Kraftfahrzeuges von 3,50 m einen Meter betrug. Obgleich dies dem Beklagten zu 1) hätte ins Auge springen müssen, liegen keine subjektiven, in der Individualität des Handelnden begründeten Umstände vor, die den Vorwurf des schweren Verschuldens rechtfertigen. Es ist zu berücksichtigen, dass eine Durchfahrtshöhe von 2,50 m auf öffentlichen Straßen sehr selten ist.

Die Beklagten haben einen Tathergang vorgetragen, bei dessen Vorliegen grobe Fahrlässigkeit ausscheidet. Nach ihrem unwiderlegten Vorbringen war dem Beklagten zu 1) die Örtlichkeit nicht bekannt, er war das Führen von Lastkraftwagen nicht gewohnt, er befand sich in einer Stresssituation, er wollte einem Radfahrer ausweichen und fuhr dabei auf die linke Spur der Fahrbahn, wo ihm die Sicht auf das R... Tor und die Höhenbegrenzungsschilder durch ein vorausfahrendes großes Transportfahrzeug versperrt war. Diese Umstände sind teils unstrittig, teils von der Klägerin nicht widerlegt. Angesichts der oben angegebenen Beweislastverteilung wäre es Sache der Klägerin gewesen, den vom Beklagten zu 1) behaupteten Tathergang zu widerlegen und dafür Beweis anzutreten.

Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte zu 1) nach seinem unwiderlegten Vortrag zunächst die richtige rechte Spur benutzen wollte, die an dem Tor vorbeiführt. Nur infolge des Ausweichmanövers befuhr er die linke Spur, die unter dem Tor hindurchführt. Wenn der Beklagte zu 1) ursprünglich ordnungsgemäß auf der rechten Fahrspur an dem Tor vorbeifahren wollte, dann war er sich im Zweifel auch der Tatsache bewusst, dass er die Tordurchfahrt nicht benutzen konnte. Dann spricht sehr viel dafür, dass ein Augenblicksversagen des Beklagten zu 1) das Unfallgeschehen verursacht hat. Ein solches ist gerade nicht in einer derart unentschuldbaren Weise vorwerfbar, dass die Haftungsreduzierung hier nicht eingreift (OLG Düsseldorf NZV 1991, 394).

Die Tatsache, dass es angesichts der konkreten Fahrsituation erkennbar unmöglich war, mit dem Lkw wegen seines hohen Aufbaus die erheblich niedrigere Tordurchfahrt zu durchqueren, zeigt, dass der Beklagte zu 1) nicht etwa leichtfertig versucht hat, die Durchfahrt zu unterfahren. Dies war vielmehr sichtlich nicht möglich. Dies führt zu dem Schluss, dass der Beklagte zu 1) jedenfalls im Augenblick des Geschehens sich der besonderen Höhe des ungewohnten Lastkraftwagens nicht bewusst war. Im Entscheidungsfall lag die Annahme fern, die Fahrt unter dem Torbogen hindurch könne gut gehen. Damit lässt sich ein Augenblicksversagen des Beklagten zu 1) nicht verlässlich ausschließen, womit in subjektiver Hinsicht ein schwerer Schuldvorwurf gegen ihn entfällt (OLG Düsseldorf MDR 1992, 752).

Die Frage, ob der Beklagte zu 1). anlässlich des Abschlusses des Mietvertrages eine Einweisung erhielt, auf Fahrzeugmaße, Höhe und Breite ausdrücklich hingewiesen worden ist und ob in dem LKW ein Hinweis auf die Fahrzeughöhe angebracht war, kann unter diesen Umständen dahinstehen. Angesichts des Fahrmanövers - des durch den Radfahrer verursachten Fahrspurwechsels - kann davon ausgegangen werden, dass der Beklagte zu 1) sich der Tatsache, dass er das Tor nicht passieren konnte, bewusst war und nur aufgrund des Augenblickversagens die falsche Fahrspur benutzt hat. Dass dieses Verhalten fahrlässig war, bedarf keiner Erörterung. Das Verschulden des Beklagten zu 1) kann zwar nicht als leicht, aber auch nicht als besonders schwer - wie es für die Annahme einer groben Fahrlässigkeit Voraussetzung ist - eingeschätzt werden.

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1, 100 Abs. 4, 344, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Der Senat hat kein Anlass gesehen, die Revision zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung einer Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 544 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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