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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Urteil verkündet am 14.06.2004
Aktenzeichen: 3 U 37/03
Rechtsgebiete: InsO, BRAO, BGB, ZPO, KO


Vorschriften:

InsO § 35
InsO § 47
InsO § 50
InsO § 51 Nr. 2
InsO § 54
InsO § 55
InsO § 55 Abs. 1
InsO § 55 Abs. 1 Nr. 2
InsO § 80 Abs. 1
InsO § 94
InsO § 95
InsO § 96
InsO § 115 Abs. 1
InsO § 116 Abs. 1
InsO § 148 Abs. 1
InsO § 313 Abs. 1 Satz 1
InsO § 324
InsO § 324 Abs. 1 Nr. 6
BRAO § 53 Abs. 9
BRAO § 53 Abs. 9 Satz 2
BRAO § 53 Abs. 10 Satz 4
BRAO § 53 Abs. 10 Satz 5
BRAO § 53 Abs. 10 Satz 6
BRAO § 55
BRAO § 55 Abs. 3
BRAO § 55 Abs. 3 Satz 1
BRAO § 223
BGB § 284 a. F.
BGB § 288 a. F.
BGB § 387
BGB § 389
BGB § 666
BGB § 667
BGB § 670
ZPO § 308 Abs. 1 Satz 1
KO § 224 Abs. 1 Nr. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 37/03

Laut Protokoll verkündet am: 14.06.2004

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Eckert, die Richterin am Oberlandesgericht Bartmann und die Richterin am Landgericht Feger

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24.05.2004

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 13.12.2001 verkündete Urteil des Landgerichts Rostock - Az.: 4 O 180/00 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels abgeändert und wie folgt gefasst: Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 7.963,49 € nebst 4% Zinsen seit dem 12.02.2002 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreites tragen der Kläger zu 62% und der Beklagte zu 38%.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die jeweilige Partei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die beitreibende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Streitwert der Berufung: 21.047,78 €.

Gründe:

I.

Der Kläger ist seit dem 14.09.1999 Treuhänder im Insolvenzverfahren über das Vermögen des ehemaligen Rechtsanwalts Michael R. Er nimmt den Beklagten, der in der Zeit vom 01.01.1999 bis zum 31.12.2001 dessen Rechtsanwaltskanzlei abwickelte, auf Auszahlung des Guthabens auf dem für die Kanzleiabwicklung eingerichteten Bankkonto in Anspruch. Ausweislich der Abrechnung des Beklagten beträgt dieses per 31.12.1999 41.165,88 DM (21.057,78 €).

Der Beklagte wendet ein, die Rechtsanwaltspraxis werde nicht vom Insolvenzbeschlag erfasst; nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens anfallende Honorare fielen als Neuerwerb nicht in die Insolvenzmasse. Hilfsweise rechnet er mit seinem ihm als Abwickler zustehenden Vergütungsanspruch auf, den er auf 62.700,00 DM (32.058,00 €) errechnet. Wegen des weiteren erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Mit am 13.12.2001 verkündetem Urteil (abgedruckt in NJW-RR 2002, 846 sowie ZInsO 2002, 290) wies das Landgericht Rostock die Klage als derzeit unbegründet ab. Zur Begründung führte es aus, der Kläger habe keinen Anspruch auf Auskehr des auf dem Abwicklerkonto befindlichen Guthabens gemäß §§ 148 Abs. 1, 35 InsO i.V.m. § 313 Abs. 1 Satz 1 InsO, da diese Beträge nicht zur Insolvenzmasse gehörten. Der grundsätzlich bestehende Anspruch des Klägers auf Herausgabe des aus dem Abwicklungsverhältnis Erlangten gemäß §§ 55 Abs. 3, 53 Abs. 9 BRAO i.V.m. § 667 BGB sei noch nicht fällig, da der Beklagte seine Abwicklungstätigkeit noch nicht vollständig beendet habe. Die Erfüllung der mit § 55 BRAO bezweckten Bestellung des Kanzleiabwicklers, nämlich die Sicherheit im Rechtsverkehr und die Wahrung des Ansehens der Anwaltschaft, sei nur möglich, wenn der Abwickler ohne Zugriff des früheren Rechtsanwaltes die Abwicklung zu Ende führen könne.

Das Urteil des Landgerichts Rostock wurde dem Kläger am 11.01.2002 zugestellt. Am 11.02.2002 beantragte er unter Beifügung des Entwurfes einer Berufungsbegründung, ihm für die zweite Instanz Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Mit Beschluss vom 19.02.2003, dem Kläger am 25.02.2003 zugestellt, bewilligte der Senat dem Kläger Prozesskostenhilfe. Mit am 05.03.2003 eingegangenen Schriftsatz legte er Berufung ein, begründete diese und stellte einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Mit Beschluss vom 06.03.2003 gewährte das Oberlandesgericht dem Kläger die Wiedereinsetzung in die versäumten Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung.

Die Abwicklertätigkeit des Beklagten endete zum 31.12.2001. Seine Abrechnung über das von ihm geführte Abwicklungskonto per 31.12.2001 ergibt ein Kontoguthaben in Höhe von 31.593,08 € mit einem Anteil an Fremdgeldern in Höhe von 9.592,36 €. Am 30.10.2002 setzte das Präsidium der Rechtsanwaltskammer Mecklenburg-Vorpommern die Vergütung des Beklagten für die Abwicklertätigkeit auf 17.639,57 € fest. Der Festsetzungsbeschluss wurde dem Beklagten am 30.10.2002 übersandt und dem Kläger spätestens am 09.02.2004 zugestellt.

Zur Begründung seines Rechtsmittels trägt der Kläger unter Wiederholung und Vertiefung seiner erstinstanzlichen Darlegungen vor, das Landgericht habe die Klage zu Unrecht mangels Fälligkeit als derzeit unbegründet abgewiesen. Die Frage der Fälligkeit sei zu keinem Zeitpunkt des Rechtstreits erörtert worden. Jedenfalls sei der Auszahlungsanspruch nunmehr fällig, da mit Ablauf des 31.12.2001 die Abwicklertätigkeit des Beklagten geendet habe. Sein Auszahlungsanspruch bestehe in Höhe des geltend gemachten Betrages. Der Beklagte dürfe nicht mit seinem Vergütungsanspruch als Abwickler aufrechnen. Die Aufgaben und Maßnahmen des Treuhänders in der Insolvenz seien gegenüber den Aufgaben der Abwicklung der Rechtsanwaltskanzlei durch den Beklagten vorrangig, sodass der Vergütungsanspruch des Beklagten keine Masseverbindlichkeit darstelle. Mit In-Kraft-Treten der Insolvenzordnung habe der Gesetzgeber sich entschieden, die Masseverbindlichkeiten zurückzudrängen. Die Einräumung eines Vorranges der Abwicklervergütung vor der Vergütung des Insolvenzverwalters setze sich über diesen Willen des Gesetzgebers wie über den eindeutigen Gesetzestext hinweg. Aus diesem Grund verbiete sich eine analoge Anwendung des § 324 Abs. 1 Nr. 6 InsO. Die vom Beklagten veranschlagte Abwicklervergütung werde der Höhe nach bestritten.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Rostock vom 13.12.2001 den Beklagten zu verurteilen, an ihn 21.047,79 € nebst 4% Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und führt vertiefend aus, seine Vergütung als Abwickler gehe der Vergütung des Insolvenzverwalters vor. Er könne seinen Anspruch aus den eingenommenen Honoraren vorab befriedigen. Seine Aufwendungen seien in entsprechender Anwendung des § 324 InsO auch für die Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens Masseverbindlichkeiten. Die Kosten der Abwicklung einer Rechtsanwaltskanzlei seien unabweisliche Kosten, sodass es nicht davon abhängen könne, wann das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei. Die Kosten der Abwicklung entstünden in jedem Falle und würden dem früheren Rechtsanwalt, seinen Erben oder der Insolvenzmasse zur Last fallen. Der Kläger könne ihn nicht auf die Ausfallhaftung der Rechtsanwaltskammer verweisen. Die auf dem Abwicklungskonto vorhandenen fremden Gelder seien als durchlaufende Posten nicht an den Insolvenzverwalter auszukehren. Er, der Beklagte, sei verpflichtet, die Gelder unmittelbar an die Berechtigten auszuzahlen. Davon habe er bislang abgesehen, weil der Kläger nicht erklärt habe, dass er sie mit schuldbefreiender Wirkung die auszahlen könne. II.

Die zulässige Berufung des Klägers ist teilweise begründet.

1.

Dem Kläger steht ein Anspruch auf Herausgabe des aus der Abwicklung der Rechtsanwaltskanzlei R. Erlangten gegen den Beklagten in Höhe von 21.047,78 € gem. § 667 BGB i.V.m. §§ 55 Abs. 3 Satz 1, 53 Abs. 9 Satz 2 BRAO zu.

a) Das Verhältnis zwischen dem Abwickler und dem früheren Rechtsanwalt ist zivilrechtlicher Natur (Feuerich/Braun, Kommentar zur BRAO, 5. Auflage, § 55 Rn. 30). Für das Rechtsverhältnis gelten gem. §§ 55 Abs. 3, 53 Abs. 9 BRAO die Regelungen des Auftragsrechtes nach §§ 666, 667, 670 BGB entsprechend. Der Abwickler hat die eingenommenen Gelder wie ein Beauftragter im Rahmen der Kanzleiabwicklung zu verwenden. Nach Beendigung seiner Abwicklungstätigkeit hat er abzurechnen und den Überschuss an den früheren Rechtsanwalt herauszugeben.

Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des ehemaligen Rechtsanwaltes R. mit Beschluss des Amtsgerichts Rostock vom 14.10.1999 ging das Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Schuldners gem. § 80 Abs. 1 InsO auf den Kläger über. Ob auch die Rechtsanwaltspraxis als solche ungeachtet der Funktion des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege und der auf persönlichem Vertrauen begründeten Mandate vom Insolvenzbeschlag erfasst wird (dazu MünchKomm/Lwowski, InsO, § 35 Rn. 507), bedarf keiner Entscheidung. Jedenfalls hat die Praxis einen wirtschaftlichen Wert, an dem die Insolvenzmasse teilhaben muss. Als Umsetzung dieses wirtschaftlichen Wertes ist der schuldrechtliche Anspruch auf Herausgabe des durch die Praxisabwicklung Erlangten gem. § 35 InsO massebefangen. Dem Landgericht ist darin zu folgen, dass sich weder den Regelungen der Insolvenzordnung noch denen der Bundesrechtsanwaltsordnung eine Verdrängung der Rechte des Insolvenzverwalters bzw. des Treuhänders zu Gunsten des Abwicklers entnehmen lässt. Ihre Funktionen sind unterschiedlich. Der Insolvenzverwalter bzw. Treuhänder hat die Interessen aller Gläubiger zu wahren, während der Abwickler im Interesse der Rechtssicherheit laufende Mandate weiterzubearbeiten und abzuschließen hat.

Rechnungsposten bei der Ermittlung der Auskehrungssumme sind insbesondere die Entgelte, die der Beklagte nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingenommen hat. § 35 InsO ordnet auch das, was der Schuldner während des Insolvenzverfahrens erwirbt, der Masse zu. Vorliegend ist dies auch deshalb berechtigt, weil auch etwaiger Neuerwerb Ausfluss des Praxiswerts ist, der der Masse zugutekommen muss.

b) Der Anspruch auf Herausgabe erstreckt sich auch auf die eingenommenen Fremdgelder in Höhe von 7.963,49 €. Der Beklagte ist nach Beendigung seiner Abwicklungstätigkeit nicht mehr berechtigt, über diese Fremdgelder zu verfügen und sie an die Berechtigten auszuzahlen. Diese Aufgabe kommt nunmehr dem Kläger zu, der allerdings gehalten ist, die Fremdgelder an die Berechtigten herauszugeben, denen ein Aussonderungsrecht gem. § 47 InsO zusteht.

c) Der Herausgabeanspruch des Klägers ist mit Beendigung der Abwicklungstätigkeit des Beklagten zum 31.12.2001 fällig geworden.

d) Gem. § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist der Senat an den Klageantrag des Klägers und seiner Bestimmung des Streitgegenstandes gebunden. Grundlage des vom Kläger geltend gemachten Zahlungsanspruches ist die Abrechnung des Beklagten zum 31.12.1999. Zwischenzeitlich hat der Beklagte auf Anregung des Senates seine gesamte Abwicklungstätigkeit bis zum 31.12.2001 abgerechnet, wonach ein Guthaben aus der Abwicklungstätigkeit in Höhe von 31.593,08 € besteht, in denen Fremdgelder in Höhe von 9.592,36 € enthalten sind. Der Kläger hat jedoch seinen Klageantrag nicht erweitert, sondern in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 24.05.2004 an seinem angekündigten Antrag ausdrücklich festgehalten.

2.

Dem Beklagten steht eine Vergütungsforderung in Höhe von 17.639,57 € gem. § 670 BGB i.V.m. §§ 55 Abs. 3 Satz 1, 53 Abs. 9 Satz 2 BRAO zu.

Die Rechtsanwaltskammer hat mit Beschluss vom 23.10.2002 die angemessene Vergütung des Beklagten für seine Abwicklungstätigkeit gem. § 55 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 53 Abs. 10 Satz 4, 5 BRAO auf 17.639,57 € festgesetzt. Dieser Verwaltungsakt ist bestandskräftig geworden. Gegen die Vergütungsfestsetzung der Rechtsanwaltskammer stand dem Kläger und dem Beklagten das Verfahren nach § 223 BRAO offen, wonach sie innerhalb eines Monats nach Zustellung einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung durch den Anwaltsgerichtshof stellen konnten. Beide Parteien ließen die Monatsfrist verstreichen, ohne einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu stellen.

3.

Ob dem Beklagten für seine Vergütungsforderung ein Absonderungsrecht gem. §§ 50, 51 Nr. 2 InsO zusteht (so OLG Celle, Urteil vom 24.04.2002, BRAK-Mitteilung 2002, 198 f; dem folgend Feuerich/Weyland, Kommentar zur BRAO, 6. Auflage, § 55 Rn. 36), bedarf keiner Entscheidung, denn die Aufrechnung des Beklagten mit seiner Vergütungsforderung, die aus der Masse zu befriedigen ist (§§ 53, 55 Abs. 1 sowie 324 Abs. 1 Nr. 6 InsO analog), führt zum teilweisen Erlöschen des Auskehrungsanspruches des Klägers gem. §§ 389, 387 BGB.

a) Die Vergütungsforderung des Beklagten stellt eine Masseverbindlichkeit dar.

aa) § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist nur insoweit einschlägig, als es um das Entgelt für die Abwicklungstätigkeit des Beklagten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht. Das Rechtsverhältnis zwischen dem Rechtsanwalt bzw. dem Treuhänder im Verfahren über sein Vermögen und dem Abwickler ist zwar nicht als Vertrag einzuordnen, steht aber einem Vertrag gleich, den der Insolvenzverwalter bzw. Treuhänder für die Zeit nach Verfahrenseröffnung erfüllen muss. Die Abwicklung erlischt nicht gem. §§ 116 Abs. 1, 115 Abs. 1 InsO, denn sie beruht nicht auf einen Auftrag des Schuldners, sondern auf einer Anordnung der Rechtsanwaltskammer im öffentlichen Interesse. Demgemäß hat der Insolvenzverwalter bzw. Treuhänder wie der Schuldner, die Abwicklung gem. § 55 BRAO hinzunehmen, ohne diese beenden zu können. Wenn die Erträge der Abwicklung in die Masse fließen, so entspricht es dem in § 55 Abs. 1 InsO ausgeprägten Gegenleistungsgrundsatz, dass diese auch die Tätigkeit des Abwicklers zu entgelten hat.

bb) Die Vergütungsforderung des Beklagten ist entsprechend § 324 Abs. 1 Nr. 6 InsO als Masseverbindlichkeit zu berichtigen, soweit es um das Entgelt für seine Tätigkeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht. Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie vorliegend - Kanzleiabwicklung und Insolvenzverwaltung sich zeitlich überschneiden.

(1) Diese Bestimmung ordnet Verbindlichkeiten, die für den Erben gegenüber einem Nachlasspfleger oder Testamentsvollstrecker aus der Geschäftsführung dieser Person entstanden sind, über §§ 54, 55 InsO hinaus als Masseverbindlichkeiten ein. Sie ist entsprechend auf die Abwicklervergütung anzuwenden, da die Aufgaben und Interessenlagen eines Kanzleiabwicklers mit denen eines Nachlasspflegers bzw. Testamentsvollstreckers vergleichbar sind. Die Abwicklung nach § 55 BRAO stellt sich als eine Art besonderer Nachlasspflegschaft dar, die sich aus den Besonderheiten der beruflichen Stellung eines Rechtsanwaltes erklärt (vgl. LG Hamburg, Urt. vom 15.04.1994, NJW 1994, 1823 zu § 224 KO). Die Wahrnehmung durch den Kanzleiabwickler gem. § 55 BRAO ist zum Schutze der Rechtssuchenden und im Interesse der Rechtssicherheit unerlässlich (Feuerich/Braun, a.a.O., § 55 Rn. 2). Dieser Interessenlage folgend ist die entsprechende Anwendung des § 324 Abs. 1 Nr. 6 InsO auch angezeigt, soweit es um die Vergütung des Abwicklers vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht. Verbindlichkeiten, die typischerweise nach Eintritt des Erbfalls im Rahmen einer ordnungsgemäßen Verwaltung der Erbschaft entstehen, sollen durch § 324 InsO begünstigt werden. Die Wirkungen der Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens werden auf den Zeitpunkt des Erbfalls zurückbezogen (LG Hamburg vom 15.04.1994, a.a.O.; Kübler/Prütting, Kommentar zur InsO, § 324 Rn. 1; Begründung des Regierungsentwurfes zu § 324 InsO, BT-Drucksache 12/2443, Seite 108 ff.). Dieser Gesichtspunkt lässt sich auf die Abwicklungstätigkeit übertragen, deren Beginn dem Erbfall gleichzustellen ist. Die Abwicklung der Rechtsanwaltspraxis als eine im öffentlichen Interesse stehende Aufgabe rechtfertigt die Privilegierung der Vergütungsforderung ohne Rücksicht auf die Zäsur, die die Verfahrenseröffnung grundsätzlich bedeutet.

(2) Die Einführung der Insolvenzordnung rechtfertigt keine gegenüber dem früheren Rechtszustand geänderte Betrachtung (vgl. MünchKomm/Siegmann, InsO, § 324 Rn. 12)

Nach wie vor besteht eine planwidrige Lücke, die die Analogie rechtfertigt. Der Gesetzgeber hat sein Ziel, die Verteilungsgerechtigkeit zugunsten der Insolvenzgläubiger zu stärken, dadurch zu erreichen gesucht, dass bestimmte Gläubigergruppen (Sozialversicherungsträger, Arbeitnehmer etc.) nicht mehr bevorzugt aus der Masse befriedigt werden. Die Einstufung der Vergütungsforderung eines Nachlasspflegers oder Testamentsvollstreckers hat er dagegen als Masseverbindlichkeit in der neuen Insolvenzordnung fortgeschrieben. Der Wortlaut des § 324 Abs. 1 Nr. 6 InsO entspricht der Regelung des § 224 Abs. 1 Nr. 6 KO. Demgegenüber lässt sich nach Auffassung des Senats nicht einwenden, dass der Gesetzgeber in Kenntnis der mit der Abwicklung der Praxen insolventer Rechtsanwälte verbundenen Probleme den Kreis der bevorzugten Gläubiger nicht auf den Abwickler gem. § 55 BRAO und Personen mit ähnlicher Funktion ausgedehnt hat. Dieser Personenkreis war im Gesetzgebungsverfahren nicht Gegenstand der Erörterung; dies ist verständlich, weil in den Jahren vor Verabschiedung der Insolvenzordnung Insolvenzen im Bereich der Rechtsanwälte und Freiberufler bei weitem nicht so häufig waren wie derzeit, so dass sich Gesetzgebungsbedarf nicht aufdrängte. (3) Gegen eine analoge Anwendung des § 324 Abs. 1 Nr. 6 InsO spricht nicht die in § 53 Abs. 10 Satz 6 BRAO geregelte Bürgenhaftung der Rechtsanwaltskammer für die Vergütungsforderung des Abwicklers. Es handelt sich um eine subsidiäre Haftung bei Ausfall des früheren Rechtsanwaltes bzw. nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens des Treuhänders. Nur in diesem Fall kann der Abwickler die Rechtsanwaltskammer als Körperschaft des öffentlichen Rechts in Anspruch nehmen.

b) Der Beklagte kann gegen den Auszahlungsanspruch des Klägers, soweit dieser nicht die Abführung der eingenommenen Fremdgelder betrifft, mit seiner Vergütungsforderung aufrechnen. Die Gläubiger des § 324 InsO unterliegen keinerlei prozessualen Beschränkungen. Die Aufrechnungsverbote der §§ 94 bis 96 InsO betreffen nur die Insolvenzgläubiger, nicht aber die Massegläubiger (MünchKomm/Siegmann, a.a.O., § 324 Rn. 14). Der Einwand des Klägers, der Beklagte sei auf die Anmeldung seiner Forderung zur Tabelle zu verweisen, greift demgemäß nicht durch. Diese Möglichkeit besteht unabhängig von der Befugnis, außerhalb des Insolvenzverfahrens im ordentlichen Rechtsweg über die Aufrechnung zu befinden (Kübler/Prütting, InsO, § 94 Rn. 115).

Der Vergütungsanspruch des Beklagten ist ebenso fällig wie der Auskehrungsanspruch des Klägers. Daher kann der Beklagte mit seinem vollen Vergütungsanspruch aufrechnen, obwohl der Kläger nur Abführung der bis zum 31.12.1999 erzielten Erträge fordert. Es ist nicht notwendig, aus der dem Beklagten zustehenden Vergütung den auf das Jahr 1999 entfallenden Anteil herauszurechnen. Die Masse wird hierdurch nicht benachteiligt, denn dem Kläger bleibt unbenommen, seinen Auszahlungsanspruch weiterzuverfolgen, soweit dieser nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist.

c) Gegenüber dem Anspruch aus Auskehrung der eingenommenen Fremdgelder in Höhe von 7.963,49 € kann die Aufrechnung nicht durchgreifen. Da die Abwicklertätigkeit des Beklagten zum 31.12.2001 endete, ist er nicht mehr berechtigt, über die Fremdgelder zu verfügen. Er hat sie dem Kläger als Treuhänder zu übergeben, der sie gemäß § 47 InsO an die jeweiligen aussonderungsberechtigten Gläubiger auszukehren hat.

4.

Die Zinsforderung ist gem. §§ 284, 288 BGB a. F. teilweise begründet. Verzug ist am 12.02.2002 durch die Mahnung des Klägers mit Schreiben vom 07.02.2002 unter Fristsetzung zum 11.02.2002 eingetreten. Die Forderung des Klägers ist erst nach Beendigung der Abwicklungstätigkeit des Beklagten zum 31.12.2001 fällig geworden.

Dass sich der Beklagte mit der Abführung der Fremdgelder, die im wirtschaftlichen Sinn nicht seinem Vermögen zuzurechnen sind und die auch nicht in die Insolvenzmasse fließen, in Verzug befindet, rechtfertigt nicht die Abkehr von dem Grundsatz, dass der Schuldner einer Geldforderung Verzugszinsen schuldet. Insbesondere besteht kein Grund, in diesem Bereich den Zahlungsverzug sanktionslos zu lassen.

III.

1.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO.

2.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

3.

Die Revision ist gem. § 543 ZPO zuzulassen.

Die Rechtsfrage, ob die Vergütungsforderung des Abwicklers einer Anwaltskanzlei als Masseverbindlichkeit zu befriedigen ist oder eine einfache Insolvenzforderung darstellt, ist von grundsätzlicher Bedeutung.

4.

Der Streitwert beträgt 21.047,78 €. Die Aufrechnung des Beklagten mit seiner Vergütungsforderung ist nicht gem. § 19 Abs. 3 GKG zur Klageforderung hinzuzurechnen. Der Beklagte erkennt - bis auf einen Betrag der Fremdgelder in Höhe von 7.963,49 € - grundsätzlich an, dass dem Kläger ein Herausgabeanspruch zukommt.

Ende der Entscheidung

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