Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Urteil verkündet am 19.06.2006
Aktenzeichen: 3 U 6/06
Rechtsgebiete: InsO, BGB


Vorschriften:

InsO § 21 Abs. 2 Nr. 2
InsO § 82 Abs. 1
InsO § 9
InsO § 82
InsO § 82
InsO § 24 Abs. 1
BGB § 185 Abs. 1
BGB § 362
BGB § 135
BGB § 136
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock

URTEIL

IM NAMEN DES VOLKES

3 U 6/06

verkündet am: 19.06.2006

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht E., den Richter am Oberlandesgericht Dr. J. und die Richterin am Oberlandesgericht B.

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 29.05.2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 06.12.2005 verkündete Urteil des Landgerichts Stralsund - 3 O 50/05 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, falls nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens beträgt 10.144,75 €.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger fordert von der Beklagten Bezahlung einer Rechnung vom 31.07.2004 in Höhe von 10.144,75 €. Der Schuldner H. hatte Bewachungsleistungen für die Beklagte erbracht. Das Amtsgericht Lübeck ordnete am 17.08.2004 auf den Antrag vom 01.07.2004 die vorläufige Insolvenzverwaltung mit Zustimmungsvorbehalt gem. § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO über das Vermögen des H. an und verbot dessen Schuldnern, an diesen zu zahlen. Dies wurde am 17.08.2004 im Internet veröffentlicht und in den "Lübecker Nachrichten" am 20.08.2004. H. bevollmächtigte den Zeugen B., seinen Subunternehmer zur Empfangnahme des Geldes, da er infolge der Verfügungsbeschränkung nicht mehr über sein Konto verfügen und dessen Vergütung nicht überweisen konnte. Die Beklagte zahlte den streitgegenständlichen Betrag am 20.08.2004 in bar an den Zeugen B. aus. Der Kläger hat mittlerweile den Zeugen B. vor dem Landgericht Stralsund auf Rückzahlung des streitgegenständlichen Betrages verklagt.

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte das Geld mit befreiender Wirkung an den Zeugen ausgezahlt hat.

Der Kläger trug vor, die Beklagte und deren Muttergesellschaft, die M. GmbH in I. hätten am 20.08.2004 Kenntnis von dem Eröffnungsantrag gehabt.

Zu den Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes nimmt der Senat Bezug auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung.

Das Landgericht hat zunächst die Beklagte mit Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren antragsgemäß zur Zahlung verurteilt, dieses jedoch anschließend nach Beweisaufnahme wieder aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung führt das Landgericht aus, die Beklagte habe bewiesen, dass sie keine Kenntnis von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehabt habe, sodass sie gem. § 82 Abs. 1 InsO befreit worden sei.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er seinen erstinstanzlich gestellten Zahlungsantrag weiter verfolgt. Zur Begründung trägt er vor, die Beklagte habe nicht mit befreiender Wirkung an den Zeugen B. leisten können. Das Landgericht habe die Rechtswirkung des § 9 InsO verkannt. Die Veröffentlichung im Internet sei eine solche im Sinne dieser Vorschrift. Damit gelte die Bekanntmachung am 19.08.2004 als bewirkt.

Bei der Beklagten handele es sich um eine Konzerntochter. Der Zahlungsverkehr sei über die M. GmbH organisiert worden. Die Muttergesellschaft der Beklagten habe Zahlungen auf das Konto der Gemeinschuldnerin geleistet. Die hier vorgenommene Barzahlung sei absolut unüblich gewesen. In der Vergangenheit habe der Zeuge B. für seine Leistungen immer Verrechnungsschecks von dem Schuldner erhalten. Der Zeuge H. habe ausgesagt, er habe der Beklagten mitgeteilt, dass sein Konto nicht mehr zur Verfügung stehe. Im übrigen verweist der Kläger auf das Urteil des BGH vom 15.12.2005 zur Kenntnis eines Kreditinstituts von insolvenzbedingten Verfügungsbeschränkungen bei Leistungen an den Schuldner, wonach eine Unternehmensorganisation zur Eigeninformationsbeschaffung und zum Informationsaustausch zwischen konzernverbundenen Unternehmen verpflichtet sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 06.12.2005 abzuändern und unter Aufrechterhaltung des Versäumnisurteils vom 30.06.2005 die Beklagte und Berufungsbeklagte zu verurteilen, 10.144,75 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über den jeweiligen Basiszinssatz seit dem 05.11.2004 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Beklagte Zug um Zug gegen Abtretung der Anfechtungsansprüche des Klägers gegen den Zeugen B. zu verurteilen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und trägt vor, die Bezahlung des Schuldners sei nicht zwingend über die Muttergesellschaft erfolgt. Die lokalen Gesellschaften könnten sich der Dienste der zentralen Buchhaltung bedienen, müssen dies jedoch nicht. Vorliegend sei eine Ausnahmesituation gegeben gewesen, die die Barauszahlung als sinnvolle Ausnahme gerechtfertigt habe. Die von dem Kläger zitierte BGH-Rechtsprechung sei auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar, da es sich dabei um einen Vorfall innerhalb einer Bankfiliale gehandelt habe. Gem. § 82 InsO komme es nur auf positive Kenntnis an. Bloßes Kennenmüssen reiche nicht aus. Die Beklagte habe mit der Anhörung ihres Geschäftsführers und der Zeugenaussage des Herrn P. bewiesen, dass sie zum Zeitpunkt der Barauszahlung keine Kenntnis über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehabt habe.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Die Klageforderung ist durch Erfüllung gem. §§ 185 Abs. 1, 362 BGB, 82 InsO erloschen.

Letzte Vorschrift ist gem. § 24 Abs. 1 InsO auch auf Leistungen nach Erlass von Verfügungsbeschränkungen gem. § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO anzuwenden (Ott in MünchnerKomm. zur InsO, Rn. 9 zu § 82).

Die Beklagte hat zwar nach Erlass einer Verfügungsbeschränkung, infolge derer der Gemeinschuldner nicht mehr ohne Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters über die Forderung gegen die Beklagte verfügen konnte, an den Zeugen B. geleistet. Hiergegen verstieß der Gemeinschuldner durch die Bevollmächtigung des Zeugen B. zur Empfangnahme des Geldes. Darin lag eine Einziehungsermächtigung i. S. v. § 185 BGB (vgl. dazu Palandt/Grüneberg, BGB, 65. Aufl., Rn. 29 zu § 398) und eine zustimmungspflichtige Verfügung im Sinne von § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO. Das Amtsgericht ordnete zwar kein allgemeines Verfügungsverbot an, vielmehr nur einen Zustimmungsvorbehalt, dieser hat jedoch die gleiche Wirkung (OLG Frankfurt ZInsO 2006, 269 = OLG Report 2006, 475 m.w.N.). Der Zustimmungsvorbehalt bezog sich auf alle Verfügungen des Schuldners und damit auch auf die Einziehungsermächtigung zu Gunsten des Zeugen B. Diese war gem. §§ 135, 136 BGB absolut unwirksam, da sie gegen ein behördliches Veräußerungsverbot verstieß ( Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl., Rn. 2 b zu § 136).

Die Zahlung vom 20.08.2004 führte dennoch zum Erlöschen der Forderung des Gemeinschuldners, denn die Beklagte hat bewiesen, dass sie zur Zeit der Leistung die Verfügungsbeschränkung nicht kannte (§ 82 Satz 1 InsO). Die Beweislast oblag ihr, da sie nach Bewirkung der öffentlichen Bekanntmachung leistete, die gem. § 9 Abs. 1 S. 3 InsO am 19.08.2004 eintrat. Gem. § 9 Abs. 1 S. 1 InsO erfolgt die öffentliche Bekanntmachung in dem für amtliche Bekanntmachungen des Gerichts bestimmten Blatt oder in einem für das Gericht bestimmten elektronischen Informations- und Kommunikationssystem. Das Amtsgericht Lübeck veröffentlichte den Beschluss im Internet. Diese Möglichkeit war dem Gericht durch die Verordnung zur öffentlichen Bekanntmachungen im Insolvenzverfahren im Internet vom 12.02.2002 (Bundesgesetzblatt I, S. 677) und durch die allgemeine Verfügung der Landesjustizverwaltung Schleswig-Holstein vom 26.02.2004 (SchlHA 2004, 65) seit dem 01.04.2004 eröffnet. Daher ist vorliegend auf die erstmalige Einstellung in das Internet abzuheben (Eickmann, InsO, 4. Aufl., Rn. 8 zu § 9; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., Rn. 1 zu § 9).

Die erste öffentliche Bekanntmachung ist die für die Verteilung der Beweislast entscheidende Zäsur (Hess, InsO, Rn. 17 zu § 82). Liegt die Leistung nach der öffentlichen Bekanntmachung, wird vermutet, dass der Leistende von der Verfahrenseröffnung Kenntnis hatte, sodass er, wenn die Leistung schuldbefreiend wirken soll, seine Unkenntnis beweisen muss (Hess, a.a.O., Rn. 18). So liegen die Dinge hier.

Die Beklagte hat den ihr obliegenden Beweis der Unkenntnis erbracht. Nur Kenntnis der Verfahrenseröffnung, bzw. des Verfügungsverbotes lässt die Wirkung der Erfüllung entfallen. Weder grob fahrlässige Unkenntnis hiervon noch Kenntnis von der erfolgten Zahlungseinstellung oder eines gestellten Eröffnungsantrages kann sie ersetzen (Hess, a.a.O., Rn. 16; Kübler/Prütting, Rn. 8 zu § 82).

Teilweise wird in der Literatur an den Nachweis ein strenger Maßstab gestellt (Hess, a.a.O.; Kübler, a.a.O.). Ott (Münchner Komm. zur InsO, Rn. 15 zu § 82) fordert dagegen lediglich den Vollbeweis der mangelnden Kenntnis der Verfahrenseröffnung bzw. des Verfügungsverbotes zum Zeitpunkt der Leistung im Sinne des § 286 ZPO. In diesem Rahmen sollen allgemeine Anforderungen an das Beweismaß gelten; für darüber hinausgehende Anforderungen sei kein Raum. Der Senat folgt der letztgenannten Ansicht und stellt auf normale Anforderungen des Vollbeweises ab. Weitergehende Anforderungen ergeben sich aus der InsO nicht. Insoweit tritt der Senat der Beweiswürdigung des Landgerichts bei, die in sich schlüssig und nachvollziehbar ist. Der Geschäftsführer der Beklagten wusste zwar, dass der Gemeinschuldner nicht mehr über sein Konto verfügen und deswegen die Forderungen des Subunternehmers B. nicht begleichen konnte. Dies sind Umstände, die auf Zahlungsunfähigkeit des Schuldners schließen lassen. Eine Regelung wie die des § 130 Abs. 2 InsO oder des § 7 GesO fehlt indes bei § 82 InsO. Die Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 15.12.2005 - IX ZR 227/04) führt hier zu keinem anderen Ergebnis. Dort stellt der BGH darauf ab, dass der Leistende (eine Bank) darzulegen habe, welche Organisationsstrukturen sie geschaffen habe, um entsprechende Informationen aufzunehmen und intern weiterzugeben. Daran habe es gefehlt. Die beklagte Bank habe nur vorgetragen, was sie nicht getan habe, etwa das Amtsblatt nicht bezogen worden sei, sodass für die revisionsrechtliche Beurteilung gemäß der Behauptung des Klägers davon auszugehen sei, dass Vorstandsmitglieder und andere Wissensvertreter der Beklagten von den verhängten Sicherungsmaßnahmen Kenntnis gehabt hätten.

Banken beobachten in aller Regel täglich die Geschäftsentwicklung ihrer Kunden und leiten entsprechende Informationen intern weiter. Bankmitarbeiter werden darauf abgestellt, jeden Tag amtliche Bekanntmachungen im Internet abzurufen. Bei einem Handelsunternehmen, wie der Beklagten, ist davon nicht auszugehen. Die Beklagte hat vorgetragen und bewiesen, dass ihr Geschäftsführer und ein weiterer Mitarbeiter der Geschäftsführung keine Kenntnis von dem Beschluss des Amtsgerichts Lübeck vom 17.08.2004 hatten. Darin liegt die Feststellung, dass sie die Veröffentlichung im Internet nicht gelesen haben. Dies hat auch der Kläger nicht behauptet. Der Senat hält die Darstellung der Beklagten für nachvollziehbar, da nicht jede Firma ihre Geschäftspartner täglich daraufhin überprüft, ob über deren Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Die Unkenntnis der Beklagten mag als grob fahrlässig bewertet werden, positive Kenntnis hält der Senat jedoch für widerlegt.

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 11 Satz 1 ZPO.

Der Senat lässt die Revision zur Klärung der höchstrichterlichen bislang nicht geklärten Frage zu, inwieweit sich ein Unternehmen, das keinen bankmäßigen Betrieb unterhält, informieren und sich gem. § 82 Satz 1 InsO entlasten muss.



Ende der Entscheidung

Zurück