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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Urteil verkündet am 26.11.2007
Aktenzeichen: 3 U 80/07
Rechtsgebiete: SGB X


Vorschriften:

SGB X § 116 Abs. 6 Satz 2

Entscheidung wurde am 18.12.2007 korrigiert: der Leitsatz wurde geändert
1. Hat die Haftpflichtversicherung des Schädigers bereits vor der Eheschließung der Geschädigten mit dem Schädiger den Schadensersatz im Regressweg an die Krankenversicherung der Geschädigten vollständig gezahlt, kann sich die Haftpflichtversicherung nicht auf das Familienprivileg aus § 116 Abs. 6 Satz 2 SGB X berufen.

2. Sinn und Zweck des Familienprivilegs aus § 116 Abs. 6 Satz 2 SGB X ist es, den Familienfrieden zu erhalten und die Familienkasse zu schützen. Erfolgt die Schadensersatzzahlung im Regressweg vollständig vor der Eheschließung werden diese Zwecke nicht berührt.

3. Der Senat lässt offen, ob sich das Familienprivileg nach § 116 Abs. 6 Satz 1 SGB X auch auf nichteheliche Lebensgemeinschaften insbesondere mit gemeinsamen Kindern erstreckt.


Oberlandesgericht Rostock IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 80/07

Verkündet am: 26.11.2007

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 05.11.2007

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 16.04.2007, Az.: 4 O 267/06, geändert und die Klage abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 24.515,59 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt die Rückzahlung von Schadensersatz, den sie an die beklagte Krankenversicherung leistete, nachdem sie als Haftpflichtversicherung von der Beklagten in Regress genommen worden war.

Die Beklagte ist Sozialversicherungsträgerin von Frau J. S., geborene K.. Am 07.02.1999 wurde die Versicherte bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt. Sie war Insassin in dem von ihrem damaligen Lebensgefährten und jetzigen Ehemann Herrn S. S. gesteuerten Pkw. Herr S., der Versicherungsnehmer der Klägerin ist, verursachte und verschuldete den Verkehrsunfall allein. Für ihre Aufwendungen gegenüber der Versicherten nahm die Beklagte die Klägerin in Regress. Daraufhin leistete die Klägerin bis einschließlich 18.01.2002 Teilzahlungen von 24.515,59 € und erfüllte so den Anspruch insgesamt.

Mit einem Schreiben der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte an die Klägerin vom 13.05.2005, in dem die Versicherte als J. S., geborene K., benannt ist, erhielt die Klägerin erstmals Kenntnis von der Eheschließung der Verletzten mit dem Schädiger, ihrem Versicherungsnehmer. Die Ehe wurde am 07.02.2005 geschlossen.

Unter Berufung auf das sog. Familienprivileg aus § 116 Abs. 6 Satz 2 SGB X forderte die Klägerin sodann die Beklagte unter Fristsetzung zur Rückzahlung der Schadensersatzleistungen auf, wobei sie versehentlich nur 24.337,08 € geltend machte. Mit Schreiben vom 18.11.2005 wies die Beklagte die Forderung zurück und berief sich auf Verjährung.

Das Landgericht Schwerin hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat die Kammer ausgeführt, der Zeitpunkt der Familienzugehörigkeit, die den Rückgriff ausschließe, sei ohne Einfluss. Es reiche aus, dass im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung über die Rückgriffsansprüche die erforderlichen Beziehungen zwischen Versichertem und Schädiger durch Heirat geschaffen seien. Der Rechtsgedanke des § 67 Abs. 2 VVG sei analog anzuwenden, wenn der Ausschlussgrund für den Forderungsübergang, wie hier die Heirat, erst nach dem Unfall oder sogar nach Geltendmachung des Regressanspruches entstanden sei.

Mit ihrer Berufung rügt die Beklagte eine fehlerhafte Rechtsanwendung des Landgerichts. Das Landgericht habe übersehen, dass in den von der Kammer zitierten Fällen die Schädiger und Geschädigten in der Phase des Regresses geheiratet hätten. Der Regress sei in diesen Fällen zum Zeitpunkt der Eheschließung nicht abgeschlossen gewesen. In dem vom OLG Frankfurt entschiedenen Fall, auf den die Kammer Bezug nehme, seien Zahlungen erst geleistet worden, nachdem die Unfallverursacherin den Geschädigten geheiratet habe. Vorliegend habe die Geschädigte den Schädiger zu einem Zeitpunkt, als der Regress bereits seit drei Jahren vollständig beendet gewesen sei, geheiratet. § 116 Abs. 6 Satz 2 SGB X verhindere nicht den gesetzlichen Forderungsübergang sondern nur die Durchsetzung der Forderung. Sei die Forderung zum Zeitpunkt der Eheschließung bereits durchgesetzt, bedürfe es eines Durchsetzungshindernisses nicht mehr.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Schwerin zum Az. - 4 O 276/06 - vom 16.04.2007 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin stützt das angegriffene Urteil. Sie ist unter Bezugnahme auf den Bundesgerichtshof (BGH NJW 2001, 754) der Auffassung, das Durchsetzungshindernis aus § 116 Abs. 6 Satz 2 SGB X gelte wegen des Akzessorietätsgrundsatzes auch für den Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg. Die Klage ist nicht begründet. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Rückzahlung der an die Beklagte gezahlten Beträge gem. § 812 Abs. 1 BGB zu, denn die Klägerin hat aufgrund des Regresses mit Rechtsgrund an die Beklagte geleistet.

1. ) Vorliegend steht § 116 Abs. 6 Satz 2 SGB X dem Regress der Beklagten gegen die klagende Haftpflichtversicherung nicht entgegen, denn die Klägerin hatte bereits vor der Eheschließung im Jahr 2005 die Schadensersatzleistungen vollständig erbracht.

Außer Streit steht zwischen den Parteien, dass die Beklagte für die bei ihr versicherte Verletzte Aufwendungen in Höhe der streitgegenständlichen Forderung erbracht und dafür die Klägerin zum damaligen Zeitpunkt zu Recht in Regress genommen hat, weil der Verkehrsunfall durch den bei der Klägerin haftpflichtversicherten Fahrer fahrlässig verursacht worden war. Allein streitig ist zwischen den Parteien, ob die Klägerin aufgrund der späteren Eheschließung der Verletzten mit dem Schädiger nachträglich von dem sog. Familienprivileg des § 116 Abs. 6 Satz 2 SGB X profitieren kann. Nach dem Wortlaut des § 116 Abs. 6 Satz 2 SGB X ist durch die spätere Heirat nicht der gesetzliche Übergang ausgeschlossen, sondern nur dessen Durchsetzung gehindert.

Zahlungen des Haftpflichtversicherers, die dieser in Unkenntnis der inzwischen erfolgten Heirat zwischen dem Geschädigten und dem Schädiger geleistet hat, können zwar aus ungerechtfertigter Bereicherung zurückgefordert werden (vgl. Hofmann, Haftpflichtrecht für die Praxis, S. 122, Rn. 58). Das setzt jedoch voraus, dass die Eheschließung vor der Zahlung erfolgte. Soweit der Schädiger Regressansprüche vor der Eheschließung bereits erfüllt hat, kann eine Rückerstattung der Zahlungen nicht beansprucht werden (so Plagemann in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 24. Aufl., 2004, § 116 SGB X, Rn. 81). Auch das OLG Köln (Urt. v. 17.10.1990, Az. - 24 U 43/90 -, zitiert nach juris) stellt darauf ab, dass die die Privilegierung stützenden Umstände, wenn sie erst später geschaffen werden, zum Zeitpunkt der tatsächlichen Leistung des Schädigers an die Versicherung vorliegen müssen. Ebenso formuliert Jahnke in seinem von der Klägerin in Bezug genommenen Aufsatz (NZV 1995, 377, 379): " ... wenn die Eheschließung nach dem Unfall, aber vor der Leistung des Haftpflichtversicherers erfolgte."

Das Landgericht misst dem Umstand, dass in dem vom BGH am 09.05.1972 entschiedenen Fall (VersR 72, 764) die Parteien über den Rückgriffanspruch noch gestritten haben und deshalb noch keine vollständige Rückzahlung erfolgt war, keine hinreichende Bedeutung zu. In dem der Entscheidung des OLG Frankfurt vom 11.01.1984 (VersR 1985, 936) zugrunde liegenden Fall erfolgten die Zahlungen erst nach der Eheschließung des Verletzten mit der Schädigerin.

Zwar ist der Wortlaut des § 116 Abs. 6 Satz 2 SGB X insoweit nicht eindeutig. Nach Sinn und Zweck der Regelung ist eine Rückabwicklung nach erfolgter Zahlung vor der Eheschließung jedoch vom Gesetzgeber nicht gewollt, denn die aus der analogen Anwendung des § 67 Abs. 2 VVG entwickelte Norm dient zwei Zwecken:

1. der Erhaltung des Familienfriedens und

2. dem Schutz der Familienkasse (vgl. BGH VersR 1977, 149; Hofmann, Haftpflichtrecht für die Praxis, S. 119, Rn. 47). Diese Zwecke gelten sowohl für den Ausschluss des Übergangs in Satz 1 der Norm wie für das Durchsetzungshindernis in Satz 2.

Der erstgenannte Zweck soll Streit in der Familie im Zusammenhang mit dem schädigenden Ereignis verhindern. Ein solcher Streit kann in der Familie nicht entstehen, wenn sie erst nach der Regresszahlung durch die Eheschließung entsteht.

Gleiches gilt für den Schutz der Familienkasse. Dieser Zweck dient dazu, dem Geschädigten den geleisteten Schadensersatz nicht wieder wegzunehmen, indem der Schädiger, mit dem aus einer Familienkasse gewirtschaftet wird, den Schaden zahlen muss. Die Versicherungsleistung soll dem Versicherten nicht mittelbar wieder entzogen werden, indem bei einem mit dem Versicherten wirtschaftlich verbundenen Familienangehörigen Regress genommen wird (OLG Köln, Urt. v. 17.10.1990, Az. - 24 U 43/90 -, zitiert nach juris).

3. Der Übergang war nicht nach § 116 Abs. 6 Satz 1 SGB X ausgeschlossen. Es ist nicht ersichtlich, dass zwischen der Verletzten und dem Schädiger bereits vor der Eheschließung eine unter dem Schutz von Art. 6 GG stehende Familie bestand.

Es ist umstritten, ob sich das Familienprivileg auch auf die nichtehelichen Lebensgemeinschaften erstreckt. Strikt gegen eine solche Erweiterung hat sich das OLG Koblenz (VersR 2003, 1381) gestellt (vgl. auch Plagemann in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 24. Aufl., 2004, § 116 SGB X, Rn. 78); für eine solche Erstreckung, jedenfalls in analoger Anwendung, haben sich das OLG Naumburg (NJW 2007, 420) und das OLG Brandenburg (NJW 2002, 1581) ausgesprochen, wenn es sich um eine langjährige Lebensgemeinschaft mit gemeinsamer Ausübung der elterlichen Sorge für ein gemeinsames Kind handelt. Die letztgenannte Auffassung dürfte vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungerichts vom 28.02.2007 (NJW 2007, 1735 = FamRZ 2007, 965) zur unterschiedlichen Regelung der Unterhaltsansprüche für die Betreuung ehelicher und nichtehelicher Kinder, die das Bundesverfassungsgericht für mit Art. 6 Abs. 5 GG unvereinbar gehalten hat, an Bedeutung gewinnen, denn wie oben ausgeführt dient die Sperre auch dem "Griff in die Familienkasse". Vor einer solchen Schmälerung der familiären wirtschaftlichen Verhältnisse müssten wohl nichteheliche Kinder gleichermaßen wie eheliche geschützt werden.

Im vorliegenden Fall ist jedoch nur vorgetragen worden, dass der Verkehrsunfall von dem damaligen Lebensgefährten der Verletzten verursacht worden ist, nicht dass zum Unfallzeitpunkt schon eine langjährige eheähnliche Lebengemeinschaft bestanden hat oder dass aus dieser Partnerschaft ein gemeinsames Kind hervorgegangen ist. Diesen Vortrag hat die Klägerin auch auf den Hinweis des Senats in der mündlichen Verhandlung nicht ergänzt.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.

Ende der Entscheidung

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