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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 21.08.2007
Aktenzeichen: 3 W 102/07
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 104 Abs. 2 Satz 2
1. Ein Betroffener, der sich aus einer 50-60 köpfigen Gruppe, die homogen überwiegend dunkel gekleidet ist und in der sich Personen bereits mit Sturmhauben, dunklen Sonnenbrillen oder Tüchern über Mund und Nase vermummt haben, nicht entfernt, obwohl 40-50 Personen dieser Gruppe Paletten zerschlagen, setzt eine Anscheinsgefahr für seine Beteiligung an einer Straftat.

2. Das Gebot der unverzüglichen richterlichen Vorführung aus Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG muss nicht durch Transportverzögerungen von 2 Stunden bis zum Abtransport und weiteren 2 Stunden bis zum Eintreffen in der GESA verletzt sein. Solche Verzögerungen konnten in der besonderen Situation des 06.06.2007, dem ersten Tag des G 8-Gipfels, sachlich begründet sein. Wird die Befahrbarkeit der Straßen durch Demonstrationen und Straßensperren massenhaft eingeschränkt, so muss ein in Gewahrsam Genommener grundsätzlich gewisse Verzögerungen hinnehmen. Der Polizei kann deshalb grundsätzlich eine fehlende Unverzüglichkeit der richterlichen Vorführung i.S.v. Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG nicht vorgeworfen werden. hätte sie jeweils die sofortige Räumung von Straßensperren bewerkstelligen müssen.

3. Die Zeit des Aufwandes für eine ärztliche Behandlung des Betroffenen ist in die Dauer der polizeilichen Sachbearbeitung nicht einzuberechnen.


Oberlandesgericht Rostock Beschluss

3 W 102/07

In dem Freiheitsentziehungsverfahren

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock am 21.08.2007 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Betroffene erstrebt die Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Freiheitsentziehung. Am 06.06.2007 gegen 16.02 Uhr befand sich der Betroffene in einer Personengruppe von ca. 50 - 60 Personen auf der Straße "Z. K." im Bereich des Eingangs zum Golfplatz W., der zwischen K. und H. liegt. Die Personen dieser Gruppe waren überwiegend dunkel gekleidet und hatten teilweise Sturmhauben aufgesetzt bzw. trugen dunkle Sonnenbrillen i.V.m. dunklen Tüchern über Mund oder Nase. Als die Gruppe die Polizeibeamten entdeckten, begannen etwa 40 - 50 Personen von ihnen am Straßenrand aufgestapelte Holzpaletten und Steine zu zerschlagen und zu zerbrechen. Teilweise wurden die zerbrochenen Teile aufgenommen und mitgeführt sowie größere Steine als Hindernis auf der Fahrbahn liegengelassen. Beim Eintreffen der Polizei zersplitterte sich die Gruppe in Kleingruppen, die von der Polizei bis zu einem kleinen Hügel verfolgt wurden. Nach Umstellung des Hügels wurden die Personen in Gewahrsam genommen. Zu diesen gehörte auch der Betroffene, der um 16.15 Uhr festgenommen wurde. Auf dem Hügel wurden diverse Vermummungsgegenstände gefunden.

Die Übergabe des Betroffenen zum Transport erfolgte nach dem Polizeibericht um 18.10 Uhr ). Um 20.10 Uhr wurde der Betroffene in der polizeilichen Gefangenensammelstelle (GESA) aufgenommen und zwischenzeitlich einem Arzt vorgestellt. Insgesamt wurden bei diesem Ereignis 39 Personen in die GESA aufgenommen. Um 22.55 Uhr wurde der Betroffene dann dem Amtsgericht vorgeführt. Die Anhörung konnte sodann erst um 23.14 Uhr beginnen, da die Dolmetscherin noch an einer anderen Anhörung teilnahm. Der Betroffene machte zur Sache vor dem Amtsrichter keine Angaben. Mit Beschluss vom 06.06.2007 ordnete das Amtsgericht die Fortdauer des amtlichen Gewahrsams längstens bis zum 09.06.2007, 12.00 Uhr, und die sofortige Wirksamkeit dieser Entscheidung an.

Das Amtsgericht hielt die polizeiliche Ingewahrsamnahme des Betroffenen gestützt auf § 55 Abs. 1 Nr. 2 b SOG M-V für rechtmäßig. Es war davon überzeugt, dass der Betroffene Mitglied der genannten Gruppe gewesen sei. Er habe sich verdächtig gemacht, Teilnehmer einer Sachbeschädigung, eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und gegebenenfalls eines Landfriedensbruchs gemäß § 125 StGB zu sein. Die Fortdauer der Ingewahrsamnahme sei unerlässlich. Nach dem im Zuge der Anhörung gewonnenen persönlichen Eindruck von dem Betroffenen sei zu befürchten, dass er weiterhin beabsichtigt, Straftaten zu begehen. Er sei Teil einer Gruppe, die in besonders schwerwiegender Weise in Erscheinung getreten ist.

Gegen diesen Beschluss legte der Betroffene sofortige Beschwerde ein. In der Beschwerdebegründung trägt er vor, die Polizei habe keine unverzügliche richterliche Entscheidung im Sinne des Art. 104 GG veranlasst.

Das Landgericht Rostock wies die Beschwerde mit dem angefochtenen Beschluss nach Anhörung des Betroffenen zurück. Auch vor dem Landgericht machte der Betroffene keine Angaben zur Sache. Zur Begründung führt die Kammer aus, der Betroffene sei Teilnehmer einer Gruppe gewesen, aus der heraus Sachbeschädigungen vorgenommen worden seien. Es seien Paletten beschädigt worden. Es habe die Gefahr bestanden, dass aus der Personengruppe heraus weitere Straftaten begangen werden. Die Mitnahme von Steinen lasse darauf schließen, dass diese als Wurfgeschosse eingesetzt werden sollten. Das Hinterlassen von größeren Steinen auf der Fahrbahn führe zu einer Gefährdung der Straßenverkehrsteilnehmer. Das Verhalten der Teilnehmer der Gruppe erfülle den Tatbestand des Landfriedensbruchs. Auch wenn bei dem Betroffenen keine Vermummungsgegenstände oder Steine gefunden worden seien, sei die Kammer davon überzeugt, dass der Betroffene Teilnehmer dieser Personengruppe gewesen sei.

Mit dem Einwand des Verstoßes gegen das Unverzüglichkeitsgebot dringe der Betroffene nicht durch. Ob Verzögerungen aus sachlichen Gründen vorgelegen haben, könne letztlich dahinstehen. Auch wenn die Herbeiführung der richterlichen Entscheidung nicht unverzüglich erfolgt sein sollte, folge daraus noch nicht, dass die Gewahrsamnahme rechtswidrig gewesen sei. Die Verletzungen der formellen Voraussetzungen des Art. 104 GG führten nicht ohne Weiteres zu einer Rechtswidrigkeit der gesamten freiheitsentziehenden Maßnahme. So könne die Anordnung einer Ingewahrsamnahme durchaus rechtmäßig sein, wenn etwa eine einzelne Maßnahme während des Vollzugs sich als rechtswidrig erweisen könne, ohne dass von einem Durchschlagen dieses Mangels auf die Freiheitsentziehung als solche ausgegangen werden müsse. Die Abwägung zwischen dem aus den Grundrechten erwachsenen Freiheitsanspruch und dem Schutzbedürfnis der Allgemeinheit ergebe, dass die weitere Freiheitsentziehung verhältnismäßig sei. Die Fortdauer der Ingewahrsamnahme sei unerlässlich. Ein milderes Mittel zur Gefahrenabwehr käme nicht in Betracht.

Die am 18.06.2007 beim Oberlandesgericht eingegangene sofortige weitere Beschwerde hat der Betroffene nicht begründet, sondern eine weitere Begründung einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten. Ein solcher liegt dem Senat nicht vor.

Die weitere Beteiligte hat nicht zur Sache Stellung genommen.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist trotz der Freilassung des Betroffenen nach Ablauf des angeordneten Gewahrsams zulässig. Wird mit einer gerichtlichen Entscheidung tiefgreifend in ein Grundrecht eingegriffen, so gebietet der aus Art. 19 Abs. 4 GG abgeleitete effektive Rechtsschutz auch nach Beendigung der freiheitsentziehenden Maßnahme vor Erschöpfung des Rechtsmittelweges, dem Betroffenen die Möglichkeit zu geben, den Grundrechtseingriff auf seine Rechtmäßigkeit hin überprüfen zu lassen (BVerfG NJW 2002, 206).

III.

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.

Gegenstand des Rechtsmittels des Betroffenen ist zunächst die landgerichtliche Entscheidung. Diese überprüft zum Einen materiellrechtlich die amtsrichterliche Anordnung der Fortdauer der Ingewahrsamnahme zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung. Weiterhin hat das Landgericht als eigene Tatsacheninstanz festzustellen, dass die Voraussetzungen einer Fortsetzung des Gewahrsams auch weiterhin vorliegen. Letztlich hat das Landgericht zudem Feststellungen über die Einhaltung von Verfahrensgrundrechten, hier insbesondere von Art. 104 Abs. 2 GG zu treffen. Gemäß §§ 3 Satz 2 FEVG, 27 FGG ist der Senat darauf beschränkt, die angegriffene Entscheidung daraufhin zu überprüfen, ob sie auf einer Rechtsverletzung beruht. Dies ist nicht der Fall.

1.

Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht die sofortige Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen.

Zwar hat es bei seiner Überprüfung nicht ausdrücklich auf den Zeitpunkt der amtsgerichtlichen Entscheidung abgestellt. Es hat seiner Entscheidung jedoch den bei der Durchsuchung und amtsrichterlichen Anhörung festgestellten Sachverhalt zugrundegelegt. Andere nachträgliche tatsächliche Feststellungen, die nach Auffassung des Senats weder die Rechswidrigkeit der richterlichen Anordnung der Fortdauer der Ingewahrsamnahme rückwirkend beseitigen noch feststellen können, tragen die Entscheidung hierzu nicht.

Gegen die Begründung des Landgerichts, die die erstinstanzliche Entscheidung stützt, ist aus Rechtsgründen im Ergebnis nichts zu erinnern. Die amtsrichterliche Entscheidung gemäß § 56 Abs. 5 SOG M-V erfasst zum einen die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des vorangegangenen polizeilichen Zugriffs (a.) und hat auch und insbesondere über die Erforderlichkeit der Fortdauer des Gewahrsams zu befinden. Dies erfordert die Prüfung, ob im Zeitpunkt seiner Entscheidung die Fortdauer der Freiheitsentziehung zur Abwehr der fortbestehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung geboten ist (b.).

a) Hierbei hat sich der Richter zunächst damit auseinanderzusetzen, ob die Polizeibeamten den Betroffenen zu Recht in Gewahrsam genommen haben. War die Ingewahrsamnahme bereits rechtswidrig, so lässt sich ihre Fortdauer allenfalls dann rechtfertigen, wenn neue Erkenntnisse hinzukommen.

Bei der Beurteilung der Rechtmäßig- oder Rechtswidrigkeit der polizeilichen Ingewahrsamnahme ist auf die Situation unmittelbar vor dem Zugriff abzustellen. Für die Annahme einer polizeilichen Gefahr genügt es, dass bei objektiver Sicht zur Zeit des polizeilichen Einschreitens die Tatsachen auf eine drohende Gefahr hindeuten, ohne dass sofort eindeutig Klarheit geschaffen werden kann (BGH, Beschl. vom 27.10.1988 - III ZR 256/87, BGHR Verwaltungsrecht, Allg. Grundsätze, Polizeirecht 1; OLG Hamm, Urt. v. 07.06.1978 - IV A 330/77, NJW 1980, 138). Spätere Erkenntnisse nach eingehender Beweisaufnahme sind nicht zu berücksichtigen, da diese den vollziehenden Polizeibeamten vor Ort nicht zur Verfügung standen.

Die auf eine polizeiliche Gefahr deutenden Tatsachen waren vorliegend gegeben. Die Ingewahrsamnahme des Betroffenen war unerlässlich, um die unmittelbar bevorstehende Begehung einer Straftat zu verhindern (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 SOG M-V). Es muss eine akute Bedrohung der öffentlichen Sicherheit vorliegen. Angesichts der Intensität des Eingriffs ist es erforderlich, dass im konkreten Fall nachvollziehbare Tatsachen vorliegen, die zu der Gewissheit führen, dass der Schaden sofort oder in allernächster Zeit eintritt. Der bloße "Eindruck" reicht nicht aus (Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl., F, Rn. 570; vgl. auch Marschner/Volckart, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 4. Aufl., E, Rn. 50). Der Gefahrenmaßstab der Unmittelbarkeit des § 55 Abs. 1 Nr. 2 SOG M-V unterscheidet sich nicht von einer gegenwärtigen Gefahr (vgl. Heyen, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, in: Manssen, Staats- und Verwaltungsrecht für Mecklenburg-Vorpommern, S. 255). Die gegenwärtige Gefahr ist in § 3 Abs. 3 Nr. 3 SOG M-V als eine Sachlage, bei der das die öffentliche Sicherheit oder Ordnung schädigende Ereignis bereits eingetreten ist (Störung) oder unmittelbar oder in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht, legal definiert (vgl. auch BVerfGE 115, 320, 363 zu § 31 PolG NW 1990). Das bedeutet, dass ein Schaden für Rechtsgüter in unmittelbarer Zukunft, in allernächster Zeit zu erwarten ist, wenn nicht in die Entwicklung eingegriffen wird (LVerfG M-V, LKV 2000, 345, 349 "großer Lauschangriff").

Vorliegend durfte die Polizei schon gemäß § 55 Abs.1 Nr. 3 SOG M-V zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eingreifen und den Betroffenen in Gewahrsam nehmen. Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei Sachbeschädigungen an den Paletten festgestellt und angenommen, es bestünde die Gefahr, dass aus der Personengruppe heraus weitere Straftaten begangen werden. Die Mitnahme der Steine lasse darauf schließen, dass diese als Wurfgeschosse eingesetzt werden sollten. Das Hinterlassen größerer Steine auf der Fahrbahn führe zu einer Gefährdung der Straßenverkehrsteilnehmer. Daran ist der Senat gebunden. Auch gegen die tatsächliche Feststellung der Kammer, der Betroffene sei Teilnehmer der Personengruppe, ergeben sich aus Rechtsgründen keine Bedenken

Ausgehend von diesem festgestellten Sachverhalt, durfte die Polizei in der Gefahrengesamtschau schließen, dass weitere Rechtsgutverletzungen durch die Gruppe gegenwärtig drohten. Zum Schutz dieser Rechtsgüter, die zur öffentlichen Sicherheit i.S. von § 55 Abs.1 Nr. 3 SOG M-V zählen, durfte die Polizei durch die Ingewahrsamnahme der verfolgten und gestellten Personen dieser Gruppe entgegenwirken. Dabei reicht es aus, dass der Betroffene Teilnehmer der homogenen, gewaltätigen Gruppe gewesen ist. Ein eigener Tatbeitrag brauchte dem Betroffenen nicht nachgewiesen werden. Schon aus dem Gesamtbild der Gruppe ergibt sich, dass auch von dem Betroffenen eine gegenwärtige Gefahr bereits durch seine Teilnahme an der Gruppe ausging. Denn die Gruppe war nicht nur, wie die Kammer festgestellt hat, homogen überwiegend dunkel gekleidet, sondern Personen aus dieser Gruppe hatten sich bereits mit Sturmhauben, dunklen Sonnenbrillen oder Tüchern über Mund und Nase vermummt. Zudem begannen die meisten dieser 50-60 köpfigen Gruppe, nämlich 40-50 Personen die Paletten zu zerschlagen. Es haben deshalb nicht nur Einzeltäter aus einer Gruppe heraus gehandelt, sondern die Gruppe selbst. Wer sich in einer solchen Situation nicht von der Gruppe entfernt, um deutlich zu machen, dass er mit deren Handlungen nichts zu tun haben will, setzt zumindest eine Anscheinsgefahr für eine polizeiliche Maßnahme.

Die Ingewahrsamnahme des Betroffenen war zudem aufgrund von § 55 Abs.1 Nr. 2 SOG M-V zur Verhinderung einer unmittelbar bevorstehenden Straftat rechtmäßig. Allerdings bestehen rechtliche Zweifel an der Auffassung des Landgerichts, das Verhalten der Teilnehmer der Gruppe erfülle den Tatbestand des Landfriedensbruchs. Strafrechtlich reicht nämlich die bloße Zugehörigkeit zu einer unfriedlichen Menge, ein inaktives Dabeisein oder ein bloßes Mitmarschieren nicht zur Erfüllung des Tatbestandes eines Landfriedensbruchs aus (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl., § 125 Rn. 13). Ein darüberhinaus gehender Tatbeitrag ist hinsichtlich des Betroffenen aber nicht festgestellt worden. Auf den für eine strafrechtliche Verurteilung erforderlichen Maßstab kommt es jedoch für die polizeirechtliche Gefahrenprognose nicht an, sondern allein darauf, ob aufgrund des Geschehens die Gefahr der Begehung einer solchen Straftat durch den Betroffenen selbst unmittelbar drohte. Vorliegend durfte die Polizei daraus, dass sich schon eine Vielzahl der Personen an den Sachbeschädigungen beteiligten, schließen, dass sich auch der Betroffene unmittelbar beteiligen werde. An dieser Einschätzung durfte sie auch festhalten, obwohl bei dem Betroffenen keine Vermummungsgegenstände oder Steine gefunden wurden. Denn die Vermummung ist keine Voraussetzung für die Beteiligung an einer Straftat.

b) Erfolgte die Ingewahrsamnahme rechtmäßig, hat der Richter weiter festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 3 bzw. 2 SOG M-V weiterhin gegeben sind, d. h. die Fortdauer der Ingewahrsamnahme zur Beseitigung der Störung bzw. Abwehr einer Straftat unerlässlich ist. Denn die Rechtmäßigkeit der vorangegangenen Ingewahrsamnahme durch die Polizeibeamten allein indiziert nicht schon die Rechtmäßigkeit der richterlich angeordneten Fortdauer der Ingewahrsamnahme. Vielmehr hat das Amtsgericht zu prüfen, ob im Falle der Freilassung weiterhin die Gefahr besteht, dass der Betroffene seine Straftat fortsetzen bzw. eine weitere Straftat begehen wird oder die öffentliche Sicherheit gefährdet. Feststellungen zum Fortbestehen der Störung oder Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zum Zeitpunkt der richterlichen Entscheidung sind in dem nach den Umständen des Einzelfalles möglichen Umfang erforderlich. Der Senat verkennt nicht, dass in dem Anhörungstermin der Richter nicht aufwändig Beweis erheben kann. Insbesondere kann er nicht die Polizeibeamten vernehmen, die weiterhin auf der Straße benötigt werden; er kann jedoch auf deren schriftlich niedergelegten Zeugenangaben zurück greifen. Er ist im Weiteren vor allem auf den Akteninhalt und auf seine persönliche Überzeugung angewiesen. Es ist aber unerlässlich, dass der Richter zu der Überzeugung gelangt, dass von dem Betroffenen weiterhin eine solche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Eine solche Prognose ist bei der richterlichen Entscheidungsfindung, namentlich bei freiheitsentziehenden Maßnahmen nicht ungewöhnlich. So hat der Richter bei Anordnung der Untersuchungshaft nach § 112 StPO auszuführen, aus welchen tatsächlichen Anhaltspunkten er Flucht- oder Verdunkelungsgefahr ableitet. Bei Anordnung der Abschiebehaft gem. § 62 AufenthG ist zu begründen, welche tatsächlichen Umstände die Gefahr begründen, dass der Betroffene sich der Abschiebung entziehen wird. Vielfach indizieren bestimmte Verhaltensweisen die die Freiheitsentziehung rechtfertigende Prognose.

Bei der richterlichen Entscheidung gem. § 56 Abs. 5 SOG M-V über die Erforderlichkeit der Fortdauer des Gewahrsams reicht es grundsätzlich nicht aus, dass einer der Regelfälle des § 55 Abs. 1 Nr. 2 2. Halbsatz lit. a.) -c.) SOG M-V erfüllt ist, da diese als Beweisanzeichen sich auf die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Ingewahrsamnahme selbst beziehen, also dass der Betroffene eine solche zu verhindernde Straftat begehen wird. Daraus lässt sich nicht ohne weiteres ableiten, dass zu befürchten ist, der Betroffene werde im Falle seiner Freilassung die Straftat nunmehr begehen oder fortsetzen. Vielmehr kann auf diese Regelfälle nur insoweit zurückgegriffen werden, als der Richter im Rahmen seiner Entscheidung über die Erforderlichkeit der Fortdauer darin Anhaltspunkte für die Prognose finden kann. Diese Anhaltspunkte muss er aber mit den besonderen Umständen im konkreten Einzelfall verknüpfen und daraus eine Gefahrenschau entwickeln. Nur ausnahmsweise kann deshalb im Einzelfall schon das bloße Vorliegen des Regelfalls ausreichen, wenn sich bereits daraus die hinreichend sichere Gefahrenprognose ergibt.

Liegen die Voraussetzungen des Freiheitsentzugs anfänglich vor, so ist für die Bestimmung der Dauer des Einsperrens vor allem maßgeblich, ob die Tatbereitschaft fortbesteht (vgl. Rachor in: Lisken/Denninger: Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl., F Rn. 631). Dies ist zuallererst ein Erkenntnisproblem. Pläne, Absichten, Geistes- oder Seelenzustände sind innere Tatsachen und der Beurteilung durch Dritte im Allgemeinen nur schwer zugänglich. Die Fortdauer ist deshalb nicht am Merkmal der Unerlässlichkeit zu prüfen, die bereits als Tatbestandsmerkmal zur Kennzeichnung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Ingewahrsamnahme vorliegen muss. Vielmehr ist eine Prognose anzustellen, ob zu befürchten ist, dass der Betroffene sich im Falle seiner Freilassung erneut so verhalten wird, dass eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung droht. Auf das Merkmal der Gegenwärtigkeit kann es bei dieser Prognose schon deshalb nicht ankommen, weil die akute Situation, die zur Ingewahsamnahme des Betroffenen führte, durch die Freiheitsentziehung beendet worden ist. Entscheidend ist, ob der Betroffene sich an entsprechenden zukünftigen - auch zur Zeit noch unbekannten Aktionen - beteiligen würde.

Die Vorinstanzen haben zutreffend zum Vorliegen dieser Voraussetzungen ausgeführt, insoweit wird auf die Gründe der Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts Bezug genommen.

2.

Mit seinem Einwand, es liege ein Verstoß gegen das Unverzüglichkeitsgebot des Art. 104 Abs. 2 GG vor, dringt der Betroffene nicht durch. Gemäß § 56 Abs. 5 Satz 1 SOG M-V, der Art. 104 Abs. 2 GG einfachrechtlich umsetzt, ist bei einer polizeilichen Ingewahrsamnahme unverzüglich eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer des Gewahrsams herbeizuführen. Dies geschah im vorliegenden Fall.

a) Das Landgericht hat es dahinstehen lassen, ob die Herbeiführung der richterlichen Entscheidung unverzüglich erfolgte, weil es die Anordnung der Fortdauer einer freiheitsentziehenden Maßnahme auch dann für möglich hält, wenn die Maßnahme bis dahin ganz oder teilweise rechtswidrig war. Die zur Begründung herangezogende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. vom 13.12.2005, Az.: 2 BVR 447/05, NVwZ 2006, 579f) trägt allerdings diese von der Kammer vertretene Ansicht nicht. Soweit sie ausführt, dass eine einzelne Maßnahme während des Vollzugs zum Zeitpunkt der Ingewahrsamnahme nicht notwendigerweise vorhersehbar sich als rechtswidrig erweisen könne, ohne dass von einem Durchschlagen dieses Mangels auf die Freiheitsentziehung als solche ausgegangen werden müsse, bezieht sich dies auf die Art und Weise des Vollzugs. Die Frage der Anordnung der Ingewahrsamnahme und deren Vollzug sind indes grundsätzlich voneinander zu unterscheiden (BVerfG a. a. O.).

Art. 104 Abs. 2 S. 2 GG gebietet es, eine in Ausnahmefällen zulässige nachträgliche richterliche Entscheidung über eine Freiheitsentziehung unverzüglich nachzuholen. Da der Richtervorbehalt als Sicherung gegen unberechtigte Freiheitsentziehungen eine hohe Bedeutung hat, ist zweifelhaft, ob ein Verstoß gegen das Unverzüglichkeitsgebot durch eine zu späte richterliche Entscheidung geheilt werden kann oder ob der Betroffene - wie bei einem Verstoß gegen die Höchstfrist der polizeilichen Gewahrsamsfrist aus § 55 Abs. 5 Satz 2 SOG M-V - ohne weiteres sofort freizulassen wäre (vgl. Jarass/Pieroth, GG, Art. 104 Rn. 24, 19, 15; Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl., F Rn. 596). Diese Frage bedarf vorliegend jedoch keiner Entscheidung, denn ein Verstoß gegen das Unverzüglichkeitsgebot des Art. 104 Abs. 2 GG liegt nicht vor.

b) Grundsätzlich sollte für das Einschalten des Richters tagsüber eine Zeit von 2 - 3 Stunden ausreichend sein (vgl. Jarass/Pieroth, GG a.a.O., Rn. 21; Marschner/Volckart, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 4. Aufl. E, Rn. 56). Obwohl hier diese Zeitspanne erheblich überschritten wurde - zwischen der Ingewahrsamnahme um 16.15 Uhr und der richterlichen Vorführung um 22.55 Uhr verstrichen über 6 1/2 Stunden - entsprach die Sachbehandlung dem Gebot der unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung.

"Unverzüglich" i. S. v. Art. 104 Abs. 2 S. 2 GG ist dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung - wovon das Landgericht zutreffend ausgeht - ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, herbeigeführt werden muss (BVerfG a. a. O.; BVerfGE 105, 239, 249). Die Verzögerung muss bei Anlegung eines objektiven Maßstabes sachlich zwingend geboten sein (vgl. Jarass/Pieroth, GG, 6. Aufl., Art. 104, Rn. 21). Sachliche Gründe können insoweit etwa sein die Länge des Weges vom Ort der Ingewahrsamnahme bis zur Protokollierungsstelle, das Verhalten der Betroffenen selbst oder aber Verzögerungen, die sich infolge von Massenfestnahmen aus organisatorischen Gründen ergeben (so VG Gera, Beschluss vom 03.07.2004 - 1 K 1071/00).

Derartige sachliche Gründe liegen vor.

Die zeitlichen Verzögerungen zwischen der Festnahme des Betroffenen um 16.15 Uhr bis zur Übergabe zum Transport um 18.10 Uhr und dann bis zum Eintreffen in der GESA um 20.10 Uhr ergaben sich aus der konkreten Zuführungssituation. Es wurden insgesamt 39 Personen der Gruppe festgenommen. Jeden einzelnen von ihnen mit einem Polizei-PKW zur GESA nach R. zu transportieren, wäre nicht zweckmäßig gewesen. Der gemeinsame Abtransport aller Betroffenen bedurfte der Organisation. Darauf konnte sich die Polizei im konkreten Fall nicht vorbereiten, da es sich bei dem der Ingewahrsamnahme zugrunde liegenden Geschehen nicht um eine angemeldete Demonstration handelte, sondern um eine Zusammenrottung, gegen die die Polizei aufgrund einer Meldung mit nach und nach eintreffenden Kräften spontan vorgehen musste. Trotz hoher Polizeipräsenz vor und während des G 8-Gipfels konnten die Sicherheitskräfte im Großraum R.-H.-K. nicht eine solche Vielzahl von Transportfahrzeugen vorsorglich vorhalten, dass für jeden etwaig erforderlichen Transport von Personen sofort und in örtlicher Nähe ein entsprechendes Fahrzeug zur Verfügung stand. Hinzu kommt, was dem Senat aus anderen anhängigen weiteren Beschwerdeverfahren wegen Ingewahrsamnahmen im Zuammenhang mit Demonstrationen gegen den G 8-Gipfel gerichtsbekannt (so aus dem Verf. 3 W 83/07) ist, dass am 06.06.2007 - dem ersten Tag des Gipfels - G 8-Gegner eine Vielzahl von spontanen, unangemeldeten Demonstrationen durchgeführt haben, bei denen es u.a. zu Straßenblockaden kam, was die polizeilichen Transporte erschwerte. Letzteres ist auch offenkundig. Der G 8-Gipfel und die dagegen gerichteten Demonstrationen haben in diesem Zeitraum die allgemein zugänglichen Medien beherrscht. Täglich wurde mehrmals über die aktuelle Sachlage berichtet. Darüber hat sich auch der Senat informiert. Bestehen jedoch im Großraum R.-H.-K. Straßensperren und wird durch Demonstrationen und auch - wie hier - durch Straftaten die Befahrbarkeit der Straßen massenhaft eingeschränkt, so muss ein Ingewahrsamgenommener grundsätzlich gewisse Verzögerungen hinnehmen. Das gilt umso mehr, als die Polizei mit Rücksicht auf wichtige Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit der Demonstranten und Polizeibeamten eine offiziell bekanntgegebene Deeskalationsstrategie bei den Demonstrationen verfolgte. Der Polizei kann deshalb grundsätzlich eine fehlende Unverzüglichkeit der richterlichen Vorführung eines Betroffenen wegen Transportverzögerungen nicht vorgeworfen werden. Um eine solche zu vermeiden, hätte sie nämlich jeweils die sofortige Räumung von Straßensperren bewerkstelligen müssen.

Die weitere Zeit nach dem Eintreffen des Betroffenen in der GESA in R. bis zur richterlichen Vorführung um 22.55 Uhr von knapp drei Stunden ist unter Berücksichtigung der Vielzahl der in Gewahrsam genommenen Personen, die alle in der GESA zunächst erfasst werden mussten, noch unverzüglich. Im Fall des Betroffenen beruhte die Verzögerung zudem darauf, dass um 21.21 Uhr die Erforderlichkeit einer ärztlichen Behandlung festgestellt wurde, er sodann um 21.56 Uhr zum Arzt verbracht wurde und von dort um 22.21 Uhr zurückkehrte.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 14 FEVG

Ende der Entscheidung

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