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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 24.04.2006
Aktenzeichen: 3 W 20/06
Rechtsgebiete: BGB, FGG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 1896
BGB § 1896 Abs. 1
BGB § 1896 Abs. 1 Satz 1
BGB § 1897
FGG § 12
FGG § 27
FGG § 29
FGG § 68
FGG § 68 Abs. 1 Satz 1
FGG § 68 a
FGG § 68 b
FGG § 69 g Abs. 5
ZPO §§ 114 ff.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock Beschluss

3 W 20/06 In der Betreuungssache

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht E., den Richter am Oberlandesgericht Dr. J. und den Richter am Oberlandesgericht B.

am 24.04.2006 beschlossen:

Tenor:

1. Die weitere Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Landgerichts Schwerin vom 09.02.2006 - Az: 5 T 438/05 - wird zurückgewiesen.

2. Das Prozesskostenhilfegesuch des Betroffenen für das Verfahren der weiteren Beschwerde wird zurückgewiesen.

3. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

Gründe:

I.

Mit Beschluss vom 14.02.1995 wurde für den Betroffenen eine Betreuung angeordnet, die zwischenzeitlich unter verschiedentlichem Wechsel des Betreuers verlängert wurde. Am 08.08.2005 beantragte der Betroffene zu Protokoll der Geschäftsstelle die Auflösung der Betreuung. Am 06.09.2005 nahm er diesen Antrag zu Protokoll der Geschäftstelle des Amtsgerichtes zurück und gab an, in einem ausführlichen Gespräch habe der Betreuer ihn davon überzeugt, dass er noch eine Betreuung benötige.

In seiner Anhörung vor dem Amtsgericht am 21.10.2005 erklärte der Betroffene, nur teilweise eine Betreuung haben zu wollen. Im Weiteren kritisierte er, dass der Betreuer ihm seine Post vorenthalte, und fragte, ob dies rechtens sei.

Mit Beschluss vom 03.11.2005 stellte das Amtsgericht die Betreuung ein und entließ den Betreuer. Wegen der Begründung wird auf den Beschluss Bezug genommen. Gegen diesen Beschluss legte der Betroffene Beschwerde ein.

Am 25.01.2006 hörte das Landgericht den Betroffenen im Beisein der Sozialassistentin J. sowie des Verfahrensbevollmächtigten ausführlich an. Wegen des Inhalts des Anhörungsprotokolls wird auf dieses (Bl. 603 bis 607 d. A.) Bezug genommen.

Seit dem 30.01.2006 wurde der Betroffene, was dessen Bevollmächtigter bei Gericht anzeigte, unter merkwürdigen Umständen vermisst. Er habe, so sein Verfahrensbevollmächtigter, einen verabredeten Termin mit seiner Sozialassistentin, Frau J., nicht wahrgenommen. Die Wohnung des Betroffenen sei hierauf durch einen Rettungseinsatz der Feuerwehr geöffnet worden. Dort sei ein Brief gefunden worden, in dem er seine vorübergehende Abwesenheit ankündigt und mitteilt, dass er einen neuen Job habe. Am Dienstag, dem 21.02.2006 tauchte der Betroffene nach Angaben seines Bevollmächtigten unvermittelt wieder in dessen Kanzlei auf und gab an, er sei zur Kur gewesen. Eine Nachfrage bei der gesetzlichen Krankenkasse habe aber ergeben, dass dort von einer Kur nichts bekannt ist.

Am 07.02.2006 hörte die Berichterstatterin den entlassenen Betreuer telefonisch an (Bl. 616 d. A.). Dieser vertrat die Auffassung, dass der Betroffene wieder einen Betreuer benötige. Er sei sehr spontan und wolle ständig neue Sachen. Er bestelle sich wieder viele Sachen und habe nicht genug Geld, um sich Lebensmittel zu kaufen.

Mit Beschluss vom 09.02.2006 wies das Landgericht Schwerin die Beschwerde ab. Es führte aus, dass die Voraussetzungen für eine Betreuung derzeit nicht mehr gegeben seien. Eine psychische Erkrankung liege unter Bezugnahme auf das Gutachten des Dr. T. vom 29.09.2005 bereits nicht vor. Er leide hiernach nicht unter einer psychischen Erkrankung im engeren psychiatrischen Sinne, es seien lediglich einige psychopathische Wesenszüge erkennbar. Dies werde auch durch den Eindruck der ihn anhörenden Berichterstatterin gestützt, so dass für das Beschwerdegericht Zweifel an der Diagnose des Dr. T. nicht bestünden. Letztlich könne aber das Vorliegen einer geistigen Behinderung dahinstehen, denn dies allein genüge für die Anordnung einer Betreuung nicht.

Die Bestellung eines Betreuers sei auch nach § 1897 BGB nicht erforderlich, weil eine weniger einschneidende Maßnahme, nämlich die Bevollmächtigung eines Dritten durch den Betroffenen in Betracht komme. Dass der Betroffene hierzu in der Lage sei, ergebe sich aus dem Gutachten des Dr. T. Auch in seiner Anhörung vor der Berichterstatterin habe er abstrakte Ausführungen zum Wesen einer Vollmacht machen können sowie erklären können, was er schreiben müsse, wenn er für diese eine Vollmacht ausstellen sollte. Dass er sich zu helfen wisse, zeige sich auch in der Beauftragung seines Verfahrensbevollmächtigten. Zu berücksichtigen sei, dass ihm eine Assistenz zur Seite stehe, die nach dem Assistenzvertrag den Betroffenen bei Gängen zu Ämtern und Behörden unterstützen und begleiten sowie ihm bei Geldgeschäften behilflich sein soll. Wegen der weiteren Begründung wird auf den Beschluss Bezug genommen.

Mit seiner weiteren Beschwerde vom 21.02.2006 lässt der Betroffene den Beschluss des Landgerichts angreifen. Im Weiteren beantragt er die Gewährung von Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten.

Mit der weiteren Beschwerde rügt der Betroffene, dass der entlassene Betreuer in das Verfahren vor dem Landgericht Schwerin nicht einbezogen worden sei. Dieser sei nicht angehört worden. Auch die Betreuungsbehörde habe keine Gelegenheit zur Äußerung erhalten. Sollte sie eine solche doch erhalten haben, sei sie nicht in das Verfahren einbezogen worden.

Das Amtsgericht habe die Betreuung aufgehoben, obgleich die Voraussetzungen des § 1896 BGB auch weiterhin bestünden.

Er rügt weiter die Feststellung des Landgerichtes, dass es im Ergebnis der unterschiedlichen Gutachten des SV Dr. T. vom 29.09.2005 und der Frau Dr. R. vom 23.09.2003 offen bleiben könne, ob überhaupt noch eine psychische Erkrankung des Betroffenen gegeben sei, da die weiteren Voraussetzungen einer Betreuung nicht gegeben seien. Das Gericht hätte sich mit der psychischen Erkrankung des Betroffenen in jedem Fall auseinandersetzen müssen. Die Schlussfolgerung, dass der Betroffene eine Vollmacht ausstellen könne und die Betreuung nicht erforderlich sei, weil er nicht auf fremde Hilfe angewiesen sei, sei fehlerhaft. Der Betroffene sei nicht geschäftsfähig und daher nicht in der Lage, eine Vollmacht auszustellen. Er könne eine Vollmacht nicht ausstellen, weil er sie nicht schreiben könne. Auch könne er den Vollmachtnehmer nicht kontrollieren. Dass er einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen bevollmächtigt habe, könne nicht mit einer Geschäftsfähigkeit dahin, dass er jemanden bevollmächtigen könne, gleichgesetzt werden. Der Assistenzvertrag zu Gunsten des Betroffenen sei entgegen der Ansicht des Landgerichtes neben der Betreuung und nicht statt dieser erforderlich.

II.

Die weitere Beschwerde ist gem. §§ 27, 29 FGG zulässig. Sie hat in der Sache keinen Erfolg.

Gem. § 27 FGG ist der Senat im Verfahren der weiteren Beschwerde darauf beschränkt, die Beschwerdeentscheidung des Landgerichtes darauf zu überprüfen, ob diese unter Verletzung des Rechts erfolgte. Dass die Entscheidung des Beschwerdegerichtes auf einer Verletzung des Rechts beruht, ist nicht ersichtlich.

1. Die Entscheidung begegnet keinen verfahrensrechtlichen Bedenken.

a) Das Landgericht hat vor seiner Entscheidung den Betroffenen ausführlich gem. § 68 FGG angehört. Soweit die Anhörung durch die Berichterstatterin als beauftragte Richterin erfolgte, begegnet dies vorliegend keinen rechtlichen Bedenken. Gem. § 69 g Abs. 5 FGG dürfen Verfahrenshandlungen nach § 68 Abs. 1 Satz 1 FGG (Anhörung des Betroffenen) durch einen beauftragten Richter vorgenommen werden, wenn von vornherein anzunehmen ist, dass das Beschwerdegericht das Ergebnis der Ermittlungen auch ohne eigenen Eindruck von dem Betroffenen zu würdigen vermag. Dies ist hier anzunehmen. Die beauftragte Richterin ist in Beschwerden in Betreuungsverfahren erfahren. Sie hat über die Anhörung des Betroffenen im Beisein seines Bevollmächtigten sowie seiner Sozialassistentin ein umfassendes Protokoll gefertigt, welches sowohl den Inhalt der Anhörung als auch die Eindrücke der beauftragten Richterin hinreichend wiedergibt. Die Entscheidung der Kammer über die Beschwerde lässt zudem erkennen, dass die beauftragte Richterin ihre Eindrücke in ausreichendem Maße den übrigen Kammermitgliedern vermitteln konnte, so dass diese die Grundlage einer Entscheidung des Richterkollegiums bilden konnten.

b) Ebenfalls gehört hat das Landgericht, zumindest telefonisch, den früheren Betreuer des Betroffenen. Dies ist gleichermaßen nicht zu beanstanden. Auch die Anhörung des Betreuers telefonisch ist, wird diese entsprechend dokumentiert, geeignet, im Rahmen des rechtlichen Gehörs in die Beschwerdeentscheidung einzufließen. Aus Sicht des Senates war es nicht zwingend erforderlich, den Betreuer in dem durchgeführten Anhörungstermin im Beisein des Betroffenen zu hören. Es kann im Gegenteil im Einzelfall sogar geboten sein, den Betreuer gesondert anzuhören, wenn etwa von einer gemeinschaftlichen Anhörung ein besonderer Nachteil für den Betroffenen zu erwarten wäre. Zwar ist dies hier nicht der Fall. Es ist jedoch auch nicht ersichtlich, dass die Rechte des Betroffenen durch die gesonderte Anhörung des Betreuers beschränkt worden wären. Der entlassene Betreuer hat sich vielmehr im Sinne des Betroffenen geäußert.

c) Gem. § 69 g Abs. 5 FGG war das Beschwerdegericht nicht gehalten, ein neues Gutachten i.S.d. § 68 b FGG einzuholen. Vielmehr kann das Beschwerdegericht hiernach grundsätzlich auf ein erstinstanzlich eingeholtes Gutachten zurückgreifen. Hiervon abweichend ist ein Gutachten durch das Beschwerdegericht nur dann einzuholen, wenn das Gericht Zweifel an den gutachterlichen Feststellungen hat oder diese nicht nachvollziehen kann. Dann gebietet sich die Einholung eines erneuten Gutachtens schon aus § 12 FGG. Nach seinen Bekundungen hielt das Beschwerdegericht jedoch das Gutachten des Dr. T. für überzeugend und nachvollziehbar und sah dessen Feststellungen durch das Ergebnis der Anhörung des Betroffenen als bestätigt an.

Allein aus dem Umstand, dass der Gutachter im September 2005 zu der Feststellung gelangte, dass der Betroffene nicht an einer psychischen Erkrankung leide, ein zwei Jahre zurückliegendes Gutachten jedoch noch von einer solchen Erkrankung ausging, musste das Beschwerdegericht nicht veranlassen, ein weiteres Gutachten einzuholen. Insoweit hat bereits das Amtsgericht in seiner Entscheidung ausgeführt, dass das Gutachten des Dr. T. den aktuellen Zustand des Betroffenen dokumentiere, der sich mit Blick auf die Entwicklung des Betroffenen durchaus verändern kann. Anhaltspunkte, an einer solchen Entwicklungsveränderung Zweifel zu hegen, ergaben sich aus Sicht der Beschwerdekammer nicht. Auch diese Feststellungen zu beanstanden, sieht der Senat keinen Anlass.

Soweit sich möglicherweise nach dem 09.02.2006 gutachterliche Stellungnahmen finden, die gegenteilige Feststellungen treffen, kann dies vom Senat gem. § 27 FGG bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Beschwerdeentscheidung keine Berücksichtigung finden, sondern muss ggf. Gegenstand eines neuen Verfahrens zur Prüfung der Erforderlichkeit der Einrichtung einer Betreuung gemacht werden.

d) Der Betroffene rügt weiter, dass das Beschwerdegericht die Betreuungsbehörde nicht angehört habe. Eine Verpflichtung hierzu bestand nicht. Gem. § 68 a FGG, der entsprechend auch im Beschwerdeverfahren anzuwenden ist, ist die Behörde nur zwingend bei der Bestellung eines Betreuers oder bei der Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes zu hören. In allen anderen Fällen kann sich diese Verpflichtung allenfalls aus § 12 FGG ergeben. Wenn aber das Gericht sich eine ausreichende Überzeugung gebildet hat und Anhaltspunkte dafür, dass sich weitere Erkenntnisse ergeben können nicht vorliegen, bedarf dies einer weiteren Amtsermittlung nicht.

2. Auch in der Sache sind Rechtsfehler, auf denen die Entscheidung beruht, nicht ersichtlich.

Gem. § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB kommt eine Betreuung nur und auch nur solange in Betracht, wie der Betroffene aufgrund einer psychischen Erkrankung oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung nicht in der Lage ist, seine Angelegenheiten allein zu besorgen. Die Anordnung einer Betreuung setzt neben einer Erkrankung oder Behinderung i.S.d. § 1896 Abs. 1 BGB somit auch immer eine Betreuungsbedürftigkeit voraus. Sie ergibt sich aus § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB und betrifft als Voraussetzung der Betreuung die Unfähigkeit zur Besorgung der eigenen Angelegenheiten. Der medizinische Befund von Krankheiten oder Behinderungen rechtfertigt für sich allein noch nicht die Bestellung eines Betreuers (Palandt/Diederichsen, BGB, 65. Aufl., § 1896 Rn. 8 m.w.N.)

Das Beschwerdegericht ist in unter rechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstandender Weise aufgrund der bis zu seiner Entscheidung vorliegenden Tatsachenfeststellungen und insbesondere aufgrund seines Eindruckes vom Betroffenen zu der Auffassung gelangt, dass eine Betreuungsbedürftigkeit nicht gegeben ist. Der Senat kann zwar prüfen, ob das Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei zu seiner Überzeugung gelangt ist, er kann jedoch nicht die Überzeugung der Beschwerdekammer durch seine eigene ersetzen.

Soweit es aber bereits an einer Betreuungsbedürftigkeit fehlt, kommt es weder darauf an, ob im Ergebnis eine psychische Erkrankung des Betroffenen feststeht, denn selbst bei ihrem Vorliegen wäre die Betreuung in Ermangelung der übrigen Voraussetzungen nicht aufrechtzuerhalten gewesen. Ebenso braucht der Senat im Weiteren nicht feststellen, ob das Landgericht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise auch den Betreuungsbedarf des Betroffenen verneint hat. Fehlt es an der Betreuungsbedürftigkeit, kommt es auf den Betreuungsbedarf nicht an. Insoweit kann offen bleiben, inwieweit der Betroffene zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung in der Lage war, Vollmachten zu erteilen und ob ggf. der bestehende Assistenzvertrag für den Betroffenen schon eine ausreichende Unterstützung darstellen konnte.

III.

Dem Prozesskostenhilfegesuch war nicht stattzugeben. In analoger Anwendung der §§ 114 ff. ZPO auf das Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit kommt die Gewährung von Prozesskostenhilfe nur in Betracht, wenn eine hinreichende Erfolgsaussicht der weiteren Beschwerde besteht.

IV.

Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 131 Abs. 3 KostO.

Ende der Entscheidung

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