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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 02.08.2005
Aktenzeichen: 3 W 85/05
Rechtsgebiete: FGG, ZPO, AufenthG, StPO


Vorschriften:

FGG § 27 Abs. 1
ZPO § 546
AufenthG § 62 Abs. 2 Ziff. 2
AufenthG § 62 Abs. 2 Ziff. 5
AufenthG § 62 Abs. 2 Satz 4
AufenthG § 62 Abs. 3
StPO § 456 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock Beschluss

3 W 85/05

In der Abschiebehaftsache

K. K., geboren am 10.10.1975 in B./A. z. Zt. JVA ,

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock durch

den Richter am Oberlandesgericht Dr. J., die Richterin am Oberlandesgericht B. und Richterden Richter am Landgericht W.

am 02.08.2005 beschlossen

Tenor:

1. Auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Stralsund vom 17.06.2005 - Az.: 2 T 205/05 - aufgehoben. Das Verfahren wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Landgericht Stralsund zurückverwiesen.

2. ...

3. ...

Gründe:

I.

Der Betroffene ist a. Staatsangehöriger. Er reiste am 14.11.1999 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte im Januar 2000 einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter. Dieser Antrag wurde durch rechtskräftig gewordenen Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 05.06.2000 abgelehnt. Zugleich wurde der Betroffene unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise aufgefordert. Am 28.06.2000 wurde er zur Personenfahndung ausgeschrieben, da er zwischenzeitlich untergetaucht war.

Während seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland wurde der Betroffene mehrfach straffällig. Nach rechtskräftiger Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten befand er sich seit dem 08.11.2000 durchgehend in Haft. Die Entlassung war für den 13.06.2005 vorgesehen. Am 06.06.2005 beantragte die Ausländerbehörde beim Amtsgericht Stralsund den Erlass eines Abschiebehaftbefehls, der am 08.06.2005 antragsgemäß für die Dauer von längstens drei Monaten erging. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Betroffenen wies das Landgericht Stralsund mit Beschluss vom 17.06.2005 zurück.

Mit seiner sofortigen weiteren Beschwerde wendet sich der Betroffene weiterhin gegen die Anordnung von Abschiebungshaft. Zur Begründung macht er insbesondere geltend, die Anordnung von Abschiebungshaft im Anschluss an die Strafhaft sei unverhältnismäßig. Die Ausländerbehörde hätte die Abschiebung ordnungsgemäß vorbereiten können, sodass der Betroffene direkt aus der Strafhaft hätte abgeschoben werden können.

II.

1.

Die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung an das Landgericht.

Gemäß § 27 Abs. 1 FGG i. V. m. § 546 ZPO hat der Senat als Rechtsbeschwerdegericht zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes festzustellen, ob die angefochtene Entscheidung des Erstbeschwerdegerichts bezogen auf den Zeitpunkt seiner Entscheidung verfahrensrechtlich fehlerfrei getroffen ist und sachlich einer rechtlichen Nachprüfung standhält. Das ist hier nicht der Fall.

Keinen Rechtsbedenken unterliegt es allerdings, dass das Landgericht das Vorliegen eines Haftgrundes nach § 62 Abs. 2 Ziff. 2 und 5 AufenthG bejaht hat. Den entsprechenden Ausführungen, gegen die sich der Betroffene mit seinem Vorbringen im Beschwerdeschriftsatz nicht wendet, schließt sich der Senat an.

Die Entscheidung des Landgerichts ist rechtsfehlerhaft, weil es die Verhältnismäßigkeit der Haftanordnung nicht geprüft hat. Das Landgericht ist insoweit seiner Pflicht zur umfassenden Sachaufklärung (§ 12 FGG) nicht nachgekommen. Auf diesem Verfahrensfehler kann die angefochtene Entscheidung beruhen.

Die Frage der Verhältnismäßigkeit der Dauer der Abschiebungshaft ist nicht nur nach den in § 62 Abs. 2 Satz 4, Abs. 3 AufenthG genannten Fristen, sondern insbesondere auch nach den Gesamtumständen des Einzelfalles zu beurteilen. Die gesetzlichen Fristen beschreiben für unterschiedliche Sachverhalte die jeweils zulässige Höchstdauer der Haft. Auch eine kurze Abschiebungshaft kann unverhältnismäßig sein (OLG Frankfurt, Beschluss vom 22.01.1996, 20 W 15/96, NVwZ 1996, Beilage 5, S. 39, 40).

Abschiebungshaft ist nur dann mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar, wenn die Ausländerbehörde alles ihr Mögliche unternimmt, um entweder die Abschiebungshaft zu vermeiden oder diese auf einen möglichst kurzen Zeitraum zu beschränken (vgl. BGH NJW 1996, 2796 unter III.3). So ist die Ausländerbehörde insbesondere verpflichtet, spätestens dann, wenn vorhersehbar ist, dass der betroffene Ausländer abgeschoben werden soll, ohne Aufschub und beschleunigt alle notwendigen Anstrengungen zu unternehmen, um für den Betroffenen die zur Ausreise erforderlichen Ersatzpapiere zu beschaffen. Dies gilt auch dann, wenn sich ein von der Abschiebung betroffener Ausländer bereits aus anderen als abschiebungshaftrechtlichen Gründen in öffentlichem Gewahrsam befindet (OLG Frankfurt, Beschluss vom 22.01.1996 a. a. O.). Die Abschiebung eines Ausländers, der sich in Strafhaft befindet, muss nach Möglichkeit auch aus der Strafhaft durchgeführt werden, denn die Strafhaft kann ebenso wie die Abschiebungshaft die Abschiebung sichern (OLG Frankfurt, a. a. O.). Die Ausländerbehörde muss daher bereits während der Strafhaft alles ihr Mögliche unternehmen, um die Abschiebung des Betroffenen so vorzubereiten, dass diese jedenfalls unverzüglich nach Ende der regulären Vollzugsdauer der Strafhaft durchgeführt werden kann (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 23.03.2004, 3 W 34/04, zitiert nach juris).

Der Betroffene befand sich länger als vier Jahre in Strafhaft. Die Vorinstanzen haben keine Feststellungen dazu getroffen, wann die Ausländerbehörde Kenntnis von der Verurteilung des Betroffenen bzw. vom Ende seiner Strafhaft hatte und was von ihr nach Erhalt dieser Kenntnis unternommen wurde, um eine Abschiebung des Betroffenen nach Beendigung seiner Strafhaft vorzubereiten. Dem Vortrag der antragstellenden Behörde ist nicht zu entnehmen, dass und weshalb eine Abschiebung aus der Strafhaft heraus nicht möglich war. Deshalb kann derzeit auch nicht beurteilt werden, ob es ihr möglich gewesen wäre, schon zu einem früheren Zeitpunkt die erforderlichen Ersatzpapiere für den Betroffenen zu beschaffen. Unter diesem Gesichtspunkt bedarf der Sachverhalt weiterer Aufklärung (§ 12 FGG).

Sollte sich dabei ergeben, dass die antragstellende Behörde bei der gebotenen Beschleunigung die notwendigen Ersatzpapiere schon während der Dauer der Strafhaft hätte erlangen können, wäre die Anordnung von Abschiebungshaft im Anschluss an die verbüßte Strafhaft unverhältnismäßig. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verbietet es in Fällen der vorliegenden Art, die Verbüßung der Strafhaft abzuwarten und den Betroffenen im Anschluss daran - wenngleich auch kurzzeitig - in Abschiebungshaft zu nehmen, um die Abschiebung zu sichern. Abschiebungshaft kann in einem solchem Fall nur dann angeordnet werden, wenn sich die Ausländerbehörde zuvor vergeblich darum bemüht hat, gem. § 456 a StPO eine Abschiebung aus der Strafhaft heraus zu erreichen und so eine zusätzliche Inhaftierung zu vermeiden (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11.05.1998, 11 Wx 42/98, InfAuslR 1998, 463 ff mit Hinweis auf OLG Düsseldorf NVwZ 1997, 517).

(Es folgen Ausführungen zu Nebenentscheidungen)

Ende der Entscheidung

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