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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 04.03.2003
Aktenzeichen: 4 W 19/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 114
ZPO § 116 Satz 1 Nr. 1
1. Den am Gegenstand des Rechtsstreits eines Insolvenzverwalters wirtschaftlich Beteiligten ist es nicht zuzumuten, die Kosten aufzubringen, wenn sich ein vernünftiger Dritter nach wirtschaftlicher Betrachtung nicht an den Kosten beteiligen würde.

2. Die Zumutbarkeit kann nicht allein mit der relativen Verbesserung der Quote beantwortet werden. Es ist vielmehr auf eine überschlägige Berechnung mit absoluten Zahlen abzustellen (Abweichung von OLG Koblenz, MDR 2000, 1396).


Oberlandesgericht Rostock Beschluss

4 W 19/02

In dem Prozesskostenhilfeverfahren

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock durch

die Richterin am Oberlandesgericht als Vorsitzende, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht

am 04.03.2003 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss der 10. Zivilkammer des Landgerichts Rostock vom 31.5.2002 in der Form des Nichtabhilfebeschlusses vom 2.7.2002 - 10 O 579/01 - aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Rostock zurückverwiesen mit der Maßgabe, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht deshalb zu versagen, weil den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten zuzumuten sei, die Kosten aufzubringen.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt für seine beabsichtigte Werklohnklage auf Zahlung von DM 74.146,24 Prozesskostenhilfe. Die Masse des verwalteten Vermögens genügt derzeit nicht, um die Massekosten und -schulden zu decken.

Das Landgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag zurückgewiesen, da der Antragsteller nicht dargelegt habe, dass es den wirtschaftlich Beteiligten nicht möglich sei, sich an den Kosten des Rechtsstreits zu beteiligen. Den Gläubigern der 20 anerkannten Forderungen, die DM 10.000,00 übersteigen, sei ein entsprechender Anteil an den Prozesskosten zuzumuten.

Mit seiner frist- und formgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde macht der Antragsteller geltend, dass bei einem vollständigen Prozesserfolg lediglich DM 43.000,00 zur Ausschüttung gelangen könnten. Bezogen auf die anerkannten Forderungen betrüge die Quote damit gut 4 %. Bei diesem relativ unerheblichen Vermögensvorteil sei eine Beteiligung wegen des Kostenrisikos nicht zuzumuten.

Das Landgericht hat mit seinem Nichtabhilfebeschluss eine Quote von 7 % errechnet, die eine Beteiligung der Hauptgläubiger zumutbar mache.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde ist begründet. Denn es ist den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten nicht zuzumuten, die Kosten aufzubringen (§ 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Zuzumuten sind Vorschüsse auf die Prozesskosten nur solchen Beteiligten, welche die erforderlichen Mittel unschwer aufbringen können und deren zu erwartender Nutzen bei vernünftiger, auch das Eigeninteresse sowie das Prozessrisiko angemessen berücksichtigender Betrachtungsweise bei einem Erfolg der Rechtsverfolgung voraussichtlich deutlich größer sein wird (BGH NJW 1991, 40). Abzustellen ist bei der Frage der objektiven Zumutbarkeit auf die Sicht eines unbeteiligten vernünftigen Dritten (Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Albers, ZPO, 61. Aufl., § 116 Rdn. 11).

In der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte wird versucht, die Frage der Zumutbarkeit durch eine Quote zu beantworten, wobei trotzdem auf allgemeine Kriterien zurückgegriffen wird (z.B. OLG Naumburg, ZInsO 2002, 586: "Nennenswerte Verbesserung"; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.2.1997 [Zitiert nach BGH NJW 1997, 3318]: "Erhebliche Quote"; OLG Köln, OLGR 2003, 14 [16]: "Deutlich über anteiliger Beteiligung"; Kammergericht, ZIP 2003, 270 [271]: "Ganz erhebliche Quotenverbesserung"). Das OLG Koblenz (MDR 2000, 1396) hat ohne nähere Begründung die Zumutbarkeit bei einer Quote von 4,5 % bejaht (offengelassen von OLG Düsseldorf, OLGR 2002, 315 [dort Quote von 20 %]).

Im vorliegenden Fall würde die Quote bei einem vollständigen Prozesserfolg 4,6 % und nicht - wie vom Landgericht errechnet - mehr als 7 % betragen. Die Berechnung des Landgerichts im Nichtabhilfebeschluss übersieht, dass die Verwaltervergütung progressiv ansteigt.

Die Frage der Zumutbarkeit kann aber nicht schematisch mit einer Quote beantwortet werden. Denn abzustellen ist auf eine vernünftige Betrachtungsweise und deshalb auf die Umstände des konkreten Falls. Auf die relative Verbesserung der Quote eines Gläubigers kann nicht abgestellt werden (vgl. OLG Rostock, 7. Zivilsenat, Beschl. v. 18.6.2002 - 7 W 47/02), weil die vernünftige Betrachtungsweise nicht durch eine relative Verbesserung der Quote ersetzt werden kann.

Ein Gläubiger wird seine wirtschaftlich begründete Entscheidung, sich an den Prozesskosten zu beteiligen, davon abhängig machen, wie wahrscheinlich ein absoluter Erfolg bezogen auf die vom Insolvenzverwalter anerkannte Forderung sein wird. Diese Frage ist anhand einer überschlägigen Berechnung mit absoluten Zahlen zu beantworten.

Gläubiger mit geringen Forderungen scheiden als wirtschaftlich Beteiligte i.S.v. § 116 S. 1 Nr. 1 ZPO aus (vgl. die Nachweise in OLG Düsseldorf, a.a.O.). Von den danach als wirtschaftlich Beteiligte in Betracht kommenden 14 Gläubigern, deren Forderungen DM 20.000,00 übersteigen, sind die Bundesanstalt für Arbeit und die Träger der Sozialverwaltung (Bauberufsgenossenschaft, IKK und Lohnausgleichskasse) aus Rechtsgründen nicht an einer möglichen Vorschusspflicht zu beteiligen (BGH NJW 1998, 1868 m. w. N.).

Die anerkannten Forderungen der verbliebenen 10 Großgläubiger belaufen sich auf DM 563.301,17. Die Gläubigerin mit der höchsten Einzelforderung (S GmbH, lfd. Nr. 55) hat hieran einen Anteil von 16 %, die Gläubigerin mit der relativ niedrigsten Forderung (H GmbH, lfd. Nr. 12) hat einen Anteil von 4 %. Bei voraussichtlichen Prozesskosten des Antragstellers in I. Instanz von mindestens € 2.848,20 müsste die S GmbH 16 %, also € 455,71 aufbringen, um günstigstenfalls mit 4,6 % ihrer Gesamtforderung, also DM 4.271,70 (€ 2.184,04) befriedigt zu werden. Die GmbH müsste sich mit € 113,92 an den Prozesskosten beteiligen, um möglicherweise DM 957,68 (€ 489,65) zu erlösen.

Da bei einer erfolgreichen Klage auch die anderen Gläubiger quotal beteiligt werden, würde den wirtschaftlich Beteiligten ein gegenüber ihrer Beteiligung an den Prozesskosten noch geringerer Anteil der Klagforderung zukommen. Bei einem vollständigen Erfolg der Klage würde z.B. der S GmbH bei 16 %iger Beteiligung an den Prozesskosten nur 5,8 % der klagweise geltend gemachten Forderung zufließen.

Der Vergleich dieser Beträge zeigt, dass es einem wirtschaftlich vernünftig Denkenden nicht zuzumuten ist, bei einer Werklohnforderung, deren Durchsetzbarkeit sich auf Grund der kontroversen Auseinandersetzung schon im Prozesskostenhilfeverfahren als sehr komplex erweist, die Kosten des Rechtsstreits vorzuschießen.

Da das Landgericht die Versagung der Prozesskostenhilfe mit den wirtschaftlichen Verhältnissen des Antragstellers begründet hat, hat der Senat von einer abschließenden Prüfung der sachlichen Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage abgesehen und von der Möglichkeit des § 572 Abs. 3 ZPO Gebrauch gemacht.

Ende der Entscheidung

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