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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Urteil verkündet am 10.07.2009
Aktenzeichen: 5 U 334/08
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 31
BGB § 89
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 831
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 U 334/08

Lt. Verkündungsprotokoll verkündet am: 10.07.2009

In dem Rechtsstreit

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock auf die mündliche Verhandlung vom 26.06.2009

für Recht erkannt:

Tenor:

1.) Die Berufung der Beklagten gegen das am 12.11.2008 verkündete Grundurteil des Landgerichtes Rostock wird auf deren Kosten zurückgewiesen.

2.) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

3.) Gegenstandswert des Berufungsverfahrens: bis 30.000,- EUR

4.) Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger verlangt wegen des Umsturzes eines auf einem Grundstück der Beklagten stehenden Baumes, der den Pkw des Klägers unter sich begrub, Schadensersatz.

Er befuhr am 15.09.2006 gegen 10.30 Uhr die B 103, in die unmittelbar hinter dem Ortsausgangsschild Richtung ... ein Feldweg mündet, der bis zum März 2006 von Pappeln besäumt war. Die ersten Pappeln waren ca. 10 m von der Bundesstraße entfernt.

Aufgrund einer Baumkontrolle vom 02.08.2005 hatte die Beklagte an der später umgestürzten Pappel eine Totholzentnahme durchführen lassen. Das Straßenbauamt ... schätzte die später umgestürzte Pappel als abbruchgefährdet ein, sah sie zum Fällen vor, der Landkreis ... als Genehmigungsbehörde für Baumfällungen sah dies jedoch nicht als dringlich an.

Die Beklagte ließ von dem bei ihr angestellten Bediensteten ... am 27.02.2006 eine Baumkontrolle durchführen, bei der die später umgestürzte Hybridpappel als vital eingeschätzt wurde. Am 15.09.2006 gegen 10.30 Uhr stürzte diese Pappel, die als erste an dem einmündenden Feldweg stand, im Einmündungsbereich auf die Bundesstraße 103 und begrub den Pkw des Klägers unter sich. Die Pappel war zu 70 % innerlich verfault und brach 30 cm über dem Boden ab. Bei dem Unfall wurde der Pkw des Klägers beschädigt und er selbst schwer verletzt.

Er hat vorgetragen, die umgestürzte Pappel sei äußerlich sichtbar geschädigt gewesen und die Fäulnisschäden hätten bei der Baumkontrolle am 27.02.2006 erkannt werden müssen, so dass der Baum zu fällen gewesen sei. Er macht ein Schmerzensgeld von 13.000,- EUR sowie Schadensersatz i. H. v. 12.269,07 EUR geltend.

Zu den Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- u. Streitstandes nimmt der Senat Bezug auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils. Das Landgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens des Prof. Dr. M. die Klage für dem Grunde nach gerechtfertigt erklärt. Zur Begründung hat der Einzelrichter ausgeführt, dem Kläger stehe ein Schadensersatz- u. Schmerzensgeldanspruch gem. § 823 Abs. 1 BGB zu, weil die Beklagte ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt habe. Bei der letzten Baumkontrolle am 27.02.2006 seien äußere Anzeichen nicht erkannt worden, die weitere Untersuchungen zwingend erforderlich gemacht hätten, so dass die vorhandene Umsturzgefahr aufgrund der durch Pilzbefall verursachten Moderfäule übersehen worden sei. Zu den Einzelheiten der Begründung nimmt der Senat Bezug auf die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils.

Hiergegen richtet sich die frist- u. formgerecht eingereichte und begründete Berufung der Beklagten, mit der sie rügt, das Landgericht habe keine überzeugende Begründung dafür gegeben, weshalb es den Ausführungen des Gutachtens M. folge und nicht denen des Sachverständigen W. Der Sachverständige M. habe unrealistisch hohe Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht gestellt, indem er ausführe, dass der für die Sichtkontrollen bei Straßenbäumen Verantwortliche jeden noch so kleinen Pilz am Stamm eines zu überprüfenden Baumes bemerken müsse und in diesem Fall der Baum zwingend einer Untersuchung durch einen Sachverständigen bedürfe. Solche Anforderungen an die Kontrolldichte seien praktisch nicht einzulösen. Die Verkehrssicherungspflicht bestehe immer nur im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren. Die Ansicht des Sachverständigen M. entspreche nicht der allgemein anerkannten Auffassung seines Fachgebietes. Erst recht gelte dies bezüglich der Meinung des Gutachters, dass eine solche eingehende Untersuchung schon bei jedem Auftreten von Totholz oder bei jedem Vorhandensein einer Bodenverdichtung zwingend erforderlich sei. Es sei die Einholung eines Obergutachtens geboten gewesen, wenn das Gericht nicht von einer non - liquet - Situation habe ausgehen wollen. Der Sachverständige W. sei ein öffentlich bestellter und beeidigter Gutachter mit großer Erfahrung insbesondere für das Fachgebiet Statik und Verkehrssicherheit von Bäumen. Er und nicht der Sachverständige M. habe den streitgegenständlichen Baum selbst in Augenschein genommen und untersucht. Nach seinen - des Sachverständigen W. - Feststellungen seien an dem Baum keine bei der Sichtprüfung wahrnehmbare Defektsymptome gegeben gewesen, die den zuständigen Baukontrolleur ... zwingend zur eingehenden Untersuchung des Baumes durch einen Sachverständigen hätten veranlassen müssen.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Grundurteils des Landgerichts Rostock vom 12.11.2008 die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrages.

Der Senat hat Beweis erhoben über die Behauptung des Klägers, die Mitarbeiter der beklagten Stadt hätten die fehlende Standsicherheit des anlässlich des Unfalles umgefallenen Baumes bei genügend sorgfältiger Untersuchung erkennen und reagieren müssen, durch Einvernahme des Privatsachverständigen W. und des Prof. Dr. M. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme nimmt der Senat Bezug auf das Terminsprotokoll vom 26.06.2009.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Landgericht hat zu Recht die Haftung der Beklagten dem Grunde nach festgestellt (§ 304 Abs. 1 ZPO). Dem Kläger steht dem Grunde nach ein Schadenersatzanspruch gem. §§ 31, 89, 823 Abs. 1, 831 BGB wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht zu. Der Anspruch ergibt sich aus § 823 Abs. 1 BGB, denn der umgestürzte Baum stand auf dem Privatgrundstück der Beklagten.

Die Beklagte traf die Verkehrssicherungspflicht für den Baum, die hier besonders streng sein musste, da der Baum in der Nähe einer vielbefahrenen Bundesstraße stand. Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung, der der Senat folgt, kann sich der Pflichtige mit einer sorgfältigen äußeren Besichtigung, also einer Gesundheits- und Zustandsprüfung begnügen und braucht eine eingehende fachmännische Untersuchung nur bei Feststellung verdächtiger Umstände zu veranlassen (vgl. dazu etwa OLG Hamm, NZV 2005, 371). Danach ist eine jährlich zweimal in belaubtem und unbelaubtem Zustand durchgeführte äußere Sichtprüfung, bezogen auf Gesundheit und Standsicherheit des Baumes erforderlich, aber auch ausreichend, wenn dabei keine konkreten Defektsymptome des jeweiligen Baumes, wie etwa spärliche oder trockene Belaubung, dürre Äste, äußere Verletzungen, Wachstumsauffälligkeiten oder Pilzbefall erkennbar sind (vgl. dazu grundlegend BGH, NJW 65, 815; VersR 2004, 877). Zum Mindestinhalt der Verkehrssicherungspflicht gehört danach, dass Bäume in der Nähe von Straßen und öffentlichen Wegen und Plätzen in bestimmten zeitlichen Abständen kontrolliert werden. Dieses Erfordernis war hier formell gewahrt, da die Beklagte unbestritten eine halbjährliche Kontrolle durchführen ließ, zuletzt am 27.02.2006.

Der von der Beklagten betraute Baumkontrolleur hat die Baumkontrolle aber nicht mit der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt durchgeführt (§ 276 Abs. 2 BGB), so dass die Beklagte gem. §§ 31, 89, 823 Abs. 1, 831 BGB haftet. Der Baumkontrolleur ... hätte den von dem Sachverständigen W. festgestellten Pilzfruchtkörper zum Anlass einer weitergehenden Untersuchung nehmen müssen. Dies hat der Sachverständige Prof. Dr. M. in seinem schriftlichen Sachverständigengutachten vor dem Landgericht bejaht und ausgeführt, es habe lt. Akte genügend visuelle Hinweise gegeben, die eine eingehende Untersuchung zwingend erforderlich gemacht hätten (Pilzfruchtkörper, Totäste, Bodenverdichtung). Bohrtechniken hätten eine Fäulnisbildung zweifelsfrei nachgewiesen. Eine Bewertung des Stammfußes mit der 70 %-Regel der VTA-Methode (Visual-Tree-Assessment) hätte zur sofortigen Fällung des Baumes geführt und den Unfall damit vermieden. Insbesondere auf den Pilzfruchtkörper hätte mit einer eingehenden Untersuchung reagiert werden müssen. Diese Einschätzung hat sich durch die Beweisaufnahme vor dem Senat und insbesondere durch die Anhörung des Privatsachverständigen W. bestätigt. Dieser hat nachvollziehbar ausgeführt, er habe einen kleinen Fruchtkörper am Stamm festgestellt, der ein Ausmaß von ca. 3 cm gehabt und die Form einer halben Wallnuss aufgewiesen habe. Das Stamminnere sei zum Teil durch Weißfäule zersetzt gewesen, darüber hinaus habe eine Moderfäule durch einen Brandkrustenpilz vorgelegen. Dieser Brandkrustenpilz bilde am Stamm eher unscheinbare Fruchtkörper, die schwarz seien. Die Fruchkörper bildeten sich am äußeren Stamm. Allerdings lägen die Pilze unterhalb der Grasnarbe. Die Krone des Baumes sei stark verfremdet gewesen und er habe auch Totholz festgestellt. Für ihn als Baumsachverständigen sei es völlig selbstverständlich gewesen, dass er aufgrund des Pilzbefalles weitere Maßnahmen veranlasst hätte, nämlich eine Grabung an der Wurzel, eine Untersuchung mit einem Schalltomographen, ein Bohrverfahren oder aber die Entnahme eines größeren Prüfkörpers bzw. eine Bohrwiderstandsmessung mit einem Resistographen. Er hätte mit einer Grabung begonnen und wenn er das vorgefunden hätte, was an diesem Baum vorgelegen habe, hätte er sofort die Fällung des Baumes angeregt. Der von ihm festgestellte Befund habe anlässlich der letzten Baumkontrolle im Februar auch so vorgelegen. Der Pilz habe sich in einer Höhe von 20 cm vom Erdboden aus gesehen befunden.

Diese Einschätzung hat der Sachverständige Prof. Dr. M. in seiner Anhörung vor dem Senat im Wesentlichen bestätigt. Er bekundete, der Pilz, um den es hier gehe, sei von schwarzer Farbe und hebe sich deutlich vom Stamm ab. Aus der Größe des Fruchtkörpers könne man schon auf die Gefährlichkeit schließen, aber umgekehrt, wenn nämlich der Fruchtkörper klein bleibe und nicht einmal mehr Holz als Nahrung habe, sei er besonders gefährlich.

Aufgrund dieser Feststellungen musste der Senat zu der rechtlichen Einschätzung kommen, dass die Beklagte bzw. der bei ihr tätige Baumkontrolleur ... Verkehrssicherungspflichten verletzt hat.

Die Beklagte hat die Pflicht, fachlich vorgebildete Baumkontrolleure mit den Baumkontrollen zu betrauen, ansonsten wird die Kontrolle zu einer reinen Farce. Ein fachlich vorgebildeter Baumkontrolleur hätte den Pilzbefall des Baumes erkennen können und müssen. Der Senat geht davon aus, dass dieses Wissen auf Schulungen, die beispielsweise der von dem Senat vernommene Sachverständige W. anbietet, vermittelt wird. Bei Anwendung solcher Kenntnisse hätte der Baumkontrolleur den Pilzbefall erkennen und weitere Maßnahmen ergreifen müssen, die hier in einer einfachen Grabung am Stamm bestanden hätte. Der Baumkontrolleur hätte dann am äußeren Stamm unterhalb der frei gelegten Grasnarbe den Brandkrustenpilz vorgefunden. Dies hätte ihn zur sofortigen Fällung des Baumes veranlassen müssen. Eine solche Grabung, nachdem der Pilzbefall festgestellt worden war, wäre der beklagten Gemeinde ohne weiteres zumutbar und erforderlich gewesen. Einer aufwändigen technischen Untersuchung hingegen hätte es dann gar nicht mehr bedurft. Der Baumkontrolleur muss nach der zitierten Rechtsprechung des BGH einen Pilzbefall erkennen und sodann tätig werden, ansonsten ist die Baumkontrolle von vorne herein sinnlos.

Für den Fall, dass der Baumkontrolleur ... nicht fachlich geschult war und keine entsprechende Ausbildung hatte, haftet die Beklagte gleichfalls wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht. Sie trifft dann ein eigenes Verschulden, da sie angesichts der von geschädigten Bäumen in der Nähe von öffentlichen Straßen und Wegen ausgehenden Gefahren die Pflicht hat, nur sorgfältig geschultes Personal zur Baumkontrolle einzusetzen.

III.

Die Kostenentscheidung ergeht gem. § 97 Abs. 1 ZPO. Diese Vorschrift greift ein, wenn die Berufung gegen ein Grundurteil nach § 304 erfolglos blieb (Zöller/Herget, ZPO, 27. Aufl., Rdn. 2 zu § 97; Baumbach/Lauterbach, ZPO, 67. Aufl., Rn. 55 und 74 zu § 97; OLG Oldenburg JurBüro 92, 492; BGHZ 20, 397 = NJW 56, 1235; anders: OLG Frankfurt NJW-RR 88, 1213).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Anlass zur Zulassung der Revision bestand nicht.

Ende der Entscheidung

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