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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Urteil verkündet am 24.05.2006
Aktenzeichen: 6 U 242/05
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 128 Abs. 2
ZPO § 887
ZPO § 888
ZPO § 890 Abs. 1
ZPO § 927
ZPO § 929
ZPO § 929 Abs. 2
ZPO § 936
ZPO § 940
ZPO § 945
BGB § 858 Abs. 1
BGB § 861 Abs. 1
BGB § 866
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

6 U 242/05

Laut Protokoll verkündet am: 24. Mai 2006

im schriftlichen Verfahren gem. § 128 Abs. 2 ZPO

In dem einstweiligen Verfügungsverfahren

hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B., den Richter am Oberlandesgericht Dr. t. V., die Richterin am Oberlandesgericht B.

im schriftlichen Verfahren aufgrund der bis zum 09.05.2006 eingegangenen Schriftsätze

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Verfügungsbeklagten werden das am 15.11.2005 verkündete Urteil des Landgerichts Stralsund, Az.: 4 O 449/05, aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Verfügungskläger zu tragen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 25.000,00 €

Gründe:

I.

Der Rechtsstreit hat den Erlass einer einstweiligen Verfügung zum Gegenstand, mit der der Verfügungskläger vom Verfügungsbeklagten den ungehinderten Zutritt zu sämtlichen Räumlichkeiten einer von beiden betriebenen Gemeinschaftspraxis für Nieren- und Hochdruckkrankheiten begehrt. Wegen der näheren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat die erlassene einstweilige Verfügung - auf den dagegen eingelegten Widerspruch hin - bestätigt. Begründend hat es ausgeführt, dem Verfügungskläger stehe ein Anspruch auf Wiedereinräumung des Mitbesitzes, der ihm vom Verfügungsbeklagten im Wege verbotener Eigenmacht entzogen worden sei, aus §§ 861 Abs. 1, 866, 858 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 936, 940 ZPO zu. Zu weiteren Einzelheiten wird auch insofern auf die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe verwiesen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und rechtzeitig begründete Berufung des Verfügungsbeklagten. Er bringt vor, das erstinstanzliche Urteil sei rechtsfehlerhaft, denn das Landgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Parteien des Rechtsstreits "Mitbesitzer" i.S.d. § 866 BGB hinsichtlich des Praxisgebäudes und des Praxisinventars waren. Besitzschutzansprüche stünden allein der Gesellschaft einer hier vorliegenden "unternehmenstragenden Mitunternehmer-GbR" zu. Mit dem rechtswirksamen Ausspruch der fristlosen Kündigung sei der Verfügungskläger aus der Gesellschaft ausgeschieden und er, der Verfügungsbeklagte, habe als verbleibender Gesellschafter die wirtschaftliche Tätigkeit derselben fortgesetzt. Das Gesellschaftsvermögen - unter Einschluss der Besitzlage - habe sich in seinen Alleinbesitz als letztem Gesellschafter umgewandelt. Schon von daher hätten Besitzschutzansprüche des Verfügungsklägers nicht mehr bestanden.

Außerdem sei ein Rechtsschutzbedürfnis für die erlassene einstweilige Verfügung entfallen. Der Verfügungskläger sei - unstreitig - in B. zur kassenärztlichen Versorgung zugelassen. Dies stehe seiner Berufsausübung in der Gemeinschaftspraxis mit dem Verfügungsbeklagten entgegen.

Zudem sei die einstweilige Verfügung aufzuheben, da die Vollziehungsfrist des § 929 ZPO nicht gewahrt sei. Bei einer einstweiligen Verfügung, mit der - wie vorliegend - die Vornahme einer realen Handlung angeordnet worden sei, sei die Vollziehungsfrist nur gewahrt, wenn innerhalb der Monatsfrist des § 929 ZPO die Handlung vorgenommen oder der dazu notwendige Zwangsantrag gestellt werde. Beides sei nicht geschehen.

Der Verfügungsbeklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Stralsund, Az.: 4 O 449/05, aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Der Verfügungskläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und wiederholt im Wesentlichen seinen Vortrag aus erster Instanz. Weiter meint er, die Vollziehungsfrist sei gewahrt. Der Beschluss des Amtsgerichts Greifswald über die erlassene einstweilige Verfügung sei dem Verfügungsbeklagten im Parteibetrieb zugestellt worden; das sei zur Wahrung der Vollziehungsfrist ausreichend.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Parteischriftsätze nebst Anlagen sowie auf den Akteninhalt im Übrigen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung hat Erfolg. Es kann dahinstehen und bedarf keiner Entscheidung, ob die einstweilige Verfügung zu Recht erlassen worden ist, also ob das Landgericht zutreffend von einem Besitzschutzanspruch des Verfügungsklägers ausgegangen ist, ebenso wie offen bleiben kann, ob im Nachhinein (jedenfalls) das Rechtsschutzbedürfnis für die einstweilige Verfügung entfallen ist.

Denn der Verfügungsbeklagte hat zu Recht eingewendet, dass die einstweilige Verfügung nicht in der Frist der §§ 936, 929 Abs. 2 ZPO vollzogen worden ist.

1.

Grundsätzlich ist dies zwar ein Einwand, der eine Aufhebung wegen veränderter Umstände nach §§ 936, 927 ZPO rechtfertigt. Es entspricht aber allgemeiner Meinung, dass die veränderten Umstände auch im Widerspruchs- oder im Rechtsmittelverfahren vorgetragen werden können; für ein Aufhebungsverfahren nach § 927 ZPO kann insoweit das Rechtsschutzbedürfnis fehlen oder entfallen (vgl. Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 22. Aufl., § 929 Rn. 17; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 927 Rn. 2; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 27. Aufl., § 927 Rn. 4, jeweils m.w.N.).

In Fällen der vorliegenden Art hat dies zugleich zur Folge, dass bereits der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen ist, ohne dass in eine weitere materielle Prüfung eingetreten werden muss, ob die einstweilige Verfügung ursprünglich zu Recht ergangen war. Denn ein Gläubiger, der die Vollziehung der Verfügung versäumt, dokumentiert, dass es ihm mit der Durchsetzung seiner Ansprüche von Anfang an nicht wirklich dringlich gewesen ist. Er hätte die Kosten des Erlassverfahrens selbst dann zu tragen, wenn der Schuldner sich in einem selbständigen Aufhebungsverfahren nach § 927 ZPO darauf berufen würde (vgl. Stein/Jonas/Grunsky, a.a.O., § 929 Rn. 19; OLG Hamburg, WRP 1996, 1047).

2.

Der Verfügungskläger hat sich in der Frist des § 929 Abs. 2 ZPO - unstreitig - darauf beschränkt, die einstweilige Verfügung im Parteibetrieb an den Verfügungsbeklagten zuzustellen. Damit ist die Vollziehung unstatthaft geworden.

a)

Bei der Handlungs- (Gebots-)Verfügung, wie sie im hier streitgegenständlichen Fall vorliegt, ist allerdings umstritten, ob die Parteizustellung als Vollziehungsmittel hinreicht (dafür OLG München, MDR 2003, 53; OLG Celle, OLG-Report 2001, 261; OLG Frankfurt, NJW-RR 1998, 1007, jedenfalls für den Sonderfall einer Auskunftsverfügung; ebenso wohl MK-ZPO/Heinze, 2. Aufl., § 940 Rn. 40, allerdings ohne dezidierte Stellungnahme; offen lassend Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 929 ZPO Rn. 18 a.E.), oder ob weitergehend noch Vollstreckungsanträge nach §§ 887, 888 ZPO, gegebenenfalls auch noch deren Mitteilung an den Schuldner (vgl. § 891 ZPO), erforderlich sind, sofern der Schuldner die Handlung noch nicht vorgenommen hat (so OLG Hamburg, WRP 1996, 1047 m. krit. Anm. Ulrich; OLG Hamm, NJW-RR 1993, 959; OLG Zweibrücken, OLGZ 1983, 466, 468; OLG Rostock, Urteil vom 20.02.2002, Az.: 2 U 5/02, unveröffentlicht; Stein/Jonas/Grunsky, a.a.O., § 938 ZPO Rn. 30; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 63. Aufl., § 936 Rn. 10; Thomas/Putzo/Reichold, a.a.O., § 936 ZPO, Rn. 9; Musielak/Huber, ZPO, 3. Aufl., § 936 Rn. 5; Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 2. Aufl., § 929 ZPO Rn. 33).

b)

Die Meinung, die sich mit der Zustellung im Parteibetrieb begnügen will, führt dazu insbesondere an, dass der Gläubiger schon mit der Parteizustellung in ausreichendem Maße zu erkennen gibt, dass er den Titel durchsetzen will. Würden weitergehende Forderungen gestellt, erschwere dies die Durchsetzung des gerichtlichen Titels über den Wortlaut des § 929 ZPO hinaus in unnötiger Weise (siehe insbesondere OLG München, a.a.O.). Dieser Auffassung ist indes zu widersprechen. Nach Auffassung des Senats ist den wohl mehrheitlich vertretenen Gegenstimmen der Vorzug zu geben, weil diese die besseren Gründe für sich haben.

Die Bedeutung der Vollziehung wird allgemein darin gesehen, dass der Gläubiger mit ihr seine unmissverständliche Bereitschaft bekundet, gegen den Schuldner vorzugehen. Erst damit nimmt er das Risiko auf sich, nach § 945 ZPO schadensersatzpflichtig zu werden (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 928 Rn. 2 und § 929 Rn. 12; OLG Hamburg, WRP 1996, 1047). Sie soll verhindern, dass der Arrest bzw. die einstweilige Verfügung unter wesentlich veränderten Umständen vollzogen wird, als unter denen, die seiner Anordnung zugrunde gelegen haben, und umgekehrt sicherstellen, dass der Arrest- (Verfügungs-)Grund im Zeitpunkt der Vollziehung noch fortwirkt, der Vollstreckungsschuldner also nicht "überrumpelt" wird (vgl. BGHZ 112, 361ff.; OLG Frankfurt, OLGZ 87, 460; NJW-RR 1999, 1447; Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 929 Rn. 3; Thomas/Putzo/Reichold, a.a.O, § 929 Rn. 2).

Diesem Verständnis entspricht es, wenn für die wirksame Vollziehung neben der Parteizustellung zusätzlich vorausgesetzt ist, dass innerhalb der Frist des § 929 Abs. 2 ZPO ein Antrag nach §§ 887, 888 ZPO gestellt wird. Denn nur der konkrete Vollstreckungsantrag macht deutlich, dass der Gläubiger den Zustand, den die Handlung des Schuldners beseitigen soll, nicht weiter hinzunehmen bereit ist (Schuschke/Walker, a.a.O., § 929 Rn. 33). Das verdeutlicht der vorliegende Fall im besonderen Maße. Denn nach dem Erlass der einstweiligen Verfügung hat der Verfügungskläger - trotz der von ihm betriebenen Parteizustellung - durchgreifende Zweifel an seinem Interesse, von dem erwirkten Titel Gebrauch zu machen, dadurch begründet, dass er sich als Kassenarzt im Bundesland Bremen hat zulassen lassen.

Entsprechend hat der Bundesgerichtshof auch für die Unterlassungsverfügung entschieden - und diese Grundsätze sind auf einen Gebotstitel übertragbar (so zu Recht OLG Hamburg, a.a.O.) - , dass die Zustellung des Unterlassungsgebots ohne Androhung der in § 890 Abs. 1 ZPO vorgesehenen Ordnungsmittel lediglich besagt, dass der Gläubiger von der einstweiligen Verfügung Gebrauch machen will; ob er sie notfalls mit Hilfe von Ordnungsmitteln durchsetzen wird, geht daraus nicht hervor (vgl. BGHZ 131, 141ff.). Nur wenn eine wenigstens mittelbare Zwangswirkung geschaffen wird, befindet sich der Gegner in einer Lage, die derjenigen bei der Vollziehung anderer Ansprüche vergleichbar ist und die die Ernsthaftigkeit seines Vollstreckungswillens erkennen lässt (siehe hierzu Musielak/Huber, a.a.O., § 936 Rn. 5; zustimmend auch OLG Frankfurt, NJW-RR 1998, 1007, das zubilligt, dass mit dem Vollstreckungsantrag nach § 888 ZPO ein zusätzlicher Vollstreckungsdruck erzeugt wird). Das ergibt sich auch aus dem Wesen der Zwangsvollstreckung. Denn mit der Zustellung des Titels hat der Gläubiger nur die für eine Zwangsvollstreckung unerlässliche Voraussetzung geschaffen, diese selbst aber nicht eingeleitet (zutreffend OLG Hamburg, WRP 1996, 1047, 1048).

Eine unzulässige Erschwerung der Durchsetzung des gerichtlichen Titels ist mit diesen gestellten Anforderungen nicht verbunden. Verlangt ist nicht, dass der Gläubiger innerhalb der Vollziehungsfrist das Zwangsmittel durchsetzt, sondern nur, dass er einen entsprechenden Vollstreckungsantrag bei Gericht anbringt. Damit ist aber nicht mehr gefordert, als dass er von den gesetzlichen Möglichkeiten zur Einleitung der Zwangsvollstreckung Gebrauch zu machen hat.

Nach allem ist auf die Berufung des Verfügungsbeklagten das Urteil des Landgerichts Stralsund aufzuheben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO; dem Verfügungskläger waren die Kosten des gesamten Verfahrens aufzuerlegen (vgl. Stein/Jonas/Grunsky, a.a.O., § 929 Rn. 19). Von einer Nebenentscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit sieht der Senat ab, da das Urteil mit der Verkündung rechtskräftig ist (§ 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO; vgl. auch Zöller/Herget, a.a.O., § 713 Rn. 1). Die Festsetzung des Streitwertes für die Berufungsinstanz beruht auf §§ 47, 48, 53 GKG, §§ 3, 6 ZPO wobei hierbei auf das rechtliche Interesse zur Wiedereinräumung des Mitbesitzes abzustellen war, welches der Senat - in Übereinstimmung mit dem Landgericht (vgl. UA Bl. 5) - auf 25.000,00 € geschätzt hat.

Ende der Entscheidung

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