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Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Urteil verkündet am 10.12.2003
Aktenzeichen: 6 U 56/03
Rechtsgebiete: BGB, ZPO
Vorschriften:
BGB § 181 | |
BGB § 826 | |
GmbHG § 13 Abs. 2 | |
GmbHG § 64 Abs. 2 | |
GmbHG § 43 Abs. 2 | |
ZPO § 529 | |
ZPO § 546 |
Oberlandesgericht Rostock IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am: 10.12.2003
In dem Rechtsstreit
hat der Senat6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock durch
den Richter am Oberlandesgericht Dr. ter Veen den Richter am Oberlandesgericht Dr. Meyer die Richterin am Landgericht Ewert
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19.11.2003
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Rostock vom 20.03.2003, Az.: 4 O 177/01, wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, sofern dieser nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 713.996,51 EUR (1.396.563,54 DM).
Gründe:
A.
Der Kläger, Insolvenzverwalter über das Vermögen der A.-Gastronomiebetriebsgesellschaft mbH (Gemeinschuldnerin), verlangt vom Beklagten Schadensersatzzahlung in Höhe der anerkannten offenen Verbindlichkeiten der Gemeinschuldnerin von 713.996,51 EUR (1.396.563,54 DM) aufgrund des von der Rechtsprechung entwickelten Haftungsinstituts des Verbotes existenzgefährdender Eingriffe für beherrschende GmbH-Gesellschafter.
Die Gemeinschuldnerin wurde 1991 mit Sitz in H. und einem Stammkapital von 300.000,- DM gegründet. Mit Wirkung ab 01. September 1993 pachtete die Gemeinschuldnerin - zu dieser Zeit noch unter der Firma T. HOTEL am S. Wald W.-Hotel-GmbH firmierend - vom Beklagten ein mit dem Gastronomieobjekt T. HOTEL in R. bebautes Grundstück und fungierte als Betreibergesellschaft für das Hotel. Der Beklagte hielt zu dieser Zeit 52 % und seine Ehefrau, Ilona W., 48 % der Gesellschaftsanteile der Gemeinschuldnerin. Der Beklagte war bis August 1999 von den Beschränkungen des § 181 BGB befreiter Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin sowie danach bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Mai 2000 deren Prokurist. Seine Ehefrau, Ilona W., hatte dem Beklagten bereits am 02.12.1996 Generalvollmacht erteilt.
1996 erwarb die Mutter des Beklagten, Dora W., zunächst als Alleingesellschafterin die J.-Hotel-Marketing- und Beteiligungsgesellschaft mbH (nachfolgend J.-GmbH genannt) als Vorratsgesellschaft, auf die der Beklagte noch im selben Jahr seine Anteile an der Gemeinschuldnerin übertrug. Der Beklagte war zugleich von den Beschränkungen des § 181 BGB befreiter Geschäftsführer der J.-GmbH. Mit Vertrag vom 20.12.1997 gewährte die Mutter des Beklagten, Dora W., der Gemeinschuldnerin ein Darlehen über 150.000,- DM (Darlehensvertrag Bl. 31 d.A.), welches durch Sicherungsübereignungsvereinbarung vom selben Tage (Bl. 32 d.A.) über das Hotelinventar der Gemeinschuldnerin besichert wurde. Zwischen den Parteien besteht Streit, ob das Darlehen überhaupt ausgezahlt worden ist sowie auch über den Umfang der Sicherungsübereignung.
Durch Vertrag vom 20.03.1998 (Bl. 35 d.A.) vereinbarten der Beklagte und die Gemeinschuldnerin die vorfristige Aufhebung des Pachtvertrages über das Betriebsgrundstück für das T. HOTEL zum 31.03.1998. Am gleichen Tage erwarben die J.-GmbH (zu 90 %) und Frau Dora W. (zu 10 %) Anteile an einer Vorratsgesellschaft, die sodann in W.-Hotel-GmbH umfirmierte (Bl. 38 d.A.). Beim Erwerb der Gesellschaft trat der Beklagte mit der ihm von seiner Mutter am 02.12.1996 eingeräumten Generalvollmacht auf. Der Beklagte war und ist zugleich von den Beschränkungen des § 181 BGB befreiter Geschäftsführer der W.-Hotel-GmbH.
Gleichfalls mit Wirkung ab dem 31.03.1998 schloss der Beklagte mit der zuvor erworbenen W.-Hotel-GmbH, die er bei Vertragsschluss selbst vertrat, einen neuen Pachtvertrag über das Betriebsgrundstück.
Schließlich kam es am 31.03.1998 noch zwischen der W.-Hotel-GmbH und der Gemeinschuldnerin, beide vertreten durch den Beklagten, zum Abschluss eines Geschäftsbesorgungs- und Managementvertrages mit dem Inhalt, dass die Gemeinschuldnerin das Management und die Organisation des Hotelbetriebes mit eigenen Mitteln auf Rechnung der W.-Hotel-GmbH durchzuführen hatte und hierfür eine Umsatzbeteiligung in Höhe von 40 % der Hotelumsätze erhalten sollte (Bl. 41 d.A.). Die Gemeinschuldnerin verpflichtete sich, das gesamte Hotelinventar in den unmittelbaren Besitz der W.-Hotel-GmbH zu übertragen und selbst nur noch Besitzdienerin zu sein. Mögliche Sicherungsrechte der Mutter des Beklagten wurden nicht erwähnt.
Ein noch am selben Tag abgeschlossener erster Nachtrag zu dem Geschäftsbesorgungs- und Managementvertrag (Bl. 90 d.A.) räumte der W.-Hotel-GmbH die Möglichkeit einer Herabsetzung der Umsatzbeteiligung für die Gemeinschuldnerin ein, sofern die vereinbarten 40 % aller Hotelumsätze für die W.-Hotel-GmbH nicht auskömmlich wäre. Durch einen weiteren Nachtrag zum vorgenannten Vertrag (Nachtrag vom 08.01.1999, Bl. 91 d.A.) wurde dementsprechend die als Pauschalhonorar vereinbarte Umsatzbeteiligung der Gemeinschuldnerin von 40 % auf 28 % herabgesetzt.
Durch Anteilsabtretungsvertrag vom 24.08.1998 (Bl. 92 d.A.) trat sodann Dora Weiß ihre Anteile an der J.-GmbH an den Beklagten ab. Bei der Beurkundung trat der Beklagte aufgrund der von seiner Mutter, Dora W., erteilten Generalvollmacht auf.
Im Jahr 1998 verschlechterte sich die wirtschaftliche Situation der Gemeinschuldnerin. Nachdem bereits 1997 ein Jahresfehlbetrag entstanden war, erwirtschaftete die Gemeinschuldnerin im Jahr 1998 einen Fehlbetrag in Höhe von rd. DM 250.000,-, wodurch sich zusammen mit einem Verlustvortrag ein Bilanzverlust in Höhe von DM 299.588,15 ergab. 1999 verschlechterte sich die wirtschaftliche Situation weiter, mit der Folge, dass ein Jahresfehlbetrag von 670.000,- DM erwirtschaftet wurde und dass sich der Gesamtbilanzverlust bei einem gezeichneten Kapital von DM 300.000,- auf DM 967.834,28 belief.
Durch Vereinbarung vom 31.01.2000 (Bl. 98 d.A.) hoben die Gemeinschuldnerin und die W.-Hotel-GmbH den am 31.03.1998 geschlossenen Geschäftsbesorgungs- und Managementvertrag auf, wobei der Beklagte für die Weiß-Hotel-GmbH und seine Ehefrau als Prokuristin der Gemeinschuldnerin für diese unterzeichnete, dies, obwohl ihre Prokura nicht im Handelsregister vermerkt war. Die vorerwähnte Aufhebungsvereinbarung sah vor, dass das Hotelinventar der W.-Hotel-GmbH weiterhin zur Nutzung überlassen bleiben sollte und dass die W.-Hotel-GmbH sämtliche Arbeitsverhältnisse der Gemeinschuldnerin zu übernehmen hatte. Zwischenzeitlich hat die W.-Hotel-GmbH alle Arbeitnehmer der Gemeinschuldnerin übernommen und führt den Hotelbetrieb eigenständig weiter.
Die Gesellschafterverhältnisse der vorerwähnten Gesellschaften stellten sich danach wir folgt dar: Die Anteile an der Gemeinschuldnerin hielten zu 52 % die J.-GmbH und zu 48 % die Ehefrau des Beklagten, Ilona Weiß. Die Anteile der W.-Hotel-GmbH hielten zu 90 % die J.-GmbH und zu 10 % die Mutter des Beklagten, Dora Weiß. Der Beklagte selbst war Alleingesellschafter der J.-GmbH.
Auf einen Eigenantrag der Gemeinschuldnerin vom April 2000 hin eröffnete das Amtsgericht Hamburg durch Beschluss vom 15. Mai 2000 (Bl. 105 d.A.) das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gemeinschuldnerin und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Die verfügbare Insolvenzmasse belief sich auf DM 108,07 Kassenbestand. Das übrige Vermögen der Gemeinschuldnerin bestand nur noch aus eventuell durchsetzbaren Ansprüchen gegen die Familie Weiß und die verbundenen Gesellschaften aus Insolvenzanfechtung sowie aus Haftung wegen Mißbrauchs der Rechtsform der GmbH. Der Kläger führt gegen die Mutter des Beklagten sowie gegen die W.-Hotel-GmbH Anfechtungsklage auf Rückübertragung des Hotelinventars.
Die zur Insolvenztabelle anerkannten Forderungen gegen die Gemeinschuldnerin beliefen sich auf DM 419.423,33, wovon 393.131,07 auf die M. Brauerei L. GmbH entfallen. Außerdem besteht eine Forderung der T. L. GmbH & Co. KG in Höhe von DM 974.664,21. Darüber hinaus bestehen weitere anzuerkennende Forderungen in Höhe von DM 2.476,--. Über die Forderungen der vorerwähnten Großgläubigerinnen T. und Brauerei L. existieren Vollstreckungstitel aus noch nicht rechtskräftigen erstinstanzlichen Urteilen.
Der Kläger hat sein Schadensersatzbegehren in Höhe der zur Tabelle anerkannten offenen Verbindlichkeiten der Gemeinschuldnerin von rund 1,4 Mio. DM zunächst auf die "konzernrechtlich" begründete Haftung herrschender GmbH- Gesellschafter gestützt und in diesem Zusammenhang vorgetragen, weder die Ehefrau des Beklagten, Ilona W., noch dessen Mutter, Dora W., hätten zu irgendeiner Zeit aktiv in die Geschäftsabläufe der beteiligten Gesellschaften eingegriffen und seien deswegen als bloße "Strohfrauen" anzusehen. Der Beklagte habe faktisch allein die Geschäfte aller drei Firmen beherrscht, wobei die Gemeinschuldnerin ein abhängiges Unternehmen im Rahmen eines qualifiziert faktischen GmbH-Konzerns gewesen sei. Der Darlehensbetrag über 150.000,- DM aus dem Vertrag vom 20.12.1997 sei tatsächlich weder ausgezahlt noch auf ausstehende Pachtschulden der Gemeinschuldnerin verwendet worden. Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin habe sich bereits ab 1996 abgezeichnet und sei spätestens 1997 eingetreten. Die mit dem Darlehensvertrag verbundene Sicherungsübereignung des Hotelinventars habe eine eindeutige Übersicherung dargestellt, da das Inventar im Jahre 1997 noch einen Wert von ca. 226.500,-- DM gehabt habe.
Im Anschluss an die sich während des laufenden Rechtsstreits mit dem Bremer Vulkan-Urteil des BGH vom 17. September 2001 (BGH ZIP 2001, 1874 ff.) abzeichnende Wende von den Grundsätzen der "Konzernhaftung" zu einem Verbot existenzgefährdender Eingriffe hat der Kläger ferner die Auffassung vertreten, sein Ersatzbegehren auf diese neuen Haftungsgrundsätze stützen zu können. Darüber hinaus hafte der Beklagte auch aus Ansprüchen nach § 826 BGB sowie §§ 43 Abs. 2 und 64 Abs. 2 GmbHG. Der Kläger weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Übersicherung des Darlehens, die vorfristige Auflösung des Pachtvertrages über das Betriebsgrundstück, die Ausgestaltung des Geschäftsbesorgungs- und Managementvertrages sowie erst recht dessen Aufhebung unter Übernahme aller Arbeitnehmer Lenkungsmaßnahmen darstellten, die ohne angemessene Rücksichtnahme auf die Belange der Gemeinschuldnerin zu deren Nachteil erfolgt seien.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn DM 1.396.455,47 nebst 4 % Zinsen seit dem 31.05.2002 zu zahlen.
Der Beklagte hat Klagabweisung beantragt,
und zur Begründung die Auffassung vertreten, sein Verhalten rechtfertige keine Haftung nach den Voraussetzungen der konzernrechtlichen Haftungsgrundsätze des Bundesgerichtshofes. Es habe lediglich eine Betriebsaufspaltung im Sinne einer unternehmerischen Entscheidung stattgefunden. Die Darlehensvaluta aus dem Darlehensvertrag vom 20.12.1997 i.H.v. 150.000,- DM seien der Gemeinschuldnerin zu Gute gekommen und zur Deckung laufender Betriebsausgaben verwendet worden. Die Sicherungsübereignung des Hotelinventars stelle keinen Fall der Übersicherung dar, weil der Restwert des im Zeitpunkt der Sicherungsübereignung bereits vier Jahre alten Inventars abzüglich Aufwandes für Demontage, Abtransport und Zwischenlagerung höchstens bei 50.000,- DM gelegen habe. Darüber hinaus sei stets sichergestellt gewesen, dass die Gemeinschuldnerin mit dem Inventar habe weiter arbeiten können.
Der Beklagte habe nicht allein die Geschicke der beteiligten Gesellschaften gelenkt und geleitet. Seine Ehefrau, Ilona W., habe ihre sämtlichen finanziellen Mittel bei der Gründung des T.-HOTELS mit eingebracht und sie sei im Hotel aktiv als Art-Direktorin tätig und als solche für den gesamten künstlerischen Bereich der darin betriebenen Kleinkunstbühne verantwortlich gewesen. Sie habe sich um die Auszubildenden und den gesamten Werbe- und Marketingbereich gekümmert.
Von einer Ausplünderung der Gemeinschuldnerin könne bereits deswegen nicht die Rede sein, da der Beklagte beginnend mit dem Jahr 1995 auf Pachtverbindlichkeiten in Millionenhöhe gegenüber der Gemeinschuldnerin verzichtet habe. Im Jahre 1998 sei die Hotelpacht für die Monate Januar, Februar und März nicht mehr geleistet worden, was letztlich auch zur einvernehmlichen Pachtvertragsaufhebung zum 31.03.1998 geführt habe. Die vorzeitige Beendigung des Pachtvertrages sei für die Gemeinschuldnerin lediglich von Vorteil gewesen, da diese mit dem Hotelbetrieb offensichtlich finanziell überfordert gewesen sei. Im Übrigen wäre das Pachtverhältnis nach dem ursprünglichen Vertrag und nach unstreitig nicht ausgeübter Verlängerungsoption ohnehin zum 31. August 1998 ausgelaufen. Die Herabsetzung der zu Gunsten der Gemeinschuldnerin vorgesehenen Umsatzbeteiligung aus dem Geschäftsbesorgungs- und Managementvertrag mit der W.-Hotel-GmbH von 40% auf 28 % sei gerechtfertigt, weil die Gemeinschuldnerin gegenüber der W.-Hotel-GmbH ihren Pflichten insoweit nicht mehr nachgekommen sei, als das sie weniger und schlechter ausgebildetes Personal zum Hotelbetrieb eingesetzt habe.
Das Landgericht hat der Schadensersatzklage vollen Umfangs stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, der Beklagte hafte für die Verbindlichkeiten der Gemeinschuldnerin persönlich wie ein vom Haftungsprivileg des § 13 Abs. 2 GmbHG nicht begünstigter Gesellschafter, da er trotz seiner faktischen Gesellschafterstellung nicht der daraus erwachsenden Verpflichtung, das Gesellschaftsvermögen im Interesse der Gläubiger zu erhalten, nachgekommen sei. Die Haftung bestehe in Höhe der durch den Kläger als Insolvenzverwalter anerkannten Verbindlichkeiten in Höhe von 1.396.563,54 DM, die abzüglich des Kassenbestandes zur Zeit der Insolvenzeröffnung in Höhe von 108,07 DM den zuerkannten Klagebetrag (713.996,51 EUR) ergebe.
Das Landgericht hat sich ausdrücklich die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Haftung wegen sogenannten "existenzvernichtenden Eingriffes" zu Eigen gemacht und seiner Entscheidung zugrundegelegt (BGH, BB 2002, 1012; ZIP 2002, 1578). Dem Beklagten käme keine Haftungsbeschränkung zu Gute, weil er der Gemeinschuldnerin das Gesellschaftsvermögen zu Lasten ihrer Gläubiger durch existenzvernichtende Eingriffe entzogen habe. Die wirtschaftliche Selbständigkeit und Liquidität der Gemeinschuldnerin beschränkende Eingriffe seien in der Sicherungsübereignung des gesamten Hotelinventars zu sehen sowie in der Aufhebung des Pachtvertrages über das Betriebsgrundstück sowie in dem Abschluss des Geschäftsbesorgungs- und Managementvertrages mit der W.-Hotel-GmbH und schließlich in dessen vorfristiger Aufhebung.
Durch diese Maßnahmen habe der Beklagte der Gemeinschuldnerin die wirtschaftlichen Grundlagen entzogen. Sie sei ohne eigenverantwortliche Dispositionsmöglichkeit über Inventar, Personal und Betriebsgrundstück nicht mehr in der Lage gewesen, Umsätze zu tätigen und Gewinn zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten zu erwirtschaften. Der Beklagte habe als Gesellschafter der J.-GmbH und als Prokurist der Gemeinschuldnerin die Interessen der Gemeinschuldnerin und ihrer Gläubiger durch systematische Vermögensverschiebung unter Herbeiführung einer masselosen Insolvenz verletzt.
Als Gesellschafter der Gemeinschuldnerin hafte er nach den Grundsätzen des existenzvernichtenden Eingriffes in voller Höhe der gegenüber der Gemeinschuldnerin bestehenden Verbindlichkeiten. Dass der Beklagte nur mittelbar Gesellschafter der Gemeinschuldnerin über seine Alleingesellschafterstellung in der J.-GmbH gewesen sei, stünde seiner Haftung nicht entgegen. Vielmehr sei aufgrund der Beherrschung der Gemeinschuldnerin der Haftungsdurchgriff eröffnet. Seine persönliche Haftung dürfe er nicht dadurch umgehen, dass er sich als handelndes Organ hinter die Haftungsbeschränkung einer weiteren Gesellschaft stelle, die dem alleinigen Zweck dienen würde, die Durchgriffshaftung entfallen zu lassen, weil auch insoweit lediglich die Inanspruchnahme des Gesellschaftsvermögens der J.-GmbH eröffnet wäre.
Zudem führt das Landgericht aus, dass eine Haftung des Beklagten auch unter Anwendung der alten Rechtsprechung zur Haftung beim qualifiziert faktischen Konzern gegeben wäre, und zwar bereits aufgrund seiner beherrschenden Stellung als Alleingesellschafter der J.-GmbH, aufgrund derer er mittelbar 52 % der Anteile der Gemeinschuldnerin und 90 % der W.-Hotel-GmbH hielt.
Eine Haftung des Beklagten gemäß § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung entfalle ebenso wie eine Haftung nach §§ 43 Abs. 2 und 64 Abs. 2 GmbHG, da diese Anspruchsgrundlagen grundsätzlich einen konkretisierten Schaden voraussetzten. Einen konkreten Schaden könne der Kläger jedoch aufgrund der beklagtenseits vorgenommenen Vermögensvermischung und mangels Transparenz der einzelnen Vorgänge nicht beziffern. Hierauf komme es aber wegen der unbegrenzten Haftung unter dem Gesichtspunkt des existenzvernichtenden Eingriffs nicht an.
Wegen der weiteren Einzelheiten der angegriffenen Entscheidung wird auf die Gründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit seiner form- und fristgerechten Berufung. Das Landgericht verkenne die Voraussetzungen des vom BGH im Anschluss an die "Bremer Vulkan- Entscheidung" entwickelten Haftungsinstituts des sogenannten "existenzvernichtenden Eingriffes" sowie den dadurch eröffneten Haftungsumfang. Das Urteil beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinne des § 546 ZPO und würdige die gemäß § 529 ZPO zu Grunde zu legenden Tatsachen nicht zutreffend.
Im Einzelnen rügt der Beklagte folgende Punkte:
(1)
Das Landgericht übersehe das nach der neueren Rechtsprechung zum existenzvernichtenden Eingriff bestehende Erfordernis einer Kausalität zwischen angeblicher Pflichtverletzung und behauptetem Schaden des Klägers bzw. der Insolvenzgläubiger. Eine derartige Ursächlichkeit sei vom Kläger nicht dargetan. Der Verzicht auf das Kausalitätserfordernis führe unter Umständen zu einer ungerechtfertigten Besserstellung der Gläubiger gegenüber Fällen ohne schädigenden Eingriff.
(2)
Der Beklagte sei im Sinne der neueren BGH-Rechtsprechung nicht passivlegitimiert, da sich alle bisher zur Haftung aus existenzvernichtendem Eingriff ergangenen Entscheidungen auf unmittelbare Gesellschafter der betroffenen Gesellschaften mbH bezögen, während er selbst zur Zeit der vom Landgericht beanstandeten Eingriffshandlungen nicht Gesellschafter der Gemeinschuldnerin gewesen sei. Eine Haftungsausdehnung auf lediglich mittelbare Gesellschafter verletze ohne Not das für das Recht der Kapitalgesellschaften grundlegende Prinzip, dass über die Rechtsform der juristischen Person und die rechtliche Verschiedenheit ihrer Gesellschafter nicht leichtfertig hinweggegangen werden dürfe (Trennungsprinzip). In diesem Punkt habe das Landgericht die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung erheblich überschritten. Hierzu betont der Beklagte, dass die J.-GmbH nicht bloß eine zwischengeschaltete "Holding"- Gesellschaft gewesen sei, sondern als Hotel- Marketing- und Beteiligungsgesellschaft auch selbst umfangreiche Marketing- Aktivitäten für die Hotelgruppe T. HOTEL durchgeführt habe.
(3)
Darüberhinaus vertritt der Beklagte unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrages die Auffassung, keine pflichtwidrigen Handlungen in Bezug auf das Gesellschaftsvermögen der Gemeinschuldnerin getätigt zu haben, die als "existenzvernichtende Eingriffe" gewertet werden dürften. Alle getroffenen Maßnahmen seien unternehmerisch vertretbar. Zur Insolvenz sei es aufgrund des allgemeinen wirtschaftlichen Risikos, vor allem infolge der von den Großgläubigerinnen Brauerei L. GmbH und T. L. GmbH & Co. KG erwirkten obsiegenden Urteile vor den Landgerichten Hamburg und Rostock gekommen. Dabei hebt der Beklagte erneut Folgendes hervor:
Durch das angemessen besicherte Darlehen seiner Mutter Dora W. seien der Gemeinschuldnerin Mittel zugeflossen unter Gewährleistung der Belassung des Inventars für die Gemeinschuldnerin.
Durch die Aufhebung des Pachtvertrages über das Betriebsgrundstück und den Abschluss eines im Übrigen branchenüblichen Geschäftsbesorgungs- und Managementvertrages sei die Gemeinschuldnerin in die Lage versetzt worden, noch zwei Jahre erfolgreich auf dem Dienstleistungssektor zu wirtschaften. Die Aufhebung des Pachtvertrages habe zudem im Zusammenhang mit dem bereits erstinstanzlich behaupteten Pachtverzicht in Millionenhöhe ab 1995 gestanden.
Auch die vorzeitige Aufhebung des Geschäftsbesorgungs- und Managementvertrages zwischen der Gemeinschuldnerin und der W.-Hotel-GmbH von 31. Januar 2000 sei lediglich eine unternehmerische Konsequenz aus dem Verhalten und der wirtschaftlichen Situation der Gemeinschuldnerin gewesen. Eine geordnete Liquidation der Gemeinschuldnerin sei indessen auch zu diesem Zeitpunkt noch möglich gewesen, wenn nicht die beiden vorerwähnten Großgläubigerinnen ihre Prozesse vor den Landgerichten Rostock und Hamburg gewonnen hätten.
(4)
Schließlich weist der Beklagte vorsorglich darauf hin, dass eine etwaige Haftung aus "existenzvernichtendem Eingriff" der Höhe nach in jedem Fall auf denjenigen Verlust zu begrenzen wäre, der durch die konkrete Verletzungshandlung im Einzelfall verursacht worden ist.
Der Beklagte beantragt,
1. das angefochtene Urteil des Landgerichts Rostock -Az: 4 O 177/01- vom 20.03.2003 abzuändern und die Klage vollen Umfangs abzuweisen sowie
2. hilfsweise, die Revision zum Bundesgerichtshof wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zuzulassen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt die Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils über Grund und Höhe der Haftung des Beklagten wegen "existenzvernichtenden Eingriffes" mit Rechtsausführungen:
(1)
Die Rechtsprechung verlange nicht das Merkmal einer Kausalität zwischen Schaden und Vermögensverschiebung, sondern knüpfe an den bloßen Mißbrauch der Rechtsform der GmbH an. Die rechtsmissbräuchliche Vermögensvermischung führe gerade zum Verwischen der konkreten Nachweisbarkeit der Folgen existenzvernichtender Eingriffe und rechtfertige deshalb den Verlust des Haftungsprivilegs nach § 13 Abs. 2 GmbHG, und zwar sinnvollerweise in unbegrenzter Höhe.
(2)
Für eine Haftung des Beklagten aus "existenzvernichtendem Eingriff" sei unbeachtlich, dass dieser lediglich eine mittelbare Gesellschafterstellung innegehabt habe. Auch nach dem Sachvortrag in zweiter Instanz stehe außer Frage, dass der Beklagte die treibende Kraft hinter allen Unternehmungen und vertraglichen Vereinbarungen gewesen sei und dass dessen Ehefrau und Mutter nur als "Strohfrauen" in Erscheinung getreten wären. Eine Inanspruchnahme von Dora oder Ilona W. oder der J.-GmbH hält der Kläger von vornherein für aussichtslos. Alleiniger Zweck der J.-GmbH sei der einer "Zwischenholding" gewesen. Es fehle jedweder substantiierter und glaubwürdiger Vortrag zu einer etwaigen eigenen unternehmerischen Aktivität über den Betrieb des Rostocker T.HOTELS hinaus.
(3)
Das Landgericht habe ferner zu Recht die als Verletzungshandlungen eingestuften Vorgänge als "existenzvernichtend" im Sinne der neueren Rechtsprechung des BGH gewertet:
Für die Weggabe des Hotelinventars im Wege der Sicherungsübereignung sei der Gemeinschuldnerin bis heute kein entsprechender wirtschaftlicher Vorteil zugeflossen bzw. ein solcher nachgewiesen. Gleiches gelte für die behaupteten Pachtverzichte in Millionenhöhe. Der Beklagte habe die Gemeinschuldnerin im Zusammenhang mit dem Auslaufenlassen des Pachtvertrages über das Betriebsgrundstück ordentlich liquidieren müssen und habe sie nicht durch den Abschluss eines ungünstigen Geschäftsbesorgungs- und Managementvertrages sowie später durch dessen vorfristige Kündigung weiter schwächen dürfen.
(4)
Letztlich vertritt der Kläger noch die Auffassung, die vom Landgericht im Übrigen dem Grunde nach als einschlägig erachteten Haftungstatbestände der §§ 826 BGB, 43 Abs. 2, 64 Abs. 2 GmbHG seien abweichend von der landgerichtlichen Wertung auch der Höhe nach schlüssig begründet und ausreichend konkret beziffert. Es lägen hinreichende Anhaltspunkte für eine entsprechende Schadensschätzung vor. Anderenfalls würde der Beklagte aufgrund der von ihm vorgenommenen Vermögensvermischung ungerechtfertigt privilegiert.
B.
I.
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
Das Landgericht hat die Voraussetzungen und den Umfang der Haftung des Beklagten auf der Grundlage des neuen Haftungskonzepts des BGH zutreffend bewertet und den Beklagten zu Recht vollumfänglich zu Schadensersatz in Höhe der anerkannten Gläubigerforderungen zur Insolvenztabelle (1.396.563,54 DM) abzüglich des bei Insolvenzeröffnung noch vorhandenen Kassenbestandes (108,07 DM) verurteilt.
Die Voraussetzungen des im Wege der Rechtsfortbildung geschaffenen Haftungskonzepts des sogenannten "existenzvernichtenden Eingriffes" sind gegeben (1), d.h. es liegen vor:
a) ein pflichtwidriger Eingriff
b) eines Gesellschafters (, denn die Stellung des Beklagten als mittelbarer faktischer Gesellschafter reicht aus),
c) eine durch den Eingriff bedingte Beeinträchtigung der Solvenz der GmbH,
d) sowie das unausgesprochene Erfordernis eines Verschuldens des in Anspruch genommenen Gesellschafters im Sinne eines objektiven Mißbrauchs der Rechtsform der GmbH.
Die Haftung des Beklagten ist ferner unbeschränkt (2). Einer Entscheidung über weitere Anspruchsgrundlagen (§§ 826, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Normen des StGB, §§ 43 Abs. 2 bis 64 Abs. 2 GmbHG) bedarf es wegen des Eingreifens der Haftung aus sogenanntem "existenzvernichtenden Eingriff" nicht (3).
1.
Beginnend mit der "Bremer Vulkan-Entscheidung" (BGHZ 149, 10 = ZIP 2001, 1874) sowie fortgeführt und präzisiert durch die Urteile vom 25.02.2002 (BGHZ 150, 61 = NJW 2002, 1803) und vom 24.06.2002 (sogenanntes "KBV"- Urteil, BGHZ 151, 181 = ZIP 2002, 1578) hat der BGH eine persönliche Ausfallhaftung des Gesellschafters gegenüber den Gläubigern der GmbH in deren Insolvenz für Fälle vorgesehen, in denen der Gesellschafter sogenannte "existenzgefährdende Eingriffe" in das Gesellschaftsvermögen vornimmt. Diese Grundsätze lösen das bis dahin vertretene "Konzernhaftungskonzept"ab und rücken den Gläubigerschutz im Sinne einer Verschuldenshaftung des herrschenden Gesellschafters gegenüber seiner abhängigen GmbH in den Vordergrund, der sich in Fällen bestandsvernichtender Eingriffe nicht auf die Haftungsbegrenzung des § 13 Abs. 2 GmbHG berufen dürfen soll (BGHZ 149, 10 ff.; Karsten/Schmidt "Gesellschafterhaftung und Konzernhaftung bei der GmbH - Bemerkungen zum "Bremer Vulkan" - Urteil des BGH vom 14.09.2001, NJW 2001, 3577 bis 3581). Die Voraussetzungen dieses Haftungsgrundes, den auch der Senat befürwortet, sind gegeben.
a)
Das Landgericht stellt zu Recht pflichtwidrige Eingriffe des Beklagten in das Gesellschaftsvermögen der Gemeinschuldnerin fest, die als bewusste Außerachtlassung der gebotenen Rücksichtnahme auf die Zahlungsfähigkeit der GmbH zu Lasten ihrer Gläubiger zu werten sind:
aa)
Zu diesen Eingriffen zählt die Sicherungsübereignung des Hotelinventars an die Mutter des Beklagten, Dora W, ohne verifizierbare Gegenleistung. Die Übereignung des Hotelinventars zog eine empfindliche Beeinträchtigung der Kreditunterlagen der Gemeinschuldnerin nach sich. Das Landgericht hebt zu Recht hervor, dass hierdurch die Möglichkeit der Gemeinschuldnerin zur Erhaltung ihrer Liquidität durch Kreditaufnahme gegen Sicherheit faktisch ausgehebelt worden ist. Der in der Berufungsverhandlung noch einmal wiederholte Einwand des Beklagten, es habe sich nicht um das gesamte Inventar gehandelt, verfängt nicht, weil sich aus der zu den Akten gelangten, unbestrittenen Auflistung der sicherungsübereigneten Gegenstände (Bl. 32 ff. d.A.) ergibt, dass diese den ganz wesentlichen Teil der Hoteleinrichtung ausmachten.
bb)
Ebenso stellt die Aufhebung des Pachtvertrages der Gemeinschuldnerin über das Betriebsgrundstück für das T.-Hotel (mit Datum vom 20.03.1998 und Wirkung zum 31.03.1998) einen schwerwiegenden Eingriff dar. Der Gemeinschuldnerin wurde dadurch ihre wirtschaftliche Grundlage durch Entzug der Verfügungsgewalt über den Betriebsstandort des Hotels als wesentliches Sachmittel genommen. Derartige Eingriffe sind entgegen der vom Beklagten in der Berufungsinstanz vertretenen Auffassung ebenso wie der in den bisherigen BGH-Entscheidungen zum "Existenzvernichtenden Eingriff" behandelte Entzug liquider Mittel zu sanktionieren. Diese Maßnahmen überschreiten den Rahmen dessen, was bei einer Gesamtschau der widerstreitenden Interessen als noch vertretbare unternehmerische Entscheidung gewertet werden könnte. Der vom Beklagten erhobene Einwand, er habe als Eigentümer des Betriebsgrundstückes auf Pachten in Millionenhöhe verzichtet, überzeugt aus den zutreffenden Erwägungen des Landgerichts zu dieser Frage nicht. Der Beklagte konnte einen dauerhaften Erlass bzw. einen Verzicht gegenüber der Gemeinschuldnerin auf eventuell noch ausstehende Pachten für das Betriebsgrundstück ebensowenig schlüssig darlegen und beweisen wie die tatsächliche Auszahlung des Darlehens durch Dora W..
cc)
Der Beklagte wäre vielmehr verpflichtet gewesen, rechtzeitig ein geordnetes Liquidationsverfahren einzuleiten, in dem die Vermögenswerte der Gesellschaft vorrangig zur Befriedigung der Gläubiger verwendet worden wären. Die Notwendigkeit, sich mit den in erheblicher Höhe auflaufenden Forderungen der Hauptgläubigerinnen, der M. Brauerei L. GmbH und der T. L. GmbH & Co. KG, auseinanderzusetzen, war zu jener Zeit (im Frühjahr 1998) bereits absehbar.
dd)
Darüber hinaus kam es durch den Abschluss des Geschäftsbesorgungs- und Managementvertrages vom 31.03.1998 zwischen der Gemeinschuldnerin und der W.-Hotel-GmbH zu weiteren nachhaltigen Einschränkungen der wirtschaftlichen Selbständigkeit und damit der Liquidität der Gemeinschuldnerin. Auf die diesbezüglichen zutreffenden Ausführungen des Landgerichts wird Bezug genommen. Insbesondere der Geschäftsbesorgungs- und Managementvertrag vom 31.03.1998 nebst den hierzu vereinbarten Nachträgen begünstigte die W.-Hotel-GmbH unangemessen zu Lasten der Gemeinschuldnerin, weil sie dadurch zur einseitigen Herabsetzung der als Vergütung vereinbarten Umsatzbeteiligung berechtigt wurde. Im Zusammenhang mit der vorfristigen Aufhebung dieses Vertrages im Januar 2000 kam es schließlich -wenige Monate vor Insolvenzeröffnung - auch noch zum Entzug des gesamten Hotelpersonals, d.h. des letzten der Gemeinschuldnerin verbliebenen " Betriebskapitals".
b)
Des weiteren erstreckt das Landgericht die aufgrund der bisherigen Rechtsprechung zum "existenzvernichtenden Eingriff" allein für den unmittelbaren Gesellschafter einer GmbH - der existenzgefährdend auf deren Vermögen einwirkt - entwickelte Durchgriffshaftung zu Recht auf den Beklagten, obwohl dieser zur Zeit der (unter a)) geschilderten Eingriffshandlungen nur mittelbarer faktischer Gesellschafter der Gemeinschuldnerin war.
aa)
Das vom Beklagten zitierte grundlegende und wichtige Prinzip des Kapitalgesellschaftsrechts, der Grundsatz der Haftungsbeschränkung, wird hierdurch nicht unangemessen außer Kraft gesetzt. Eine Erstreckung der Durchgriffshaftung auf mittelbare faktische Gesellschafter, die unter Umgehung des unmittelbaren Gesellschafters eigentlich dem Gesellschafter zustehende Rechte, insbesondere Weisungsrechte und sonstige Einflussnahmemöglichkeiten zum Schaden der Gesellschaft ausüben, ist jedenfalls dann angezeigt, wenn anderenfalls gravierende Gläubigerschutzinteressen verletzt würden (Vetter, Rechtsfolgen existenzvernichtender Eingriffe, ZIP 2003, 601, 608; Karsten/Schmidt, a.a.O., NJW 2001, 3579).
bb)
Der Beklagte hat - wie das Landgericht zutreffend hervorhebt - als Gesellschafter der J.-GmbH und als Prokurist der Gemeinschuldnerin erheblich deren Interessen an der Erhaltung ihrer Liquidität und damit das Interesse ihrer Gläubiger verletzt, indem er durch systematischen Vermögensentzug deren masselose Insolvenz herbeigeführt hat. Er muss sich aufgrund seiner Stellung als Alleingesellschafter und alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der J.-GmbH, die 52 % der Geschäftsanteile der Gemeinschuldnerin hielt, wie ein Gesellschafter der Gemeinschuldnerin behandeln lassen, der allein und eigenverantwortlich deren Geschäfte führte. Außerdem konnte er wegen der erteilten Vollmacht auch über die weiteren 48 % der Geschäftsanteile der Gemeinschuldnerin, die seine Ehefrau hielt, verfügen und damit ganzheitlich herrschend auf die Gemeinschuldnerin einwirken.
Durch die Übernahme sämtlicher Geschäftsanteile an der J.-GmbH am 24.08.1998 erlangte er sodann die umfassende Herrschaft über die Gemeinschuldnerin. Daran änderte auch der Geschäftsführerwechsel bei der Gemeinschuldnerin nichts, weil der Beklagte als alleinvertretungsberechtigter Prokurist der Gemeinschuldnerin deren Geschäfte weiter lenkte.
Für die vor Übernahme aller Geschäftsanteile der J.-GmbH veranlassten Eingriffe in das Gesellschaftsvermögen der Gemeinschuldnerin, d.h. die Sicherungsübereignung des Hotelinventars, die Aufhebung des Pachtvertrages über das Betriebsgrundstück und den Abschluss des Geschäftsbesorgungs- und Managementvertrages vom 31.03.1998, ist der Durchgriff auf den Beklagten ebenfalls gerechtfertigt. Denn in jedem Fall setzte letztlich der Beklagte über von ihm selbst oder von seiner Mutter oder seiner Ehefrau gehaltene Vorratsgesellschaften die existenzvernichtenden Eingriffe mittelbar durch. Eine Ausklammerung des Beklagten als mittelbarer faktischer Gesellschafter von der Haftung müsste die Tolerierung einer bewussten Haftungsumgehung - in Widerstreit zu den Belangen eines effektiven Gläubigerschutzes - bedeuten.
c)
Ferner ist es durch die Eingriffshandlungen (vgl. oben a)) zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Fähigkeiten der ehemaligen A.- Gastronomie- Betriebsgesellschaft mbH gekommen, ihre Verbindlichkeiten ganz oder teilweise zu erfüllen. Diese führten in letzter Konsequenz - wie im Regelfall - zur Insolvenz. Ein weiteres Kausalitätserfordernis verlangt der BGH im Gegensatz zu der vom Beklagten vertretenen Auffassung im Rahmen des haftungsbegründenen Tatbestandes des existenzvernichtenden Eingriffes nicht (zum Haftungsumfang siehe unten 2.).
d)
Letztlich ist auch das Erfordernis eines Verschuldens des in Anspruch genommenen Gesellschafters als stillschweigend vorausgesetztes haftungsbegründendes Merkmal der Rechtsprechung zum existenzvernichtenden Eingriff erfüllt: Ausgehend von der teleologischen Reduktion des § 13 Abs. 2 GmbHG, die der BGH zur dogmatischen Begründung der Haftung heranzieht, ist darauf abzustellen, ob ein objektiver Missbrauch der Rechtsform der GmbH vorliegt (vgl. Vetter, a.a.O., ZIP 2003, 602, m.w.N. Fn. 15). Von einem derartigen Mißbrauch muß im zu beurteilenden Fall des bewussten Zwischenschaltens von Vorratsgesellschaften, die zeitweilig von Familienangehörigen des Beklagten gehalten wurden, ausgegangen werden.
2.
Der Beklagte haftet auf die klagegegenständlichen offenen Verbindlichkeiten der Großgläubigerinnen T. L. GmbH & Co. KG und Brauerei L. GmbH unbeschränkt.
a)
Zwar ist dem vom Beklagten in der Berufungsinstanz vorgetragenen Bedürfnis nach einer sinnvollen Haftungsbegrenzung des herrschenden Gesellschafters für den Fall seiner Inanspruchnahme nach den Grundsätzen zum existenzvernichtenden Eingriff grundsätzlich zuzustimmen. In Fällen, in denen sich - wie hier - der durch pflichtwidrige Eingriffe konkret verursachte Schaden für die Gesellschaft und damit für die Gläubiger jedoch nicht quantifizieren lässt, weil der in die Haftung genommene (faktische) Gesellschafter unter Missbrauch der Rechtsform der GmbH eine Vermögensvermischung veranlasst hat, ist aber nach Auffassung des Senats eine unbegrenzte Durchgriffshaftung gerechtfertigt.
b)
Folge einer (regelmäßig sinnvollen) Haftungsbeschränkung kann es jedenfalls nicht sein, dass Ansprüche von Gläubigern nur deshalb nicht durchgesetzt werden können, weil der Beitrag des pflichtwidrigen "Gesellschafter"handelns zum eingetretenen Schaden nicht nachgewiesen werden kann.
aa)
Steht fest, dass der Gesellschafter einen oder sogar mehrere existenzvernichtende Eingriffe vorgenommen hat, und ist lediglich unklar, welche Nachteile der Gesellschaft hierdurch beigebracht worden sind, spricht auf der Grundlage des vom BGH gewählten dogmatischen Ansatzes alles dafür, die Verteidigung des Gesellschafters damit, ein Schaden der Gesellschaft sei nicht durch ihn, sondern durch andere Umstände verursacht worden, materiell als von ihm zu beweisende Einwendung gegen den Anspruch des Gläubigers zu verstehen.
Wie auch ansonsten im Schadensersatzrecht - zu dem der Geschädigte grundsätzlich die Beweislast für die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des Schadensersatzanspruches hat (vgl. nur Palandt/Heinrichs, 62. Aufl., Vorb. v. § 249 BGB Rn. 162) - keineswegs unüblich, ist demnach eine Lösung der vom Beklagten (als mittelbaren Gesellschafter) geforderten Haftungsbeschränkung darin zu erkennen, dass er die Voraussetzungen seiner Exculpation zu begründen hat. Das Mittel dazu liegt - wie ansonsten auch - in gesetzlichen oder richterrechtlichen Beweiserleichterungen (vgl. darüber allgemein Palandt/Heinrichs, a.a.O., Vorb. v. § 249 BGB Rn. 162ff.) auf der einen Seite und einer Umkehr der Beweislast (vgl. darüber allgemein Palandt/Heinrichs, a.a.O., Vorb. v. § 249 BGB Rn. 173) auf der anderen Seite. Der Senat geht auf dieser Grundlage - unter den vorliegenden Umständen - davon aus, das dem Gläubiger zum Haftungsinstitut des "existenzgefährenden Eingriffs" (durch einen faktisch beherrschenden Gesellschafter) nicht nur Beweiserleichterungen zu Gute kommen, sondern spricht sich - in Übereinstimmung mit der auch in der Literatur vertretenen Ansicht - dafür aus, dass die Beweislast, das Risiko eines non liquet als auch die Darlegungslast, um sich aus der grundsätzlich unbeschränkten Haftung zu befreien, beim beherrschenden Gesellschafter liegt (ebenso Vetter, a.a.O., ZIP 2003, 612).
bb)
Um sich von einer Haftung für die klagegegenständlichen Verbindlichkeiten zu befreien, hätte der Beklagte folglich darzulegen und zu beweisen gehabt, dass die Gemeinschuldnerin auch ohne die seinerseits vorgenommenen zahlreichen pflichtwidrigen Eingriffe in deren Aktivvermögen insolvent geworden wäre, und dass die vorgenannten Verbindlichkeiten ebenso aufgelaufen wären. Mit einem solchen Vorbringen ist der Beklagte, dem dieser in der Lit. und Rspr. begründete Ansatz für eine Eingrenzung der unbeschränkten Haftung im Falle der Inanspruchnabme wegen eines "existenzvernichtenden Eingriffs" bekannt gewesen ist (denn er stützt sich für die von ihm vertretene Ansicht selbst auf die zitierte Literaturstimme [Vetter, ZIP 2003, 601]), und dem diese Beurteilung der Darlegungs- und Beweislastverteilung auch durch den Senat nochmals in der mündlichen Verhandlung vom 19.11.2003 erläutert worden ist, jedoch nicht hervorgetreten. Es stand hierbei allerdings auch nicht zu erwarten, dass dem Beklagten aufgrund der Vielzahl und der Zielgerichtetheit der dargestellten bestandsvernichtenden Eingriffe, die letztlich zu einem Entzug sämtlichen Aktivvermögens der Gemeinschuldnerin geführt haben, solches überhaupt möglich gewesen wäre.
3.
Das Vorliegen der Voraussetzungen der vom Landgericht noch weiterhin erwähnten Haftungstatbestände nach Deliktsrecht (§ 826 BGB) und nach GmbH-Recht (§§ 43 Abs. 2, 64 Abs. 2 GmbHG, persönliche Haftung des Geschäftsführers bei Obliegenheitsverletzung bzw. bei Verletzung der Insolvenzantragspflicht) bedarf keiner Klärung durch den Senat, da die Haftung des Beklagten in streitgegenständlicher Höhe sich nach allem bereits nach den Grundsätzen des Bundesgerichtshofes über den "existenzvernichtenden Eingriff" begründet.
II.
1.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
2.
Da die angegriffene Entscheidung in eine Zeit der Änderung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Haftung des beherrschenden GmbH-Gesellschafters für schuldhafte Eingriffe in den Bestandsschutz der GmbH fällt, und weil auch unter Berücksichtigung der mit der "Bremer Vulkan-Entscheidung" des BGH eingeleiteten Abkehr vom "Konzernhaftungsprinzip" die hier streitentscheidende Frage einer Ausdehnung der Haftungskriterien auf den "nur" mittelbaren faktischen Gesellschafter einer GmbH nach wie vor höchstrichterlich ungeklärt erscheint, lässt der Senat die Revision gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur Rechtsfortbildung und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu.
Ende der Entscheidung
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