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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Urteil verkündet am 02.11.2006
Aktenzeichen: 7 U 109/05
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, AVBWasser


Vorschriften:

ZPO § 320 Abs. 4
ZPO § 717
ZPO § 916
ZPO § 935
ZPO § 945
ZPO § 945 Alt. 1
BGB §§ 249 ff.
BGB § 398
BGB § 891
BGB §§ 905 ff.
BGB § 920
BGB § 920 Abs. 1
AVBWasser § 8 Abs. 1 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

7 U 109/05

Verkündet am: 02.11.2006

In dem Rechtsstreit

hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. J., den Richter am Oberlandesgericht B. und den Richter am Amtsgericht Dr. W.

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14.09.2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des beklagten Vereins wird das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 16.08.2005 dahin abgeändert, dass die Klage abgewiesen wird.

Die Kosten des Rechtsstreits I. und II. Instanz trägt das klagende Amt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; dem klagenden Amt wird nachgelassen, die Vollstreckung durch den beklagten Verein durch Sicherheitsleistung i. H. v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der beklagte Verein zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nach Maßgabe der Gründe zugelassen.

Gründe:

I.

Das klagende Amt verlangt vom beklagten Verein Schadensersatz für die Vollziehung einer einstweiligen Verfügung mit der Begründung, diese sei ungerechtfertigt gewesen.

Der beklagte Verein, der als gemeinnütziger Verein mit 30 Beschäftigten rund 30 Behinderte betreut, ist Eigentümer der Flurstücke 42/5 und 42/10. Das als Kreisstraße genutzte Flurstück 41/1 steht im Eigentum des Landkreises M.-S.. Ursprünglich bis zu einer Enteignung im Jahre 1949 war der beklagte Verein auch Eigentümer dieses Flurstücks. Die ungefähre Lage der Flurstücke zueinander ergibt sich aus dem Lageplan der Gemarkung D.. Der Grenzverlauf im Kurvenbereich der Straße ist zwischen den Parteien streitig.

Ausweislich eines Abstimmungsprotokolls der N. GmbH N. und der Kreisstraßenmeisterei N. vom 12.10.1998 hat die geplante Abwasserdruckrohrleitung von D. nach S. nur auf der linken Straßenseite, aus Richtung S. gesehen, verlegt werden sollen, da die andere Straßenseite bzw. der unbefestigte Randstreifen zwischen Straße und Waldkante von der Kreisstraßenmeisterei für eine mögliche Straßenerweiterung beansprucht werde; vom klagenden Amt seien mit der Kreisstraßenmeisterei Straßennutzungsverträge bzw. Gestattungsverträge abzuschließen. Unter dem 04.04./11.04.2000 schlossen das klagende Amt und der Landkreis M.-S. einen Nutzungsvertrag hinsichtlich der Kreisstraße. Dem klagenden Amt wurde gestattet,

"nach Maßgabe der nachstehend allgemeinen Bestimmungen das Straßeneigentum der Kreisstraße 6 für die Errichtung einer Abwasserdruckrohrleitung linksseitig an der freien Strecke im Abschnitt 10 der K 6 zwischen den Ortsdurchfahrten S. und D. zu benutzen."

Das klagende Amt plante eine Pumpstation, um u. a. die Gebäude des beklagten Vereins an die Schmutzwasserentsorgungsanlage anzuschließen. Mittels der Pumpstation sollte das gesammelte Schmutzwasser auf eine höhere Ebene gepumpt werden, um es von dort abzuführen. Ein Leistungsverzeichnis vom 20.12.2001 sah unter Pos. 5.1.130. diesbezüglich folgende Leistungen vor:

"Boden der Baugrube für Pumpwerk einschl. Verbauen nach DIN 18303, profilgerecht ausheben, seitliche Lagerung des Aushubs nicht möglich. Verfüllen und Verdichten, Bodenverdrängung über 30 - 40 %, verdrängter Boden wird Eigentum des AN und ist zu beseitigen, Aushubtiefe bis 3,50 m, Aushubgrundfläche über 10 - 16 m².

..."

Unter Pos. 5.1.140. heißt es u.a.:

"Schachtring nach DIN 4034, außen verkieselt, Abdeckplatte (SLW 60) mit einer Einstiegsöffnung 800 x 1000 mm"

Der geplante Standort für die Pumpstation ergibt sich aus dem Lageplan der Gemarkung D. vom 15.03.2003; dieser vom klagenden Amt behaupteten geplanten Positionierung der Pumpstation ist der beklagte Verein nicht entgegengetreten.

Unter dem 18.03.2002 fertigte der öffentlich bestellte Vermessungsingenieur T. eine Grenzniederschrift und legte in derselben den Grenzverlauf fest. Beim Ortstermin war das klagende Amt durch den Bauamtsleiter R. und der beklagte Verein durch Frau Rechtsanwältin D. vertreten. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ablichtung der Grenzniederschrift Bl. 15/15 R der beigezogenen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Beiakte AG Neustrelitz 8 C 81/02 verwiesen. Auf Widerspruch des beklagten Vereins hielt der öffentlich bestellte Vermessungsingenieur T. die Grenzniederschrift nicht aufrecht. Zur Begründung wird auf seine unter dem 20.06.2002 abgegebene eidesstattliche Versicherung verwiesen.

Mit Schreiben vom 29.04.2002 teilte das klagende Amt, vertreten durch Bauamtsleiter R., dem beklagten Verein Folgendes mit:

"... Hiermit möchte ich Ihnen mitteilen, dass die Arbeiten zum Bau der Ortsentwässerung S., hier speziell der Pumpstation S., zum 13. Mai 2002 wieder aufgenommen werden. Das Pumpwerk wird, wie Ihnen im Vor-Ort-Termin vom 18.04. bekannt gegeben, direkt hinter dem Straßenbord an der unteren Ecke der Parkfläche gesetzt werden."

Hieraufhin beantragte der beklagte Verein beim Verwaltungsgericht Greifswald den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das klagende Amt des Inhalts, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die Aufnahme der Arbeiten zum Bau der Ortsentwässerung S., speziell der Pumpstation S., bis zum Abschluss des Klageverfahrens zu unterlassen.

Das Verwaltungsgericht Greifswald lehnte den Antrag mit Beschluss vom 10.05.2002 ab. Zur Begründung führte es u.a. aus: Als Grundlage für den erhobenen Unterlassungsanspruch komme allein das zivilrechtliche Eigentum des Antragstellers in Betracht, was dieser auch ausschließlich geltend mache. Der Erfolg des Antrages setze daher die Glaubhaftmachung voraus, dass der Teil der Erdoberfläche, auf der die Pumpstation S. errichtet werden solle, im Eigentum des Antragstellers stehe. Dies lasse sich der Antragsschrift nicht einmal ansatzweise entnehmen. Auch aus den vorgelegten Lichtbildern von der Örtlichkeit könne das Gericht nicht auf irgendwelche Eigentumsverhältnisse schließen. Eine andere Entscheidung des Gerichts sei auch nicht aus der vom Antragsteller angefochtenen und nach seiner Auffassung fehlerhaft erfolgten Grenzfeststellung gerechtfertigt, da auch hieraus nicht auf sein Eigentum an der Grundstücksfläche geschlossen werden könne.

Mit Antragsschriftsatz vom 14.05.2002 erwirkte der beklagte Verein beim Amtsgericht Neustrelitz mit demselben Vorbringen wie im vorangegangenen verwaltungsgerichtlichen Verfahren den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das klagende Amt folgenden Inhalts:

"Der Antragsgegner (= das klagende Amt) hat es zu unterlassen, auf dem Grundstück 42/5 und 42/10 Arbeiten sowie in deren Grenzbereich zum Flurstück 42/1, also dem gesamten Parkplatzbereich und zwischen den dort aufstehenden Bäumen zum Bau der Ortsentwässerung S., hier speziell der Pumpstation S., durchzuführen oder durchführen zu lassen."

Der beklagte Verein ließ diese einstweilige Verfügung am 16.05.2002 dem klagenden Amt zustellen. Auf Widerspruch des klagenden Amtes hielt das Amtsgericht Neustrelitz mit Urteil vom 01.07.2002 die einstweilige Verfügung aufrecht. Im Laufe des auf Berufung des klagenden Amtes durchgeführten Berufungsverfahrens erklärten die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt, nachdem das klagende Amt die Pumpstation an anderer Stelle hatte errichten lassen und das Oberlandesgericht Rostock die Ansicht des Landgerichts Neubrandenburg bestätigt hatte, dass der Rechtsweg zu den Zivilgerichten eröffnet gewesen sei.

Das klagende Amt hat erstinstanzlich geltend gemacht, die einstweilige Verfügung sei ungerechtfertigt gewesen, wodurch ihm ein Schaden in Gestalt von ihm in Rechnung gestellten und von ihm gezahlten Vorhaltekosten entstanden sei. Das Landgericht hat der Klage im vollen Umfang stattgegeben. Wegen des Sach- und Streitstandes I. Instanz und der das Urteil tragenden Gründe wird auf das angegriffene Urteil des Landgerichts Neubrandenburg verwiesen.

Der beklagte Verein hat Berufung eingelegt, die er unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens wie folgt begründet:

Im Rahmen des § 945 ZPO sei es irrelevant, ob eine Prozessvoraussetzung oder eine hinreichende Glaubhaftmachung für die einstweilige Verfügung gefehlt habe. Entscheidend sei, ob die einstweilige Verfügung materiell-rechtlich hätte erlassen werden dürfen. Zudem stehe aufgrund des einstweiligen Verfügungsverfahrens fest, dass der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben gewesen sei. Und schließlich sei der Zivilrechtsweg eröffnet gewesen, weil der beklagte Verein Eigentums- und Besitzschutzansprüche habe geltend machen können.

Der Verfügungsanspruch ergebe sich schon aus Folgendem: Zwar sei das Eigentum und der Besitz bezüglich der streitgegenständlichen Grundstücksfläche streitig gewesen. Aber dies habe das klagende Amt nicht berechtigt, einseitig eine Veränderung der Verhältnisse durch Realisierung eines Bauvorhabens herbeizuführen. Auch aufgrund des nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses sei das klagende Amt verpflichtet gewesen, die Bauarbeiten bis zur Klärung des streitigen Grenzverlaufs einzustellen. Dies habe der Bauamtsleiter des klagenden Amtes, Herr R., auch zugesagt; von dieser Zusage einseitig abzurücken, sei er nicht berechtigt gewesen. Schließlich ergebe sich ein Verfügungsanspruch aus der Überlegung, dass das klagende Amt die bestehende Grenzunsicherheit zwischen Dritten - nämlich dem beklagten Verein und dem Landkreis M.-S. - nicht als Berechtigung zum Eingriff auf ein zwischen den betroffenen Grenzanliegern unstreitiges Privatgrundstück des Berufungsklägers habe nutzen dürfen.

Zudem hätten dem beklagten Verein Besitzschutzansprüche zugestanden. Er habe das Gelände, das die ursprünglich geplante Pumpstation trangiert hätte, als Parkplatz für seine Mitarbeiter und Besucher genutzt. Seine Mitarbeiter hätten diesen Parkplatz mit Schotter befestigt und pflegten ihn auch. Nutzung und Besitz durch bzw. des beklagten Vereins seien offenkundig gewesen infolge der Nähe des Parkplatzes zu den Gebäuden des beklagten Vereins.

Auch sein Eigentum wäre durch die Realisierung der Pumpstation im ursprünglich geplanten Sinne beeinträchtigt worden. Die Grundstücksgrenze werde durch die Kantsteine der Straße festgelegt. Allenfalls noch ein kleiner Randstreifen von ca. 30 cm gehöre zur Straße und stehe nicht in seinem Eigentum. Seit jeher habe Einigkeit zwischen den betroffenen Grundstückseigentümern bestanden, dass Rechte des Landkreises M.-S. an der Fläche jenseits der Kantsteine nicht bestünden. Die ursprünglich geplante Pumpstation hätte deshalb das Eigentum des beklagten Vereins nicht unberührt lassen können.

Die Pumpstation selbst hätte eine Fläche von 2,7 m x 6 m umfasst und damit zwingend das Grundstück des beklagten Vereins tangiert. Gleiches gelte für die notwendigen Bauarbeiten im Zusammenhang mit der Errichtung der Pumpstation. Zudem wäre das Wurzelwerk der Bäume geschädigt worden.

Wie Recht der beklagte Verein mit seiner Einschätzung des Grenzverlaufs habe, zeige der Umstand, dass er sich mittlerweile mit dem Landkreis M.-S. dahin verständigt habe, dass im streitgegenständlichen Bereich die Bordsteinkante die Grenze der Flurstücke bilde.

Das klagende Amt habe mangels ausreichender Planung und erforderlicher Genehmigungen die Pumpstation ohnedies nicht errichten dürfen und auch nicht errichten können. Deshalb beruhe ein etwaiger Schaden nicht auf dem Vollzug der einstweiligen Verfügung.

Die Höhe des geltend gemachten Schadens werde bestritten.

Der beklagte Verein beantragt,

das am 16.08.2005 verkündete Urteil des Landgerichts Neubrandenburg wird aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Das klagende Amt beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Es verteidigt das angegriffene Urteil ebenfalls unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens.

Die Errichtung der Pumpstation an der ursprünglich geplanten Stelle wäre möglich gewesen, ohne die von dem beklagten Verein als Parkplatz genutzte Fläche zu berühren. Es hätte lediglich ein Baum gefällt werden müssen, die erforderlichen Genehmigungen hätten vorgelegen bzw. wären erteilt worden. Die Unterlassungsverfügung habe sich ersichtlich auf den Bereich bezogen, in dem die Pumpstation hätte errichtet werden sollen. Dieser Bereich habe noch zur Straßenfläche gehört. Der Außendurchmesser der Pumpstation habe sich auf nur rund 1,5 m belaufen. Danach hätte die Pumpstation ober- und unterirdisch das Eigentum und den Besitz des beklagten Vereins unberührt gelassen.

Das klagende Amt verweist darauf, dass der beklagte Verein zugestehe, dass das Eigentum an der streitgegenständlichen Grundstücksfläche streitig gewesen sei. Er leite hieraus die unzutreffende Rechtsauffassung ab, dass das klagende Amt deshalb nicht berechtigt gewesen sei, die vorhandenen Verhältnisse einseitig zu verändern.

Das klagende Amt legt detailliert dar, weshalb die als Schaden geltend gemachten Vorhaltekosten nicht vermeidbar gewesen seien und dass die Vorhaltekosten zu Recht von ihrer Auftragnehmerin in Rechnung gestellt worden seien. Bezüglich der vor Vollzug der einstweiligen Verfügung angefallenen Kosten ergebe sich ein Anspruch aus allgemeinen gesetzlichen Vorschriften.

Der Senat hat auf der Grundlage des Beweisbeschlusses vom 11.07.2006 den öffentlich bestellten Vermessungsingenieur T. als Sachverständigen angehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Terminsprotokoll vom 14.09.2006 verwiesen. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 14.09.2006 ist nicht nur die Frage des Schadens ausführlich erörtert worden, sondern auch die schon im Hinweisschreiben vom 10.05.2006 aufgeworfene Frage, wie die Grenzverwirrung aufzulösen ist und welche Konsequenzen sich hieraus für den geltend gemachten Anspruch aus § 945 ZPO ergeben; eine Protokollierung ist versehentlich unterblieben.

II.

Die zulässige Berufung ist begründet, weil die zulässige Klage (zur Parteifähigkeit und Vertretung des klagenden Amtes vgl. §§ 122 Abs. 2 Satz 1, 143 Abs. 1 Kommunalverfassung Mecklenburg-Vorpommern) unbegründet ist. Dem klagenden Amt steht der geltend gemachte Schadensersatz weder aus § 945 ZPO noch aus einer gesetzlichen Anspruchsgrundlage wegen einer Eigentums- oder Besitzstörung zu.

1.

Maßgeblich für einen Schadensersatzanspruch aus § 945 1. Alt. ZPO sind folgende Grundsätze:

a.

Entscheidend ist zunächst, ob die Voraussetzungen für die einstweilige Verfügung zur Zeit ihres Erlasses erfüllt gewesen sind, d.h. ob dem früheren Verfügungskläger und späteren Beklagten im Schadensersatzprozess ein Verfügungsanspruch zugestanden hat und ob ein Verfügungsgrund gegeben gewesen ist (Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 22. Aufl., § 945 Rn. 17 m.w.N.). Dies beurteilt sich nach der objektiven Rechtslage und nicht danach, was die Parteien im Verfügungsverfahren vorgetragen haben. Der Beklagte ist in seinem Vortrag zur Abwendung des Schadensersatzverlangens nicht darauf beschränkt darzulegen, dass die im einstweiligen Verfügungsverfahren vorgebrachten und glaubhaft gemachten Tatsachen den Erlass der einstweiligen Verfügung als gerechtfertigt haben erscheinen lassen. Ihm steht es vielmehr frei, den Vortrag zur Darlegung seiner im einstweiligen Verfügungsverfahren verfolgten Rechte zu erweitern und über die Mittel der Glaubhaftmachung hinaus neue Beweisangebote zu unterbreiten. Derjenige, welcher eine einstweilige Verfügung erwirkt hat, haftet nicht schon deshalb auf Schadensersatz gem. § 945 Alt. 1 ZPO, weil sein Vorbringen und seine Mittel zur Glaubhaftmachung zum Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung deren Erlass aus der Sicht des Schadensersatzrichters nicht zu begründen vermögen. Die Haftung aufgrund § 945 Alt. 1 ZPO ist nur gerechtfertigt, wenn es sich aufgrund der im Hauptsacheverfahren bzw. im Schadensersatzprozess gewonnenen Erkenntnisse erweist, dass die einstweilige Verfügung im Zeitpunkt ihres Erlasses - unabhängig vom Stand des Parteivorbringens zu diesem Zeitpunkt - der materiellen Rechtslage nicht entsprochen hat.

Der beklagten Partei im Schadensersatzprozess, welche eine Schadensersatzhaftung aus § 945 ZPO wegen der Vollziehung einer von Anfang an ungerechtfertigten einstweiligen Entscheidung gem. §§ 916 , 935 ZPO abwenden will, obliegt dabei die Darlegungs- und Beweislast, die Berechtigung ihres einstweiligen Rechtsschutzbegehrens nachzuweisen. Diese Lastverteilung ergibt sich aus den Besonderheiten des Anspruchs nach § 945 ZPO, für dessen Beurteilung es maßgebend darauf ankommt, ob die von der beklagten Partei in Anspruch genommenen Rechte ex post betrachtet den Erlass der einstweiligen Verfügung haben rechtfertigen können. Die Rechtssätze über die Beweislast werden heute allgemein nicht als prozessual angesehen, sondern dem materiellen Recht zugeordnet, mit der Folge, dass derjenige, der - wie hier der beklagte Verein - sich eines Rechts berühmt, auch dessen Voraussetzungen darzulegen und zu beweisen hat (vgl. u.a. BGH, Urt. v. 28.11.1991, I ZR 297/89, NJW-RR 1992, 998, 1001 m.w.N.).

b.

Problematisch ist, ob auch das Fehlen einer Prozessvoraussetzung ausreicht, die Rechtswidrigkeit im vorgenannten Sinne zu begründen. Die Frage stellt sich vorliegend aus zwei Gründen. Zum einen hat das Landgericht einen Anspruch aus § 945 1. Alt. ZPO bejaht unter Hinweis darauf, dass der ordentliche Rechtsweg nicht eröffnet gewesen sei. Zum anderen stellt sich die erst im Berufungsverfahren offenbar gewordene Frage, ob dem einstweiligen Verfügungsverfahren nicht der Einwand anderweitiger Rechtshängigkeit bzw. Rechtskraft entgegengestanden hat. Nach ganz herrschender Ansicht würde die Unzulässigkeit des Rechtswegs einen Anspruch aus § 945 ZPO nicht hindern (vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 09.11.1983, 6 U 252/82, BB 1984, 1389, 1390 betr. die Anrufung eines unzuständigen Gerichts [Amtsgericht statt Landgericht]; Stein/Jonas/Grunsky, a.a.O., § 945 Rn. 21 m.w.N.). Ob Entsprechendes für nicht verzichtbare Rügen gilt und insbesondere den Einwand anderweitiger Rechtshängigkeit bzw. Rechtskraft, ist bislang - soweit ersichtlich - nicht erörtert worden. Bei der vorliegenden Fallgestaltung bedürfte es nicht nur der Klärung, ob eine Entscheidung in einem einstweiligen Verfügungsverfahren überhaupt der Rechtskraft fähig ist (vgl. grds. bejahend Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., Vor § 916 Rn. 13 m.w.N. auch zur Gegenansicht), sondern auch, ob eine Rechtskraft rechtswegübergreifend beachtlich ist (vgl. hierzu Zöller/Vollkommer, a.a.O., Vor § 322 Rn. 10 f. m.w.N.). Zum Teil wird vertreten, das Fehlen einer Sachurteilsvoraussetzung begründe den Tatbestand des § 945 ZPO schon deshalb, weil § 945 ZPO dem Gläubiger das volle Risiko für die Vollstreckung aus einem noch nicht rechtskräftigen Titel aufbürde; unabhängig von der materiellen Rechtslage sei es vertretbar, ihn das Haftungsrisiko tragen zu lassen. "§ 945 ZPO beruht ebenso wie § 717 ZPO auf dem Rechtsgedanken, derjenige, der die Vollstreckung aus einem noch nicht endgültigen Titel betreibe, habe das Risiko zu tragen, daß sich sein Vorgehen nachträglich als unberechtigt erweist" (BGH Urt. v. 02.11.1995, IX ZR 141/94, MDR 1996, 452). Dem wird entgegengehalten, es müsse allein entscheidend sein, ob Anordnung und Vollziehung von Beginn an im Widerspruch zur materiellen Rechtslage gestanden hätten; es verwirkliche sich bei einer materiell gerechtfertigten einstweiligen Verfügung nicht das mit dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren verbundene typisches Risiko einer unsicheren Grundlage der Entscheidung (vgl. hierzu Schilken, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Bd III (2000), S. 593, 607 f. m.w.N.). Diese Fragen bedürfen vorliegend - wie noch zu zeigen sein wird - keiner Entscheidung.

c.

Ist von einer ungerechtfertigten einstweiligen Verfügung i.S.d. § 945 1. Alt. ZPO auszugehen, muss der frühere Verfügungsgläubiger und jetzige Beklagte im Schadensersatzprozess grundsätzlich den durch die Vollziehung der einstweiligen Verfügung adäquat-kausal verursachten, unmittelbaren oder mittelbaren Schaden einschließlich des infolge des Vollzugs von Verbotsverfügungen entgangenen Gewinns des Schuldners ersetzen. Für die Bemessung des Schadens nach § 945 ZPO gelten die allgemeinen Grundsätze der §§ 249 ff. BGB (vgl. u.a. BGH, Urt. 20.07.2006, IX ZR 94/03, NJW 2006, 2767, 2768 m.w.N.).

Vor allem im Wettberwerbsrecht ist darüber hinaus aber auch anerkannt, dass in den Fällen, in denen eine einstweilige Verfügung ein auf einem Unterlassungsanspruch beruhendes Verbot zum Gegenstand hatte, die Nachprüfung der materiellen Rechtslage auch unter dem Gesichtspunkt möglich ist, daß dem Betroffenen durch die Vollziehung der einstweiligen Verfügung kein nach § 945 ZPO zu ersetzender Schaden erwachsen sein kann, wenn er ohnehin materiell-rechtlich verpflichtet gewesen wäre, die ihm durch die einstweilige Verfügung untersagte Handlung zu unterlassen ( vgl. u.a. BGH, Urt. v. 07.07.1994, I ZR 63/92, NJW 1994, 2765 ff. unter II. 3 a) m.w.N.). Ob diese Erwägung dahin zu verstehen ist, dass es schon am Tatbestand des § 945 1. Alt. ZPO fehlt, oder ob sie eine solche ist, die der Rechtsfolgenseite, also beim Schaden relevant ist, weil ein materiell gebotenes Verhalten nicht schadensbegründend sein kann (vgl. Schilken, a.a.O., S. 603 f.), kann dahinstehen.

Der Senat erachtet diese Überlegungen für überzeugend und auch im vorliegenden Fall für entscheidend. Das Schadensersatzrecht gemäß §§ 249 ff. BGB beruht auf dem Ausgleichsgedanken. Die Schadensersatzleistung soll ungerechtfertigte Nachteile ausgleichen. Das Unterlassen einer verbotenen Handlung entspricht der Rechtsordnung und kann keine ausgleichspflichtigen Nachteile bedingen. Anderenfalls würde sich ein Wertungswiderspruch ergeben, der darin bestünde, dass aus einem verbotenen Verhalten ein Vorteil hergeleitet würde.

d.

Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung ist im Streitfall die Möglichkeit der Schadensentstehung zu verneinen. Bezüglich der von der Pumpstation betroffenen Fläche hat eine Grenzverwirrung vorgelegen, die nicht sicher dahin aufgelöst werden kann, dass die Pumpstation auf einer Grundstücksfläche hat errichtet werden sollen, die noch vom Eigentum am Straßengrundstück umfasst gewesen ist (vgl. unten 2.). Auf Grund des nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses ist es dem klagenden Amt deshalb unter Berücksichtigung aller Umstände nicht erlaubt gewesen, mit dem Bau der Pumpstation an der ursprünglich vorgesehenen Stelle zu beginnen und den Besitz insoweit einseitig und dauerhaft an sich zu reißen (vgl. 3.). Eine Duldungspflicht des beklagten Vereins aus anderen Gründen, die Inbesitznahme durch das klagende Amt vor Auflösung der Grenzverwirrung hinzunehmen, ist nicht gegeben (vgl. 4.). Die Frage, ob das Fehlen einer Sachurteilsvoraussetzung für eine einstweilige Verfügung einen Schadensersatzanspruch begründen kann, bedarf keiner Beantwortung.

2.

Nach der Beweisaufnahme hat sich ein exakter Grenzverlauf, der einen sicheren Schluss darauf zulässt, ob die geplante Pumpstation (vgl. zur örtlichen Planung der Pumpstation Bl. 314 d. A.) auf dem Eigentum des beklagten Vereins oder auf dem Straßeneigentum des Landkreises M.-S. hat errichtet werden sollen, nicht feststellen lassen; insoweit muss von einer Grenzverwirrung ausgegangen werden.

Der Grenzverlauf im Kurvenbereich der Kreisstraße zwischen dem im Eigentum des Landkreises M.-S. stehenden Flurstücks 41/1 und den im Eigentum des beklagten Vereins stehenden Flurstücken 42/5 und 42/10 kann nicht zweifelsfrei bestimmt werden. Weder aus dem Grundbuch noch aus dem Liegenschaftskataster ergeben sich hinreichend sichere Anhaltspunkte, so dass sich auch keine der Parteien auf die Vermutungswirkung des § 891 BGB berufen kann (vgl. zur diesbezüglichen Richtigkeitsvermutung BGH, Urt. v. 02.12.2005, V ZR 11/05, NJW-RR 2006, 662 ff.).

Der Sachverständige T. hat im Rahmen seiner mündlichen Gutachtenerstattung am 14.09.2006 ausgeführt, dass Flurkarte und Katasterzahlenwerk in ihrer Genese Widersprüche und Ungereimtheiten aufwiesen. Diese könne er nicht gänzlich und widerspruchsfrei auflösen. Damit fehlten ihm hinreichende Grenzpunkte, um den inneren Verlauf der Straßenkurve im Wege einer sogenannten Transformation sicher festlegen zu können. Die feststehenden Grenzpunkte beträfen den äußeren Verlauf. Nach seiner Einschätzung blieben letztlich Ungenauigkeiten auch im streitgegenständlichen Bereich von ca. 2 m übrig, die er nicht restlos klären könne.

Der Senat erachtet diese Ausführungen für überzeugend. Eine ergänzende schriftliche Begutachtung durch diesen oder einen anderen Sachverständigen ist nicht angezeigt. Der Sachverständige hat zunächst die Methode der Festlegung eines Grenzverlaufs durch Transformation nachvollziehbar beschrieben. Seine Annahme, dass die Flurkarten und Katasterzahlenwerke in ihrer Genese nicht konsistent seien, hat er im Rahmen der Beweisaufnahme durch Vorlage der Urkunden und ihren Vergleich anschaulich gemacht. Letztlich lässt sich - wie der Sachverständige dargelegt hat, was nur versehentlich nicht protokolliert worden ist - schon aufgrund der zeichnerischen Ungenauigkeit der Urkunden und der unvermeidbaren Übertragungsfehler bei einer Transformation aus Lageplänen mit einem Maßstab von 1 : 500 in die Wirklichkeit ein Grenzverlauf ohne Varianzen von bis zu 2 m nicht feststellen.

Es bleibt nach alledem nur die denkbare Möglichkeit, dass sich aus dem tatsächlichen Straßenverlauf bzw. aus den Besitzverhältnissen anderer Art ein hinreichend sicherer Grenzverlauf herleiten ließe. Aber auch diese Möglichkeit ist nicht verifizierbar. Nach den örtlichen Gegebenheiten ist es nicht feststellbar, dass die geplante Örtlichkeit für die Pumpstation noch innerhalb des Randstreifens liegt, der nach den sachverständigen Ausführungen stets zu einem Straßengrundstück gehört. Nach dem maßgeblichen Lageplan, den das klagende Amt für seine Planung der Pumpstation zugrunde gelegt hat, hat sich die Ausdehnung der Pumpstation jedenfalls nicht nur auf den Randstreifen beschränkt. Ein zu einem Straßengrundstück gehörender Randstreifen von 2 m Breite wäre auch denkbar ungewöhnlich. Vielmehr fällt auf, dass das klagende Amt für seine Behauptung, die Errichtung der Pumpstation an der geplanten Stelle tangiere das Eigentum des beklagten Vereins nicht, auf einen eckigen Grenzverlauf abstellt, der dem kurvigen Straßenverlauf nicht entsprochen haben kann.

Nach alledem kann der Senat jedenfalls nicht ausschließen, dass das klagende Amt in eine ungeklärte Grenzlage hinein die Pumpstation hat errichten wollen.

3.

Die Pflicht des klagenden Amtes vor Auflösung der Grenzverwirrung keine vollendete Tatsachen durch Errichtung einer Pumpstation zu schaffen, ergibt sich aus dem Gesichtspunkt des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses.

a.

Die Rechte und Pflichten von Grundstücksnachbarn haben insbesondere durch die Vorschriften der §§ 905 ff. BGB und die Bestimmungen der Nachbarrechtsgesetze der Länder eine ins einzelne gehende Sonderregelung erfahren. Auch auf sie ist allerdings der allgemeine Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) anzuwenden, zumal es in Mecklenburg-Vorpommern an einem Nachbarrechtsgesetz mangelt; daraus folgt für die Nachbarn eine Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme, deren Auswirkungen auf den konkreten Fall man unter dem Begriff des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses zusammenfaßt. Eine solche Pflicht zur Rücksichtnahme ist zwar mit Hinblick auf die nachbarrechtlichen Sonderregelungen eine Ausnahme und kann nur dann zur Anwendung kommen, wenn ein über die gesetzliche Regelung hinausgehender billiger Ausgleich der widerstreitenden Interessen dringend geboten erscheint. Wenn diese Bedingungen vorliegen, kann die Ausübung eines Anspruchs unter Berücksichtigung der Interessen der Nachbarn unzulässig sein (vgl. u.a. BGH, Urt. 31.01.2003, V ZR 143/02, NJW 2003, 1392, 1393 m.w.N.).

Die Rücksichtnahme kann soweit gehen, dass ein Eigentümer sogar bei Baumaßnahmen auf seinem eigenen Grund und Boden eine alternative Planung zu wählen gehalten ist, die auch die Interessen des Nachbarn berücksichtigt. Auch wenn es keinen allgemeinen Rechtssatz gibt, daß ein Grundstückseigentümer beim Bestehen verschiedener gleichwertiger Möglichkeiten für die Nutzung seines Grundstücks stets diejenige wählen muß, die seinen Nachbarn nicht schädigt, so ist doch nach den Umständen des Einzelfalls zu entscheiden, ob eine Einschränkung des an sich bestehenden Rechts des Eigentümers, sein Grundstück nach seinem Ermessen auszunutzen, ausnahmsweise mit Rücksicht auf die sonst den Nachbarn treffenden ungewöhnlich schweren Nachteile bejaht werden muß (BGH, Urt. v. 11.07.2003, V ZR 199/02, NJW-RR 2003, 1313). Umso mehr gilt das Rücksichtnahmegebot bei der Realisierung von Baumaßnahmen in einem Bereich der Grenzverwirrung.

b.

Obwohl das klagende Amt nicht Eigentümerin der benachbarten Straßenfläche gewesen ist, unterliegt es dem Rücksichtnahmegebot aus dem nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnis. Seine Befugnis zur Errichtung der Pumpstation an der ursprünglich geplanten Stelle leitet es aus dem Nutzungsvertrag her, den es mit dem Landkreis M.-S. geschlossen hat. Seine Rechte, aber auch seine Pflichten können nicht weiter gehen als die des Landkreises.

c.

Im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung und Risikoverteilung verkennt der Senat nicht, dass die Beeinträchtigung des beklagten Vereins und insbesondere sein Betrieb durch die Baumaßnahme nicht gravierend gestört worden wäre. Dem steht aber entgegen, dass eine unbedingte Notwendigkeit, die Pumpstation in dem Bereich der Grenzverwirrung und vor deren endgültiger Klärung zu errichten, nicht zu erkennen ist. Dies belegt schon der Umstand, dass der Nutzungsvertrag vom 04./11.04.2000 und die vorausgegangene Abstimmung vom 12.10.1998 von der Notwendigkeit ausgeht, die geplante Abwasserdruckrohrleitung von D. nach Seewalde auf der linken Straßenseite aus Richtung S. gesehen zu verlegen; diese Straßenseite ist im Kurvenbereich die äußere Straßenseite, die der Bushaltebucht gegenüberliegt. Es hätte nahegelegen, jedenfalls wäre es aber möglich gewesen wie die spätere Realisierung des Vorhabens zeigt, auf dieser Seite die Pumpstation zu errichten. Dass damit von vornherein ein nennenswerter zusätzlicher Aufwand verbunden gewesen wäre, trägt das klagende Amt nicht vor und ist auch nicht ersichtlich.

Zu bedenken ist ferner, dass die Realisierung des Bauvorhabens unstreitig das Fällen eines Baumes erforderlich gemacht hätte. Im Falle einer späteren Auflösung der Grenzverwirrung zugunsten des beklagten Vereins wäre dieser Vollzug nicht mehr rückgängig zu machen gewesen.

Zugunsten des beklagten Vereins fällt des Weiteren die Überlegung ins Gewicht, dass jede Grenzverwirrung bis zu ihrer Auflösung einen Schwebezustand darstellt. Für die Übergangszeit muss eine Regelung getroffen werden, die die Interessen der betroffenen Eigentümer angemessen berücksichtigt, um nicht einen rechtsfreien Raum zu eröffnen. Diese Regelung kann im Grundsatz nur der Gestalt angemessen sein, dass keiner der Eigentümer befugt sein darf, den Bereich der Grenzverwirrung einseitig und gegen den Willen des oder der anderen in Beschlag zu nehmen. Eine gegenteilige Wertung würde zu einem Wettlauf verführen, den Besitz einseitig an sich zu reißen, um vollendete Tatsachen zu schaffen und ggf. im Rahmen der Auflösung der Grenzverwirrung in den Vorteil der Regelung des § 920 Abs. 1 BGB zu gelangen.

Die danach gebotene Zurückhaltung erscheint schließlich vor dem Hintergrund der Verhandlungen der Parteien im Vorfeld des einstweiligen Verfügungsverfahrens gerechtfertigt. Sie haben keine Einigkeit hinsichtlich der Frage erzielen können, ob das klagende Amt berechtigt ist, die Pumpstation an der geplanten Stelle zu errichten und ob der beklagte Verein verpflichtet ist, dies zu dulden. Das in der Grenzniederschrift vom 18.03.2002 festgehaltene Ergebnis hat keinen Bestand gehabt, nachdem der beklagte Verein ihm - zu Recht - mit Schreiben vom 22.04.2002 widersprochen hat mit der Begründung, die getroffene Grenzfeststellung entspreche nicht dem wahren Grenzverlauf. Eine Woche später hat das klagende Amt ohne weitere Verhandlungen angekündigt, seine Planung in die Tat umzusetzen. Es hätte dem nachbarschaftlichen Rücksichtnahmegebot entsprochen, den unklaren Grenzverlauf einvernehmlich zu klären und auch ggf. in Betracht kommende Alternativlösungen zu erörtern, wie es letztlich auch dem Leitbild des § 920 BGB entspricht.

4.

Das klagende Amt kann auch nicht aus anderen rechtlichen Grundsätzen eine Befugnis herleiten, unter Missachtung der Grenzverwirrung die Pumpstation an der ursprünglich geplanten Stelle zu errichten. Insbesondere kann es sich nicht auf eine Duldungspflicht aus § 8 Abs. 1 Satz 3 AVBWasser berufen. Danach besteht zwar auch für Anlagen der hier in Rede stehenden Art eine Duldungspflicht des begünstigten Eigentümers, wenn die Nutzung notwendig und nicht unzumutbar ist. Weder für das eine noch das andere liegen Anhaltspunkte vor, die es diesbezüglich erforderlich gemacht hätte, die Parteien auf diesen Gesichtspunkt hinzuweisen und ihnen die Gelegenheit zu ergänzendem Vorbringen einzuräumen.

5.

Das klagende Amt kann keine - möglicherweise abgeleiteten - Besitz- oder Eigentumsschutzansprüche geltend machen. Wie dargelegt geht es vorliegend um einen Bereich der Grenzverwirrung und es lässt sich nicht feststellen, wer hinsichtlich dieses Bereichs Eigentümer oder Besitzer gewesen ist. Einer späteren Auflösung der Grenzverwirrung käme keine rückwirkende Gestaltungskraft zu.

6.

Nach alledem ist es nicht entscheidungserheblich, ob auf Grund des erstinstanzlichen Urteils der Schaden verbindlich festgestellt worden ist. Hinzuweisen ist lediglich darauf, dass eine verbindliche Feststellung in erster Instanz nur für die Frage relevant ist, ob entgegenstehender Vortrag in zweiter Instanz zuzulassen ist. Die Aussage im angegriffenen Urteil, es sei ein Schaden in zuerkannter Höhe entstanden, erachtet der Senat aber schon deshalb für nicht verbindlich, weil er eine Rechtstatsache betrifft. Zwar erstreckt sich die angeordnete Bindungswirkung der erstinstanzlichen Feststellungen (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs des ZPO-RG, BT-Drs. 14/4722, S. 100) auch auf sogenannte Rechtstatsachen. Den tatsächlichen Umständen ( § 138 Abs. 1 ZPO ) stehen nämlich Tatsachen in ihrer juristischen Einkleidung gleich, wenn dies durch einen einfachen Rechtsbegriff geschieht, der jedem Teilnehmer des Rechtsverkehrs geläufig ist (vgl. BGH, Urt. v. 2. Juni 1995, V ZR 304/93 , WM 1995, 1589, 1590). Hierher gehört zum Beispiel der den Abschluß eines Abtretungsvertrags gemäß § 398 BGB umschreibende Begriff der Abtretung jedenfalls dann, wenn er von einem Rechtsanwalt verwendet wird (vgl. BGH, Urt. v. 19.03.2004, V ZR 104/03, NJW 2004, 2152 ff.) oder der Begriff des Kaufvertrages, nicht aber der Begriff des Schadens, weil er sehr schwierig ein- und abzugrenzen ist. Das Urteil versteht der Senat vielmehr dahin, dass der Umstand als unstreitig hat festgestellt werden sollen, dass die streitgegenständlichen Rechnungen gestellt und von dem klagenden Amt bezahlt worden sind, nicht aber die Fragen der Schlüssigkeit der Schadensdarstellung und des Mitverschuldens haben beantwortet werden sollen; diese sind ersichtlich in erster Instanz gar nicht aufgeworfen worden, obwohl der Vortrag der Parteien hierzu Anlass gegeben hätte.

III.

Die Schriftsätze des klagenden Amtes vom 21.09.2006 sowie 25.09.2006 und des beklagten Vereins vom 18.10.2006 geben keinen Anlass die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen. Die Parteien nehmen in ihnen im Wesentlichen allein zur Frage der Schadenshöhe Stellung, die nicht streitentscheidend ist. Hinsichtlich des letztgenannten Schriftsatzes hat der Senat diese Entscheidung analog § 320 Abs. 4 ZPO (vgl. BGH, Urt. v. 01.02.2002, V ZR 357/00, BGHReport 2002, 613) ohne Richter am Amtsgericht Dr. W. getroffen, nachdem seine Abordnung an das Oberlandesgericht Ende September 2006 ausgelaufen ist. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision wird zugelassen nach folgender Maßgabe: Der Senat geht davon aus, dass im Bereich einer Grenzverwirrung es einem betroffenen Eigentümer auf Grund des Rücksichtnahmegebots aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis unter Abwägung der allseitigen Interessen nicht erlaubt sein kann, eine Teilfläche gegen den Willen der anderen betroffenen Eigentümer in Besitz zu nehmen. Diese können hiergegen eine einstweilige Verfügung erwirken und vollziehen, ohne Gefahr zu laufen, sich schadensersatzpflichtig zu machen, wenn es ihnen im Schadensersatzprozess nicht gelingt nachzuweisen, dass sie Eigentümer oder Besitzer der Teilfläche (gewesen) sind.

Ende der Entscheidung

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