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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 27.05.2005
Aktenzeichen: I Ws 173/05
Rechtsgebiete: JGG, StPO


Vorschriften:

JGG § 57 Abs. 1 Satz 1
JGG § 57 Abs. 1 Satz 2
JGG § 58 Abs. 3
JGG § 58 Abs. 3 Satz 1
JGG § 59 Abs. 1 Satz 1
StPO § 269
StPO § 309 Abs. 2
StPO § 310 Abs. 2
StPO § 311 Abs. 2 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock - 1. Strafsenat - Beschluss

Geschäftszeichen I Ws 173/05

In der Strafsache

wegen Raubes u. a.

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichtes Rostock durch die Richter am Oberlandesgericht H. und Z. sowie die Richterin am Amtsgericht M. auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Rostock gegen den Beschluss der 2. Großen Strafkammer des Landgerichts Rostock vom 23. März 2005 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Verurteilten am 27. Mai 2005 beschlossen:

Tenor:

1. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Rostock verwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Rostock hat den Beschwerdeführer am 1. September 2003 wegen Diebstahls und Körperverletzung unter Einbeziehung einer zehnmonatigen Jugendstrafe aus einer weiteren Verurteilung zu einer einheitlichen Jugendstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt; am 26. Februar 2004 hat es ihn wegen Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer (weiteren) Jugendstrafe von acht Monaten verurteilt. Auf die Berufung des Verurteilten gegen beide Urteile hat das Landgericht - Jugendkammer - Rostock am 17. Juli 2004 auf eine einheitliche Jugendstrafe von einem Jahr und acht Monaten erkannt; die Entscheidung über die Aussetzung der Bewährung hat es für die Dauer von sechs Monaten vorbehalten.

Mit Beschluss vom 23. März 2005 hat das Berufungsgericht die Vollstreckung der Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Rostock; das Rechtsmittel hat den aus dem Tenor ersichtlichen - vorläufigen -Erfolg.

1. Die gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 JGG statthafte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist zulässig erhoben worden. Zwar ging der angefochtene Beschluss der Staatsanwaltschaft Rostock am 4. April 2005 zu und das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft erst am 14. April 2005 beim Landgericht Rostock ein; indessen ist - auch ausweislich der Verfügung des Vorsitzenden Richters vom 23. März 2005 - der angefochtene Beschluss der Staatsanwaltschaft Rostock nicht - wie es erforderlich gewesen wäre - förmlich (vgl. § 41 StPO) sondern lediglich "zur Kenntnis" zugegangen. Bei - wie hier - formloser Bekanntmachung wird die Beschwerdefrist des § 311 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht in Lauf gesetzt (vgl. auch Meyer-Goßner StPO 48. Aufl. § 311 Rdn. 2).

2. In der Sache hat das Rechtsmittel einen zumindest vorläufigen Erfolg. Die Jugendkammer als Berufungsgericht war zur nachträglichen Entscheidung über die Frage der Aussetzung der in ihrem Urteil vom 17. Juli 2004 erkannten einheitlichen Jugendstrafe nicht zuständig. Vielmehr oblag diese Entscheidung dem Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Rostock.

Gemäß § 57 Abs. 1 Satz 2 JGG ist für den nachträglichen Beschluss ausschließlich der Richter zuständig, der in der Sache im ersten Rechtszug erkannt hatte, hier also das Jugendschöffengericht Rostock. Für die Zuständigkeit ohne Bedeutung ist es, dass die Jugendkammer erstmals in ihrem Urteil vom 17. Juli 2004 die Entscheidung über die Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung vorbehalten hatte. Im Unterschied zu § 58 Abs. 3 JGG, der eine Differenzierung bezüglich der Zuständigkeit danach zulässt, ob die Aussetzung der Jugendstrafe erstmals durch das Berufungsgericht oder durch den Richter des ersten Rechtszuges angeordnet wurde (vgl. hierzu etwa Brunner/Dölling JGG 11. Aufl. § 58 Rdn. 5, Eisenberg JGG 10. Aufl. § 58 Rdn. 35, jeweils m. w. Nachw.), ist der Wortlaut des § 57 Abs. 1 Satz 2 JGG bezüglich der Zuständigkeit des Richters des ersten Rechtszuges für die nach Anordnung der Vorbewährung erforderliche endgültige Entscheidung eindeutig und einer Auslegung nicht zugänglich (vgl. auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 30. Dezember 1994 - 3 Ws 875/94 -, NStZ-RR 1996, 252; KG, Beschluss vom 30. August 1999 - 1 AR 637/99 - 4 ARs 47/99 -, zit. nach juris; vgl. auch OLG München NStZ-RR 2005, 152, 153). Dementsprechend finden sich auch in Rechtsprechung und Literatur keinerlei Hinweise auf eine ausnahmsweise Zuständigkeit des Berufungsgerichtes für die endgültige Bewährungsentscheidung, wenn dieses erstmals die Vorbewährung angeordnet hat (vgl. OLG Frankfurt aaO; KG aaO; OLG München aaO; Brunner/Dölling aaO § 57 Rdn. 8; Eisenberg aaO § 57 Rdn. 14; Ostendorf JGG 6. Aufl. § 57 Rdn. 9).

Darauf, dass die Jugendkammer - hier (möglicherweise) - für die gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 JGG zu treffende Entscheidung geeigneter sein könnte als der Richter des ersten Rechtszuges und dass deswegen die gesetzgeberische Entscheidung, die Zuständigkeit in § 57 Abs. 1 Satz 2 JGG abweichend von § 58 Abs. 3 Satz 1 JGG zu regeln, wenig zweckdienlich erscheint, kommt es nicht an: Angesichts des klaren Wortlautes der Vorschrift des § 57 Abs. 1 Satz 2 JGG und des in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG niedergelegten Gebotes, den gesetzlichen Richter zu wahren, verbietet es sich, die bei § 58 Abs. 3 JGG entwickelten Grundsätze auf die hier entscheidende Frage der Zuständigkeit zu übertragen (vgl. auch OLG Frankfurt aaO).

3. Dem Senat ist eine Entscheidung in der Sache freilich selbst verwehrt. Denn er kann nicht an die Stelle der funktionell zuständigen Jugendgerichte treten.

Zwar ist nach der gesetzgeberischen Wertung des § 309 Abs. 2 StPO in Beschwerdeverfahren grundsätzlich eine Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung der Sache unzulässig (grundlegend: Senatsbeschluss vom 30. März 1999 - I Ws 171/99 -, NStZ-RR 2000, 14 ff.). Von diesem Grundsatz der eigenen Sachentscheidung des Beschwerdegerichts werden jedoch in Rechtsprechung und Literatur Ausnahmen zugelassen (vgl. zu Einzelheiten Senatsbeschluss aaO, 15). Eine Zurückverweisung kommt etwa dann in Betracht, wenn durch die angefochtene Entscheidung grobes prozessuales Unrecht geschieht, was insbesondere in den Fällen einer willkürlich getroffenen Entscheidung gegeben ist, etwa wenn das Erstgericht seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat.

Die Zurückverweisung ist aber auch dann geboten, wenn die angefochtene Entscheidung - versehentlich - nicht von dem gesetzlich vorgesehenen Spruchkörper getroffen worden ist und der Mangel im Beschwerdeverfahren nicht in dem Sinne ausgeglichen werden kann, dass das Beschwerdegericht rechtlich vollständig an die Stelle des an sich zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers treten kann (vgl. neben der bereits zitierten Senatsentscheidung auch den Beschluss des Senats vom 3. Juni 2003 - I Ws 167/03 -, mit Hinweis auf BGHSt 38, 312 ff.).

So verhält es sich hier. Zuständig für die hier nach § 57 Abs. 1 Satz 2 JGG zu treffende Entscheidung war - wie ausgeführt - das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Rostock. Gegen dessen Entscheidung ist das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde (§ 59 Abs. 1 Satz 1 JGG) gegeben, über die die Jugendkammer beim Landgericht Rostock zu befinden hat. Deren Beschwerdeentscheidung ist nicht weiter anfechtbar, § 310 Abs. 2 StPO. Eine Rechtsmittelentscheidung des Oberlandesgerichts ist somit im Instanzenzug nicht vorgesehen. Der Senat kann damit nicht an Stelle der zuständigen Jugendgerichte treten (vgl. auch Senatsbeschluss vom 3. Juni 2003 - I Ws 167/03 -; OLG Frankfurt aaO, insoweit in NStZ 1996, 252 nicht abgedruckt).

Etwas anderes kann auch nicht der Senatsenscheidung vom 30. März 1999 entnommen werden. Zwar ist dort - allerdings nicht tragend - unter Hinweis auf den Rechtsgedanken des § 269 StPO ausgeführt, dass ein hinreichender Grund für eine Zurückverweisung nicht gegeben sei, wenn statt des an sich zuständigen Amtsgerichts das Landgericht entschieden hat; indes hat der Senat mit Beschluss vom 3. Juni 2003 - I Ws 167/03 - auch unter Hinweis auf die Entscheidung vom 30. März 1999 konkretisiert, dass - ersichtlich auch mit Blick auf die in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zum Ausdruck kommenden Wertung - bei zu Unrecht angenommener sachlicher Zuständigkeit regelmäßig die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen ist, wenn das Oberlandesgericht als Rechtsmittelgericht in keiner Weise im Beschwerdeverfahren beteiligt sein kann. Dies entspricht der ganz überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. etwa OLG Düsseldorf VRS 96, 38 ff. und MDR 1993, 375; Hans. OLG Hamburg NJW 1964, 1913; OLG Koblenz VRS 67, 120 f.; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2004, 112, 113; OLG Schleswig bei Lorenzen/Görl SchlHA 1989, 97, 107 f.; Engelhardt in KK 5. Aufl. § 309 Rdn. 7; Frisch in SK-StPO 18. Lfg. § 309 Rdn. 18, 25; Matt in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 309 Rdn. 13; Meyer-Goßner aaO § 309 Rdn. 6 [a. A. noch bis zur 44. Aufl.]; Renzikowski/Günther in AK-StPO § 309 Rdn. 21; a. A.: Plöd in KMR 14. Lfg. § 309 Rdn. 9; Rautenberg in HK-StPO 3. Aufl. § 309 Rdn. 7).

4. Eine Kosten- und Auslagenentscheidung war nicht veranlasst, da der Senat keine das Verfahren abschließende Entscheidung getroffen hat und der endgültige Erfolg des Rechtsmittels nicht feststeht.

Ende der Entscheidung

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