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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 17.08.2005
Aktenzeichen: I Ws 297/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 112 Abs. 1 Satz 2
StPO § 120 Abs. 1
StPO § 310 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgerichts Rostock 1. Strafsenat Beschluss

Geschäftszeichen I Ws 297/05

In der Strafsache

wegen versuchten Betruges

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichtes Rostock durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Dally, den Richter am Oberlandesgericht Hansen sowie die Richterin am Amtsgericht Müller

auf die weitere Beschwerde der Staatsanwaltschaft Schwerin gegen den Beschluss der Großen Strafkammer 4 des Landgerichts Schwerin vom 14. Juli 2005 - 34 Qs 47/05 -

nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft Rostock

am 17. August 2005 beschlossen:

Tenor:

Die weitere Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist zwar gem. § 310 Abs. 1 StPO statthaft und zulässig. Es hat in der Sache indes keinen Erfolg.

II.

1.

Nach dem Ergebnis der bisherigen Ermittlungen ist der Beschuldigte zwar der ihm vorgeworfenen Straftat (Betrug gem. § 263 Abs. 1 StGB zum Nachteil der W. S.-gesellschaft W. S. GmbH am 06.01.2005 in 00000 D.) dringend verdächtig. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die zutreffenden Erwägungen der Staatsanwaltschaft Schwerin in ihrem Haftbefehlsantrag vom 08. Juni 2005 an das Amtsgericht Parchim.

2.

Es liegt auch der Haftgrund der Flucht (§ 112 Abs. 2 Ziff. 1 StPO) vor. Dieser Haftgrund besteht, wenn der Beschuldigte nach der Tat seine Wohnung aufgibt, ohne eine neue zu beziehen, sodass er für die Ermittlungsbehörden und Gerichte unerreichbar und ihrem Zugriff entzogen ist (vgl. OLG Düsseldorf NJW 1997, 2965). Dabei muss der Erfolg der Strafverfahrensverhinderung vom Beschuldigten nicht notwendig beabsichtigt sein, sondern es reicht aus, dass er diesen Erfolg als Konsequenz seines Handelns bewusst in Kauf nimmt (vgl. Kammergericht, Beschluss vom 14.05.1999 - 4 Ws 125/99 -).

Von Vorstehendem ist in dieser Strafsache auszugehen. Der Beschuldigte hat sich nach vorläufiger Festnahme in der vorliegenden Sache am 18.01.2005 und nach Verbüßung von Untersuchungshaft in anderer Sache bis zum 14.02.2005 nur rund einen weiteren Monat in B. ordnungsgemäß gemeldet und zur Verfügung gehalten; seither ist er wiederum unbekannten Aufenthalts. Bei dieser Sachlage geht der Senat davon aus, dass der Beschuldigte in Kenntnis der gegen ihn gerichteten Ermittlungen es zumindest bewusst in Kauf nimmt, dass er für den weiteren Verlauf des Strafverfahrens nicht zur Verfügung steht.

3.

Mit dem Landgericht in seiner angefochtenen Entscheidung vom 14.07.2005 erachtet jedoch auch der Senat den Erlass eines Haftbefehls in vorliegender Sache als nicht verhältnismäßig im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 2 StPO.

a)

Nach der vorbezeichneten Vorschrift darf Untersuchungshaft nicht verhängt werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht. Zweck der Untersuchungshaft ist sowohl die Verfahrens- als auch die Vollstreckungssicherung. Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der (weiteren) Vollstreckung von Untersuchungshaft - für die Frage, ob überhaupt Untersuchungshaft angeordnet werden darf, hat nichts anderes zu gelten - orientiert sich darüber hinaus nicht nur an der Rechtsfolgenerwartung, sondern auch an der Bedeutung der Sache für die staatlich verfasste Rechtsgemeinschaft. In diesem Zusammenhang sind zu berücksichtigen u. a. die Art und Schwere der Tat, die Besonderheiten des konkreten Strafverfahrens sowie der Verfahrensstand und letztlich auch der Gesichtspunkt der Verteidigung der Rechtsordnung. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit spiegelt das Spannungsverhältnis zwischen dem Individualrecht des Betroffenen auf persönliche Freiheit und den legitimen Bedürfnissen der Allgemeinheit hinsichtlich einer wirksamen Verbrechensbekämpfung wider. Insoweit hat immer eine an den konkreten Besonderheiten des Einzelfalls orientierte Prüfung der Verhältnismäßigkeit zu erfolgen, schematische Lösungen verbieten sich (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl. § 112 Rdz. 8 ff. m. w. N.; OLG Düsseldorf StV 1994, 86 m. w. N.).

b)

Unter Berücksichtigung aller Umstände erachtet der Senat in vorliegender Senat mit dem Landgericht die Anordnung von Untersuchungshaft gegen den Beschuldigten als zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis stehend.

Zwar ist der Beschwerde zuzugeben, dass der Beschuldigte in dem dringenden Verdacht steht, zum Nachteil der geschädigten Firma W. S.-gesellschaft mbH einen nicht unerheblichen strafrechtlich relevanten Schaden in Höhe von rund 6.340 Euro angestrebt zu haben. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass sich dieser Schaden nicht realisiert und die Geschädigte die von ihr ausgelieferte Pferdebesonnungsanlage offenbar originalverpackt und unbeschädigt zurückerhalten hat.

In die vorzunehmende Abwägung ist zu Gunsten des Beschuldigten ferner aufzunehmen, dass er zum Zeitpunkt der ihm hier vorgeworfenen Tat noch unbestraft war. Der Umstand, dass der Beschuldigte nach der Tatbegehung in dieser Sache, nämlich am 14.02.2005 durch das Amtsgericht Wolfenbüttel, (erstmals) abgeurteilt worden ist, wird im Gegensatz zur Auffassung der Staatsanwaltschaft in ihrer Beschwerdeschrift vom 19.07.2005 nicht strafschärfend heranzuziehen sein, sondern es wird zu Gunsten des Beschuldigten strafmildernd zu berücksichtigen sein, dass aufgrund vollständiger Vollstreckung der Strafe aus dem Urteil vom 14.02.2005 eine an sich gebotene Gesamtstrafenbildung aufgrund der hier gegenständlichen Tat vom 06.01.2005 nicht mehr möglich ist.

Zwar wird im Rahmen der Rechtsfolgenbemessung, insoweit ist der Beschwerde zuzustimmen, ohne Weiteres zu berücksichtigen sein, dass ein Schaden vordergründig in erster Linie aufgrund der Aufmerksamkeit eines Zeugen nicht eingetreten ist; andererseits dürfte nicht unbeachtet bleiben, dass die vollständige Umsetzung des Tatplanes des Beschuldigten aufgrund der Gesamtumstände (er befand sich als Praktikant erst sehr kurze Zeit auf dem Reiterhof) bei realistischer Betrachtung nicht allzu hohe Erfolgsaussichten besaß - der Charakter der Neuwertigkeit der gelieferten Ware musste im Grunde sofort auffallen und es wäre spätestens dem - nach Lage der Dinge redlich am Erwerb einer gebrauchten Pferdebesonnungsanlage für wenig Geld interessierten - abnehmenden Zeugen aufgefallen, dass der Beschuldigte nicht vertrauenswürdig ist und seine Berichte über die Herkunft des Gerätes nicht stimmen.

Auch der von der Beschwerde vorgetragene Umstand, dass das Strafverfahren ohne wenigstens kurzzeitigen Vollzug eines Haftbefehls undurchführbar wäre, greift nach Auffassung des Senats letztlich nicht durch. Die von der Generalstaatsanwaltschaft als Beleg für die Zulässigkeit der Berücksichtigung der vorstehenden Erwägung herangezogene Entscheidung OLG Frankfurt StV 1993, 594 bezog sich zum einen auf einen anders gelagerten Fall, nämlich die Prüfung der Verhältnismäßigkeit des weiteren Vollzugs von Untersuchungshaft nach § 120 Abs. 1 StPO. Zum anderen teilt der Senat nicht die Auffassung, dass gegen den Beschuldigten das weitere Verfahren ohne (kurzzeitigen) Vollzug eines Haftbefehls undurchführbar wäre. Dass ein Suchvermerk der Staatsanwaltschaft im Bundeszentralregister ohne jede Erfolgsaussicht wäre, einen Aufenthalt des Beschuldigten zu ermitteln, ist nicht ersichtlich; im Übrigen könnte sich - was die Aburteilung des Beschuldigten zu erleichtern vermag - eventuell eine Ahndung im Strafbefehlsverfahren anbieten.

III.

Nach alledem war dem Antrag auf Erlass eines Haftbefehls gegen den Beschuldigten nicht zu entsprechen, sondern die weitere Beschwerde der Staatsanwaltschaft Schwerin gegen den Beschluss des Landgerichts Schwerin vom 14.07.2005 als unbegründet zu verwerfen.

Ende der Entscheidung

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