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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 05.10.2004
Aktenzeichen: I Ws 430/04
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 56 a Abs. 2
StGB § 56 f
StGB § 56 f Abs. 1
StGB § 56 f Abs. 2
StGB § 56 f Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
StGB § 56 f Abs. 2 Satz 2
StPO § 473 Abs. 2 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock - 1. Strafsenat - BESCHLUSS

I Ws 430/04

In der Strafvollstreckungssache

gegen F. F. aus W. dort geboren am

wegen Diebstahls u.a

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichtes Rostock durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. D. sowie die Richter am Oberlandesgericht H. und R. auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Schwerin gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Neubrandenburg vom 29.07.2004 auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Rostock

am 5. Oktober 2004 beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben, soweit der Beginn der verlängerten Bewährungszeit auf den 29.07.2004 und deren Ende auf den 28.07.2005 festgesetzt wurde.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:

I.

Die Strafvollstreckungskammer hat mit Beschluss vom 01.06.2001 die Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe nach Verbüßung von zwei Dritteln ab dem 12.06.2001 zur Bewährung ausgesetzt, dem Verurteilten verschiedene Weisungen erteilt und die Bewährungszeit auf drei Jahre festgesetzt. Der Beschluss ist seit dem 12.06.2001 rechtskräftig, die Bewährungszeit lief damit am 11.06.2004 ab.

Wegen einer am 03.05.2003 begangenen Beleidigung in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung wurde der Verurteilte am 09.12.2003 vom Amtsgericht Wismar zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Staatsanwaltschaft Schwerin beantragte daraufhin die Verlängerung der Bewährungszeit in vorliegender Sache. Da der Verurteilte gegen das Urteil vom 09.12.2003 Berufung eingelegt hatte, stellte die Strafvollstreckungskammer - nach Anhörung des Verurteilten - eine Entscheidung zunächst zurück.

Nachdem das Urteil des Amtsgerichts Wismar am 02.06.2004 rechtskräftig geworden war, verlängerte die Strafvollstreckungskammer mit dem jetzt - teilweise - angefochtenen Beschluss vom 29.07.2004 die Bewährungszeit aus dem Beschluss vom 01.06.2001 gemäß § 56 f Abs. 2 StGB um ein Jahr auf vier Jahre und hielt die bisher erteilten Weisungen aufrecht. Darüber hinaus heißt es in dem Tenor des Beschlusses: "Die Bewährungszeit beginnt am 29.07.2004 und endet am 28.07.2005, weil die bisherige Bewährungszeit abgelaufen ist".

Gegen diese ihr am 09.08.2004 formlos bekannt gemachte Entscheidung hat die Staatsanwaltschaft Schwerin, nachdem sie zunächst die Berichtigung eines offensichtlichen Schreibversehens beantragt hatte, mit Datum vom 31.08.2004 Beschwerde eingelegt mit dem Ziel, den Lauf der verlängerten Bewährungszeit vom 12.06.2001 - unmittelbar anschließend an die ursprüngliche Bewährungszeit - und ihr Ende damit auf den 11.06.2005 festzusetzen.

Die Kammer hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, im Ergebnis wie aus dem Tenor ersichtlich zu entscheiden.

II.

Das zulässige (§§ 453 Abs. 2 Satz 2. 2. Alt., 296 Abs. 2 StPO), zugunsten des Verurteilten eingelegte Rechtsmittel hat in dem beantragten Umfang auch Erfolg, da sich der Beginn der verlängerten Bewährungszeit entgegen der Auffassung des Landgerichts auch dann unmittelbar an das Ende der zunächst bestimmten Bewährungszeit anschließt, wenn diese zum Zeitpunkt der Verlängerungsentscheidung bereits abgelaufen war.

1.

Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat die Kammer allerdings die Bewährungszeit aus ihrem Beschluss vom 01.06.2001 um ein Jahr verlängert, da der Verurteilte innerhalb der ursprünglichen Bewährungszeit erneut straffällig geworden ist, § 56 f Abs. 2 StGB. Dies wird von der Staatsanwaltschaft - wie im Übrigen auch vom Verurteilten selbst - auch nicht beanstandet.

Diese Verlängerung war zudem - wie sich aus der Streichung der Bezugnahme auf § 56 a Abs. 2 StGB in § 56 f Abs. 2 Satz 2 StGB durch das 20. Strafrechtsänderungsgesetz vom 08.12.1981 (BGBl. I S. 1329) ergibt - auch nachträglich, d.h. nach Ablauf der zunächst bestimmten Bewährungszeit am 11.06.2004 zulässig (vgl. statt aller BVerfG NStZ 1995, 437; Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl., § 56 f Rdnr. 16; S/S-Stree, StGB, 26. Aufl., § 56 f Rdnr. 10, jeweils m.w.N.).

2.

Entgegen der Auffassung der Kammer beginnt die Verlängerungszeit jedoch nicht mit dem Datum des Erlasses - oder auch der Rechtskraft - des entsprechenden Beschlusses zu laufen. Vielmehr schließt sich die verlängerte Bewährungszeit unmittelbar an den Ablauf der ursprünglichen Bewährungszeit an.

a)

Allerdings wird in der Literatur (S/S-Stree a.a.O.; Horn NStZ 1986, 356; diesem folgend wohl auch Tröndle/Fischer a.a.O. Rdnr. 17 a.E.; nicht mehr eindeutig jedoch Horn jetzt in: SK-StGB, 36. Lfg., 8. Aufl. [April 2001], § 56 f Rdnrn. 9, 30 e) teilweise mit durchaus beachtenswerten Gründen (vgl. die Darstellung bei OLG CelleNStZ 1991, 206) die Auffassung vertreten, die nachträgliche Verlängerung wirke ex nunc. Nur dann entstehe eine "echte", ggf. "widerrufsbegründende" Bewährungszeit, durch die sinnvoll auf den Verurteilten eingewirkt werden könne. Auch würden so Probleme bei der Behandlung des von einer Rückwirkung betroffenen Zeitraumes vermieden, insbesondere gerate der Richter, der die Entscheidung nach § 56 f StGB zu treffen habe, nicht in Zeitnot.

Demgegenüber sind die Rechtsprechung - soweit ersichtlich, einhellig - und weite Teile der Lehre der Ansicht, eine nach Ablauf der Bewährungszeit angeordnete Verlängerung schließe sich rückwirkend an die abgelaufene Bewährungszeit unmittelbar an (so bereits - wenn auch ohne nähere Begründung - Senatsbeschluss vom 16.09.2002 - I Ws 367/02 -; OLG Stuttgart OLGSt § 56 f StGB Nr. 36 = StV 1998, 666 [LS]; OLG Celle a.a.O. und NdsRPfl 1989, 257 [258]; OLG Zweibrücken StV 1987, 351; KG StV 1986, 165; OLG Schleswig NStZ 1986, 363; LK-Gribbohm, StGB, 11. Aufl., § 56 f Rdnrn. 40 ff.; Lackner/Kühl, StGB, 24. Aufl., § 56 f Rdnr. 12; NK-StGB-Ostendorf, 11. Lfg., § 56 f Rdnr. 13; Dölling NStZ 1989, 345 [348]). Verfassungsrechtliche Einwände stehen dieser Auffasssung nicht entgegen (BVerfG a.a.O.).

b)

Der Senat sieht auch nach nochmaliger Würdigung der Gegenansicht keinen Anlass, sich dieser anzuschließen, da die herrschende Meinung dem Willen des Gesetzgebers am nächsten kommt und zu sachgerechten Ergebnissen führt.

So deutet bereits der Wortlaut des § 56 f Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StGB ("verlängern") darauf hin, dass sich die Verlängerung unmittelbar an die ursprüngliche Bewährungszeit anschließt, da ansonsten eine Unterbrechung vorläge. Diese Auslegung vermeidet im Übrigen auch eine abweichende Behandlung der Fälle, in denen die Bewährungszeit noch vor Ablauf der zunächst bestimmten verlängert wird: auch hier schließt sich - unstreitig - die Verlängerung nahtlos an den Ablauf der zunächst bestimmten Bewährungszeit an. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, warum etwas anderes gelten sollte, wenn die Entscheidung über die Verlängerung - aus welchen Gründen auch immer - erst später getroffen werden kann.

Ein Beginn der verlängerten Bewährungszeit erst ex nunc kann außerdem zu einer zeitlichen Ausdehnung des Bewährungsverfahrens führen, die nicht mehr hinnehmbar ist. Wird die Verlängerung etwa erst mehrere Monate oder gar Jahre nach Ablauf der regulären Bewährungszeit angeordnet, wird der Zeitpunkt, zu dem über den Erlass der Strafe (§ 56 g Abs. 1 StGB) zu entscheiden ist, zusätzlich zu dem Verlängerungszeitraum um diese "Zwischenzeit" hinaus geschoben. Das wiederum kann zu einer insgesamt überlangen Verfahrensdauer führen, wobei der Anspruch des Verurteilten zu berücksichtigen ist, nach Ablauf der zunächst bestimmten Bewährungszeit möglichst rasch Klarheit über das weitere Schicksal der Strafaussetzung zu erhalten. Darüber hinaus sind Überschreitungen der gesetzlich zulässigen Höchstdauer der Bewährungs- bzw. der Verlängerungszeit (§§ 56 a Abs. 1 Satz 2, 56 f Abs. 2 Satz 2 StGB) denkbar, wobei es eines Eingehens auf die Frage, wie diese jeweils zu bestimmen sind (vgl. dazu S/S-Stree a.a.O. Rdnr. 10 a; Tröndle/Fischer a.a.O. Rdnr. 17, jeweils m.w.N.), vorliegend nicht bedarf. Zwar sind Fälle denkbar, in denen eine - rückwirkende - Verlängerung nicht mehr in Betracht kommt, weil das Höchstmaß der Bewährungszeit bereits verstrichen ist (vgl. OLG Celle NStZ 1991, 206), oder in denen durch die Verlängerung nur noch eine kurze "echte" Bewährungszeit erreicht werden kann. Diese Fallkonstellationen ließen sich aber häufig dadurch vermeiden, dass - auch von den Staatsanwaltschaften - die Umstände, die Entscheidungen nach § 56 f StGB erfordern könnten, rechtzeitig ermittelt und dem die Bewährungsaufsicht führenden Gericht mitgeteilt werden, damit die entsprechenden Maßnahmen eingeleitet werden können.

Auch das Argument, im Falle einer rückwirkenden Verlängerung entstehe für den Zeitraum zwischen Ablauf der ursprünglichen Bewährungszeit und Erlass der Verlängerungsentscheidung keine "echte", "widerrufsbegründende" Bewährungszeit (S/S-Stree a.a.O. Rdnr. 10; Horn NStZ 1986, 356), rechtfertigt keine andere Entscheidung. Zwar ist zutreffend, dass das Verhalten des Verurteilten in diesem Zeitraum, in dem er von der Verlängerung noch nichts wissen konnte, grundsätzlich nicht zur Begründung eines Widerrufs nach § 56 f Abs. 1 StGB herangezogen werden kann, wenn ein entsprechender Vertrauenstatbestand begründet worden ist (BVerfG a.a.O.; OLG Stuttgart a.a.O.; OLG Celle a.a.O.; LK-Gribbohm a.a.O. Rdnr. 43). Insoweit gilt nichts anderes als für den Widerruf der Strafaussetzung nach Ablauf der Bewährungszeit (vgl. dazu etwa Senatsbeschluss vom 11.11.2003 - I Ws 443/03 - m.w.N.). Aber auch in diesen Fällen kann ein Widerruf möglich sein, wenn ein schutzwürdiges Vertrauen - etwa durch entsprechende Hinweise des Gerichts vor Ablauf der Bewährungszeit, dass auch noch eine nachträgliche Verlängerung oder ein Widerruf in Betracht kommen können - nicht entstehen konnte, wobei es auf die Umstände des Einzelfalls ankommt (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 23.02.2004 - I Ws 51/04 - m.w.N.; BVerfG a.a.O.; KG NJW 2003, 2468 [2469]). Nichts anderes könnte im Übrigen gelten, wenn man der Auffassung folgt, die Verlängerung der Bewährungszeit wirke ex nunc: auch dann könnte ein Verhalten des Verurteilten in der "Zwischenzeit" - zwischen Ablauf der ursprünglichen und Beginn der "verlängerten" Bewährungszeit" - nur unter den soeben dargestellten Voraussetzungen widerrufsbegründende Wirkungen entfalten.

Damit besteht der maßgebliche Unterschied zwischen den beiden Auffassungen darin, dass die Anwendung der herrschende Meinung zu kürzeren, bei der Mindermeinung dagegen zu ingesamt längeren Bewährungsverfahren führt. Da die Entscheidung über den Erlass der Strafe bzw. Maßnahmen nach § 56 f StGB nach Ablauf der - zunächst bestimmten - Bewährungszeit nicht ungebührlich in die Länge gezogen werden darf, sie vielmehr nach rechtsstaatlichen Grundsätzen möglichst umgehend getroffen werden muss (Senatsbeschluss vom 11.11.2003 a.a.O. m.w.N.; Tröndle/Fischer a.a.O. § 56 g Rdnr. 1), ist der Lösung des unmittelbaren, rückwirkenden Anschlusses der Verlängerungszeit der Vorzug zu geben.

3.

Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben, soweit er in seinem erkennenden Teil den Lauf der verlängerten Bewährungszeit auf den 29.07.2004 und deren Ende auf den 28.07.2005 festgesetzt hat. Die verlängerte Bewährungszeit endet vielmehr, wie sich entsprechend der vom Senat vorgenommenen Auslegung aus dem Gesetz ergibt, mit Ablauf des 11.06.2005.

III.

Da das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Verurteilten eingelegte und auf diese Frage beschränkte Rechtsmittel somit vollen Erfolg hatte, hat die Staatskasse die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen, § 473 Abs. 2 Satz 2 StPO.

Ende der Entscheidung

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