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Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 28.10.2002
Aktenzeichen: I Ws 471/02
Rechtsgebiete: StGB, StPO
Vorschriften:
StGB § 22 | |
StGB § 23 Abs. 1 | |
StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. | |
StGB § 211 | |
StPO § 112 Abs. 3 | |
StPO § 114 Abs. 2 | |
StPO § 116 |
Oberlandesgericht Rostock 1. Strafsenat Beschluß
Az.: I Ws 471/02
In dem Strafverfahren
wegen versuchten Mordes
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichtes Rostock durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. D., den Richter am Oberlandesgericht K. und den Richter am Amtsgericht B.
auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Schwerin gegen den Beschluss des LG Schwerin, Große Strafkammer 2 - Schwurgerichtskammer -, vom 20.9.2002 - 32 Ks (14/02) -, mit dem es den Haftbefehl des AG Parchim vom 7.5.2002 - 3 Gs 122/02 - aufgehoben hat, auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft
am 28. Oktober 2002 beschlossen:
Tenor:
1. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
2. Der Haftbefehl des AG Parchim vom 7.5.2002 - 3 Gs 122/02 - wird gem. der diesem Beschluss beigefügten Anlage neu gefasst.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Parchim hat am 7.5.2002 gegen die Angeschuldigte einen Haftbefehl u. a. wegen versuchten Mordes erlassen, da sie dringend verdächtig sei, am 5.5.2002 gegen 20.30 Uhr mit ihrem PKW gezielt die später geschädigte B. A. überfahren zu haben, die dabei erhebliche Verletzungen erlitten haben soll.
Unter dem 12.8.2002 hat die Staatsanwaltschaft Schwerin wegen dieser Tat die öffentliche Anklage zu der Schwurgerichtskammer des LG Schwerin erhoben. Die Angeschuldigte sei des versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr hinreichend verdächtig.
Aufgrund einer zuvor eingelegten Haftbeschwerde, die als Haftprüfungsantrag auszulegen war, hat das LG Schwerin nach Durchführung einer mündlichen Haftprüfung am 20.9.2002 den Haftbefehl aufgehoben und zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, es bestehe die Wahrscheinlichkeit, dass die Angeschuldigte gem. § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB mit strafbefreiender Wirkung von einem versuchten Tötungsdelikt zurückgetreten sei. Soweit ein dringender Tatverdacht wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen eines qualifizierten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr fortbestehe, fehle es an einem Haftgrund.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Schwerin vom 1.10.2002, die darauf abstellt, dass die der Angeschuldigten zur Last gelegte Tat als ein bereits fehlgeschlagener Versuch anzusehen sei. Jedenfalls liege ein beendeter Versuch vor, von dem die Angeschuldigte durch bloßes Nichtweiterhandeln nicht habe zurücktreten können.
Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Beschwerde mit gleichen Gründen beigetreten und hat beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben.
II.
Auf die zulässige und begründete Beschwerde hat der Senat den angefochtenen Beschluss aufgehoben und den Haftbefehl - wie aus der Anlage ersichtlich - von Amts wegen neu gefaßt.
1.
Nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen ist die Angeschuldigte der ihr mit der Anklageschrift vom 12.8.2002 zur Last gelegten Tat dringend verdächtig, wobei sie von dem Versuch des Mordes nicht mit strafbefreiender Wirkung zurückgetreten ist.
a)
Der Senat geht von folgendem Sachverhalt aus:
Noch unmittelbar vor der Tatbegehung litt die Angeschuldigte unter der Tatsache, dass ihr Ehemann sich vor ca. zwei Jahren von ihr abgewendet und mit der später geschädigten B. A. , einer ehemaligen Angestellten des gemeinsam mit ihrem Mann betriebenen Modegeschäftes, ein Liebesverhältnis eingegangen war. Deswegen hatte sie in der Folgezeit einen Selbstmordversuch unternommen und befand sich wegen fortdauernder Depressionen in psychologischer Behandlung. Zugleich wies sie jedoch die Schuld für das Scheitern ihrer Ehe allein der später Geschädigten zu. Wiederholt traten bei ihr Phantasien auf, in denen sie Frau A. tötet. In verschieden Gesprächen mit Bekannten äußerte sie, dass sie Frau A. am liebsten "umbringen" wolle.
Am Tattage, dem 5.5.2002 hielt sich die Angeschuldigte bei ihrer langjährigen Bekannten, der Zeugin H. L. , in S . , K.-M.-Straße 13, auf. Von dort fuhr sie mit ihrem PKW, einem VW Golf III, gegen 20.30 Uhr in Richtung G . Noch in der K.-M.-Straße, einer Plattenbau-Siedlung, nahm sie an der linken Fahrbahnseite, gegenüber dem Eingang des Hauses mit der Nummer 1, die dort wohnende Frau A. wahr, die zuvor ihren PKW abgestellt hatte und darauf wartete, die Straße überqueren zu können. Auch jene hatte anhand des Fahrzeugtypes und -kennzeichens wahrgenommen, dass sich die Angeschuldigte in dem herannahenden Fahrzeug befand.
In diesem Moment fasste die Angeschuldigte spontan den Entschluss, ihre verhasste Nebenbuhlerin durch Überfahren mit dem Auto zu töten. Kurz bevor sie auf der Höhe der Geschädigten angelangt war, zog sie ihr Fahrzeug nach links, beschleunigte stark, so dass der Motor ihres PKW hochdrehte, und fuhr direkt auf die Geschädigte zu. Dabei war ihr bewußt, dass Frau A. wegen dieses für jene völlig überraschenden Fahrmanövers keine Chance haben werde, dem Angriff auszuweichen. Da die später Geschädigte nicht ansatzweise mit einem solchen Angriff rechnete und ihr nicht genügend Zeit zur Verfügung stand, konnte sie dem herannahenden Fahrzeug nicht ausweichen, wurde von ihm erfasst und prallte auf die Motorhaube. Der PKW bewegte sich dabei über den hinter dem ursprünglichen Standort der Geschädigten befindlichen ca. 15 Meter breiten und von Bordsteinen eingesäumten Grünstreifen. Auf dem dahinter quer verlaufenden Betonstreifen begann die Angeschuldigte ihr Fahrzeug abzubremsen, so dass die Geschädigte von der Motorhaube vor das Auto herunterfiel und von dem linken Vorderrad des sich noch fortbewegenden PKW überrollt wurde. Erst auf der sich hinter dem Betonstreifen befindlichen weiteren Grünfläche wurde der PKW durch dort befindliche Bäume gestoppt.
Die Angeschuldigte, die davon ausging, dass sie die Geschädigte durch den Aufprall und das Überrollen tödlich verletzt habe, zog die Handbremse an und stieg aus dem Auto. Jetzt nahm sie Schmerzenslaute der mit dem Oberkörper im Bereich der Fahrertür noch unter dem Fahrzeug liegenden Geschädigten wahr, ergriff deren Füße und zog sie - entweder um sich der Verletzungen der Geschädigten zu vergewissern oder um mit ihrem Fahrzeug davonfahren zu können - heftig und ruckartig unter dem Fahrzeug hervor. In diesem Moment erschien der Zeuge M. und rief ihr zu, dass sie die Geschädigte loslassen solle, was die Angeschuldigte auch tat, weil sie ihre Tat entdeckt sah. Sodann versorgte der beruflich als Rettungsassistent tätige Zeuge M. die Geschädigte. Im Rahmen dieser Tätigkeit forderte er die Angeschuldigte auf, ihm eine Decke zu geben. Dieser Aufforderung kam sie nach.
Die Geschädigte erlitt durch das Geschehen schwerste und unmittelbar lebensbedrohliche Verletzungen, insbesondere einen massiven Blutverlust sowie diverse Brüche der Wirbelsäule, des Beckens und der Rippen. Ihr Leben konnte nur durch eine sofortige Notoperation gerettet werden.
b)
Der dringende Tatverdacht beruht auf dem Inhalt der Ermittlungsakten, die der Senat nach Beschwerdegrundsätzen allumfassend zu würdigen hatte, insbesondere auf den Angaben der Geschädigten sowie auf denen der Zeugen U., Lo., Le., B., Ah., Ar. und B.
(1)
Die Angeschuldigte bestreitet eine vorsätzliche Tatbegehung. Nach Fahrtantritt habe sie wegen der schon einsetzenden Dunkelheit und wegen des vorherrschenden Nieselregens ihren Tacho nicht mehr hinreichend erkennen können und habe deswegen ihre Lesebrille aufsetzen wollen. Bei dem Versuch, nach ihrem in den Beifahrerfußraum gefallenen Brillenetui zu greifen, sei sie unbemerkt von der Fahrbahn abgekommen und habe, als sie mit dem Kopf wieder hochgekommen sei, nur noch eine schwarz gekleidete Person unmittelbar vor ihrem Fahrzeug gesehen. Von dem weiteren Unfallgeschehen habe sie keine Einzelheiten wahrgenommen. Erst als sie ausgestiegen sei, habe sie bemerkt, dass sie Frau A. angefahren haben müsse.
Diese Einlassung der Angeschuldigten erweist sich nach einer Gesamtschau der vorliegenden Beweismittel als unwahre Schutzbehauptung.
Dass die Angeschuldigte gezielt auf die Geschädigte zugefahren ist, ergibt sich bereits aus der von ihr zurückgelegten Fahrtstrecke. Anhand der Lichtbilder vom Tatort und der von der Polizei gefertigten Unfallskizze erschließt sich, dass die Richtungsänderung des von der Angeschuldigten gelenkten PKW in einem deutlichen Winkel nach links erfolgt ist. Ein etwa nur versehentliches "Verziehen" oder gar "Verreißen" des Lenkrades mit der Folge, dass ein PKW eine nahezu rechtwinklige Richtungsänderung vornimmt, erachtet der Senat bei lebensnaher Betrachtung der von der Angeschuldigten vorgebrachten Erklärung als derart fernliegend, dass es auszuschließen ist.
Dieses Ergebnis wird durch eine ganze Reihe von Beweisanzeichen gestützt.
So ist schon die von der Angeschuldigten vorgebrachte Begründung, warum sie (als Weitsichtige) ihre "Lese-" brille während der Fahrt habe aufsetzen wollen, nicht nachvollziehbar. Denn erst während der Fahrt will sie bemerkt haben, dass die Sichtverhältnisse wegen des vorherrschenden Nieselregens und wegen der bereits einsetzenden Dunkelheit so schlecht gewesen seien, dass sie ihre Brille habe aufsetzen müssen. Diese habe sich in einem Etui in ihrer auf dem Beifahrersitz abgestellten Handtasche befunden und das Etui sei beim Herausnehmen in den Beifahrerfußraum gefallen. Als sie danach getastet habe und mit dem Kopf wieder hochgekommen sei, habe sie vor sich nur noch eine dunkel gekleidete Person wahrgenommen.
Unstimmig ist bei dieser Einlassung bereits, dass die Angeschuldigte überhaupt eine Brille hat aufsetzen wollen, da dies als Weitsichtige ihre Fähigkeit, die Dinge zu erkennen, die im Straßenverkehr unabdingbar wahrgenommen werden müssen, eher verschlechtert als verbessert hätte. Soweit sie angegeben hat, dass sie die Brille im Auto bei schlechter Sicht aufsetze, um den Tachometer sehen zu können, sonst aber über den Brillenrand hinwegsehe, ist auch dies nicht nachvollziehbar, da sie - ihren Angaben zu Folge - wegen der schlechten Sichtverhältnisse bereits bei Fahrtantritt die Fahrzeugbeleuchtung eingeschaltet hatte. Warum sich dann plötzlich die Sicht auf die - bereits beleuchteten - Instrumente verschlechtert haben soll, ist nicht ersichtlich. Hinzu kommt, dass nach den übereinstimmenden Angaben aller Zeugen die Sichtverhältnisse zur Zeit der Tat noch durchaus gut waren: Trotz gelegentlichen Nieselregens habe die Dämmerung allenfalls gerade eingesetzt, so dass es noch "hell" gewesen sei.
Unglaubhaft ist auch die Tatsache, dass die Angeschuldigte, um zu ihrer Brille zu gelangen - anstelle kurz anzuhalten - ein derart riskantes Tast- bzw. Fahrmanöver unternommen haben will, obwohl sie sich selbst - was auch die Zeugin Le. bestätigt - als eine sehr ruhige und gewissenhafte Fahrerin beschreibt.
Dass die o.g. Einlassungen der Angeschuldigten in ihrer Beschuldigtenvernehmung und anlässlich der Haftprüfung durch das AG Parchim nicht der Wahrheit entsprechen, ist auch den Angaben der Zeugin Le. zu entnehmen, die aussagt, dass ihr die Angeschuldigte noch am Abend des Tatgeschehens telefonisch mitgeteilt habe, dass sie, gemeint ist die Geschädigte, ihr "vors Auto gelaufen" sei. Wäre die Angeschuldigte tatsächlich nur versehentlich von der Fahrbahn abgekommen, hätte es näher gelegen, auch schon in diesem Gespräch mit ihrer Bekannten ein eigenes Fehlverhalten einzuräumen, als die Schuld gänzlich auf die Geschädigte zu verlagern. Dies gilt um so mehr unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Angeschuldigte - ausweislich des Aktenvermerks des KOK B. über ein Gespräch mit dem Ehemann der Angeschuldigten - in einem ebenfalls noch am Abend mit ihrem Ehemann geführten Telefonat von einem Unfall gesprochen haben soll, bei dem sie "B. " angefahren habe. Dies lässt im Ergebnis den Schluss zu, dass die Angeschuldigte ihre "Erklärung" für das Entstehen der Schädigung der B. A. erst im Nachhinein im Sinne eines ungewollten Unfallgeschehens zurechtgelegt hat.
Gestützt wird diese Einschätzung dadurch, dass die den Vorsatz bestreitende Angeschuldigte das angebliche Tasten nach dem Brillenetui bei ihrer ersten Befragung am Tatort gänzlich unerwähnt gelassen hat.
Schließlich spricht auch gegen ein versehentliches Abkommen von der Fahrbahn, dass die Zeugen D. U. und D. L. unmittelbar vor den typischen Unfall- bzw. Kollisionsgeräuschen wie Poltern, Quietschen und Klappern, wahrgenommen haben, dass ein Fahrzeug sehr stark Gas gegeben hat. Das hat auch der Zeuge G. M. gehört, ohne allerdings weitere Unfallgeräusche wahrgenommen zu haben. Diese Angaben sind starkes Indiz dafür, dass die Angeschuldigte unter Beschleunigung ihres Fahrzeuges die Fahrtrichtung bewußt in Richtung der Geschädigten geändert hat.
Letzteres wird schließlich auch durch die Angaben der Geschädigten bestätigt. Sie hat hierzu angegeben:
"Das Fahrzeug fuhr erst mal auf der K.-M.-Straße entlang und dann zog es plötzlich vor mir voll rum. Sie fuhr erst gerade und zog dann plötzlich voll auf mich zu."
Auch diese Schilderung ist deutliches Indiz für eine gewollte und mit einer Beschleunigung verbundene plötzliche Richtungsänderung durch die Angeschuldigte und nicht für ein versehentliches Abkommen von der geradeaus verlaufenden Fahrtrichtung.
Dass die Angeschuldigte während des Zufahrens auf die Geschädigte ihr Fahrzeug noch beschleunigt hat, wird überdies durch das Sachverständigengutachten der DEKRA untermauert. Der KFZ-Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dass das Fahrzeug, als es nach Durchfahren des ersten Grünstreifens begonnen hat, Bremsspuren zu zeichnen, sich noch mit einer Geschwindigkeit zwischen 29 und 33 km/h fortbewegt haben müsse. Auch wenn der bisher eingesetzte Sachverständige wegen "fehlender Anknüpfungstatsachen" keine Angaben zu der Kollisionsgeschwindigkeit hat machen können, bedeutet die Geschwindigkeit des PKW nach Durchfahren des ca. 15 Meter breiten Grünstreifens, dass das Fahrzeug vor Auffahren auf den Grünstreifen und damit bei der Kollision mit der Geschädigten eine deutlich höhere Geschwindigkeit gefahren sein muss.
(2)
Bereits dieses Fahrverhalten für sich genommen macht die Angeschuldigte dringend verdächtig, den Tod der Geschädigten nicht nur in Kauf genommen, sondern gewollt, mithin mit direktem Vorsatz gehandelt zu haben. Wer nämlich eine solche Handlung vornimmt, die an Gefährlichkeit für das Leben des Anderen kaum zu überbieten ist, will auch, dass dadurch der Tod des Anderen herbeigeführt wird. Auch die Umstände, dass die Angeschuldigte bei diesem Fahrmanöver keine Rücksicht auf das von ihr geführte Fahrzeug, welches nicht unerheblich beschädigt worden ist, genommen hat und dass sie dabei auch nicht hat ausschließen können, eigene Körperschäden zu erleiden, sind Indiz dafür, dass ihr spontaner Tatentschluss und das ihm folgende Verhalten von dem ungehemmten Willen getragen waren, Frau A. um jeden Preis zu töten.
Weitere bedeutsame Beweisanzeichen dafür, dass die Angeschuldigte mit direktem Tötungsvorsatz auf die Geschädigte zugefahren ist, sind die von der Angeschuldigten im Vorfeld der Tat durchlebten Tötungsphantasien. Hiervon und von der dem Wunsch, Frau A. "umzubringen", hatte sie den Zeuginnen M. Ah. , H. B. und den Eheleuten Ar. berichtet. Während die Zeugin Ar. den Wunsch, Frau A. umzubringen, als von der Angeschuldigten floskelhaft und ohne ernsthaften Hintergrund dahergesagt empfand, hielten die übrigen Zeugen diesen geäußerten Wunsch der Angeschuldigten für eine durchaus ernstgemeinte Äußerung.
Auch wenn nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen nichts dafür spricht, dass die Angeschuldigte ihre Tat langfristig im Voraus geplant hatte, bedeuten diese Tötungsphantasien, dass die Angeschuldigte ihre Nebenbuhlerin gehasst hat und dass der gewaltsame Tod der Frau A. in ihrer Vorstellungswelt bereits einen Platz eingenommen hatte. Daher liegt es nahe, dass sie, als sie erkannt hat, dass sie die von ihr für das Scheitern ihrer Ehe verantwortlich Gemachte ohne weitere Anstrengungen einfach "überfahren" kann, sich augenblicklich hierzu entschlossen hat.
Bei der Tatbegehung hat die Angeschuldigte auch mit Heimtückevorsatz gehandelt, da ihr klar war, dass bis zu ihrem plötzlichen Richtungswechsel die Geschädigte darauf vertrauen würde, dass sie, die Angeschuldigte, in normaler und ungefährlicher Fahrweise an ihr vorbeifahren würde. Erst der plötzliche Richtungswechsel im letzten Moment machte es der Geschädigten unmöglich, dem Anstoß in irgend einer Weise auszuweichen. Die Annahme, dass die Angeschuldigte die Arg- und Wehrlosigkeit der Frau A. nicht erkannt haben könnte, ist angesichts des gesamten Tatgeschehens ebenfalls so fernliegend, dass sie auszuschließen ist.
2.
Danach besteht ein dringender Verdacht, dass die Angeschuldigte sich der ihr zur Last gelegten Tat schuldig gemacht hat.
Erörterungswürdig ist insoweit nur, dass sie von diesem versuchten Tötungsdelikt nicht mit strafbefreiender Wirkung zurückgetreten ist.
a)
Die Frage, in welchem Versuchsstadium der Täter sich befindet und unter welchen Voraussetzungen ihm ein strafbefreiender Rücktritt noch möglich ist, beurteilt sich danach, ob der Täter nach der letzten von ihm konkret vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont; vgl. BGHSt 39, 221, 227 m.w.N.). Wenn der Täter nach seinem Kenntnisstand nach der letzten Ausführungshandlung in zutreffender Einschätzung der durch die Tathandlung verursachten Gefährdung des Opfers den Erfolgseintritt für möglich hält, ist der Versuch beendet. Ein strafbefreiender Rücktritt setzt in solchen Fällen voraus, dass der Täter den Erfolgseintritt durch eigene Tätigkeit verhindert oder sich darum bemüht, wenn der Erfolg ohne sein Zutun ausbleibt. Rechnet er dagegen nach der letzten Ausführungshandlung nach seinem Kenntnisstand (noch) nicht mit dem Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs, und sei es auch nur in Verkennung der durch seine Handlung verursachten Gefährdung des Opfers, so ist der Versuch unbeendet, wenn die Vollendung aus der Sicht des Täters noch möglich ist (BGH a.a.O.).
Davon unterscheidet sich die Gruppe der Fälle des sog. fehlgeschlagenen Versuchs, von dem ein Rücktritt ausgeschlossen ist. Fehlgeschlagen ist der Versuch dann, wenn der Erfolgseintritt - für den Täter erkanntermaßen - objektiv nicht mehr möglich ist oder der Täter ihn nicht mehr für möglich hält (vgl. BGH a.a.O. S. 228 m.w.N.), bzw. jedenfalls dann, wenn es dem Täter, was er weiß, tatsächlich unmöglich ist, im unmittelbaren Fortgang des Geschehens den Erfolg noch herbeizuführen (BGHSt 34, 53, 56).
b)
Unter Zugrundelegung dieses Beurteilungsmaßstabes erweist sich - je nach dem, worin die letzte Ausführungshandlung zu sehen ist - der durch die Angeschuldigte versuchte Mord als beendeter bzw. als fehlgeschlagener Versuch.
(1)
Davon ausgehend, dass die Angeschuldigte mit dem Stillstand des von ihr gelenkten Fahrzeuges die letzte Ausführungshandlung vorgenommen hatte, liegt bereits ein beendeter Versuch vor, da die Angeschuldigte zu diesem Zeitpunkt davon ausgegangen ist, dass sie alles Erforderliche getan hat, um den Tod ihrer Nebenbuhlerin herbeizuführen. Dass sie sich dies vorstellte, ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass sie in Entsprechung ihres spontan gefassten Tatplanes vorgegangen ist und es zu keinem davon abweichenden Kausalverlauf gekommen ist. Wie nämlich von ihr beabsichtigt, hat sie Frau A. frontal mit dem von ihr geführten und unmittelbar vor dem Anstoß beschleunigten Fahrzeug erfasst, so dass es derart fern liegt - und deswegen auszuschließen ist -, dass sie ernsthaft damit gerechnet haben könnte, ihr Opfer sei nicht lebensgefährlich verletzt worden.
Von diesem beendeten Versuch ist die Angeschuldigte nicht mit strafbefreiender Wirkung zurückgetreten, da der tatbestandliche Erfolg weder durch ihr Zutun ausgeblieben ist noch sie sich ernsthaft und freiwillig darum bemüht hat, dass der Erfolg ausbleibt. Dadurch, dass die Angeschuldigte die mit dem Oberkörper unter dem Auto liegende Geschädigte an den Füßen gepackt und darunter hervor gezogen hat, ist sie weder für deren Rettung kausal geworden noch ist darin ein ernsthaftes und freiwilliges Bemühen um die Erfolgsabwendung zu erkennen. Letzteres ergibt sich bereits aus der Art und Weise, wie die Angeschuldigte mit der Geschädigten umgegangen ist. So hat sie nach den übereinstimmenden Angaben zweier Zeugen "heftig" (Zeuge Lo., Bd. I, Bl. 20 d.A.) bzw. "ruckartig und heftig" (Zeugin U.. Bd. I, Bl. 16 d.A.) an den Füßen der Geschädigten gezogen. Dass es sich bei dieser Behandlung augenscheinlich nicht um eine augenblickliche Abkehr von dem zuvor betätigten Tötungswillen der Angeschuldigten handelte, sondern um eine der Gesundheit der Geschädigten weiterhin abträgliche Behandlung, erschließt sich darüber hinaus aus dem Umstand, dass den Angaben des Zeugen Lo. zu Folge der Zeuge M. bei seinem Erscheinen der Angeschuldigten sofort zugerufen hat, sie solle die Frau loslassen (Bd. I, Bl. 20 d.A.). Soweit die Angeschuldigte in ihrer Beschuldigtenvernehmung vom 27.6.2002 diesen Vorgang gegenteilig beschreibt, nämlich dass sie Geschädigte "ganz langsam" unter dem Auto hervorgezogen habe, handelt es sich in Anbetracht der vorgenannten Zeugenangaben auch insoweit um eine unwahre Schutzbehauptung. An dieser Bewertung ändert auch der Umstand nichts, dass die Angeschuldigte - ausweislich der Angaben des noch nicht förmlich vernommen Zeugen N. - noch vor dem Hinzutreten des Zeugen M. mehrfach sinngemäß "O-je" gesagt haben soll. Solche Ausrufe können sowohl Ausdruck des Bedauerns, des Erschrecktseins aber auch der Angst vor dem Entdecktwerden sein.
Soweit das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung einen unbeendeten Versuch zu dem Zeitpunkt erblickt, als die Angeschuldigte die Geschädigte unter dem Auto hervorgezogen und dabei erkannt habe, dass das Überfahren nicht zu deren Tod geführt habe, und mit dem Absehen von weiteren Tätlichkeiten von dem versuchten Tötungsdelikt zurückgetreten sei, findet diese Sachverhaltsdarstellung in den vorliegenden Akten keine hinreichende Stütze. Dies würde nämlich voraussetzen, dass die Angeschultigte unmittelbar mit bzw. unmittelbar nach dem Aussteigen aus dem PKW nicht mehr für möglich gehalten hat, dass der von ihr angestrebte Todeserfolg ohne ihr weiteres Zutun noch eintreten kann. Zureichende Anhaltspunkte für eine solche Vorstellung der Angeschuldigten zu diesem Zeitpunkt sind nicht vorhanden:
Nach objektivem Urteil (Rechtsmedizinisches Gutachten in Sonderheft-Gutachten, Körperliche Untersuchung B. A. , Bl. 8) bestand für die Geschädigte aufgrund des durch das Tatgeschehen bewirkten massiven Blutverlustes und der Schocksymptomatik die nahe Gefahr des Todeseintrittes. Die Angeschuldigte hat erkannt, dass sie ihrem Willen entsprechend die Geschädigte an- und überfahren hat. Da es sich bei ihr ausweislich des psychiatrischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. O. um eine normal intelligente Persönlichkeit handelt, bei der zur Zeit der Tat keine erhebliche Minderung der Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit vorgelegen hat (Sonderheft Forensisch-psychiatrisches Gutachten, Bl. 39-41), ist der Schluss zu ziehen, dass die Angeschuldigte, die Kenntnis der Umstände hatte, aus denen sich die Lebensgefährdung ergab, den Eintritt des Erfolges mindestens für möglich gehalten hat. Eine andere Beurteilung stellt - jedenfalls nach derzeitiger Aktenlage - zu hohe Anforderungen an das Merkmal des Fürmöglichhaltens. Dies gilt um so mehr, als die Angeschuldigte die Geschädigte noch nicht einmal vollständig hat sehen können, als sie sie unter dem Wagen liegend wahrgenommen hat. Somit konnte sie schon wegen der fehlenden Sichtmöglichkeit auf die verletzten Bereiche der Brust und des Kopfes des Opfers keine Fehlvorstellung dahin entwickeln, das Opfer könne nicht tödlich verletzt sein.
(2)
Davon ausgehend, dass die Angeschuldigte mit dem Hervorziehen des Opfers die letzte Ausführungshandlung vorgenommen hatte, gilt Folgendes:
Bereits mit dem Hinzutreten des Zeugen M., das sich dem Hervorziehen der Geschädigten durch die Angeschuldigte unmittelbar angeschlossen hat, erweist sich der von der Angeschuldigten unternommene Versuch, Frau A. zu töten, als fehlgeschlagen, da ihr jetzt bewußt geworden ist, dass sie keine weiteren Ausführungshandlungen mehr vornehmen kann, um den möglicherweise nicht mehr von selbst eintretenden Erfolg dennoch herbeizuführen. Etwaigen sonstigen Angriffen auf die Geschädigte wäre der sie versorgende Zeuge M. entgegengetreten, so dass es der Angeschuldigten schon allein deswegen tatsächlich unmöglich geworden war, den Tod ihres Opfers im unmittelbaren Fortgang des Geschehens noch herbeizuführen. Da ein Rücktritt vom fehlgeschlagenen Versuch nicht möglich ist, kommt dem Herausgeben der Decke aus dem Auto der Angeschuldigten keine rücktrittsrelevante Bedeutung mehr zu. Der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass die Herausgabe der Decke nach Aufforderung durch den Zeugen M. ohnehin nicht als ein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen um Erfolgsabwendung angesehen werden könnte.
3.
Es besteht gegen die Angeschuldigte der besondere Haftgrund des § 112 Abs. 3 StPO, der auch im Falle des Versuchs einer Katalogtat dieser Norm einschlägig ist (vgl. dazu Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 112 Rdnr. 36). Die Angeschuldigte ist eines Tötungsverbrechens gem. §§ 211, 22, 23 Abs. 1 StGB dringend verdächtig. In verfassungskonformer Auslegung (vgl. BVerfGE 19, 342 [350]) des besonderen Haftgrundes nach § 112 Abs. 3 StPO ist Fluchtgefahr für die Angeschuldigte jedenfalls nicht auszuschließen. Insbesondere wegen der Schwere der Tatfolgen (die Geschädigte ist noch am 27.8.2002 operiert worden [transthorakaler Wirbelkörperersatz des 12. Brustwirbelkörpers mit spongiosagefülltem Titanzylinder], wobei eine Einschätzung möglicher Folge- bzw. Dauerschäden noch nicht vorgenommen werden kann) hat die Angeschuldigte mit der Verhängung einer empfindlichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Nachdem die Angeschuldigte von ihrem Ehemann getrennt lebt, und ihre erwachsenen Kinder nicht mehr mit ihr in einer häuslichen Gemeinschaft leben, sind besondere tragfähige soziale Bindungen, die einem Fluchtanreiz entgegenstehen könnten, nicht ersichtlich. Unter zusätzlicher Berücksichtigung des Umstandes, dass sie langzeitig wegen Depressionen behandelt worden ist, ist bei ihr nach einer Gesamtschau aller Umstände von einer eher instabilen Persönlichkeit auszugehen, von der nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann, dass sie sich der Durchführung des Strafverfahren uneingeschränkt zur Verfügung halten wird.
Durch weniger einschneidende Maßnahmen nach § 116 StPO kann vorliegend der Zweck der Untersuchungshaft nicht erreicht werden.
4.
Der Senat hat Anlaß gesehen, den Haftbefehl des AG Parchim vom 7.5.2002, wie geschehen, neu zu fassen. Ein Haftbefehl, der nicht den Anforderungen des § 114 Abs. 2 StPO genügt, wird, wenn die Haftvoraussetzungen vorliegen, vom Beschwerdegericht neu gefaßt (KK-Boujong, StPO, 4. Aufl., § 114 Rdnr. 9. m. w. N.).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor, da der amtsrichterliche Haftbefehl hinsichtlich des versuchten Tötungsdelikts lediglich von einem Eventualvorsatz ausging, er sich nicht zur Rücktrittsproblematik verhielt und er nicht den durch die Angeschuldigte tateinheitlich begangenen qualifizierten Gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr aufwies.
Ende der Entscheidung
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