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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 11.12.2008
Aktenzeichen: I WsRH 42/08
Rechtsgebiete: StrRehaG, VermG, GVG, StPO


Vorschriften:

StrRehaG § 1 Abs. 1
StrRehaG § 1 Abs. 5
StrRehaG § 7 Abs. 1 Nr. 2
StrRehaG § 8 Abs. 1
StrRehaG § 13 Abs. 1
StrRehaG § 13 Abs. 4
StrRehaG § 14 Abs. 1
StrRehaG § 14 Abs. 4
VermG § 1 Abs. 8 Buchst. a
GVG § 121 Abs. 2
StPO § 473 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Rostock -Senat für Rehabilitierungssachen- BESCHLUSS

I WsRH 42/08

In dem Rehabilitierungsverfahren

hat der Senat für Rehabilitierungssachen des Oberlandesgerichtes Rostock auf die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Rehabilitierungskammer des Landgerichts Schwerin vom 28.08.2008 - 51 Rh 97/02 - auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft am 11. Dezember 2008 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

Kosten werden nicht erhoben. Ihre im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Antragstellerin selbst.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin ist die Tochter des im Jahre 1952 verstorbenen Eduard F. C. B., der nach dem Antragsvorbringen mit dem Fuhrunternehmer Kurt B. (Betroffener) identisch ist. Sie ist als solche nach § 7 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG antragsberechtigt.

Der Betroffene war unter der Berufsbezeichnung "Fuhrunternehmer" im Grundbuch von A. als Eigentümer des Hausgrundstücks S. Str. 10 (heute S. Str. 3) in A. mit einer Größe von 743 qm eingetragen (Grundbuch von A. - S., Band 00, Blatt 000).

Noch vor Kriegsende war der Betroffene am 27.04.1945 in die britischen Besatzungszone nach N./O. geflohen, um seiner drohenden Verhaftung zu entgehen. Er sei, so der Betroffene in einem Schreiben vom 19.03.1947 an die Haupttreuhandstelle Schwerin (Bl. 51 d.A.) - als Autobus - Unternehmer von der Deutschen Luftwaffe gezwungen worden, im Rahmen der Absetzbewegung einen Transport nach F. durchzuführen. In die sowjetische Besatzungszone war er nicht mehr zurückgekehrt. Sein Grundstück wurde im Zuge des SMAD-Befehls Nr. 124 vom 30.10.1945 - Auferlegung von Sequestrierungsmaßnahmen und Übernahme in die zeitweilige Verwaltung von bestimmten Vermögenskategorien in Deutschland - sequestriert.

Aufgrund dieses Befehls wurde das auf dem von der Roten Armee besetzten Gebiet befindliche Vermögen bestimmter Personengruppen als unter Sequestration befindlich erklärt, und zwar u.a. das Vermögen der Amtspersonen der NSDAP, ihrer führenden Mitglieder und hervortretenden Anhänger (Ziffer 1b), weiterhin der Personen, die von dem Sowjetischen Militärkommando in besonderen Verzeichnissen oder auf anderen Wegen angegeben wurden (Ziffer 1f), sowie herrenlose Vermögen (Ziffer 2). Nach Ziffer 3 des SMAD-Befehls Nr. 154/181 vom 21.05.1946 betreffend die Nutzung der auf Grund der Befehle Nr. 124 und Nr. 126 sequestrierten und konfiszierten Güter hatte die Übergabe der betreffenden Vermögenswerte in Besitz und Verfügung deutscher Selbstverwaltungen der Länder und Bundesgebiete unter Aufstellung entsprechend rechtskräftig gestalteter Verzeichnisse zu erfolgen. Laut Ziffer 8 dieses SMAD-Befehls sollten die Präsidenten der Länder eine genaue Überprüfung des konfiszierten und sequestrierten Gutes durchführen und hierzu die örtlichen Selbstverwaltungsorgane heranziehen, weil der Verdacht bestand, dass die Befehle Nr. 124 und 126 im Einzelfall nicht richtig angewendet worden waren.

In einer "Liste A" für den Kreis U., betreffend sonstige Vermögenswerte, die nicht an den Eigentümer zurückgegeben werden (Bl. 64 d.A.), wurde "Kurt B., A., S. Str. 10" mit dem Vermögenswert Hausgrundstück und dem Beschlagnahmegrund "SS-Mann" unter der laufenden Nr. 2 geführt. Laut einem Protokoll der Sitzung der Landeskommission für Sequestrierung und Beschlagnahme vom 16.10.1946 wurde bei der Überprüfung der Sequestrierung des Hausgrundstücks des Betroffenen einstimmig die Zuordnung zur "Liste A" bestätigt (Bl. 65 d.A.). Nach § 1 des Gesetzes Nr. 4 zur Sicherung des Friedens durch Überführung von Betrieben (Eigentumskategorien) der faschistischen und Kriegsverbrecher in die Hände des Volkes vom 16.08.1946 wurde das gesamte durch den Befehl Nr. 124 erfasste Vermögen enteignet und gem. § 2 des Gesetzes zu Eigentum der Landesverwaltung Mecklenburg-Vorpommerns erklärt.

Gemäß Beschluss der Deutschen Wirtschaftskommission vom 21.09.1948 wurde das Grundstück schließlich in volkseigenes Vermögen überführt. Mit Übertragungsurkunde Nr. 000/0 vom 01.09.1949 übertrug die Landesregierung Mecklenburg - Ministerium des Inneren - die Verwaltung des Hausgrundstücks dem Kommunalen Wirtschaftsunternehmen der Gemeinde S. A., das zusätzlich zu der bestehenden Eintragung "Eigentum des Volkes" am 23.02.1950 als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen wurde.

Die Antragstellerin hatte zunächst vor dem Verwaltungsgericht Greifswald auf Rückübertragung des Grundstücks nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (VermG) geklagt, die Klage wurde jedoch mit Urteil vom 19.02.1998 unter Hinweis auf § 1 Abs. 8 Buchst. a) VermG mit der Begründung abgewiesen, die erfolgte Enteignung sei auf besatzungshoheitlicher Grundlage erfolgt.

Die Antragstellerin begehrt nunmehr die strafrechtliche Rehabilitierung des Betroffenen nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG). Im Einzelnen beantragt sie,

1. den von der Kommission für Beschlagnahme und Sequestration beim Innenministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern gegen Kurt B. erhobenen Schuldvorwurf, Kurt B. sei Kriegsverbrecher gewesen, weil er mit seinem von der Wehrmacht requirierten Autobus Soldaten von der Ostfront nach Westen transportiert habe,

2. die Anordnung der Einziehung des betrieblichen und sonstigen privaten Vermögens des Kurt B. jeweils für rechtsstaatswidrig zu erklären und aufzuheben.

Mit Beschluss vom 28.08.2008 - dem Verfahrensbevollmächtigten zugestellt am 02.10.2008 - hat die zuständige Rehabilitierungskammer des Landgerichts Schwerin (Az.: 97 Rh 121/02) den Rehabilitierungsantrag als unzulässig zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich die am 08.10.2008 beim Landgericht eingegangene Beschwerde, mit welcher die Antragstellerin die strafrechtliche Rehabilitierung ihres Vaters unverändert weiterverfolgt.

II.

Die gemäß § 13 Abs.1 StrRehaG statthafte und auch im übrigen zulässige Beschwerde ist unbegründet.

1.

Das Landgericht Schwerin war für die angefochtene Entscheidung örtlich zuständig, § 8 Abs. 1 StrRehaG.

Die örtliche Zuständigkeit wird - abschließend - begründet durch den Ort, an dem die angegriffene Entscheidung getroffen worden ist (Pfister/Mütze, Rehabilitierungsrecht, 1994, § 8 Rn. 5 und 6). Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrem Rehabilitierungsbegehren ausdrücklich gegen den Beschluss der Landeskommission für Sequestrierung und Beschlagnahme in Schwerin vom 16.10.1946, mit dem die endgültige Zuordnung des streitgegenständlichen Hausgrundstücks zur "Liste A" der sequestrierten Vermögenswerte erfolgte, was wiederum Grundlage für die nachfolgende Überführung in Volkseigentum war.

2.

Zu Recht und mit einer in jeder Hinsicht zutreffenden Begründung, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt, hat das Landgericht das Rehabilitierungs-begehren der Antragstellerin als unzulässig zurückgewiesen. Die zur rehabilitierungsrechtlichen Überprüfung gestellte Entscheidung der Kommission für Beschlagnahme und Sequestration beim Innenministerium des Landes Mecklenburg ist keine strafrechtliche Maßnahme im Sinne von § 1 Abs. 5 StrRehaG.

Das umfängliche Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung der Sach- und Rechtslage. Für die von der Antragstellerin erstrebte strafrechtliche Rehabilitierung des Betroffenen gibt es keine gesetzliche Grundlage.

1.

Zwar findet nach § 1 Abs. 5 StrRehaG das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) auch auf solche Maßnahmen Anwendung, bei denen es sich - wie hier - nicht um eine gerichtliche Entscheidung im Sinne von § 1 Abs. 1 StrRehaG handelt. Zudem erfasst § 1 Abs. 5 StrRehaG nicht nur solche Maßnahmen, die in einem förmlichen Strafverfahren erfolgt sind. Da diese Norm auch systembedingtes Unrecht im Vorfeld einer geordneten strafrechtlichen Verfolgung erfassen soll, kommt ihre Anwendung darüber hinausgehend auch auf alle solchen staatlichen Zwangsmaßnahmen in Betracht, bei denen ein inhaltlicher oder thematischer Zusammenhang mit dem Vorwurf einer nach den Gesetzen der früheren DDR oder ihrer Rechtspraxis strafbaren Handlung besteht (vgl. Bruns/Schröder/Tappert, StrRehaG, § 1 Rn. 185; Kammergericht, VIZ 1993, 88; OLG Rostock [2. Senat], OLG-NL 1996, 288; ebenso OLG Dresden, Beschluss vom 09.05.2007 - 1 Reha Ws 32/06 -). Voraussetzung ist aber - nicht zuletzt im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut des Gesetzes - stets, dass der jeweiligen Maßnahme ein strafrechtlicher Charakter zukommt, mit der zu beurteilenden Zwangsmaßnahme mithin aus damaliger Sicht eine spezifisch strafrechtliche Vergeltung für das missbilligte individuelle Verhalten bezweckt war. Das ist vorliegend ersichtlich nicht der Fall.

2.

Der Senat verkennt nicht, dass im Rahmen der Beschlagnahme bzw. Sequestration von Vermögenswerten, die in der damaligen sowjetischen Besatzungszone durchgeführt wurden, grobes Unrecht geschehen sein kann. Dies rechtfertigt indes nicht eine weder vom Gesetzeswortlaut ("strafrechtliche Maßnahmen") noch vom Gesetzeszweck gedeckte erweiternde Auslegung des § 1 Abs. 5 StrRehaG gegen den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, wie sie der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin offenbar erstrebt.

Zwar kann - wie ausgeführt - nach § 1 Abs. 5 StrRehaG eine Rehabilitierung auch für solche Maßnahmen in Betracht kommen, die keine gerichtlichen Entscheidungen sind. Dies kann indes nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes, aber auch nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, nur für politisch motivierte Maßnahmen strafrechtlichen Charakters gelten, die außerhalb eines förmlichen Strafverfahrens und ohne Beteiligung eines Gerichts ergangen sind. Dem Gesetzgeber standen im damaligen Gesetzgebungsverfahren insoweit die Ingewahrsamnahme von Personen durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) ohne Beachtung rechtsstaatlicher Grundsätze sowie die Beschlagnahme von Vermögenswerten in einem später eingestellten Ermittlungsverfahren oder die "Sicherstellung" von Vermögenswerten durch das MfS außerhalb eines geregelten Strafverfahrens vor Augen (vgl. BT-Drucksache 12/1608, S.18), nicht aber auch Entscheidungen der auf besatzungshoheitlicher Grundlage operierenden Landesregierungen bei der Umsetzung von SMAD-Befehlen, hier der Befehle Nr. 124 und 64. Hätte der Gesetzgeber auch diese als nach dem StrRehaG zu rehabilitierende und gegebenenfalls zu entschädigende Maßnahmen ansehen wollen, wäre dies ausdrücklich bestimmt worden. Weder dem Wortlaut des Gesetzes noch der amtlichen Begründung ist ein entsprechender Wille des Gesetzgebers zu entnehmen.

Diese Grundentscheidung des Gesetzgebers, an die die Gerichte gebunden sind, würde missachtet, wenn derartige Vorgänge nunmehr im Wege der Analogie unter strafrechtlichen Gesichtspunkten einer Rehabilitierung zugänglich gemacht würden (vgl. Beschluss des Senats vom 27.05.2008 - I WsRH 22/07 - für Entscheidungen der Entnazifizierungskommissionen). Die Rechtsprechung des Senates befindet sich insofern im Einklang mit der allgemeinen obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. die von der Generalstaatsanwaltschaft zitierte Rechtsprechung in ihrer Zuschrift vom 05.11.2008).

3.

Auch der Umstand, dass der Gesetzgeber die damaligen Enteignungen auf besatzungshoheitlicher Grundlage ausdrücklich der verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung entzogen hat (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG i. V. m. § 1 Abs. 8 lit a VermG), kann nicht dazu führen, sie stattdessen im Wege einer über den eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 1 Abs. 5 StrRehaG hinausgehenden Auslegung der strafrechtlichen Rehabilitierung zugänglich zu machen (ständige Rechtsprechung des Senat, vgl. Beschluss vom 24.09.2008 - I WsRH 30/08 m.w.N.).

Damit ist auch für eine Entscheidung, ob die von der Sequesterkommission erfolgte Einordnung des Betroffenen als "SS-Mann" zutreffend war, kein Raum. Soweit die Beschwerdeführerin die Ansicht vertritt, auf ihrem Vater laste allein aufgrund seines damaligen sozialen Status postmortal der Makel der politischen Verfolgung, ist dieser Umstand ebenfalls einer strafrechtlichen Rehabilitierung nicht zugänglich. Die Anordnung der Einziehung des im Hausgrundstück verkörperten Vermögens des Betroffenen stellt keine politisch motivierte Strafverfolgung als Ausdruck von Missbrauch staatlicher Strafgewalt dar, weil ihr - wie bereits festgestellt - kein auf einen individuellen Schuldvorwurf (in Form eines Verstoßes gegen ein bestimmtes Strafgesetz) gegründetes Straf- oder Ermittlungsverfahren vorausging. Deswegen ist dem Senat auch eine Feststellung verwehrt, ob der vom Gesetz Nr. 4 erfasste Personenkreis als pauschal verfolgt anzusehen bzw. die Einziehung seines Vermögens als Mittel des Klassenkampfes zu werten ist.

Der Senat hat keine Veranlassung, die Sache gem. § 13 Abs. 4 StrRehaG i.V.m. § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof vorzulegen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt sind. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Senat mit seiner Entscheidung von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofes abweicht.

III.

Die Entscheidung über die Gebühren folgt aus § 14 Abs. 1 StrRehaG; die Entscheidung über die der Antragstellerin entstandenen notwendigen Auslagen aus § 14 Abs. 4 StrRehaG i.V.m. § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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