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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 26.07.2007
Aktenzeichen: 1 Verg 3/07
Rechtsgebiete: VOL/A


Vorschriften:

VOL/A § 21 Nr. 1 Abs. 1
VOL/A § 25 Nr. 1 Abs. 1 a
VOL/A § 25 Nr. 2 Abs. 2
VOL/A § 25 Nr. 2 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERLANDESGERICHT

BESCHLUSS

1 Verg 3/07

In dem Verfahren

hat der Vergabesenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Czauderna, den Richter am Oberverwaltungsgericht Wilke und den Richter am Oberlandesgericht Mihr am 26. Juli 2007 beschlossen:

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss der Vergabekammer Schleswig-Holstein vom 06. Juni 2007 wird bis zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde verlängert, soweit die sofortige Beschwerde die Vergabeentscheidung zu den Losen 1 und 2 betrifft.

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführerin erstrebt mit ihrer sofortigen Beschwerde die Aufhebung des Beschlusses der Vergabekammer vom 06. Juni 2007 und die Verpflichtung der Beschwerdegegnerin zur Neubewertung der Angebote.

Die Beschwerdegegnerin schrieb Ende 2006 im offenen Verfahren Leistungen zur Abfalleinsammlung einschl. Transport in drei Losen aus. Nach Submission, Angebotsprüfung und Aufklärungsgesprächen mit den Bietern schloss die Beschwerdegegnerin das Angebot der Beschwerdeführerin von der Wertung aus und informierte die Bieter von ihrer Absicht, den Zuschlag für alle drei ausgeschriebenen Lose auf das Angebot der Beteiligten zu 2) zu erteilen.

Nach erfolgloser Rüge - zur Zahlung von Tariflöhnen, zur Auskömmlichkeit der angebotenen Preise und zum Anteil des zeitraumabhängigen Entgelts am Gesamtentgelt - hat die Beschwerdeführerin am 05.04.2007 die Nachprüfung beantragt; ein Nachprüfungsantrag der Beteiligten zu 1) ist am 16.04.2007 eingegangen.

Die Vergabekammer hat die Nachprüfungsanträge durch Beschluss vom 06. Juni 2007 im wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, das Angebot der Beschwerdeführerin könne zwar im Hinblick auf die angegebene Tariftreueerklärung nicht ausgeschlossen werden, wohl aber wegen eines Preismissverhältnisses. Die angebotenen Preise seien ungewöhnlich niedrig. Angesichts des Preisabstandes zu den sog. Soll-Kosten habe die Vergabestelle Einzelposten im Angebot prüfen und insoweit auch eine Angebotsaufklärung durchführen dürfen. Die Beschwerdeführerin habe an der Aufklärung der Personalkostenkalkulation nicht ausreichend mitgewirkt und den Anschein der Unauskömmlichkeit nicht widerlegt. Es sei evident, dass sie nicht nach BDE-Tarifen kalkuliert habe.

Gegen den am 06.06.2007 zugestellten Beschluss hat die Beschwerdeführerin am 19.06.2007 sofortige Beschwerde eingelegt und zugleich beantragt, deren aufschiebende Wirkung gem. § 118 Abs. 1 S. 3 GWB zu verlängern. Sie beanstandet die von der Vergabekammer vorgenommene Auskömmlichkeitsprüfung und die fehlerfreie Führung des Aufklärungsgesprächs (§ 24 VOL/A). Die Vergabestelle habe insoweit eigene, aufgestellte Verfahrensgrundsätze und Vorgaben missachtet. Kalkulationsansätze seien nicht hinterfragt, nur der Ist-Zustand der Kalkulation sei abgefragt worden. Die Nichtberücksichtigung von Tariflöhnen sei im Aufklärungsgespräch nicht angesprochen worden. Es habe keine Möglichkeit bestanden aufzuzeigen, dass ihr Angebot auskömmlich sei. Maßgeblich sei nicht die Kalkulation des Lohnes, sondern der Angebotsendpreis. Die Vergabestelle habe die Bieter ungleich behandelt.

II.

Der gemäß § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB statthafte Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde ist begründet.

Die Beschwerdeführerin kann in Bezug auf die Lose 1 (Rest- und Bioabfall) und 2 (Sperrmüll etc.) eine Fortdauer des Verbots beanspruchen (§ 115 Abs. 1 GWB), die von der Beschwerdegegnerin angekündigte Vergabeentscheidung zu Gunsten der Beteiligten zu 2) [XXX] durch einen Zuschlag umzusetzen. Der sofortigen Beschwerde sind nach der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Überprüfung der Erfolgsaussichten in Bezug auf eine Zuschlagerteilung auf die Lose 1 und 2 nicht abzusprechen (vgl. zum Entscheidungsmaßstab im Verfahren nach § 118 GWB Beschluss des Senats vom 14. August 2000, 6 Verg 2/00, SchlHA 2001, 38 = OLGR 2000, 470).

Hinsichtlich des Loses 3 (Siedlungsabfall) hatte die Beschwerdegegnerin das Angebot der Beschwerdeführerin (in der ersten Wertungsphase) gem. § 25 Nr. 1 Abs. 1 d i. V. m. § 21 Nr. 1 Abs. 4 VOL/A ausgeschlossen, weil es entgegen der Vorgabe in Ziff. 5.1.2 des Angebotsformulars einen Anteil des zeitraumabhängigen Entgelts von 40 % am Gesamtentgelt enthielt. An der dagegen erhobenen Rüge hat die Beschwerdeführerin im Verfahren vor der Vergabekammer nicht mehr festgehalten (s. II.1.c des Beschlusses der Vergabekammer).

In Bezug auf die Lose 1 und 2 geht der Senat im Rahmen der vorliegenden Entscheidung davon aus, dass der Ausschlussgrund einer sog. Mischkalkulation (§ 25 Nr. 1 Abs. 1 a I. V. m. § 21 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A) nicht greift; auf die diesbezüglichen Gründe im Beschluss der Vergabekammer (S. 35) wird verwiesen.

Die Beschwerdegegnerin und - ihr im Ergebnis folgend - die Vergabekammer haben bzgl. des Angebots zu den Losen 1 und 2 - weiter - die Beachtung des Tarifrechts im Rahmen der Kalkulation der Personalkosten angezweifelt. Soweit damit die Tariftreue im Sinne eines Eignungskriteriums (§ 97 Abs. 4, 2. Hs. GWB i. V. m. § 6 Abs. 2, § 3, § 2 Abs. 1 Nr. 3 Tariftreuegesetz Schleswig-Holstein [TTG SH] v. 07.03.2003 (GVOBL. S. 136) gemeint ist, ist dieses erfüllt; auf die zutreffenden Gründe im Beschluss der Vergabekammer wird insoweit verwiesen (S. 22). Soweit es um eine tarifkonforme Kalkulation der Personalkosten und ihre Berücksichtigung in der dritten (§ 25 Nr. 2 Abs. 2 und 3 VOL/A) oder vierten (§ 25 Nr. 3 VOL/A) Wertungsstufe geht, ist im gegenwärtigen Stadium des Verfahrens nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen, dass die Beschwerdeführerin gegen das Gebot einer auskömmlichen Preisgestaltung bzw. einer wirtschaftliche Kalkulation verstoßen hat.

Der Preisabstand zwischen den im Rahmen eines Vergabeverfahrens abgegebenen Angeboten belegt - für sich betrachtet - keine Unauskömmlichkeit; auch ein erheblich unter den Preisen anderer Bieter liegendes Angebot kann sachgerechte und auskömmlich kalkulierte Wettbewerbspreise enthalten (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 24.04.2003, 13 Verg 4/03, IBR 2003, 324 Ls.). Die Beschwerdegegnerin hat, ausgehend von der Annahme, die "Aufgreifensschwelle" des § 6 Abs. 3 TTG SH sei (auch) im Falle des Angebots der Beschwerdeführerin erreicht, von der in § 25 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht und die "Einzelposten" des Angebots der Beschwerdeführerin überprüft. Das Ergebnis einer solchen Überprüfung ist - nach Anhörung des betroffenen Bieters (vgl. EuGH, Urt. v. 27.11.2001, C-285/99, ZfBR 2002, 179) - bei der Vergabe zu berücksichtigen; auf Angebote, deren Preise in einem "offenbaren Missverhältnis zur Leistung" stehen, darf der Zuschlag nicht erteilt werden (§ 25 Nr. 2 Abs. 3 VOL/A).

Ein derartiges "offenbares Missverhältnis" ist im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht festzustellen. Wenngleich im Rahmen des § 25 Nr. 2 Abs. 2 S. 1 VOL/A "Einzelposten" überprüft werden können, kann das "offenbare Missverhältnis" i. S. d. § 25 Nr. 2 Abs. 3 VOL/A nicht aus einem Vergleich zwischen den in einzelnen Angeboten bepreisten Einzelposten oder (allein) der Personalkostenkalkulation verschiedener Angebote abgeleitet werden, sondern erst aus einer Gesamtbetrachtung der Angebotspreise oder der Preise für einzelne, (sachlich) in sich abgeschlossene Teile der ausgeschriebenen Leistung (vgl. OLG Rostock, Beschl. v. 10.05.2000, 17 W 4/00, NZBau 2001, 285 (Ls. 1); Kulartz, in: Daub/Eberstein, VOL/A, 2000, § 25 Rn. 41). In betriebswirtschaftlicher Hinsicht können Personalkosten im Rahmen der Kalkulationsfreiheit der Bieter in verschiedener, zulässiger Weise kalkuliert werden. Werden "isoliert" die Ansätze für Personalkosten verglichen, entsteht die Gefahr, dass der kalkulatorische Zusammenhang zu anderen Angebotspositionen und auch die möglicherweise unterschiedlich hohen Gewinnmargen der einzelnen Bieter übergangen werden. Im vorliegenden Fall waren in den Angeboten selbst keine Personalkostenangaben gefordert, so dass die Vergabestelle eine Art Nachkalkulation ("Soll-Kosten") vorgenommen hat. Es ist zweifelhaft, ob damit eine tragfähige Grundlage für einen isolierten Personalkostenvergleich, der (auch) einen Rückschluss auf die künftige tarifgemäße Entlohnung der Beschäftigten des jeweils betroffenen Bieters gestattet, gewonnen werden kann. Aus dem - nachträglich vorgenommenen und hinsichtlich der dabei berücksichtigen Parameter auch aus der Sicht der Vergabekammer nicht nachvollzogenen (s. S. 26 Mi. des Beschl.-Abdr.) - "Soll-Kosten"-Vergleich (nur) der Personalkosten lässt sich ableiten, dass das Angebot der Beschwerdeführerin auf "ungewöhnlich niedrige" Preise i. S. d. § 25 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A zu überprüfen ist, ein offenbares Missverhältnis der Angebotspreise zur Leistung i. S. d. § 25 Nr. 2 Abs. 3 VOL/A ergibt sich daraus indes nicht.

Ob ein solches offenbares Missverhältnis vorliegt, erscheint zweifelhaft, denn dazu ist erforderlich, dass "der veranschlagte Preis insgesamt von den Erfahrungswerten wettbewerblicher Preisbildung offenkundig grob abweicht und eine eindeutige Unterbietung vorliegen" (OLG Rostock, a. a. O.). Die von der Vergabekammer angenommene Obliegenheit des Bieters, den "Anschein der Unauskömmlichkeit" zu widerlegen, bezieht sich nicht allein auf Personalkosten, sondern auf die Gesamtpreise; dies sieht (an anderer Stelle) auch die Vergabekammer (S. 32 o. des Beschl.-Abdr.). Es kommt hinzu, dass der Gesichtspunkt der Auskömmlichkeit bei der Feststellung, ob ein niedriger Preis wettbewerblich begründet und damit im Vergabewettbewerb zuzulassen ist, keine Rolle spielt; im Wettbewerb kann es, sofern damit keine unlauteren Verdrängungsabsichten verfolgt werden, auch erlaubt sein, einen Unterkostenpreis zu fordern (BKartA, Beschl. v. 07.09.2000, VK 2-26/00, NZBau 2001, 167 f.). Als Grundlage der (eher der Eignungsprüfung zuzuordnenden [vgl. Wittchen, IBR 2007, 447]) Prognose, ob während der Auftragsausführung eine tarifkonforme Entlohnung erfolgen wird, sind die Gesamterlöse aus dem Auftrag heranzuziehen, nicht aber isoliert die (nachkalkulierten) Personalkostenansätze. Die Prognose künftig tarifkonformen Verhaltens eines Bieters wird i. ü. auch dadurch beeinflusst, dass die Unternehmen gem. § 7 TTG SH von der Vergabestelle zu verpflichten sind, für jeden schuldhaften Verstoß gegen die Tariftreuepflicht eine Vertragsstrafe von 1 % des Auftragswerts zu zahlen (so auch in § 3 und in § 12 Ziff. 3 des hier abzuschließenden Dienstleistungsvertrages vorgesehen). Zusätzlich ist zu berücksichtigen, ob und ggf. inwieweit zur Vertragserfüllung (möglicherweise nicht tarifgebundene) "Leiharbeitnehmer" eingesetzt werden, was die Beschwerdeführerin verneint, die Bet. zu 2) dagegen für "Spitzenlasten" (?) bejaht hat.

Die vorstehenden Überlegungen begründen Erfolgsaussichten der sofortigen Beschwerde im Hauptsacheverfahren. Im Rahmen der Entscheidung nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB zu berücksichtigende Interessen der BG bzw. der Beteiligten zu 2) stehen einer Verlängerung der aufschiebenden Wirkung nicht entgegen. Die Laufzeit des zu Los 1 abzuschließenden Vertrages beginnt am 01.10.2007, desjenigen zu Los 2 am 01.01.2008. Das Hauptsacheverfahren wird voraussichtlich zuvor abgeschlossen sein.

Dem Antrag nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB ist nach alledem in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zu entsprechen.

Eine Kostenentscheidung ist nicht angezeigt. Bei den Kosten des Verfahrens nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB handelt es sich um Kosten des Beschwerdeverfahrens (1 Verg 4/07), über die gemäß § 128 GWB einheitlich im Rahmen der Entscheidung über die Hauptsache zu befinden ist.

Dementsprechend unterbleibt hier auch eine Streitwertfestsetzung (§ 50 Abs. 2 GKG).



Ende der Entscheidung

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