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Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 27.04.2000
Aktenzeichen: 11 U 171/98
Rechtsgebiete: BGB, StVO
Vorschriften:
BGB § 839 | |
StVO § 25 |
SchlHOLG, 11. ZS, Urteil vom 27. April 2000, - 11 U 171/98 -, Te.
11 U 171/98 9 O 88/97 LG Lübeck
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht
Im Namen des Volkes Urteil
Verkündet am: 27. April 2000
Justizsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In dem Rechtsstreit
Stadt, vertreten durch den Magistrat, - Rathaus -,
Beklagte, Berufungsklägerin und Anschlussberufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Reiche, Berlage und Dr. Ahrens in Schleswig,
gegen
Klägerin, Berufungsbeklagte und Anschlussberufungsklägerin,
Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Schmidt-Mattern in Schleswig,
hat der 11. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 28. März 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Jahncke und die Richter am Oberlandesgericht Schilling und Dr. Teschner für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 07. Oktober 1998 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 9. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck geändert und die Klage abgewiesen.
Die Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren und der Wert der Beschwer der Klägerin beträgt 12.808 DM (Zahlungsanspruch 1.808 DM; Schmerzensgeldanspruch 10.000 DM; Feststellungsanspruch 1.000 DM).
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung hat Erfolg. Entgegen der Auffassung des Landgerichts steht der Klägerin gegen die Beklagte kein Anspruch auf das begehrte Schmerzensgeld und auf materiellen Schadensersatz wegen des Glätteunfalls am 04. Januar 1996 aus den §§ 839, 847 BGB i. V. mit Art. 34 GG zu.
Allerdings ist auch die Beklagte gemäß § 45 Abs. 2 Straßen- und WegeG Schleswig-Holstein verpflichtet, die Schnee- und Eisbeseitigung nicht nur auf Gehwegen oder Fußgängerüberwegen, sondern auch auf solchen besonders gefährlichen Fahrbahnstellen vorzunehmen, bei denen die Gefahr auch bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar ist. Danach muss eine Gemeinde für Fußgänger innerhalb der geschlossenen Ortschaft nicht nur auf nach Maßgabe der StVO markierten Fußgängerüberwegen sondern auch auf sonstigen belebten, über die Fahrbahn führenden unentbehrlichen Fußgängerüberwegen streuen, soweit dafür ein Bedürfnis des Verkehrs besteht. Hinzukommen muss dann allerdings eine besondere Gefährlichkeit gerade auch für den Fußgängerverkehr. Notwendig ist des weiteren, dass die fragliche von den Fußgängern benutzte Stelle auch für das Überqueren durch Fußgänger vorgesehen ist (vgl. BGH VersR 1969, 667; BGH VersR 1966, 90, 92; OLG Hamm, VersR 1978, 950 und OLG Düsseldorf VersR 1988, 274, 275).
Im vorliegenden Fall bestand nach diesen Grundsätzen aber eine Streupflicht für die Beklagte auf der Fahrbahn im unmittelbaren Einmündungsbereich des N Weges in den Kreuzungsbereich Sstraße/Mstraße/Kstraße - also im Bereich der von der Klägerin bezeichneten Unfallstelle - zu Gunsten von Fußgängern nicht, denn dieser Straßenbereich war ersichtlich für das Überqueren durch Fußgänger nicht vorgesehen.
Um an dieser Stelle die Fahrbahn zu überqueren, musste nämlich die Klägerin den markierten Fußgängerüberweg im Sinne von § 26 StVO auf dessen Mitte, in Höhe der dort vorhandenen Verkehrsinsel, verlassen und nach links abbiegen. Schon das von der Beklagten vorgelegte Bildmaterial betreffend die dortige Straßensituation ohne einen vorhandenen Schneebelag macht deutlich, dass die Erbauer dieser Verkehrsanlage von einer Überquerung der Einmündung des N Weges in Höhe der Verkehrsinsel nicht ausgegangen sind. Die erhöhten Seitenbereiche der Verkehrsinsel sind ersichtlich nur dazu bestimmt, die dort angebrachten Verkehrszeichen zu tragen und zur Verkehrsregelung in diesem komplizierten Kreuzungsbereich, in dem 5 Straßen aufeinanderstoßen, beizutragen.
Im Übrigen ergibt sich aus § 25 Abs. 3 Satz 2 StVO, dass bei der Überschreitung von Kreuzungsbereichen durch Fußgänger die dort angebrachten Fußgängerüberwege stets zu benutzen sind. Die Klägerin hatte deshalb schon nach dieser Vorschrift den markierten Fußgängerweg vollständig zu nutzen und ihn nicht etwa auf seiner Mitte in Richtung auf die nicht markierte Fahrbahn zu verlassen. Es ist anerkannt, dass markierte Fußgängerüberwege an Kreuzungen auch dann zu benutzen sind, wenn der Fußgänger dann unter Umständen eine Fahrbahn mehr überqueren muss. Dies gilt gerade auch dann, wenn in einem Kreuzungsbereich nicht alle Überwegungen der verschiedenen zu überquerenden Straßen mit Fußgängerüberwegen im Sinne der StVO markiert sind (KG Berlin, VM 1969, 17 f.; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Aufl. 1999, § 25 StVO Rnr. 43). Im vorliegenden Fall hatte die Klägerin danach den markierten Fußgängerüberweg vollständig zu überqueren und von dem dann erreichten Bürgersteig aus die dortige Einmündung des N Weges zu überqueren, um auf die andere Straßenseite zu gelangen. Das vorgelegte Bildmaterial aus der Zeit vor den baulichen Änderungen im Frühjahr 1998 macht auch deutlich, dass sich auf der dann erreichten anderen Straßenseite im Einmündungsbereich des N Weges keinesfalls allein eine "Mauer" befand. Vielmehr war auch schon damals um das auf der Ecke der Einmündung des N Weges stehende Haus ein Fußweg in den N Weg hinein angelegt.
Die Klägerin konnte auch und gerade am Unfalltage nicht davon ausgehen, dass die Überquerung des unmittelbaren Einmündungsbereiches des N Weges von der Verkehrsinsel aus für Fußgänger vorgesehen war. Dies erschließt sich ohne weiteres aus dem Bildmaterial, das bei weitgehend unveränderter Schnee- und Eissituation am Morgen nach dem Unfall erstellt worden ist und sich in der beigezogenen Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft - 752 Js 5765/96 - befindet. Danach war nämlich die Verkehrsinsel nur mittig - eben in dem für Fußgänger vorgesehenen Verlauf des markierten Fußgängerüberweges - geräumt. Auf den erhöhten Seitenbereichen, die jeweils ein Verkehrszeichen tragen, befand sich eine umfangreiche Schneedecke, ebenso auf den diesen Seitenbereichen der Verkehrsinsel vorgelagerten Teilen der Fahrbahn. Schließlich war auch ein erheblicher Fahrbahnstreifen auf der der Verkehrsinsel gegenüberliegenden anderen Straßenseite der Einmündung des N Weges nicht von Schnee und Eis befreit. Für einen Fußgänger konnte deshalb keinerlei Zweifel verbleiben, dass auch der Räum- und Streudienst der Beklagten an dieser Stelle nicht von einer vorgesehenen Überquerungsmöglichkeit für Fußgänger ausgegangen war und ersichtlich keinerlei Vorkehrungen getroffen hatte, um ein ungefährdetes Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen.
Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, dass auch an der vorgesehenen Überquerungsmöglichkeit des N Weges - nämlich nach vollständiger Querung des markierten Fußgängerüberweges - nach dem vorliegenden Bildmaterial keine lückenlose Räumung der Fahrbahn und ihrer Randbereiche festgestellt werden kann. Es steht nämlich bereits nicht fest, dass sich der fragliche Eisunfall auch dann ereignet hätte, wenn die Klägerin die Straße in dieser vorgesehenen Höhe und damit immerhin in deutlichem Abstand zu jener Stelle überquert hätte, wo die aus dem N Weg kommenden Autos wegen des STOP-Schildes regelmäßig halten mussten und naheliegend eine Vereisung hervorrufen konnten. Entscheidend ist aber für den Senat, dass die Klägerin schon nach ihren eigenen Angaben erster Instanz die Überquerung von der Verkehrsinsel aus keinesfalls deshalb gewählt hatte, weil ihr die bezeichnete andere Überquerungsmöglichkeit nach vollständigem Überschreiten des markierten Fußgängerüberweges noch gefährlicher oder mindestens gleich gefährlich erschien. Die Klägerin hat vielmehr bereits erstinstanzlich ausgeführt, dass ihr der dortige Straßenzustand erst im Nachhinein bewusst geworden ist. Vor dem Senat hat sie eingeräumt, die von ihr gewählte Überquerungsstelle nur deshalb ausgesucht zu haben, weil es sich um die kürzeste Verbindung zur anderen Straßenseite gehandelt habe.
War somit die von der Klägerin bezeichnete Unfallstelle zulässigerweise für die Überquerung durch Fußgänger nicht vorgesehen, so war die Beklagte auch nicht verpflichtet, gerade diese Stelle für Fußgänger abzustreuen.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und das Urteil nicht von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes oder des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 546 Abs. 1 ZPO). Insbesondere hat das Urteil auch nicht wegen der Auslegung von § 25 Abs. 3 StVO grundsätzliche Bedeutung. Der Senat hat vielmehr § 25 Abs. 3 Satz 2 StVO seinem Wortlaut entsprechend angewandt. Danach müssen nämlich Fußgängerüberwege stets benutzt werden, wenn ein Fußgänger die Fahrbahn an Kreuzungen oder Einmündungen überschreiten will. Auch im Übrigen hält sich seine Auslegung - wie oben bereits aufgezeigt - im Rahmen der bisherigen Rechtsprechung und Literatur.
Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713, 546 Abs. 2 ZPO, 25 Abs. 2 GKG.
Ende der Entscheidung
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