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Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 25.10.2007
Aktenzeichen: 11 U 87/07
Rechtsgebiete: BGB, OWiG, StPO
Vorschriften:
BGB § 839 | |
OWiG § 46 Abs. 1 | |
StPO § 152 Abs. 2 |
2. Die Anforderungen an die Annahme eines Anfangsverdachts im Bußgeldverfahren sind geringer als im Strafverfahren.
3. Die Rechtsanwaltskosten für die Einsicht in die Ermittlungsakte und dort in das Fahrerfoto sind auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 839 BGB nicht zu ersetzen, wenn dies für die Rechtsverteidigung nicht zweckmäßig und notwendig war.
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil
verkündet am: 25. Oktober 2007
In dem Rechtsstreit
hat der 11. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 16. Oktober 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht , die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten gegen das am 4. Juni 2007 verkündete Urteil des Einzelrichters der 10. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck wird das angefochtene Urteil geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 288,26 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Kläger nimmt den Beklagten auf Ersatz von Rechtsanwaltskosten in Anspruch, die ihm durch die Beauftragung eines Verteidigers in einem Bußgeldverfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung entstanden sind. Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung von 288,26 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. Januar 2007 verurteilt. Es hat die Berufung gegen dieses Urteil zugelassen. Mit seiner form- und fristgerecht eingelegten (Bl. 58, 60 d. A.) und begründeten (Bl. 66 ff d. A.) Berufung begehrt der Beklagte eine Änderung des angefochtenen Urteils und eine Abweisung der Klage. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Berufung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf das angefochtene Urteil (Bl. 52 - 56 d. A.) und die von den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Die mit bindender Wirkung für den Senat zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Die Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Ersatz der streitgegenständlichen Rechtsanwaltskosten. Ein solcher Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus § 839 BGB in Verbindung mit Artikel 34 GG.
Nach Auffassung des Senats haben die zuständigen Sachbearbeiter des Beklagten keine Amtspflichten verletzt.
Ein Bußgeldverfahren darf gemäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 152 Abs. 2 StPO zwar nur eingeleitet werden, wenn ein Anfangsverdacht besteht. Die Beachtung dieser Vorschrift obliegt den zuständigen Beamten auch gegenüber dem Betroffenen (vgl. BGHZ 20, 178 zur vergleichbaren Problematik im Strafverfahren). Im Bußgeldverfahren dürfen die Anforderungen an die Annahme eines Anfangsverdachts aber nicht überspannt werden. Der Vorwurf einer bloßen Verkehrsordnungswidrigkeit tastet den "guten Ruf" und das Ansehen des Betroffenen (anders als bei einer Straftat) grundsätzlich nicht an. Außerdem wäre eine nähere Vorprüfung vor Einleitung eines Bußgeldverfahrens bei massenhaft auftretenden Verstößen - wie der hier in Rede Geschwindigkeitsüberschreitung - aus Gründen der Verhältnismäßigkeit auch zu aufwändig (Göhler, OWig, 14. Auflage, vor § 59 Rn. 28; Karlsruher Kommentar, OWiG, 2. Auflage, vor § 53 Rn. 40). Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist die Annahme eines Anfangsverdachts gegen eine bestimmte Person im Bußgeldverfahren als gerechtfertigt anzusehen, wenn die Verwirklichung einer Ordnungswidrigkeit als solche festgestellt worden ist und es nach den Erfahrungen der zuständigen Beamten als möglich erscheint, dass der Betroffene diese Ordnungswidrigkeit begangen hat. So liegt der Fall hier. Der Beklagte weist insbesondere zu Recht darauf hin, dass nach allgemeiner Lebenserfahrung die Familienangehörigen eines Halters die häufigsten Mitbenutzer eines Fahrzeugs sind. Auch bei Firmenfahrzeugen kommen Familienangehörige erfahrungsgemäß als Fahrer in Betracht. Diese Erfahrung wird im vorliegenden Fall nur bestätigt. Der Kläger hat im Termin vom 16. Oktober 2007 selbst eingeräumt, dass sein Bruder das hier in Rede stehende Firmenfahrzeug zur Tatzeit geführt hat, und dies obwohl sein Bruder nicht in der Firma seiner - des Klägers - Ehefrau beschäftigt ist.
Es war auch nicht amtspflichtwidrig, dass der zuständige Sachbearbeiter es abgelehnt hat, dem Kläger eine Fotokopie des Fahrerfotos aus der Bußgeldakte zu übersenden. Im Bußgeldverfahren steht es gemäß § 49 Abs. 1 OWiG im pflichtgemäßen Ermessen der Verwaltungsbehörde, ob sie dem Betroffenen selbst Akteneinsicht gewährt oder Abschriften aus der Akte erteilt. Im vorliegenden Fall war es nicht ermessensfehlerhaft, dem Kläger keine Fotokopie des Fahrerfotos zu übersenden, weil der Kläger an einer solchen Abschrift kein berechtigtes Interesse hatte. Der Kläger konnte nach seinem eigenen Vortrag auch ohne Einsicht in das Fahrerfoto mit Sicherheit ausschließen, dass er der Fahrer des Tatfahrzeugs war (Bl. 19 d. A.). Das hat er dem zuständigen Sachbearbeiter auch mitgeteilt. Demnach bedurfte er der Einsicht in das Fahrerfoto nicht, um seine Täterschaft auszuschließen. Der Kläger war auch nicht dazu berufen, die Ermittlung des wahren Täters selbst in die Hand zu nehmen und zu diesem Zweck das Fahrerfoto einzusehen, um den Täter möglicherweise identifizieren zu können. Die Täterermittlung war vielmehr Sache der dafür zuständigen Beamten.
Im Übrigen ergibt sich aus dem eigenen Vortrag des Klägers im Termin vom 16. Oktober 2007 auch, dass die Täterermittlung durch seine Einsicht in das Fahrerfoto tatsächlich gar nicht gefördert worden ist. Der Kläger hat vielmehr selbst eingeräumt, dass er seinen Bruder zwar auf dem Fahrerfoto erkannt, dies aber nicht der zuständigen Behörde mitgeteilt habe.
Eine Amtspflichtverletzung lag auch nicht darin, dass der zuständige Sachbearbeiter dem Kläger und seiner Ehefrau nicht ohne weiteres geglaubt hat, dass der Kläger nicht der Fahrer des Tatfahrzeugs war, und deshalb die Frage der Täterschaft des Klägers nach dem Telefongespräch mit ihm weiter überprüft hat. Der zuständige Sachbearbeiter musste vielmehr nach allgemeiner Erfahrung in Betracht ziehen, dass der Kläger und seine Ehefrau möglicherweise nicht die Wahrheit gesagt hatten, und deshalb weiter ermitteln.
Die Frage einer Amtspflichtverletzung bedarf hier letztlich aber auch keiner abschließenden Erörterung, weil es sich bei den streitgegenständlichen Rechtsanwaltskosten des Klägers ohnehin nicht um einen ersatzfähigen Schaden handelt. Die Kosten der Verteidigung gegen den Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit können zwar grundsätzlich einen nach § 839 BGB ersatzfähigen Schaden darstellen, auch wenn sie - wie hier nach § 105 OWiG - im Bußgeldverfahren nicht zu erstatten sind (vgl. dazu auch für ähnliche Fälle BGHR 2006, 492; NJW 1977, 957). Der Betroffene kann grundsätzlich aber nur diejenigen Rechtsanwaltskosten ersetzt verlangen, deren Aufwendung ein wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Betroffenen für zweckmäßig und notwendig halten durfte (Palandt/Heinrichs, 66. Auflage, vor § 249 Rn. 83 und § 254 Rn. 39). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Der Kläger hat einen Rechtsanwalt eingeschaltet, weil er nur mit Hilfe eines Rechtsanwalts Einsicht in das Fahrerfoto nehmen konnte. Das durfte ein wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Klägers aber nicht für zweckmäßig und notwendig halten, weil sich das Bußgeldverfahren noch im Stadium des Vorverfahrens befand, der Kläger der Einsicht in das Fahrerfoto nach seinem eigenen Vortrag nicht bedurfte, um seine Täterschaft auszuschließen und er auch nicht dazu berufen war, die Ermittlung des wahren Täters selbst in die Hand zu nehmen und zu diesem Zweck das Fahrerfoto einzusehen.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 708 Nr. 10, 713 ZPO, 63 Abs. 2 GKG.
Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen, weil die vorliegende Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. Die Entscheidung des Senats steht insbesondere mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Einklang.
Ende der Entscheidung
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