Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 24.09.2003
Aktenzeichen: 12 UF 34/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 628
Auch bei einer Verfahrenssdauer von 4 Jahren und 9 Monaten begründet allein das Interesse des einen Ehegatten, erneut zu heiraten, keine unzumutbare Härte im Sinne des § 628 ZPO, wenn der andere Ehegatte ein Interesse daran hat, dass gleichzeitig mit der Scheidung über die Folgesache Unterhalt entschieden wird.
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

12 UF 34/03

Verkündet am: 24. September 2003

In der Familiensache

hat der 3. Senat für Familiensachen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 03. September 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Ortmann sowie die Richter am Oberlandesgericht Zieper und Schiemann für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Antragstellerin wird das am 23. Januar 2003 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Kiel aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - zurückverwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die am 1973 in Moskau geborene Antragstellerin, russischer Staatsangehörigkeit, und der am 1960 geborene Antragsgegner haben am 1995 miteinander die Ehe geschlossen. Aus der Ehe ist die am 1995 geborene Tochter L. hervorgegangen. L. lebt bei der Antragstellerin.

Nachdem sich die Parteien im Mai 1997 getrennt hatten, ist der Scheidungsantrag der Antragstellerin vom 26.05.1998 dem Antragsgegner ausweislich der Zustellungsurkunde am 14.10.1998 zugestellt worden.

Der Scheidungsantrag des Antragsgegners vom 29.10.1998 ist der Antragstellerin am 04.11.1998 zugestellt worden.

Die Antragstellerin ist nicht berufstätig. Sie betreut die gemeinsame Tochter.

Der Antragsgegner ist Versicherungsmakler.

Durch Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Kiel, Az. 60 F 35/99, ist der Antragsgegner für die Zeit ab 01.05.1999 unter anderem verurteilt worden, an die Antragstellerin einen monatlichen laufenden Trennungsunterhalt von 1.608,00 DM zu zahlen.

Gegen dieses Urteil hat der Antragsgegner zum Az. 60 F 70/03 AG Kiel die Abänderungsklage vom 15.04.2003 erhoben.

Mit dieser Abänderungsklage beantragt er,

das Urteil des Amtsgerichts Kiel vom 14.06.1999, Az. 60 F 35/99, zu Ziffer 2 b) dahingehend abzuändern, dass der Kläger ab Rechtshängigkeit keinen (Trennungs)Unterhalt mehr schuldet.

Im vorliegenden Verfahren hat die Antragstellerin mit den Schriftsätzen vom 30.06.1999 und 16.08.1999 ausweislich des Terminsprotokolls vom 26.08.1999 die Folgesache nachehelicher Unterhalt mit dem Antrag, den Antragsgegner zu verurteilen, der Antragstellerin nachehelichen Unterhalt in Höhe von 2.403,00 DM abzüglich freiwillig gezahlter 1.000,00 DM, zahlbar jeweils zum 3. Werktag eines Monats im Voraus, zu zahlen, anhängig gemacht.

Die Schriftsätze vom 30.06.1999 und 16.08.1999 zum nachehelichen Unterhalt sind dem Antragsgegner am 08.09.1999 zugestellt worden.

Mit Verfügung vom 26.08.1999 war dem Antragsgegner aufgegeben worden, binnen 3 Wochen zu dem Unterhaltsantrag abschließend vorzutragen.

Mit Schriftsatz vom 21.09.1999 erkannte der Antragsgegner eine monatliche Unterhaltsrente für die Antragstellerin in Höhe von 1.000,00 DM ab Rechtskraft der Scheidung an. Im Übrigen beantragte er unter Hinweis auf das Berufungsverfahren 13 UF 159/99 zum Trennungsunterhalt, die weitergehende Klage abzuweisen. Außerdem regte er an, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, bis über das Berufungsverfahren entschieden sei.

Nachdem der Antragstellerin in dem genannten Berufungsverfahren die begehrte Prozesskostenhilfe versagt worden war, forderte das Familiengericht die Parteien mit Verfügung vom 05.07.2000 auf, mitzuteilen, mit welchen Anträgen die Verbundfolgesache fortgesetzt werden solle.

Während die Antragstellerin unter Hinweis auf ihr gegenüber dem Antragsgegner mit Anwaltsschreiben vom 24.07.2000 geltend gemachtes Auskunftsverlangen das Ruhen des Verfahrens bis zum 31.08.2000 beantragte, bat der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 04.09.2000 unter Vorlage des Anwaltsschreibens vom 09.08.2000 ebenfalls, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen.

Mit Anwaltsschreiben vom 09.08.2000 hatte der Antragsgegner der Antragstellerin gegenüber deren Auskunftsanspruch dem Grunde nach anerkannt, aber mitgeteilt, dass er die Auskunft derzeit nicht erteilen könne. Sinnvollerweise solle bis zum Vorliegen des Einkommensteuerbescheides für 1999 gewartet werden. Die Steuerunterlagen werde er spätestens bis Ende der 33. Kalenderwoche 2000 an das Finanzamt übersenden. Sobald seine Unterlagen vollständig vorlägen, werde er ohne weitere Aufforderung die Auskunft erteilen.

Obwohl dem Antragsgegner der Einkommensteuerbescheid für 2000 am 26.11.2001 erteilt worden war, hat er die zugesagte Auskunft im vorliegenden Verfahren nicht erteilt.

Mit Schriftsatz vom 22.11.2002 beantragte der Antragsgegner die Abtrennung der Verbundfolgesache gemäß § 628 ZPO. Er begründete seinen Abtrennungsantrag damit, dass die Verfahrensdauer bereits insgesamt vier Jahre betrage und er sich inzwischen einer anderen Frau zugewandt habe, die er heiraten wolle.

In der mündlichen Verhandlung vom 23.01.2003 erklärte die Antragstellerin, dass sie erst geschieden werden wolle, wenn auch der nacheheliche Unterhalt geregelt sei; ihr Auskunftsantrag vom 16. Januar 2003 werde im Rahmen einer Stufenklage gestellt.

Nachdem das Familiengericht die Folgesache Unterhalt mit Beschluss vom 23.01.2003 unter Wiedergabe des Gesetzestextes abgetrennt hatte, hat es mit dem von der Antragstellerin angegriffenen Urteil die Ehe geschieden und den Versorgungsausgleich geregelt.

Die Antragstellerin beantragt,

unter Aufhebung des Scheidungsurteils des Amtsgerichts Kiel vom 23.01.2003 die Sache an das erstinstanzliche Gericht zur erneuten Verhandlung zurückzuverweisen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Parteivortrages wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen.

Die Berufung der Antragstellerin ist zulässig und begründet, denn das Familiengericht hat zu Unrecht die Voraussetzungen der Abtrennung gemäß § 628 Ziff. 4 ZPO bejaht.

Damit leidet das amtsgerichtliche Verfahren an einem wesentlichen Mangel, der zur Aufhebung und Zurückverweisung führt, § 538 Abs. 2 Nr. 7 ZPO (Zöller, ZPO, 23. Aufl., § 628 Rn. 14). Der Verfahrensfehler ist in der Vorabentscheidung über den Scheidungsantrag und den Versorgungsausgleich unter unzutreffender Annahme der Voraussetzungen des § 628 ZPO zu sehen.

Nach § 623 ZPO ist, soweit in Familiensachen des § 621 Abs. 1 Nr. 5 bis 9, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 eine Entscheidung für den Fall der Scheidung zu treffen ist und von einem Ehegatten rechtzeitig begehrt wird, hierüber gleichzeitig und zusammen mit der Scheidungssache zu verhandeln und, sofern dem Scheidungsantrag stattgegeben wird, zu entscheiden.

Im vorliegenden Verfahren ist die Verbundfolgesache Unterhalt durch Einreichung der Schriftsätze vom 16.08.1999 und 30.07.1999 in der mündlichen Verhandlung am 26. August 1999 beim Familiengericht anhängig geworden.

Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofes in FamRZ 1991 Seite 687 bis 689 handelt es sich bei den Vorschriften zum Verhandlungs- und Entscheidungsverbund um zwingende Verfahrensvorschriften, die nicht zur Disposition der Parteien stehen. Den Parteien ist es nach § 295 Abs. 2 ZPO verwehrt, eine Verletzung der Verbundsbestimmungen durch Rügeverzicht zu heilen (Zöller, ZPO, 23. Aufl., § 628 Rn. 9, 13).

Maßgeblich ist danach allein, ob die Voraussetzungen für eine Abtrennung vorliegen.

Zur Überzeugung des Senates liegen im vorliegenden Verfahren die Abtrennungsvoraussetzungen des § 628 Nr. 4 ZPO nicht vor.

Nach dieser Vorschrift kommt eine Auflösung des Verbundes nur dann in Betracht, wenn die gleichzeitige Entscheidung über die Folgesache den Scheidungsausspruch so außergewöhnlich verzögern würde, dass der Aufschub auch unter Berücksichtigung der Bedeutung der Folgesache eine unzumutbare Härte darstellen würde.

Ob die gemäß § 628 Nr. 4 ZPO mögliche Auflösung des Verbundes gerechtfertigt ist, ist vom Berufungsgericht nach der Tatsachenlage im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung zu beurteilen (BGH NJW 1979 S. 1603).

Mit dem Familiengericht ist der Senat der Auffassung, dass das vorliegende Scheidungsverfahren außergewöhnlich lange dauert.

Für die Feststellung einer außergewöhnlichen Verzögerung ist auf die Zeit der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages desjenigen Ehegatten abzustellen, der sich auf eine unzumutbare Härte beruft (Zöller, ZPO, 23. Aufl., § 628 Rn. 5a).

Der Scheidungsantrag des Antragsgegner vom 29. Oktober 1998 ist der Antragstellerin ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 04. November 1998 zugestellt worden. Zeiten, in denen das Verfahren nicht betrieben wurde, geruht hat oder ausgesetzt war, werden für die Beurteilung der außergewöhnlichen Verzögerung nicht abgezogen (BGH FamRZ 1986 S. 898, 899).

Bis zur Berufungsverhandlung vor dem Senat sind insgesamt bisher 4 Jahre und 9 Monate vergangen.

Diese Zeitdauer rechtfertigt die Annahme einer außergewöhnlichen Verzögerung.

Der Senat ist aber nicht davon überzeugt, dass der Aufschub des Scheidungsausspruches unter Berücksichtigung der Bedeutung der Folgesache Unterhalt eine unzumutbare Härte darstellt.

Die außergewöhnliche Verzögerung allein bedeutet noch keine unzumutbare Härte. Unzumutbar ist die Härte nur, wenn das Interesse des Antragsgegners an einer alsbaldigen Scheidung vorrangig vor dem Interesse ist, das der andere Ehegatte - die Antragstellerin - daran hat, dass gleichzeitig mit der Scheidung über die Folgesache entschieden wird. Als ein beachtenswertes Interesse des Ehegatten, der die Scheidung begehrt, ist dessen Wunsch, alsbald zu heiraten, dann angesehen worden, wenn dadurch ein Kind, das die zukünftige Ehefrau erwartet, ehelich geboren wird.

Diese Voraussetzungen hat der Antragsgegner jedoch nicht geltend gemacht. Er will allein deshalb geschieden werden, weil er wieder heiraten will.

Der Scheidungswille des die Scheidung Begehrenden allein reicht für die Annahme einer unzumutbaren Härte nur dann aus, wenn der andere Ehegatte - die Antragstellerin - die Folgesache verzögerlich behandelt hat, ihr also ein rechtsmissbräuchliches Verhalten vorgeworfen werden kann.

Für die Annahme eines derartigen einseitigen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens liegen zur Überzeugung des Senates jedoch keine ausreichenden Anhaltspunkte vor.

Im Rahmen der Beurteilung des Prozessverhaltens der Antragstellerin ist zu berücksichtigen, dass es dem Verbundgedanken entspricht, das Interesse des Ehegatten an wirtschaftlicher Sicherung hoch zu bewerten (Zöller, ZPO, 23. Aufl., § 628 Rn. 8). Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin wegen der Betreuung der gemeinsamen Tochter Lena nicht verpflichtet ist, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Sie hat daher ein beachtungswertes Interesse daran, dass im Falle der Scheidung ihrer Ehe auch ihre wirtschaftliche Absicherung geregelt ist.

Der Verfahrensgang nach Zustellung des Unterhaltsantrages an den Antragsgegner am 08. September 1999 zeigt, dass beide Parteien, die wechselseitige Scheidungsanträge gestellt haben, zur Verfahrensverzögerung beigetragen haben.

Beide Parteien haben - wie oben dargestellt - mehrfach das Ruhen des Verfahrens beantragt. Darüber hinaus hatte der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 04.09.2000 und Anwaltsschreiben vom 09.08.2000 mitgeteilt, dass er unaufgefordert die geschuldete Auskunft erteilen werden.

Diese zugesagte unaufgeforderte Erfüllung des anerkannten Auskunftsverlangens hat der Antragsgegner nicht eingehalten.

Vor dem Hintergrund, dass er mit Schriftsatz vom 21.09.1999 für die Zeit ab Rechtskraft der Scheidung lediglich eine monatliche Unterhaltsrente von 1.000,00 DM anerkannt hat, ist es nicht nachvollziehbar, dass der Antragsgegner, der selbst einen eigenen Scheidungsantrag gestellt hat, nicht selbst daran interessiert war, seine Unterhaltsverpflichtung aus dem Trennungsunterhaltsverfahren in Höhe von monatlich 1.608,00 DM durch Betreiben des Scheidungsverfahrens zu kürzen.

Auch wenn es der Antragstellerin durchaus möglich gewesen wäre, das Scheidungsverfahren zügiger zu betreiben, kann der Senat bei Abwägung des Verhaltens beider Parteien im vorliegenden Verfahren nicht die Überzeugung gewinnen, dass eine gemeinsame Entscheidung über die Scheidung und die Folgesache Unterhalt für den Antragsgegner eine unzumutbare Härte bedeuten würde.

Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

Dieses hat auch über die Kosten der Berufung zu befinden. Dabei bleiben die Gerichtskosten der Berufungsinstanz nach § 8 Abbs. 1 Satz 1 GKG außer Ansatz.

Ende der Entscheidung

Zurück