Judicialis Rechtsprechung
Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:
Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 07.12.2001
Aktenzeichen: 14 U 122/01
Rechtsgebiete: BGB, StGB
Vorschriften:
BGB § 823 II | |
StGB § 266 a |
2. Bei mehreren GmbH-Geschäftsführern führt eine interne Zuständigkeitsregelung über die Abgabe der Sozialversicherungsbeiträge nicht dazu, daß alle übrigen Geschäftsführer ihrer Verantwortung entbunden sind. Der primär für die Lohnbuchhaltung nicht zuständige Geschäftsführer haftet kraft seiner Allzuständigkeit insbesondere noch dann für gewisse Überwachungspflichten, wenn sich die Gesellschaft in einer finanziellen Krisensituation befindet.
Tatbestand:
Die Klägerin, eine Ersatzkrankenkasse, nimmt den Beklagten persönlich auf Erstattung nicht abgeführter Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung in Anspruch.
Der Beklagte war neben dem Zeugen A. alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer einer GmbH (nachfolgend Gemeinschuldnerin genannt). Gegenstand dieser Firma waren Briefkurierdienstleistungen. Die Firma nahm am 01. Juni 1998 ihren Geschäftsbetrieb auf und entwickelte sich zunächst erfolgreich. Wegen erheblicher Liquiditätsschwierigkeiten war der Beklagte am 18. August 1999 jedoch gezwungen, einen Insolvenzantrag zu stellen. Mit Beschluss des AG Flensburg vom 04. November 1999 wurde über das Vermögen der Gemeinschuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet.
Im Jahre 1999 waren 17 der bei der Gemeinschuldnerin beschäftigten Mitarbeiter bei der Klägerin krankenversichert. Im Februar 1999 kam es erstmalig zu einer verspäteten Abführung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge. Anfang 1999 wurde zusätzlich Pool "atypisch stiller Gesellschafter" gebildet, die sich mit Einlagen in Höhe von 860.000,-- DM an dem Unternehmen beteiligten. Darüber hinaus wurde das Gesellschaftskapital von 50.000,-- DM auf 100.000,-- DM aufgestockt. Gleichzeitig wurde ein Aufsichtsrat - bestehend aus den atypischen Gesellschaftern - gebildet und ein Unternehmensberater beigeordnet, der zusammen mit dem Aufsichtsrat das Finanzcontrolling der Gemeinschuldnerin übernahm. Die beiden Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin, der Zeuge A. und der Beklagte, vereinbarten im Januar/Februar 1999 intern eine Aufteilung der Geschäftsführeraufgaben. Während der Beklagte für den Außendienst (Vertrieb, EDV und Qualitätssicherung) verantwortlich war, übernahm der Zeuge A. als Dipl.-Kaufmann den Innenbereich (Personal, Recht, Reklamation, Controlling, Finanzen einschl. Buchhaltung und Steuer).
Im Juni/Juli 1999 verzeichnete die Gemeinschuldnerin einen deutlichen Umsatzrückgang. Die finanziellen Einbußen führten dazu, dass die Gesellschaft für den Monat Juni 1999 die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung nur teilweise und für den Monat Juli 1999 überhaupt nicht mehr an die Klägerin abführte. So blieb der am 15. Juli 1999 für den Vormonat Juni fällige Betrag in Höhe von 5.046,01 DM sowie der am 15. August 1999 für den Vormonat Juli fällige Betrag in Höhe von 8.518,26 DM offen.
Da der Zeuge A. am Montag, den 16. August 1999 erstmals seit Gesellschaftsgründung in Urlaub gehen wollte, fand am Sonnabend, den 14. August 1999 ein Übergabegespräch zwischen den beiden Geschäftsführern statt. Am Montag, den 16.08.1999, teilte der Filialleiter der Raiffeisenbank S. dem Beklagten mit, dass ein Abbuchungsauftrag der AOK über 80.000,-- DM mangels Kontodeckung nicht mehr ausgeführt werden könnte. Der Beklagte zog den Zeugen K. zu Rate und gemeinsam wurde am Dienstag, den 17.08.1999, eine Unterdeckung von etwa 1.000.000,-- DM festgestellt. Am 18. August 1999 kündigte die entsprechend informierte Raiffeisenbank S. die Geschäftsbeziehung und noch am gleichen Tag stellte der Beklagte für die Gemeinschuldnerin beim Amtsgericht Flensburg Insolvenzantrag.
Die Klägerin hat behauptet, der Zeuge A. habe bereits im Frühjahr 1999 mit dem Beklagten über die desolate finanzielle Situation der Gemeinschuldnerin gesprochen. Spätestens seit März/April 1999 habe der Beklagte über das Ausmaß der finanziellen Krise Bescheid gewusst. Ihm seien auch Probleme wegen der Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen bekannt gewesen. Er hätte rechtzeitig entsprechende Maßnahmen einleiten müssen, um die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge sicherzustellen. Dies habe er nicht getan, sondern lediglich versucht, das Personal "bei der Stange zu halten" und die Nettolöhne ausgezahlt, ohne jedoch die Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Ab Juni 1999 hätten sich die finanziellen Schwierigkeiten weiter verschärft. Dies habe auch dem Beklagten nicht verborgen geblieben sein können. Der Beklagte hätte im Rahmen seiner Gesamtverantwortung als Geschäftsführer entsprechende Anordnungen und Vorkehrungen treffen müssen, um die Entrichtung der Sozialversicherungsbeiträge sicherzustellen, z.B. durch Aufstellung eines Liquiditätsplans, Bildung ausreichender Sicherheiten oder ggf. auch Kürzung der auszuzahlenden Löhne.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 13.564,27 DM nebst 4 % Zinsen aus 5.046,01 DM seit dem 16.07.1999 und 4 % aus 8.518,26 DM seit dem 16.08.1999 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat behauptet, es habe seit der Gesellschaftsgründung eine klar abgegrenzte Geschäftsverteilung und Zuständigkeitsregelung in der Geschäftsleitung gegeben. Diese Trennung der Aufgabenbereiche zwischen ihm und dem Zeugen A. sei auch bis zur Stellung des Insolvenzantrags so praktiziert worden. Er sei von der finanziellen Krise Mitte August 1999 überrascht worden. Von den Liquiditätsschwierigkeiten habe er erstmals durch Anruf des Zweigstellenleiters der Raiffeisenbank S. am Montag, 16.08.1999, erfahren. Wegen des Urlaubsantritts des Mitgeschäftsführers A. habe er sich erstmals mit dessen Aufgabenbereich (Personal und Finanzen) befassen müssen. Er habe auch nicht gewusst, dass die Beitragsnachweise an die Krankenkassen, die durch den Mitgeschäftsführer A. veranlasst worden sind, unrichtig gewesen seien und erst Anfang August 1999 durch entsprechende Meldungen an die Krankenkassen richtig gestellt worden seien. Dies sei auch der Grund dafür gewesen, weshalb erstmals Mitte August 1999 wegen der korrigierten Meldungen weit höhere Abbuchungen der Krankenkassen im Lastschriftverfahren vorgekommen seien. Mitte August 1999 sei die Gesellschaft bereits zahlungsunfähig gewesen. Vorher habe es keine entsprechenden Mahnungen oder Vollstreckungsersuchen wegen der Sozialversicherungsbeiträge gegeben. Bis dahin seien die fälligen Löhne überwiesen und die Sozialversicherungsbeiträge ordnungsgemäß ausgeglichen worden.
Mit Urteil vom 25. Juni 2001 hat das Landgericht die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen und zur Begründung u.a. ausgeführt, dass der subjektive Tatbestand des § 266 a StGB nicht gegeben sei.
Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die zur Begründung folgendes ausführt:
Auf die interne Zuständigkeitsverteilung innerhalb der Geschäftsleitung der Gesellschaft komme es nicht an, da jeder Geschäftsführer die Pflicht zur Überwachung der Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen habe. Die Überwachungspflicht des Geschäftsführers bestehe vor allem in finanziellen Krisensituationen, wenn die laufende Erfüllung der Verbindlichkeiten nicht mehr gewährleistet erscheine. Eine solche Finanzkrise sei dem Beklagten bekannt gewesen. Unstreitig sei es der Gemeinschuldnerin bereits im Januar/Februar 1999 wirtschaftlich nicht besonders gutgegangen. Deshalb habe die Gesellschaft auch finanzielle Zuwendungen in Höhe von 860.000,-- DM erhalten. Auch die Gestaltung des Außenbereichs sei von der jeweiligen Finanzlage des Unternehmers abhängig. Die finanziellen Schwierigkeiten hätten deshalb dem Beklagten nicht verborgen geblieben sein können. Bereits im Februar 1999 sei schon automatisch ein entsprechendes Vollstreckungsersuchen an die Gemeinschuldnerin ergangen, dies hätte Anlass für den Beklagten sein müssen, die Abführung entsprechend zu überwachen. Selbst wenn sich die Finanzkrise erst ab Juni 1999 oder Juli 1999 abgezeichnet hätte, hätten noch genügend Möglichkeiten bestanden, die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge zu den jeweiligen Fälligkeitszeitpunkten (16.07.1999 und 16.08.1999) sicherzustellen, notfalls durch entsprechende Lohnkürzungen.
Das Landgericht habe zudem die Beweislast für die Verschuldungsvoraussetzungen verkannt. Bei Verletzung eines Schutzgesetzes bestehe der Anscheinsbeweis für ein Verschulden. Diesen Anschein hätte der Beklagte durch einen entsprechenden Entlastungsbeweis erschüttern müssen.
Der Beklagte verteidigt hingegen das angefochtene Urteil mit folgender Begründung: Aufgrund der unstreitigen internen Zuständigkeitsverteilung innerhalb der Geschäftsleitung der Gemeinschuldnerin sei der Beklagte nicht für die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge verantwortlich gewesen. Dies sei von der Berufung auch nicht bestritten worden. Wegen der internen Zuständigkeitsregelung komme eine deliktische Verantwortlichkeit des Beklagten nur in Betracht, wenn er kraft seiner Allzuständigkeit als Geschäftsführer die ihm verbliebene Überwachungspflicht verletzt habe. Dies habe die Klägerin ohne entsprechende Substanz und Überzeugungskraft behauptet. Eine Überwachungspflicht bestehe nur dann, wenn es Anhaltspunkte dafür gäbe, dass die Erfüllung der der Gesellschaft obliegenden Aufgaben durch den zuständigen Geschäftsführer nicht mehr gewährleistet sei. Solche Anhaltspunkte habe es bis zum 16.08.1999 nicht gegeben. Die verspätete Abführung der Sozialversicherungsbeiträge im Februar 1999 habe nicht auf einem Liquiditätsengpass beruht sondern darauf, dass die neue Buchhaltungssoftware verspätet geliefert worden sei. Dadurch seien Buchführungsrückstände von ca. 3 bis 4 Monaten entstanden. Mit Ausnahme der einen Mahnung aus Februar 1999 habe es keine Erinnerungen der Krankenkassen gegeben. Die Lastschriften der Klägerin und anderer Krankenkassen seien anstandslos bis einschließlich 15.07.1999 eingelöst worden. Der Umsatzrückgang im Sommer 1999 habe die noch junge Firma unvorbereitet getroffen. Die Gesellschaft habe noch keine Erfahrungen gehabt, wie sich die Betriebsferien von Großkunden im Sommer auf den Umsatz auswirkten. Ab Juni 1999 seien plötzlich Aufträge größeren Umfangs ausgeblieben. Da die betriebswirtschaftlichen Auswertungen auch erst verspätet vorgelegt wurden (wegen der Arbeitsrückstände in der Buchhaltung) fehlte dem Beklagten bis zum 16.08.1999 die Kenntnis, wie sich die Umsatzrückgänge in den vorangegangenen ca. 6 Wochen auf die finanzielle Situation des Unternehmens auswirkte. Anlässlich des Übergabegesprächs vom 14.08.1999 habe der Beklagte von dem Zeugen A. noch die Mitteilung erhalten, dass fällige Sozialversicherungsbeiträge und Steuern im Laufe der nächsten Woche problemlos würden gezahlt werden können. Der Zeuge A. habe jedoch verschwiegen, dass in den Monaten zuvor die Beitragsmeldungen nicht an die Krankenkassen herausgegangen und deshalb nur Abschläge abgerufen worden seien. Erst Erst Anfang August 1999 habe die Buchhalterin eigenmächtig die zurückgehaltenen Beitragsnachweise abgesandt, weil sie diese Praktiken nicht mehr länger mittragen wollte. Dies habe der Beklagte jedoch erst später von der Buchhalterin erfahren. Eine Haftung des Beklagten komme auch deshalb nicht in Betracht, da die Gemeinschuldnerin zahlungsunfähig gewesen sei. Am 16.08.1999 habe ihr nur noch ein Betriebsmittelkredit von 50.000,-- DM zur Verfügung gestanden. Weitere Liquiditätsreserven seien nicht vorhanden gewesen. Dieser Kredit reichte nicht aus, um eine weitere Lastschrift der AOK über 80.000,-- DM zu bezahlen. Es sei deshalb unerheblich, dass die Klägerin 13.564,27 DM und die I... in einem Parallelverfahren weitere 43.895,94 DM geltend mache. Dem Arbeitgeber sei ein normgemäßen Verhalten nicht möglich gewesen. Deshalb sei schon der objektive Tatbestand des "Vorenthaltens" im Sinne von § 266 a StGB nicht erfüllt. Es stehe nicht fest, dass der Gesellschaft die Zahlung der Beiträge zum Fälligkeitszeitpunkt noch möglich gewesen sei. Im Übrigen habe das Landgericht die Beweislast richtig erkannt.
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
Gründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet, weil die subjektiven Voraussetzungen für die persönliche Haftung des Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 a Abs. 1 StGB nicht vorliegen.
Dabei kann offen bleiben, ob hier bereits der objektive Tatbestand des § 266 a Abs. 1 StGB nicht erfüllt ist. Das könnte hinsichtlich der am 15. August 1999 abzuführenden Sozialversicherungsbeiträge zweifelhaft sein, denn grundsätzlich ist ein "Vorenthalten" im Sinne des Gesetzes nur dann gegeben, wenn der Arbeitgeber im Fälligkeitszeitpunkt die Möglichkeit zur Abführung der Sozialversicherungsbeiträge hatte. Unmöglichkeit in diesem Sinne kann auch dann gegeben sein, wenn dem Arbeitgeber im maßgeblichen Zeitpunkt die Zahlungsfähigkeit fehlte (BGH NJW 1997, 1237). Für eine entsprechende Zahlungsunfähigkeit ist ausnahmsweise allerdings der Schädiger darlegungs- und beweispflichtig, weil nur er über die Kenntnis der Tatsachen verfügt, die ihn insoweit entlasten könnten (vgl. hierzu OLG Naumburg, BB 1999, 1621; OLG Düsseldorf NJW-RR 1996, 289,290). Ob die entsprechende Behauptung des Beklagten allerdings zutrifft, dass zu dem maßgeblichen Zeitpunkt die Liquidität der Gemeinschuldnerin nicht mehr gegeben war, muß jedoch nicht entschieden werden.
Entscheidend ist, dass sich hinreichende Feststellungen zur subjektiven Tatseite des § 266 a Abs. 1 StGB nicht treffen lassen. Der GmbH-Geschäftsführer haftet nur dann für den durch die Nichtabführung des Arbeitnehmeranteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag entstandenen Schaden, wenn er die rechtzeitige Abführung der Beiträge vorsätzlich unterlassen hat, wobei bedingter Vorsatz genügt (BGH NJW 1997, 130, 132 u. 133 = BGHZ 133, 370, 381). Der Geschäftsführer muss daher die Pflicht zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge sowie den Zeitpunkt der Fälligkeit kennen und wollen oder wenigstens billigend in Kauf nehmen, dass diese Pflicht nicht erfüllt wird (BGH a.a.O.). Dabei ist mindestens zu fordern, dass sich der Geschäftsführer mit der Nichtzahlung der Beiträge abgefunden hat (BGH VersR 1991, 1378, 1380). Nicht erforderlich ist hingegen das Bewusstsein, selbst zum Handeln verpflichtet zu sein. Es genügt vielmehr, wie allgemein bei echten Unterlassungsdelikten, dass der Täter diejenigen Umstände kennt, die seine Handlungspflicht begründen (BGH VersR 1996, 1538, 1540).
Entgegen der Ansicht der Klägerin liegt insoweit die Darlegungs- und Beweislast für ein Verschulden bei der Klägerin. Dies folgt bereits aus allgemeinen Grundsätzen (Palandt/Thomas, BGB, 60. Aufl., § 823 Rnr. 174). Der gegenteiligen Entscheidung des OLG Rostock (BB 1998, 54, 55; die Entscheidung des OLG Düsseldorf NJW-RR 1996, 289,290 trifft nicht diesen Fall, denn dort geht es um die Frage der Beweislast für die behauptete Unmöglichkeit wegen fehlender finanzieller Mittel und damit um den objektiven Tatbestand) kann im Ergebnis nicht gefolgt werden. Zwar hat der BGH in mehreren Entscheidungen (BGHZ 116, 104, 114 f. und zuvor NJW 1995, 1774, 1775) ausgeführt, dass die Verletzung des objektiven Tatbestandes ein Verschulden indizieren könne, weshalb der Schädiger im Falle der objektiven Verletzung eines Schutzgesetzes in der Regel Umstände darlegen und beweisen müsse, die geeignet seien, die Annahme eines Verschuldens auszuräumen. Das gelte aber nur dann, wenn das Schutzgesetz das geforderte Verhalten so konkret umschreibe, dass mit der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes der Schluss auf einen subjektiven Schuldvorwurf nahe liege (vgl. BGH Z 116,104,115 = NJW 1992, 1039 ff. zum Bereich der Produzentenhaftung gem. § 823 Abs.2 BGB i.V.m. § 8 LMBG). In der genannten Entscheidung (BGHZ 116, 104 ff.) ging es aber um die Indikation von Fahrlässigkeit, wo hingegen der Tatbestand des § 266 a Abs. 1 StGB nur vorsätzlich verwirklicht werden kann. Außerdem umschreibt § 266 a Abs. 1 StGB das geforderte Verhalten nicht konkret im Sinne der Ausführungen des BGH ("Beschränkt sich das Schutzgesetz dagegen darauf, einen bestimmten Verletzungserfolg zu verbieten <ohne konkrete Verhaltensanweisungen, um deren Mißachtung es geht und an die die Indizwirkung anknüpfen könnte, zu enthalten>, so löst die bloße Verwirklichung einer solchen Verbotsnorm keine Indizwirkung in Bezug auf das Verschulden aus"; BGH Z 116,104,115), so dass auf die subjektive Tatseite nicht geschlossen werden kann. Ein allgemeiner Rechtssatz des Inhalts, dass die objektive Verletzung eines Schutzgesetzes eine vorsätzliche Tatbegehung indiziere, lässt sich demnach nicht aufstellen. Von einem solchen Rechtsgrundsatz geht offensichtlich der BGH selbst nicht aus, da beispielsweise in der Entscheidung BGH VersR 1991, 1378 f. eine dezidierte Prüfung zum Vorsatz des GmbH-Geschäftsführers erfolgt ist, die keinen Sinn hätte, wenn es Aufgabe des Geschäftsführers wäre, sich von der Vermutung einer vorsätzlichen Deliktsbegehung zu entlasten.
Die unstreitigen oder aber bewiesenen Umstände lassen nicht den hinreichend sicheren Schluss zu, dass der Beklagte die Nichtabführung der Arbeitnehmerbeiträge im Fälligkeitszeitpunkt billigend in Kauf genommen oder sich zumindest damit abgefunden hat. Es fehlt damit am Nachweis des erforderlichen Eventualvorsatzes. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen der angefochtenen Entscheidung verwiesen werden. Ergänzend ist auf folgendes hinzuweisen:
Die straf- und haftungsrechtliche Verantwortlichkeit des Beklagten ist bereits wegen der - durch die Berufung offenbar nicht mehr angegriffenen - internen Zuständigkeitsregelung in der Geschäftsführung der Gemeinschuldnerin beschränkt. Grundsätzlich sind zwar die Geschäftsführer einer GmbH kraft ihrer Amtsstellung für alle Angelegenheiten der Gesellschaft - mithin auch für die ordnungsgemäße Abführung der Sozialversicherungsbeiträge - verantwortlich, so dass eine interne Zuständigkeitsregelung zwar nicht zu einer völligen Aufhebung der Verantwortlichkeit, wohl aber zu einer Beschränkung der Verantwortlichkeit führt (BGH NJW 1997, 130, 132). Das beruht auf dem Gedanken, dass die Geschäftsführer den ihnen zukommenden Handlungspflichten für die Gesellschaft als Ganzes auf unterschiedliche Weise nachkommen können, z.B. durch Mitwirkung an einer Regelung, die jedem Geschäftsführer bestimmte Aufgaben zuweist. Auf diese Weise trägt der Geschäftsführer durch organisatorische Maßnahmen zur Erfüllung der der Gesellschaft obliegenden Pflichten bei (BGH NJW 1997, 130, 132). Hier hatten die beiden Geschäftsführer einen klar umrissenen Aufgabenbereich. Danach war der Beklagte als Geschäftsführer lediglich für den Außenbereich zuständig, während dem Mitgeschäftsführer A. u.a. der Bereich Personal und Finanzbuchhaltung oblag. Der Beklagte war erstmals mit Urlaubsbeginn des Zeugen A. am Montag, den 16. August 1999 mit der Finanzbuchhaltung befasst, wozu auch die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge und der gesamte Zahlungsverkehr gehörten. Zu diesem Zeitpunkt war die Tat aber bereits vollendet. Ein Vorenthalten von Arbeitsentgelt i.S.v. § 266 a StGB ist bereits dann vollendet, wenn die Beiträge im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit nicht abgeführt sind (Schönke/Schröder/Lenckner, StGB, 25. Aufl., § 266 a Rnr. 19).
Trotz der internen Zuständigkeitsregelung haftet der Beklagte jedoch kraft seiner Allzuständigkeit als Geschäftsführer noch für gewisse Überwachungspflichten, die ihn zum Eingreifen veranlassen müssten. Eine solche Überwachungspflicht kommt vor allem in finanziellen Krisensituationen zum Tragen, in denen die laufende Erfüllung der Verbindlichkeiten nicht mehr gewährleistet erscheint (BGH NJW 1997, 130, 132). Die Anforderungen an die Pflicht zum Eingreifen müssen vor allem bei der Abführung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung besonders streng sein, da es sich bei den Beitragsanteilen um Gelder handelt, die nicht der freien Verfügung des Arbeitgebers, sondern seiner Pflicht zur pünktlichen Abführung unterliegen (BGH a.a.O.). Entscheidend für die Frage der (bedingt vorsätzlichen) Verletzung dieser Überwachungspflicht ist jedoch, ob der Beklagte zu den jeweiligen Fälligkeitszeitpunkten Kenntnis von der Finanzkrise der Gesellschaft hatte und ob es für ihn Anhaltspunkte dafür gab, dass die pünktliche und vollständige Abführung der Sozialversicherungsbeiträgen durch den dafür intern zuständigen Mitgeschäftsführer A. nicht mehr gewährleistet war. Solche Kenntnis bzw. Anhaltspunkte für eine Überwachungspflicht sind nicht nachvollziehbar dargelegt oder aber nicht bewiesen.
Der Umstand, dass es sich bei der Gesellschaft um eine junge und relativ kleine Firma gehandelt hat, ist unerheblich.
Der Umstand, dass der Gesellschaft Anfang 1999 durch die Aufnahme atypisch stiller Gesellschafter weitere Liquidität im Umfang von 910.000,-- DM (860.000,-- DM atypisch stille Beteiligungen und 50.000,-- DM Kapitalerhöhung) zugeführt wurde, ist kein hinreichendes Indiz für eine bestehende Finanz- oder Liquiditätskrise. Zu Recht hat der Beklagte im Termin darauf hingewiesen, dass die Finanzsituation Anfang 1999 nicht so dramatisch gewesen sein kann, denn sonst hätten die stillen Gesellschafter dem Unternehmen durch die Zahlung entsprechender Einlagen nicht eine positive Fortführungsprognose bescheinigt. Der Bilanzverlust in der Anlaufphase eines jungen Unternehmen (zum 31.12.1998) ist nicht unnormal und kann sogar einkalkuliert gewesen sein. Außerdem weist der Beklagte zu Recht darauf hin, dass mit der Kapitalerhöhung und der Zahlung der stillen Beteiligungen Anfang 1999 der Gesellschaft noch ein erhebliches Liquiditätspolster von rund 300.000,-- DM zur Verfügung stand.
Auch der unstreitige Umsatzrückgang ab Juni 1999 lässt nicht zwangsläufig den Rückschluss auf eine Finanz-/Liquiditätskrise zu. Der Zeuge A. hat diesen Umsatzrückgang auf ein "Sommerloch" zurückgeführt. Der Beklagte hat in diesem Zusammenhang auf die Betriebsferien von Großkunden im Sommer hingewiesen, was - mangels Erfahrung aus den Vorjahren - noch nicht vorhersehbar gewesen sei. Außerdem war zu jenem Zeitpunkt (Juni/Juli/August 1999) unstreitig der Buchhaltungsrückstand immer noch nicht aufgeholt, so dass eine aktuelle und zeitnahe Übersicht über die Finanzsituation des Unternehmens dem Beklagten nicht möglich war.
Die verspätete Abführung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge im Februar 1999 war nicht auf eine Finanzkrise des Unternehmens zurückzuführen, sondern beruhte auf der neuen Buchhaltungssoftware, die verspätet geliefert wurde. Unstreitig ist es in der Folgezeit bis zum 15./16. August 1999 weder zu Verzögerungen noch zur Nichtabführung entsprechender Sozialversicherungsbeiträge gekommen. Die Lastschriften der Klägerin und anderer Krankenkassen wurden anstandslos bis einschließlich 15. Juli 1999 (wegen fehlender Beitragsnachweise handelte es sich allerdings insoweit nur um Abschläge und nicht um die vollen Beitragszahlungen für den Monat Juni 1999) eingelöst.
Die Behauptung der Klägerin, auch die Gestaltung des Außendienstes sei von der jeweiligen Finanzlage eines Unternehmens abhängig und insoweit dürften die finanziellen Schwierigkeiten der Gemeinschuldnerin dem Beklagten nicht verborgen geblieben sein dürfen, ist nicht nachvollziehbar dargelegt. Der Beklagte hat im Rahmen seiner Anhörung im Senatstermin nochmals ausdrücklich erklärt, erstmals in dem Gespräch mit dem Zeugen A. am 14. August 1999 über den Umsatzrückgang informiert worden zu sein. Er sei zwar im Außendienst für die Kundenakquise und Kundenpflege sowie die Qualität der Zustellungen verantwortlich gewesen, über den aktuellen Arbeitsanfall bei den einzelnen Zustellern sei er aber nicht informiert gewesen.
Schließlich geben auch die Bekundungen des Zeugen A. hier keine Veranlassung, von einer entsprechenden Kenntnis des Beklagten im Hinblick auf die Gefährdung der Abführung der Arbeitnehmerbeiträge an die Krankenkasse auszugehen. Der Zeuge A. hat zwar bekundet, er habe etwa eine Woche vor seinem Urlaubsantritt mit dem Beklagten die erheblichen Finanzprobleme der Gesellschaft besprochen und die Misere sei dem Beklagten auch klar gewesen. Aber selbst wenn dem Beklagten seit dem 09. August 1999 (1 Woche vor dem 16. August 1999) die Finanzmisere allgemein bekannt war, ist dies für die Frage des bedingten Vorsatzes nicht ausreichend. Wegen der internen Zuständigkeitsregelung ist nämlich entscheidend, ob es aufgrund dieser Information auch Anhaltspunkte dafür gab, dass die Abführung der fälligen Arbeitnehmersozialversicherungsbeiträge durch den zuständigen Geschäftsführer (den Zeugen A.) nicht mehr gewährleistet war. Dazu hat der Zeuge A. bekundet, es sei nicht mit dem Beklagten am 14. August 1999 über die Bezahlung der ausstehenden Sozialversicherungsbeiträge gesprochen worden. Der Beklagte hat unbestritten vorgetragen, er habe von dem Zeugen A. anlässlich dieses Gespräches sogar ausdrücklich noch die Mitteilung erhalten, dass die fälligen Sozialversicherungsbeiträge und Steuern im Laufe der nächsten Wochen problemlos würden gezahlt werden können. Da es in der Vergangenheit - bis auf die einmalige Zahlungsverzögerung im Februar 1999, die aber andere Ursachen hatte - unstreitig noch niemals zu Problemen wegen der Bezahlung von Steuern und Sozialversicherungsabgaben gekommen war, durfte der Beklagte sich auch insoweit auf die Auskunft des intern zuständigen Mitgeschäftsführers A. verlassen. Der Zeuge A. hat zwar unstreitig zu jenem Zeitpunkt verschwiegen, dass auch die Beitragszahlungen für den Monat Juni nicht vollständig an die Krankenkassen bezahlt worden waren, weil die entsprechenden Beitragsnachweise zurückbehalten wurden. Dass diese erst Anfang August 1999 an die Krankenkassen durch die Buchhalterin gemeldet wurden, hat der Beklagte jedoch erst später erfahren. Von einer aktuellen Liquiditätskrise, die auch eine Gefährdung der Abführung der fälligen Sozialversicherungsbeiträge zum 15. August 1999 bedeutet hätte, war dem Beklagten mithin auch in der Woche vor dem 16. August 1999 nichts bekannt.
Die nach alledem verbleibenden Zweifel an der Kenntnis des Beklagten von der Unternehmenskrise zum Fälligkeitszeitpunkt und damit am Vorsatz zur Nichtabführung der Beiträge im Fälligkeitszeitpunkt gehen zu Lasten der insoweit beweisbelasteten Klägerin.
Die Berufung hat damit keinen Erfolg.
Ende der Entscheidung
Bestellung eines bestimmten Dokumentenformates:
Sofern Sie eine Entscheidung in einem bestimmten Format benötigen, können Sie sich auch per E-Mail an info@protecting.net unter Nennung des Gerichtes, des Aktenzeichens, des Entscheidungsdatums und Ihrer Rechnungsanschrift wenden. Wir erstellen Ihnen eine Rechnung über den Bruttobetrag von € 4,- mit ausgewiesener Mehrwertsteuer und übersenden diese zusammen mit der gewünschten Entscheidung im PDF- oder einem anderen Format an Ihre E-Mail Adresse. Die Bearbeitungsdauer beträgt während der üblichen Geschäftszeiten in der Regel nur wenige Stunden.