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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 09.05.2006
Aktenzeichen: 15 WF 36/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 313 Abs. 2
Der Grundgedanke von § 313 Abs. 2 BGB ist auch auf einseitig und ohne Darstellung der materiellen Grundlagen errichtete Jugendamtsurkunden über die Verpflichtung zur Zahlung von Kindesunterhalt anzuwenden.
15 WF 36/06

In der Familiensache (Prozesskostenhilfeverfahren)

hat der 5. Senat für Familiensachen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig durch den Einzelrichter am 09. Mai 2006 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der ihr Prozesskostenhilfe versagende Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Neumünster vom 02. Januar 2006 geändert.

Der Antragstellerin wird - vorbehaltlich des Ergebnisses der Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse durch das Amtsgericht - Familiengericht - Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Abänderungsklage unter Beiordnung von Rechtsanwalt ... bewilligt.

Gründe:

Die Antragstellerin hat sich in einer Urkunde des Jugendamtes der Stadt N. am 16. November 2004 zur Zahlung von Kindesunterhalt an den Antragsgegner verpflichtet.

Die Antragstellerin beabsichtigt, eine Abänderungsklage mit dem Ziel der Feststellung zu erheben, dass sie ab 01. September 2005 nicht mehr zur Zahlung von Unterhalt verpflichtet sei.

Das Amtsgericht - Familiengericht - hat den Prozesskostenhilfeantrag zurückgewiesen, weil sich - unstreitig - die wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin seit Errichtung der Urkunde nicht verändert haben.

Mit ihrer sofortigen Beschwerde macht die Antragstellerin geltend, die Urkunde hätte bereits damals nicht erstellt werden dürfen. Sie sei nicht leistungsfähig gewesen. Ihre Erwartung, bei Besserung ihres Gesundheitszustandes zusätzliche Einkünfte aus Nebentätigkeit erzielen zu können, habe sich nicht erfüllt., Weil sie vom Jugendamt nicht aufgeklärt worden sei, müsse sie die Möglichkeit haben, den Titel entsprechend ihren Einkommensverhältnissen abzuändern.

Die gemäß §§ 127 Abs. 2 und 3, 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.

Die Frage, unter welchen Voraussetzungen einseitig vor dem Jugendamt eingegangene Unterhaltsverpflichtungen zugunsten des Unterhaltsschuldners einer Abänderung zugänglich sind, ist in Einzelheiten streitig (vgl. Zöller-Vollkommer, 25. Aufl., Rz. 47 zu § 323 ZPO). Zwar könnte ein Unterhaltsschuldner, der eine Verpflichtung zu Unterhaltsleistungen in einer vor dem Jugendamt errichteten Urkunde anerkennt, nach den Grundsätzen zu Schuldanerkenntnissen grundsätzlich daran gebunden und eine Herabsetzung der titulierten Verpflichtung nur dann und insoweit verlangen können, als sich die bei Errichtung der Urkunde zugrundegelegten tatsächlichen Verhältnisse (wesentlich) verändert haben. Gemäß § 313 Abs. 2 BGB steht es allerdings einer Veränderung der Umstände gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, sich als falsch herausstellen. Dieser Gedanke ist auch auf einseitig und ohne Darstellung der materiellen Grundlagen errichtete Jugendamtsurkunden anzuwenden. Insoweit kann zumindest im Prozesskostenhilfeverfahren der unbestrittene Vortrag der Antragstellerin nicht außer Acht bleiben, sie sei von Seiten des Jugendamtes über die ihr schon damals fehlende Verpflichtung, Unterhalt zu zahlen, nicht aufgeklärt worden und habe zudem die Hoffnung gehabt, ihr Einkommen bei einer erwarteten Besserung ihres Gesundheitszustandes jedenfalls durch Nebenbeschäftigung erhöhen zu können.

Ferner ist zu berücksichtigen, dass sich gemäß Ziffer 21.2 der Unterhaltsrechtlichen Leitlinien des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts der Selbstbehalt für den erwerbstätigen Unterhaltsschuldner gegenüber minderjährigen Kindern nach Errichtung der Urkunde seit dem 01. Juli 2005 von 820,00 € auf 890,00 € erhöht hat (vgl. zum Ganzen OLG Dresden, OLG R Dresden 2003, 376; vgl. auch OLG Nürnberg, FamRZ 2004, 1053).

Nach alledem ist - vorbehaltlich des Vorliegens der vom Amtsgericht - Familiengericht - folgerichtig noch nicht geprüften persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin - Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO).

Ende der Entscheidung

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