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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 25.11.2004
Aktenzeichen: 16 U 125/04
Rechtsgebiete: BB-BUZ 94


Vorschriften:

BB-BUZ 94 § 5
§ 5 II der BB-BUZ 94 (Bedingungen für die Berufs-Unfähigkeitszusatzversicherung) lässt die Befristung des Anerkenntnisses der Leistungspflicht des Versicherers nur einmal zu.
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

16 U 125/04

verkündet am: 25. November 2004

In dem Rechtsstreit

hat der 16. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 1. November 2004 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 7. April 2004 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 3. Zivilkammer des Landgerichts Kiel wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteiles vollstreckbaren Betrages, es sei denn der Kläger leistet vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger verlangt weitere Leistungen aus einer bei der Beklagten bestehenden Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Kläger in seinem zuletzt ausgeübten Beruf als Pressewart in einem Kalksandsteinwerk (Tätigkeit: Pressen von Mauersteinen) berufsunfähig im Sinne des § 2 Abs. 1 der unstreitig mitvereinbarten Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (BB-BUZ) ist. Die Parteien streiten lediglich darüber, ob der Kläger auf eine Tätigkeit als Tankwart, Bürosachbearbeiter in der Registratur, Kassierer oder Gastwirt verwiesen werden kann. Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Beklagte - unter Abweisung der Klage im Übrigen - verurteilt,

1.) an den Kläger 18.136,56 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank auf jeweils 549,59 € seit dem 2. Mai, 2. Juni, 2. Juli, 2. August, 2. September, 2. Oktober, 2. November, 2. Dezember 2000, 2. Januar, 2. Februar, 2. März, 2. April, 2. Mai, 2. Juni, 2. Juli, 2. August, 2. September, 2. Oktober, 2. November, 2. Dezember 2001 sowie 5 % über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB auf jeweils 549,59 € seit dem 2. Januar, 2. Februar, 2. März, 2. April, 2. Mai, 2. Juni, 2. Juli, 2. August, 2. September, 2. Oktober, 2. November, 2. Dezember 2002, 2. Januar, 2. Februar, 2. März, 2. April, 2. Mai, 2. Juni, 2. Juli, 2. August, 2. September, 2. Oktober, 2. November, 2. Dezember 2003 zu zahlen.

2.) an den Kläger ab 1. Februar 2003 eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 549,59 € längstens bis einschließlich März 2024, mindestens aber so lange, wie der Kläger berufsunfähig ist, zu zahlen.

Das Landgericht hat zur Begründung ausgeführt, die Beklagte könne den Kläger nicht auf eine andere Tätigkeit verweisen, da sie mit Schreiben vom 3. November 1998 ihre Leistungspflicht anerkannt habe. Soweit dieses Schreiben eine zweite Befristung der anerkannten Leistungspflicht unter Zurückstellung der Frage der Verweisung auf eine andere Tätigkeit enthalte, liege eine bedingungswidrige und damit unwirksame Befristung vor, was dazu führe, dass das Anerkenntnis als unbefristetes im Sinne des § 5 Abs. 1 BB-BUZ zu gelten habe. Die Beklagte habe bislang unstreitig kein ordnungsgemäßes Nachprüfungsverfahren durchgeführt. Da der Kläger auch über den 1. Mai 2000 hinaus beitragsfrei gewesen sei, könne dahingestellt bleiben, ob ihn Kündigungsschreiben der Beklagten erreicht hätten. Aus der verspäteten Anzeige der Tätigkeit als Gastwirt ergebe sich keine Leistungsfreiheit der Beklagten, da die Obliegenheitsverletzung ohne Einfluss auf die Feststellung der Leistungspflicht gewesen sei. Der Kläger könne auf eine Tätigkeit als Gastwirt nicht verwiesen werden. Dass der Kläger die Mitteilung vorsätzlich unterlassen habe, behaupte die Beklagte nicht. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Die Beklagte macht mit ihrer Berufung geltend:

Die Entscheidung des Landgerichts beruhe auf einem Rechtsfehler. Die Auffassung des Landgerichts, die Befristung gemäß § 5 Abs. 2 BB-BUZ sei nur einmal zulässig, sei falsch. Nach dem Wortlaut sei eine mehrfache Befristung möglich. Die zweite Befristung liege auch im Interesse des Versicherten. Bei einem ungelernten Versicherten wie dem Kläger komme eine Verweisung eher in Betracht als bei einem Versicherten, der einen erlernten Beruf ausgeübt habe.

Im vorliegenden Fall sei eine zweite Befristung gerechtfertigt gewesen, da der Kläger eine Umschulungsmaßnahme geplant gehabt habe, die bei einer erfolgreichen Durchführung zu einer höheren Qualifikation geführt hätte.

Der Feststellungsantrag des Klägers sei unzulässig, da der Kläger die bis zur mündlichen Verhandlung vom 19.3.2004 fälligen Rentenbeträge hätte beziffern können.

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet. Das Landgericht hat dem Kläger zu Recht einen Anspruch auf Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von monatlich 549,59 € für den Zeitraum ab dem 01.05.2000 bis einschließlich März 2024 zugesprochen. Der Senat schließt sich den zutreffenden Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils an. Die Entscheidung des Landgerichtes beruht entgegen der Ansicht der Beklagten nicht auf einer Rechtsverletzung i.S.d. §§ 513 Abs.1, 546 ZPO.

1.) Die Beklagte erhebt ohne Erfolg Einwände gegen die Auffassung des Landgerichtes, die Neufassung des § 5 Abs.2 BB-BUZ lasse ein befristetes Anerkenntnis nur einmal zu. Es gibt zwar zu dieser Frage - soweit ersichtlich - noch keine obergerichtliche Rechtsprechung. Auch in der Literatur wird die Frage, ob eine wiederholte Befristung zulässig wäre, meist nur am Rande erörtert. Der Aufsatz von Stalinsky - VerBAV 11/1990, 548 f - enthält lediglich die Empfehlung, "dass in der Praxis von der (neuen) Befristungsmöglichkeit zurückhaltend Gebrauch gemacht werden sollte". Wachholz vertritt in seinem Aufsatz VersR 2003, 161 ff unter Ziff.4 letzter Absatz ohne nähere Begründung die Ansicht, der Versicherte brauche nach dem Wortlaut des § 5 Abs.2 BB-BUZ 94 ("einstweilige Zurückstellung") mit einer erneuten Zurückstellung der Verweisungsfrage nicht zu rechnen, sodass die wiederholte Aussprechung eines befristeten Anerkenntnisses in derselben Versicherungsangelegenheit sehr fraglich erscheine. Bei Voit, Berufsunfähigkeitsversicherung, Rn.590, heißt es ebenfalls ohne Begründung, die Befristung dürfe nicht unangemessen lang sein und dürfe nicht wiederholt werden. Bei Prölss/Martin-Voit/Knappmann, VVG, 27.Aufl., § 5 BUZ, wird die Frage einer wiederholten Befristung gar nicht erörtert.

Der Senat folgt jedoch der sorgfältig und überzeugend begründeten Ansicht des Landgerichtes, da durch die Möglichkeit einer wiederholten Befristung des Anerkenntnisses gemäß § 5 Abs.2 BB-BUZ die abschließende Feststellung der Berufsunfähigkeit in das zeitliche Belieben des Versicherers gestellt würde, ohne dass hierfür schutzwürdige Interessen des Versicherers bestehen. Dadurch würde das Hauptleistungsversprechen der Berufsunfähigkeitsversicherung in einer die Interessen des Versicherungsnehmers unangemessen benachteiligenden Weise eingeschränkt bzw. ausgehöhlt. Die Berufsunfähigkeitsversicherung verspricht kein Überbrückungsgeld sondern grundsätzlich (d.h. bei unveränderten Verhältnissen) eine Dauerrente. Sinn und Zweck einer Berufsunfähigkeitsversicherung ist die dauerhafte finanzielle Absicherung des Versicherungsnehmers für den Fall seiner Berufsunfähigkeit. Im Hinblick auf seine weiteren finanziellen und persönlichen Dispositionen ist der Versicherungsnehmer darauf angewiesen, möglichst bald Klarheit darüber zu erhalten, ob er bei unverändertem Gesundheitszustand und unveränderter beruflicher Qualifikation auf fortdauernde Rentenzahlungen vertrauen kann (so auch OLG Frankfurt/M VersR 2003, 358).

Die Argumentation der Beklagten, die zweite Befristung habe auch im Interesse des Klägers gelegen, weil die geplante Umschulungsmaßnahme im Falle einer erfolgreichen Durchführung zu einer höheren Qualifikation geführt hätte und eine Verweisung bei ungelernten Versicherungsnehmern eher in Betracht komme als bei Versicherungsnehmern, die einen erlernten Beruf ausgeübt hätten, überzeugt demgegenüber nicht. Das zeitliche Hinausschieben der Entscheidung über die Verweisung ändert nämlich nichts daran, dass für den nach § 2 Abs.1 BB-BUZ vorzunehmenden Vergleich mit der "bisherigen Lebensstellung" ebenso wie für die Frage der Berufsunfähigkeit im engeren Sinne auf die Tätigkeit abzustellen ist, die der Versicherte in gesunden Tagen zuletzt ausgeübt hat (siehe Wachholz, VersR 2003, 161 ff, Ziff.4). Die danach neu erworbenen beruflichen Fähigkeiten wirken sich demgegenüber nur zugunsten des Versicherers aus, weil er darauf die Feststellung stützen kann, dass die versicherte Person nunmehr aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung in der Lage sei, eine andere Tätigkeit im Sinne von § 2 Abs.1 BB-BUZ auszuüben, siehe § 7 Abs.1 S.2 BB-BUZ.

Entgegen der Ansicht der Beklagten ergibt sich aus der Ankündigung einer Umschulungsmaßnahme auch nicht das schutzwürdige Bedürfnis der Beklagten, die Entscheidung über die Verweisungsfrage noch einmal hinausschieben zu dürfen, da neu erworbene berufliche Fähigkeiten nach der geänderten Fassung des § 7 Abs.1 S.2 BB-BUZ auch im Nachprüfungsverfahren berücksichtigt werden können.

2.) Da eine zweite Befristung unter nochmaliger Zurückstellung der Prüfung einer Verweisungsmöglichkeit nicht zulässig war, muss sich die Beklagte so behandeln lassen, als hätte sie nach Ablauf der ersten Befristung ein unbedingtes Anerkenntnis abgegeben (st. Rspr., BGH 121, 284 = VersR 1993, 562; BGH VersR 1997, 437; OLG Hamm OLGR 2002, 301, 303; Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 5 Rn.3, 6 m.w.Nw.). Für die Frage, ob der Kläger danach noch auf eine andere Tätigkeit verwiesen werden kann, gilt daher § 7 Abs.1 BB-BUZ. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen hier jedoch nicht vor.

Nach § 7 Abs.1 S.2 BB-BUZ kann der Versicherer nach Anerkennung seiner Leistungspflicht im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens erneut prüfen, ob die versicherte Person eine andere Tätigkeit im Sinne von § 2 ausüben kann. Dabei ist dem Versicherer - nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der der Senat folgt - ein Rückgriff auf Verweisungsmöglichkeiten, die er bereits zum Zeitpunkt seines unbedingten Anerkenntnisses hätte aufzeigen können, verwehrt, weil § 7 Abs.1 BB-BUZ eine Änderung der tatsächlichen Umstände voraussetzt (siehe Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 7 Rn.5 m.w.Nw.).

Im vorliegenden Fall kann die Beklagte den Kläger nicht mehr auf eine Tätigkeit als Tankwart, Bürosachbearbeiter in der Registratur oder Kassierer verweisen, weil alle zur Begründung dieser Verweisungsmöglichkeiten vorgebrachten Umstände bereits zum Zeitpunkt des Ablaufes der Frist aus dem ersten Anerkenntnisschreiben vom 14.11.1997 vorlagen. Die Beklagte hätte mithin bereits damals auf diese Tätigkeiten verweisen können.

3.) Soweit die Beklagte außerdem meint, den Kläger auf eine Tätigkeit als Gastwirt verweisen zu können, hat das Landgericht zutreffend ausgeführt, dass insoweit die Voraussetzungen des § 2 Nr.1 BB-BUZ nicht gegeben sind. Allein aus dem Umstand, dass der Kläger zwischenzeitlich mehrfach versucht hat, seinen Lebensunterhalt als Gastwirt zu verdienen, kann jedenfalls weder geschlossen werden, dass der Kläger diese Tätigkeit aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung ausüben kann, noch, dass diese Tätigkeit seiner bisherigen Lebensstellung entspricht. Die Versuche des Klägers sind unstreitig sämtlich gescheitert. Weiteres hat die Beklagte zu dieser Verweisungsmöglichkeit nicht vorgetragen.

4.) Der Feststellungsausspruch des Landgerichtes ist trotz der zwischenzeitlich eingetretenen teilweisen Bezifferbarkeit der Zahlungsforderung nicht zu beanstanden, da der Kläger nach Rechtshängigkeit nicht verpflichtet ist, seinen Antrag ständig anzupassen.

5.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs.1 ZPO. Die weiteren Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Ziff.10, 711 ZPO. Die Revision ist gemäß § 543 Abs.2 Nr.1 ZPO zuzulassen, weil die Frage, ob § 5 Abs.2 BB-BUZ eine mehrfache Befristung des Anerkenntnisses gestattet, von grundsätzlicher Bedeutung ist.

Ende der Entscheidung

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