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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 04.02.2003
Aktenzeichen: 16 W 146/02
Rechtsgebiete: VVG, VGB 88


Vorschriften:

VVG § 98 S 1
VGB 88 § 15 Nr. 4
1. Die "Neuwertspitze" einer Brandentschädigung kann auch an den Ersteher in der Zwangsversteigerung abgetreten werden, wenn sie beim Schuldner verblieben ist.

2. Der Versicherer beruft sich nicht rechtsmißbräuchlich auf den Ablauf der Dreijahresfrist des § 15 Nr. 4 VGB 88 im Rahmen der strengen Wiederherstellungsklausel, wenn die von ihm verursachten Verzögerungen auf seine Wahrnehmung berechtigter Interessen zurückzuführen sind.


16 W 146/02

Beschluß

In dem Prozeßkostenhilfeverfahren

hat der 16. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 14. November 2002 gegen den Beschluß des der 3. des Landgerichts Itzehoe vom 25. Oktober 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Chlosta als Einzelrichter am 4. Februar 2003 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthaft und auch fristgerecht eingelegt worden, §§ 569 Abs. 1 Satz 1, 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO. Das Rechtsmittel bleibt erfolglos, weil das Landgericht im Ergebnis richtig entschieden hat.

1. Allerdings scheitert der Feststellungsantrag der Antragstellerin zur Neuwertspitze der Versicherungsentschädigung aus dem Brand vom 22./23. August 1998 entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht an der im Juni 2002 erfolgten Zwangsversteigerung des brandbetroffenen Grundstücks. Aus dem Zuschlagsbeschluß des Amtsgerichts Meldorf vom 28. Juni 2002 ergibt sich, daß Ansprüche auf Leistungen aus der Gebäudeversicherung mit Ausnahme derer wegen der Aufräumungsarbeiten nicht auf den Ersteher Rohwer übergegangen sind, also nach den Versteigerungsbedingungen auch nicht ausgeboten waren.

Damit sind diese Ansprüche nach Beendigung des Zwangsversteigerungsverfahrens an die Antragstellerin zurückgefallen. Die davor zugunsten der betreibenden Gläubigerin bestehenden Beschlagnahmewirkungen (§§ 1127 BGB, 20, 55 ZVG) sind nämlich erloschen, weil auch die Grundschuld der Gläubigerin mit dem Zuschlag erloschen ist.

Über den Anspruch auf die sog. Neuwertspitze könnte die Antragstellerin folglich, wenn er noch entstehen könnte, zu Gunsten des Ersteher Rohwer verfügen, § 98 S. 1 VVG. Diesem obläge es dann, die Sicherstellung im Sinne von § 15 Nr. 4 VGB 88 nachzuweisen.

2. Die beabsichtigte Klage hat indes keine Aussicht auf Erfolg, weil der Anspruch auf die Neuwertspitze wegen Ablaufs der Dreijahresfrist des § 15 Nr. 4 VGB 88 nicht mehr entstehen kann. Die Antragsgegnerin handelt auch nicht rechtsmißbräuchlich, wenn sie sich auf diesen Fristablauf beruft.

a) § 15 Nr. 4 VGB 88 ist eine sog. strenge Wiederherstellungsklausel. Der Anspruch ist entgegen der Ansicht der Antragstellerin ohne die Erfüllung der Voraussetzungen des § 15 Nr. 4 VGB 88 nicht nur lediglich nicht fällig, er besteht bis dahin überhaupt nicht. Der Versicherungsnehmer hat aus dem Versicherungsvertrag lediglich eine gesicherte Rechtsposition auf Erwerb dieses künftigen Anspruchs, wenn er die Bedingungen des § 15 Nr. 4 VGB 88 erfüllt.

Bei der Befristung handelt es sich um eine objektive Risikoverteilung. Der Versicherer kann sich auf den fruchtlosen Fristablauf auch dann berufen, wenn der Versicherungsnehmer objektiv an der Wiederherstellung gehindert war. Lediglich, wenn der Versicherer selbst durch sein Verhalten den Versicherungsnehmer an der Fristwahrung hindert, kann er sich nach § 242 BGB nicht auf den Fristablauf berufen (Prölss/Martin//Kollhosser, VVG, 26. Aufl., § 7 VGB 62 RdNr. 3 m.w.N., insoweit identisch mit § 15 VGB 88).

b) Die Frist des § 15 Nr. 4 VGB ist am 23. August 2001 abgelaufen. Die Antragsgegnerin verhält sich nicht widersprüchlich, wenn sie sich auf diesen Fristablauf beruft.

Die Antragsgegnerin hat sich nämlich schon am 13. August 1999 uneingeschränkt leistungsbereit erklärt. Zu einer Abwicklung des Versicherungsfalls ist es nur deshalb nicht gekommen, weil zwischen den Parteien Streit darüber entstand, ob der Neuwert auf der Basis von Reparaturkosten oder der Basis von Abriß und völligem Neuaufbau zu berechnen sei.

Diesen Streit hat die Antragstellerin nicht im Sachverständigenverfahren nach § 22 VGB 88 austragen wollen, wie sich aus der vom Senat beigezogenen Akte 3 OH 15/99 LG Itzehoe ergibt. Sie hat auch nicht statt dessen Klage erhoben, sondern den Weg eines selbständigen Beweisverfahrens beschritten. Dazu war sie selbstverständlich berechtigt. Es war aber ihr Risiko, daß ihr dabei die Zeit weglief, weil sie offensichtlich nicht in der Lage gewesen ist, unabhängig von dem Streit des Neubauvorhabens anderweitig sicherzustellen, wie das bereits im Jahre 2000 eingeleitete Zwangsversteigerungsverfahren über das streitgegenständliche Grundstück zeigt.

Es ist kein widersprüchliches Verhalten der Antragsgegnerin, daß sie im selbständigen Beweisverfahren an ihrer Auffassung festgehalten hat, das Gebäude sei für rund 350.000,- DM im Wege der Reparatur vollständig wiederherzustellen. Auch der Antragsgegnerin stand es selbstverständlich frei, ihre Rechtsauffassung zu verfolgen. Sie hat sich diese Rechtsauffassung nicht willkürlich gebildet, um die Antragstellerin durch Zeitablauf um die Neuwertspitze zu bringen, sondern auf der Grundlage eines von ihr eingeholten Sachverständigengutachtens. Darüberhinaus hat die Antragsgegnerin ausdrücklich ein Sachverständigenverfahren nach § 22 VGB 88 angeboten. Ihre Rechtsverteidigung erfolgte somit in Wahrnehmung berechtigter Interessen. Ihr Verhalten wird auch nicht dadurch im Nachhinein treuwidrig, weil der Sachverständige Traeder letztlich zu dem Ergebnis gekommen ist, eine Reparatur sei wegen der öffentlich-rechlichen Rahmenbedingungen nicht möglich, weil wegen Neuerstellung von mehr als 50 % der Bausubstanz der Bestandsschutz für eine Wiederherstellung des Gebäudes in alter Form entfallen sei.

c) Der Fristablauf ist folglich nicht auf ein widersprüchliches Verhalten der Antragsgegnerin, sondern auf unzweckmäßige eigene Rechtsverfolgung der Antragstellerin zurückzuführen. Dafür trägt sie selbst die Verantwortung. Nicht außer Betracht kann dabei bleiben, daß die Antragstellerin während des laufenden Zwangsversteigerungsverfahrens nur gemeinsam mit ihrer Gläubigerin über die Neuwertspitze hätte verfügen können, sie also bis zum Fristablauf am 23. August 2001 nur bei einer Einigung mit dieser den Wiederaufbau hätte sicherstellen können. In einer solchen Einigung, wenn sie denn versucht worden sein sollte, ist es ersichtlich mangels Kreditwürdigkeit der Antragstellerin nicht gekommen. Daß hierfür die Antragstellerin und nicht die Antragsgegnerin einzustehen hat, versteht sich von allein.

Ende der Entscheidung

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