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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 06.01.2004
Aktenzeichen: 16 W 170/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 572 I
Zur Frage der Abhilfebefugnis nach § 572 I ZPO, wenn die eingelegte sofortige Beschwerde unzulässig ist.
16 W 170/03

Beschluss

wegen Antrages nach § 888 ZPO und Anfechtung eines Abhilfebeschlusses

hat der 16. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die sofortige Beschwerde der Gläubigerin vom 25. November 2003 gegen den Abhilfebeschluss des Einzelrichters der 12. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck vom 12. November 2003 und die sofortige Beschwerde des Schuldners vom 22. Oktober 2003 gegen den Zwangsgeldbeschluss desselben Einzelrichters der 12. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck vom 4. Oktober 2003 am 6. Januar 2004 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Schuldners wird unter Aufhebung des Abhilfebeschlusses vom 12. November 2003 auf seine Kosten nach einem Beschwerdewert von 2.500 € als unzulässig verworfen.

Gründe:

Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin gegen den Abhilfebeschluss vom 12. November 2003 ist gemäß §§ 888, 793 ZPO statthaft, weil die Gläubigerin durch diesen Beschluss erstmalig hinsichtlich des Teils ihres Antrages nach § 888 ZPO, mit dem sie gemäß Zwangsgeldbeschluss vom 4. Oktober 2003 durchgedrungen war, beschwert worden ist. Das Rechtsmittel ist von der Gläubigerin auch form- und fristgerecht eingelegt worden, § 569 ZPO.

Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Abhilfebeschlusses und zur Verwerfung der vom Schuldner persönlich am 22. Oktober 2003 zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegten sofortigen Beschwerde gegen den Zwangsgeldbeschluss vom 4. Oktober 2003, weil die sofortige Beschwerde des Schuldners jedenfalls unbegründet ist.

1. Das Landgericht hat in dem angefochtenen Abhilfebeschluss zutreffend festgestellt, dass die vom Schuldner persönlich eingelegte sofortige Beschwerde vom 22. Oktober 2003 gemäß § 569 Abs. 3 unzulässig ist, weil auch das Zwangsvollstreckungsverfahren nach § 888 ZPO auf der Grundlage eines im landgerichtlichen Anwaltsprozesses erstritten Titel dem Anwaltszwang unterliegt (Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 78 Rdn. 17; Zöller/Gummer, a.a.O. § 569 Rdn. 10). Folglich hätte die sofortige Beschwerde des Schuldners von einem zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt werden müssen.

Gleichwohl hat sich das Landgericht für befugt erachtet, der unzulässigen sofortigen Beschwerde des Schuldners abzuhelfen, weil es für das Abhilfeverfahren nach § 572 Abs. 1 ZPO allein darauf ankomme, ob das erste Gericht die Beschwerde für begründet erachte.

a) Diese Auffassung, die zum Recht der einfachen Beschwerde nach § 571 ZPO in der bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Fassung der Zivilprozessordnung entwickelt worden ist, wird auch für das aufgrund des Zivilprozess-Reformgesetzes vom 27. Juli 2001 für das seit dem 1. Januar 2002 geltende neugeregelte Beschwerderecht vertreten (Zöller/Gummer, a.a.O., § 572 Rdn. 14; Musilak, ZPO, 3. Aufl., § 572 Rdn. 4 und 11; Lipp, NJW 2002, 1700, 1702).

Voraussetzung soll lediglich sein, dass die angefochtene Entscheidung nicht nach §§ 572 Abs. 1 Satz 2, 318 ZPO bindend geworden ist.

Die vom Landgericht vertretene Ansicht, zur Abhilfe trotz Unzulässigkeit der sofortigen Beschwerde des Schuldners befugt zu sein, setzt folglich voraus, dass auch Entscheidungen der hier vorliegenden Art nach § 888 ZPO das Erstgericht nicht binden, solange es mit der Sache befasst ist, obwohl sie gemäß §§ 793, 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO, 19 EGZPO der formellen Rechtskraft und nach herrschender Meinung auch einer beschränkten materiellen Rechtskraft (Zöller/Vollkommer, a.a.O., vor § 322 Rdn. 9) fähig sind.

Das war nach früherem ZPO-Recht kein Problem, weil nach § 577 Abs. 3 ZPO a. F. dem Erstgericht untersagt war, eine der sofortigen Beschwerde unterliegende Entscheidung noch abzuändern, so dass ein Abhilferecht nach § 571 ZPO a. F. ausschied und folglich auch an der Bindungswirkung solcher Beschlüsse nach § 318 ZPO analog kein Zweifel bestand.

Diese für das Erstgericht klare Trennung zwischen jederzeit abänderungsfähigen Beschlüssen, die der einfachen Beschwerde unterlagen, und bindenden Beschlüssen, die der sofortigen Beschwerde unterlagen, ist mit der Neuregelung des Beschwerderechts aufgrund des Zivilprozess-Reformgesetzes entfallen.

Einerseits unterliegen nunmehr alle anfechtbaren erstinstanzlichen Beschlüsse der sofortigen Beschwerde, § 567 ZPO, andererseits gewährt § 572 Abs. 1 ZPO dem Erstgericht eine Abhilfebefugnis, die nach § 572 Abs. 1 Satz 2 ZPO nur durch § 318 ZPO im engeren Sinne beschränkt ist. Diese Beschränkung wird nämlich dahin verstanden, dass eine Abhilfe nur ausgeschlossen sein soll, soweit es um sofortige Beschwerden gegen Zwischenurteile oder gegen Nebenentscheidungen geht, die unmittelbar in Endurteilen enthalten sind (Musilak, a.a.O., § 572 Rdn. 10). Ein Ausschluss der Abhilfebefugnis des Erstgerichts bei Entscheidungen, die in materieller Rechtskraft und in formeller Rechtskraft im Sinne von § 19 EGZPO erwachsen können, lässt sich folglich in der Tat nicht mehr als generelle Regel vertreten (Zöller/Gummer, a.a.O., § 567 Rdn. 24).

b) Indes erscheint es zweifelhaft, ob damit der aus dem früheren Recht der einfachen Beschwerde stammende Rechtssatz, für die Abhilfebefugnis des Erstgerichts komme es nur auf die Begründetheit, nicht auf die Zulässigkeit der Beschwerde an, ohne weiteres für alle Fallkonstellationen nach dem neuen Beschwerderecht übertragen lässt. Das würde nämlich bedeuten, dass für das Erstgericht auch eine bereits eingetretene formelle und materielle Rechtskraft für die Frage seiner Abhilfebefugnis ohne Belang wäre. Das erscheint mit dem Ziel der Einführung der befristeten Beschwerde gegen alle anfechtbaren Nebenentscheidungen erster Instanz, für beide Parteien in kurzer Zeit Rechtssicherheit zu schaffen, schwerlich vereinbar.

Die Frage, ob die Abhilfebefugnis des Erstgerichts jedenfalls bei Beschwerden, die wegen Form- oder Fristmängeln im Sinne von § 572 Abs. 2 Satz 1 ZPO unzulässig sind, im Interesse der Rechtssicherheit eingeschränkt werden muss, braucht jedoch nicht entschieden zu werden. Es entspricht nämlich herrschender Meinung, dass im Beschwerderecht die Zulässigkeit der Beschwerde offen bleiben kann, wenn die Beschwerde jedenfalls unbegründet ist (Musilak, a.a.O., § 572 Rdn. 11; Zöller/Gummer, a.a.O., § 572 Rdn. 20). Dasselbe muss dann erst recht für die Frage der Zulässigkeit der Abhilfe durch das Erstgericht gelten. So liegt es hier. Das Landgericht hätte der unzulässigen sofortigen Beschwerde des Schuldners vom 22. Oktober 2003 jedenfalls nicht abhelfen dürfen, weil sie offensichtlich unbegründet ist. Somit kommt es auf die Frage der Zulässigkeit des jederzeitigen Abhilferechts des Erstgerichts, die als solche grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO hat, nicht an. Folglich bedarf es auch keiner Übertragung des Verfahrens vom Einzelrichter auf das Beschwerdegericht.

2. Zu Unrecht hat das Landgericht in dem angefochtenen Abhilfebeschluss vom 12. November 2003 aus dem vom Schuldner vorgelegten Sozialhilfebescheid des Sozialamtes der Gemeinde M. den Schluss gezogen, die Möglichkeit der Erfüllung der geschuldeten Leistung durch den Schuldner sei zweifelhaft, folglich dürfe gegen ihn keine staatliche Zwangsmaßnahme in Form eines Zwangsgeldes oder einer Zwangshaft verhängt werden.

a) Das Landgericht hat schon den von ihm zitierten Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm (NJW-RR 1988, 1087) nicht richtig gewürdigt. In diesem Beschluss wird nur der Einwand des Schuldners, ihm sei die Vornahme der Handlung, zu der er verurteilt worden sei, nicht möglich abgehandelt. Es ging in der zitierten Entscheidung nur um den Einwand der Unmöglichkeit der Erfüllung des Titelausspruchs als solchen, nicht um den Einwand des Schuldners, zur Vornahme der Handlung fehlten ihm die erforderlichen finanziellen Mittel.

Dass zum Wert der in den Grundbüchern von R. und von B. eingetragenen Grundstücke Sachverständigengutachten eingeholt und vorgelegt werden können, kann nicht zweifelhaft sein.

Ob der Schuldner dazu die erforderlichen finanziellen Mittel hat, ist für die zivilprozessuale Zwangsvollstreckung belanglos. Wäre es anders, könnte gegen keinen Schuldner, bei dem das Zwangsgeld nicht hat beigetrieben werden können, Zwangshaft vollstreckt werden, § 888 ZPO. Hier wie im gesamten Zivilrecht gilt der Grundsatz, dass sich ein Schuldner auf fehlende Geldmittel grundsätzlich nicht berufen kann. Er hat sie sich zu besorgen, notfalls durch Kreditaufnahme.

b) Der angefochtene Abhilfebescheid wäre aber auch bei Zugrundelegung des Ansatzes des Landgerichts unzutreffend.

Der vorgelegte Sozialhilfebescheid ist nämlich ohne Aussagekraft zu den Vermögensverhältnissen des Schuldners. Das folgt schon aus seinem Inhalt. Danach ist dem Schuldner Hilfe zum Lebensunterhalt lediglich nur vorübergehend darlehensweise bei einzusetzendem vorhandenem Vermögen gewährt worden. Es kann unterstellt werden, dass der Schuldner derzeit ohne laufende Einkünfte ist. Das war offenbar auch schon von Mitte 1997 bis Januar 2000 der Fall. In dieser Zeit bezog der Schuldner nach eigenen Angaben im Prozess Sozialhilfe, was ihn nicht gehindert haben soll, so seine anwaltliche Auskunft vom 14. Juni 2000, "aus eigenem Vermögen" in beide Grundstücke zusammen 680.000 DM zu investieren. Dass der Schuldner am 16. Februar 2000 280.171,18 DM auf ein eigenes Wertpapierkonto eingezahlt hatte, ergibt sich ebenfalls aus einem eigenen vorgerichtlichen Anwaltsschreiben vom 14. September 2000. Wie das Landgericht vor diesem Hintergrund den vorgelegten Sozialhilfebescheid hinsichtlich der finanziellen Leistungsfähigkeit des Schuldners irgendeine Bedeutung hat zumessen wollen, erschließt sich nicht.

Der Schuldner versucht offenbar im Gegenteil, sich der Erfüllung des rechtskräftigen Auskunftsurteils vom 6. Dezember 2002 auch mit unlauteren Mitteln zu entziehen. Dass dem mit der strikten Anwendung des Vollstreckungsrechts zu begegnen ist, bedarf keiner weiteren Darlegung.

3. War das Landgericht somit nach allen Ansichten nicht befugt, eine Abhilfeentscheidung zu Gunsten des Schuldners zu erlassen, ist seine nicht formgerechte sofortige Beschwerde nach Aufhebung des angefochtenen Abhilfebeschlusses ohne weiteres nach § 572 Abs. 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 891, 97 Abs. 1, 91 ZPO. Zu entscheiden war über zwei Beschwerden, nämlich diejenige der Gläubigerin gegen den Abhilfebeschluss und diejenige des Schuldners gegen den Ausgangsbeschluss vom 4. Oktober 2003. In beiden Fällen unterliegt der Schuldner, so dass er die gesamten Kosten beider Beschwerdeverfahren zu tragen hat. Der Beschwerdewert ist nach §§ 14 Abs. 2 GKG, 3 ZPO durch den Wert des gegen den Schuldner festgesetzten Zwangsgeldes beschränkt, weil auch die sofortige Beschwerde der Gläubigerin auf die Wiederherstellung des Ausgangesbeschlusses unter Zurückweisung der sofortigen Beschwerde des Schuldners gerichtet ist.

Ende der Entscheidung

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