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Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 19.12.2000
Aktenzeichen: 16 W 292/00
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 485 II |
SchlHOLG, 16. ZS, Beschluss vom 19. Dezember 2000, - 16 W 292/00 -
Beschluß
16 W 292/00 12 OH 15/00 LG K
In dem selbständigen Beweisverfahren
hat der 16. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die Beschwerde des Antragstellers vom Oktober 2000 gegen den Beschluß der 12. des Landgerichts K vom September 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht sowie die Richter am Oberlandesgericht am 19. Dezember 2000 beschlossen:
Tenor:
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.
Die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zu folgenden Fragen wird angeordnet:
1. Waren die valgisierende Tibiakopf-Umstellungsosteotomie links mit 10 Grad bzw. 20 Grad Korrektur in der HTO-Technik un ddie distale Fibula-Schrägosteotomie am 20.05.1997 unter Berücksichtigung der Operationsdiagnose und Vorbefunde des Antragstellers medizinisch indiziert? Bestanden in der Tibiakopf-Umstellungsosteotomie und/oder in der Fibula-Schrägosteotomie ein vermeidbares Risiko?
2. Wäre der konservative stationäre Behandlungsversuch eine nach Nutzen-Risiko-Abwägung ernsthafte, gleich oder mehr erfolgversprechende, weniger risikobehaftete Behandlungsalternative gewesen?
3. Wurde die Tibiakopf-Umstellungsosteotomie links mit 10 Grad bzw. 20 Grad Korrektur in der HTO-Technik entsprechend dem guten medizinischen Standard des Fachs durchgeführt?
4. Wurde die distale Fibula-Schrägosteotomie links entsprechend dem guten medizinischen Standard des Fachs durchgeführt?
5. Auf welche Ursache(n) ist die im postoperativen Röntgenbild und durch Revision am 05.1997 objektivierte duetliche mediale Instabilität des linken Kniegelenkes mit deutlichem Aufklaffen des medialen Osteotomiespaltes zurückzuführen?
6. Durch welche Maßnahme(n) hätte das Aufklaffen des Osteomiespaltes und die mediale Instabilität mit Wahrscheinlichkeit vermieden werden können?
7. Auf welche Ursache(n) ist es zurückzuführen, daß die Fibulafragmente (Fibulaenden) in der Frontalebene um ca. 1 cm bzw. longitudinal in der a.p. Aufnahme um ca. 2 Bild-cm verschoben sind? Worauf ist die mangelnde Callusbildung und unvollständige knöcherne Durchbauung in diesem Bereich zurückzuführen?
8. Durch welche Maßnahme(n) hätte das Verschieben der Fibulaenden und die mangelnde knöcherne Durchbauung in diesem Bereich mit Wahrscheinlichkeit vermieden werden können?
9. Wodurch sind die zeitweise elektrisierend einschießenden und ausstrahlenden Schmerzen in Höhe der distalen Fibula-Osteotomie ursächlich zurückzuführen?
10 Bestand eine medizinische Indikation für die am 05.1997 durchgeführte chirurgische Revision im allgemeinen? War im besonderen die durchgeführte Revision mittels medialer Stabilisierung durch mediale Verplattung des Tibiakopfes medizinisch indiziert?
11. Gab es gleichermaßen zu erwägende oder auch erfolgversprechende konservative oder operative Alternativen zu der am 05.1997 durchgeführten Revision?
12. Ist die postoperative mediale Instabilität des linken Kniegelenkes reversibel? Wenn ja, welche chirurgischen oder/und konservativen Maßnahmen wären unter besonderer Berücksichtigung der Vorbefunde des Antragstellers noch medizinisch indiziert, um vollständige Beschwerdefreiheit bzw. den Beschwerdestatus quo ante 05.1997 wiederherzustellen? Sind ambulante Begleitgherapien indiziert, wenn ja, welche?
13. Wie hoch werden sich die absehbaren Kosten ad 12. belaufen?
14. Wenn die Beweisfrage ad 12. zu bejahen sein sollte, welche Behandlungsdauer wird bei dem Antragsteller erforderlich sein, um vollständige Beschwerdefreiheit bzw. zumindest den Beschwerdestatus quo ante 05.1997 wiederherzustellen?
15. Liegen gegenwärtig Dauerschäden vor bzw. bleiben auch bei erneuter, eventuell medizinisch indizierter chirurgischer oder/und konservativer Intervention (vgl. Beweisfrage ad 12.) Dauerschäden zurück?
16. Haben sich auf Grund des Beschwerdebildes und der persistierenden Schmerzen des Antragstellers Folgeschäden eingestellt oder sind diese bereits jetzt absehbar?
Die Auswahl eines geeigneten Sachverständigen wird dem Landgericht übertragen.
Gründe
Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, weil sein im Gesetz geregelter Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens zurückgewiesen worden ist, §§ 567 Abs. 1, 485, 486 ZPO.
Die Beschwerde ist auch in gesetzlicher Form eingelegt worden, § 569 Abs. 2 ZPO.
Das Rechtsmittel ist begründet, weil entgegen der Ansicht des Landgerichts sowohl die Voraussetzungen für eine Beweissicherung nach § 485 Abs. 1 ZPO als auch die Voraussetzungen für die Durchführung einer Beweiserhebung außerhalb eines anhängigen Rechtsstreits nach § 485 Abs. 2 ZPO vorliegen. Der Senat teilt die Bedenken des Landgerichts gegen die Zulässigkeit von selbständigen Beweisverfahren in Arzthaftungssachen nicht.
1. Die Voraussetzungen des § 485 Abs. 1 ZPO liegen schon deshalb vor, weil dem Antragsteller unstreitig eine Korrekturoperation angeraten worden ist, er diese durchführen zu lassen beabsichtigt und nach erfolgter Korrekturoperation sein derzeitiger Zustand einer unmittelbaren klinischen Untersuchung nicht mehr zugänglich ist. Folglich ist zu besorgen, daß für den Antragsteller nach erfolgter Korrekturoperation die Benutzung des Beweismittels "Sachverständigengutachten" erschwert ist. Mehr ist nach dem Gesetz nicht erforderlich. Daran ändert auch der vom Landgericht hervorgehobene Umstand nichts, daß die Krankheitsgeschichte des Antragstellers umfangreich dokumentiert ist, insbesondere zahlreiche Röntgenaufnahmen vorliegen. Das macht im Streitfall eine zusätzliche klinische Untersuchung durch den dann notwendigerwiese einzuschaltenden gerichtlichen Sachverständigen nicht überflüssig. Träfe die Ansicht des Landgerichts zu, könnten medizinische Sachverständigengutachten in der Mehrzahl der Fälle nach Aktenlage erstellt werden. Kein verantwortungsbewußter Sachverständiger wird sich darauf einlassen, wie dem Senat aus seinen zahlreichen Streitfällen im Unfall- und Berufsunfähigkeitssachen aus eigener Sachkunde bekannt ist.
2. Der Antrag des Antragstellers ist im vorliegenden Fall aber auch ohne weiteres gemäß § 485 Abs. 2 ZPO begründet.
Die Zulässigkeitsbedenken des Landgerichts sind unbegründet.
a) Der Senat folgt der wohl überwiegenden Ansicht in Literatur und Rechtsprechung, daß selbständige Beweisverfahren in Arzthaftungssachen keinen Sonderregeln unterliegen (Mohr, Das selbständige Beweisverfahren in Arzthaftpflichtfällen, MedR 1996, 454; OLG Düsseldorf MedR 1996, 132 und MDR 1998, 1241; OLG Stuttgart NJW 1999, 874; OLG Saarbrücken VersR 2000, 891). Die gegenteilige Ansicht (Rehborn, Selbständiges Beweisverfahren im Arzthaftungsrecht, MDR 1998, 16; OLG Nürnberg MDR 1997, 501; OLG Köln MDR 1998, 224 = NJW 1999, 875) vermag schon deshalb nicht zu überzeugen, weil sie in das selbständige Beweisverfahren Erwägungen zur Schlüssigkeit und mutmaßlichen Entwicklung eines späteren Hauptsacheprozesses einführt, die im selbständigen Beweisverfahren außer Betracht zu bleiben haben (Zöller/Herget, ZPO, 21. Aufl., § 485 RdNr. 7 a). Jeder Antragsteller nach § 485 ZPO läuft Gefahr, daß das von ihm erwirkte Gutachten in einem späteren Prozeß nicht ausreicht oder sich gar als unerheblich erweist. Das hat der Gesetzgeber in Kauf genommen. Die Kostenfolge trifft dann endgültig den Antragsteller. Die Gefahr eines letztlich vergeblich durchgeführten selbständigen Beweisverfahrens kann aber nicht dazu führen, die vom Gesetzgeber ganz bewußt weit gefaßten Antragsveraussetzungen des § 485 Abs. 2 ZPO mit Rücksicht auf angebliche Besonderheiten bestimmter Streitsachen wieder einzuschränken.
b) Das rechtliche Interesse des Antragstellers nach § 485 Abs. 2 ZPO an der Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens liegt entgegen der Ansicht des Landgerichts im vorliegenden Fall vor.
Zwischen den Verfahrensbeteiligten ist unstreitig, daß es im Mai 1997 in der Klinik der Antragsgegnerin zu 1) zu einer Fehlbehandlung des Antragsgegners gekommen ist. Die Haftpflichtversicherung der Antragsgegner hat sogar schon einen Betrag von 10.000,- DM als Vorschuß gezahlt, sich aber geweigert, dem Antragsteller das für ihre Entscheidung maßgebliche eigene ärztliche Sachverständigengutachten zur Verfügung zu stellen. Da der Antragsteller allenfalls gegen die Antragsgegner, nicht aber gegen deren Haftpflichtversicherung eigene Ansprüche hat, bleibt dem Antragsteller nur der Weg des selbständigen Beweisverfahrens, um sich den Kenntnisstand zu verschaffen, den die Antragsgegner mutmaßlich ohnehin, jedenfalls aber ihr Haftpflichtversicherer haben. Das rechtliche Interesse des Antragstellers folgt somit schon unmittelbar aus der Notwendigkeit, "Waffengleichheit" für die noch ausstehenden endgültigen Verhandlungen zu schaffen. Bei der hier gegebenen Ausgangslage ist sogar davon auszugehen, daß die Feststellungen des Sachverständigen im selbständigen Beweisverfahren das spezielle rechtliche Interesse des § 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO rechtfertigen, nämlich einen künftigen Rechtsstreit zu vermeiden. Das kann aber dahingestellt bleiben, da nach ganz herrschender Ansicht und ständiger Rechtsprechung des Senats der Begriff des "rechtlichen Interesses" in § 485 Abs. 2 ZPO weit auszulegen ist. Die Aussicht auf Vermeidung eines Rechtsstreits ist nur ein Gesichtspunkt unter anderen (dazu Zöller/Herget aaO.).
3. Der Senat teilt nicht die Bedenken der Antragsgegner gegen einzelne der insgesamt 16 vom Antragsteller zur Begutachtung gestellten Fragen. Alle Fragen zielen auf den Zustand seiner Person, die Ursachen hierfür und den Aufwand zur Beseitigung oder Verbesserung seines unstreitigen Personenschadens im Zusammenhang mit den im Mai 1997 erfolgten Operationen. Ein qualifizierter medizinischer Sachverständiger wird nach Auffassung des Senats keine Probleme haben, aus der Gesamtheit der Fragen das maßgebliche Begutachtungsziel zu erschließen.
4. Der Senat hält es für angemessen, daß das Landgericht die Auswahl eines geeigneten Gutachters trifft und sodann alles Weitere veranlaßt. Es versteht sich, daß das Landgericht an den vom Antragsteller vorgeschlagenen Gutachter nicht gebunden ist, es sei denn, die Antragsgegner stimmten zu.
5. Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, da keiner der Ausnahmefälle hierfür gegeben ist. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind vielmehr bei erfolgreicher Beschwerde allgemeine Kosten des selbständigen Beweisverfahrens, über die entweder in einem künftigen Hauptsacherechtsstreit oder nach § 494 a Abs. 2 ZPO zu entscheiden sein wird.
Ende der Entscheidung
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