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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 06.06.2005
Aktenzeichen: 2 Ss 29/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 354 Abs. 1 a
1. Hat der Tatrichter bei der Frage ob die Vollstreckung einer zu verhängenden Freiheitsstrafe (nicht mehr) zur Bewährung ausgesetzt werden kann, nicht ausschließbar rechtsfehlerhaft gehandelt, so ist dies ein Fehler bei der "Zumessung der Rechtsfolgen" im Sinne des § 354 Abs. 1 a StPO.

2. Dieser Fehler führt nicht mehr zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, wenn das Revisionsgericht - wie hier - die verhängte Rechtsfolge für angemessen erachtet.

3. Voraussetzung für eine solche Entscheidung des Revisionsgerichts ist jedoch, dass das tatrichterliche Urteil alle Tatsachen feststellt, die für die Beurteilung der Frage, ob die verhängte Rechtsfolge angemessen ist, erforderlich sind.


SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERLANDESGERICHT II. Strafsenat Im Namen des Volkes URTEIL

2 Ss 29/05 2 Ss 30/05

In der Strafsache

wegen schweren Raubes u. a.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der IV. kleinen Strafkammer des Landgerichts Kiel vom 2. Dezember 2004 hat der II. Strafsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 6. Juni 2005 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision wird verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen und der Nebenklägerin die ihr im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe:

Das Amtsgericht Neumünster - Schöffengericht I - hat den Angeklagten durch Urteil vom 15. Juni 2004 wegen schweren Raubes (in einem minder schweren Fall) in Tateinheit mit (vorsätzlicher) Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Hiergegen hat der Angeklagte Berufung eingelegt und diese auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Infolge dieser Beschränkung steht rechtskräftig fest, dass der Angeklagte am späten Abend des 10. Februar 2004 die Nebenklägerin, die dabei war, ihre Arbeitsstelle, die Gaststätte "B." in Kiel, zu verschließen, überfallen hat, nachdem er sich zuvor maskiert und mit einer täuschend echt aussehenden Spielzeugpistole bewaffnet hatte. Bei der Tatausführung bedrohte der Angeklagte die Nebenklägerin mit der Waffe, stieß sie zu Boden, verletzte sie hierdurch und forderte Geld. Die Nebenklägerin hielt die Waffe für echt und fürchtete um ihr Leben. Sie händigte dem Angeklagten Bargeld aus ihrer Handtasche aus. Der Angeklagte forderte weiteres Geld, drängte die Nebenklägerin in die Küche der Gaststätte und verlangte von ihr die Herausgabe einer dort befindlichen Geldkassette. Schließlich brach der Angeklagte einen Geldspielautomaten auf, entwendete auch hieraus Bargeld und schloss sodann die Nebenklägerin in der Gaststätte ein, um anschließend vom Tatort zu flüchten. Hierbei wurde er jedoch mit seiner Beute im Gesamtwert von 735,91 € von Polizeibeamten gestellt. Die Nebenklägerin hat durch die Tat, bei der der Angeklagte nicht ausschließbar schuldmindernd unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln stand, nachhaltige psychische Schäden erlitten. Ihre Ehe ist an den Folgen der psychischen Beeinträchtigungen gescheitert.

Auf dieser Tatsachengrundlage hat das Landgericht durch das angefochtene Urteil die Berufung des Angeklagten verworfen, hat jedoch die verhängte Freiheitsstrafe auf ein Jahr und sieben Monate ermäßigt.

Hiergegen hat der Angeklagte form- und fristgerecht Revision eingelegt und diese - unter Hervorhebung einzelner Ausführungen - in zulässiger Weise mit der allgemeinen Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet. Das Rechtsmittel bleibt im Ergebnis ohne Erfolg.

a) Die Rüge, das Landgericht habe den Anwendungsbereich des § 250 Abs. 3 StGB (minder schwerer Fall des schweren Raubes) verkannt, indem es ausgeführt habe, die Tatsache, dass der Angeklagte bei seiner Tat eine Scheinwaffe eingesetzt habe, dürfe nicht als Argument für die Annahme eines minder schweren Falles dienen, geht fehl. Entgegen der Auffassung der Revision ergeben nämlich die Urteilsgründe nicht, dass das Landgericht der Auffassung war, der Einsatz einer Scheinwaffe bei der Tatausführung schließe die Annahme eines minder schweren Falles in jedem Fall aus. In Übereinstimmung mit dem Willen des Gesetzgebers und mit der obergerichtlichen Rechtsprechung ist das Landgericht lediglich davon ausgegangen, dass nach der Schaffung des § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB innerhalb dieses (auf drei Jahre gesenkten) Regelstrafrahmens insbesondere Scheinwaffen erfasst werden sollten, so dass "für sich genommen" das Beisichführen - hier sogar der Einsatz - einer Scheinwaffe nicht mehr quasi zwangsläufig zur Annahme eines minder schweren Falles des schweren Raubes führt. Diese und die weiteren vom Landgericht in diesem Zusammenhang angestellten Überlegungen sind aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

b) Auch die Rüge, das Landgericht habe es versäumt, in die Strafzumessung den Gesichtspunkt des § 31 BtMG einfließen zu lassen, ist unbegründet. Der Angeklagte hat sich nicht wegen einer Betäubungsmittelstraftat zu verantworten. Eine Strafmilderung oder ein Absehen von Strafe nach § 31 BtMG kommt aber bereits nach dem Wortlaut dieser Vorschrift nur dann in Betracht, wenn eine "Bestrafung nach § 29 Abs. 1, 2, 4 oder 6" im Raume steht. Auf eine Verurteilung nach § 250 StGB ist § 31 BtMG daher nicht anzuwenden. Im übrigen setzen sich die Gründe der angefochtenen Entscheidung zugunsten des Angeklagten und in rechtlich nicht zu beanstandender Weise mit dem Umstand auseinander, dass der Angeklagte offenbar ernsthaft versucht hat, sich aus der Drogenszene zu lösen und in diesem Zusammenhang auch Angaben über Angehörige dieser Szene gemacht hat.

c) Zuzugeben ist der Revision, dass der Umstand bedenklich erscheint, dass das Landgericht sich im Rahmen der Erörterung der Frage, ob die zu verhängende Freiheitsstrafe vollstreckt werden muss, nicht ausdrücklich mit der Tatsache befasst hat, dass der Angeklagte in dieser Sache bereits sechs Monate Untersuchungshaft erlitten hatte. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. dazu etwa BGH, StV 1990, 496; BGH StV 1992, 156) hat die Tatsache, dass ein Angeklagter längere Zeit in Untersuchungshaft verbracht hat, Bedeutung im Rahmen der Gesamtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit. Sie muss in diesem Zusammenhang Berücksichtigung finden; der Begründung der Ablehnung der Strafaussetzung muss sich entnehmen lassen, dass sich das Gericht (auch) in diesem Zusammenhang dieses Umstandes bewusst war (BGHR, StGB § 56 Abs. 2, "Gesamtwürdigung 6").

Lässt sich dies einem Urteil nicht zweifelsfrei entnehmen, so war dies zumindest bis zum Inkrafttreten der strafprozessualen Änderungen im Rahmen des Justizmodernisierungsgesetzes am 1. September 2004 nach der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung ein sachlich-rechtlicher Mangel eines Urteiles, bei dem grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden konnte, dass das Urteil auch auf ihm beruhte. Daher kam es (§ 337 Abs. 1 StPO) in entsprechenden Fällen regelmäßig zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

Durch das Justizmodernisierungsgesetz sind jedoch die Befugnisse eines Revisionsgerichtes erweitert worden. Nach § 354 Abs. 1 a StPO kann das Revisionsgericht jetzt von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, wenn die Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen erfolgte und die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Daher braucht der Senat nicht mehr zu entscheiden, ob in dem Umstand, dass die Gründe des angefochtenen Urteils nicht noch einmal ausdrücklich im Zusammenhang des § 56 Abs. 2 StGB die erlittene Untersuchungshaft würdigen, ein durchgreifender Mangel dieser Entscheidung liegt und ob nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Tatrichter bei nochmaliger Würdigung auch dieses Umstandes zu einer abweichenden Entscheidung gekommen wäre. Denn sofern man hierin einen Mangel des Urteils sehen wollte, läge dieser im Bereich der "Zumessung der Rechtsfolgen". Mit dieser Formulierung will das Gesetz erreichen, dass das Revisionsgericht abschließend in der Sache entscheiden kann, wenn eine Gesetzesverletzung nur zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs führen würde (BGH NStZ 2005, 284). So liegt es hier.

Auch die Frage, ob die verhängte Freiheitsstrafe vollstreckt werden muss, oder ob ihre Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werden kann, ist Teil der "Zumessung der Rechtsfolgen".

Zwar spricht § 354 Abs. 1 a StPO seinem Wortlaut nach von "Zumessung". Damit ist aber ersichtlich nicht nur der Vorgang der bloßen Festsetzung der Höhe einer Strafe gemeint. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der weitere Wortlaut nicht auf den zweiten und dritten Titel des Strafgesetzbuches Bezug nimmt, die sich mit der "Strafbemessung" befassen. Vielmehr soll gerade der gesamte Bereich der "Rechtsfolgen" der Tat erfasst werden. Hierzu gehörte aber auch schon nach allgemeiner revisionsrechtlicher Auffassung vor der Änderung des § 354 StPO ohne weiteres die Frage der Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe. Es war grundsätzlich auch bisher bereits möglich, eine Revision auf den "Rechtsfolgenausspruch" zu beschränken (Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., Rn. 7 zu § 344 unter Verweis auf Rn. 16 zu § 318). Als ein Teil des Rechtsfolgenausspruches wurde bereits bisher die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung angesehen, wobei innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs das Rechtsmittel wirksam wiederum auf diesen Teilaspekt beschränkt werden konnte (Meyer-Goßner, a.a.O. Rn. 20 zu § 318). Auf diese Praxis hat sich die Änderung des § 354 StPO nicht ausgewirkt. Es ist daher davon auszugehen, dass mit dem Begriff "Zumessung der Rechtsfolgen" in § 354 Abs. 1 a StPO derjenige Bereich gemeint ist, den die revisionsrechtliche Praxis bisher als "Rechtsfolgenausspruch" bezeichnet hat.

Nach der Gesetzesänderung soll ein Urteil auch dann rechtskräftig werden, wenn das Revisionsgericht die verhängte Strafe trotz des Rechtsfehlers bei ihrer Zumessung im Ergebnis für angemessen erachtet, selbst wenn nicht festgestellt werden kann, dass der Tatrichter ohne den Fehler auf dieselbe Strafe erkannt hätte (BGH, a.a.O. unter Hinweis auf die Bundestagsdrucksache 15/3482, Seite 21 f.). Ob eine Rechtsfolge als angemessen im Sinne des § 354 Abs. 1 a StPO angesehen werden kann, hat das Revisionsgericht auf der Grundlage der Feststellungen des angefochtenen Urteils zu beurteilen (BGH, a.a.O.), wobei es auch nach der Gesetzesänderung mit der Aufhebung eines angefochtenen Urteils sein Bewenden haben muss, wenn das tatrichterliche Urteil nicht alle Tatsachen feststellt, die für die Beurteilung der Angemessenheit der Rechtsfolgen erforderlich sind. Denn auch die Neufassung des § 354 StPO räumt dem Revisionsgericht nicht die Befugnis ein, selbst ergänzende tatsächliche Feststellungen zu treffen.

Im vorliegenden Fall enthält jedoch das angefochtene Urteil alle für diese Prüfung erforderlichen Feststellungen. Das Landgericht hat neben allen ausdrücklich im Rahmen des § 56 Abs. 2 StGB erörterten für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände auch festgestellt, dass sich der Angeklagte vom 11. Februar 2004 bis zum 16. August 2004 in Untersuchungshaft befunden hat. Zwar mag grundsätzlich bei der Frage, ob nach Vollzug von Untersuchungshaft die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann, nicht die bloße Tatsache, dass Untersuchungshaft vollzogen wurde, von Bedeutung sein. Denn es kommt in erster Linie darauf an, ob und wie ein Angeklagter durch die Untersuchungshaft beeindruckt worden ist (BGH StV 1992, 63 sowie 156 ebenda). Hierzu trifft das angefochtene Urteil keine ausdrücklichen Feststellungen. Dies ist nach Auffassung des Senats aber auch nicht erforderlich und unschädlich. Denn die Feststellungen des Urteils ergeben im übrigen, dass der Angeklagte nur mit einer geringfügigen Geldstrafe vorbestraft war und sich daher erstmals in Untersuchungshaft befand. Diese Situation ist vergleichbar derjenigen eines Straftäters, der erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt und nach Verbüßung von der Hälfte oder zwei Dritteln dieser Strafe die Aussetzung der Vollstreckung der restlichen Freiheitsstrafe gemäß § 57 StGB zu erreichen sucht. In diesen Fällen eines sogenannten "Erstverbüßers" entspricht es einer in der Rechtsprechung verbreiteten Übung, der auch der Senat in seiner ständigen Rechtsprechung folgt, einem solchen Verurteilten, der erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt, grundsätzlich vorzeitig aus der Strafhaft zu entlassen. Dies beruht auf der Erwägung, dass der Verurteilte vor Begehung seiner Taten noch nicht die schwerwiegenden Nachteile des Freiheitsentzuges kennen gelernt hat und davon auszugehen ist, dass er vom Strafvollzug beeindruckt ist und hieraus noch seine Lehren für die Gestaltung seines zukünftigen Lebens ziehen wird (vgl. dazu Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl., Rn. 14 zu § 57). Diese regelmäßige Annahme kann - muss aber auch - im Einzelfall durch besondere Umstände widerlegt werden, aus denen ersichtlich wird, dass ein Straftäter trotz Strafvollzuges unbeeindruckt geblieben ist. Der Senat hat keine Bedenken, diese Überlegungen zu § 57 StGB wegen der grundsätzlichen Vergleichbarkeit der Situationen auch auf die Frage der Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe im Rahmen des § 56 StGB zu übertragen. Daher ist - da das tatrichterliche Urteil keine gegenteiligen Feststellungen trifft - ohne weiteres davon auszugehen, dass der Angeklagte, der sich erstmals einem Freiheitsentzug ausgesetzt sah, durch die erlittene sechsmonatige Untersuchungshaft nachhaltig beeindruckt worden ist. Auch unter Berücksichtigung dieses Umstandes erscheint jedoch die verhängte Rechtsfolge - Freiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten Dauer ohne Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung - vor dem Hintergrund des festgestellten Maßes der kriminellen Energie (Maskieren, Bewaffnen, Verletzen des Opfers, hartnäckiges Verlangen nach Herausgabe weiteren Geldes nach Aushändigung der Handtasche, Einschließen des Opfers) und in Anbetracht der gravierenden, auf Dauer verbleibenden psychischen und sozialen Schädigung des Opfers als angemessen.

Im Ergebnis hat daher das angefochtene Urteil Bestand.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 StPO.

Ende der Entscheidung

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