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Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 12.04.2007
Aktenzeichen: 2 Ss Owi 44/07 (36/07)
Rechtsgebiete: TierSchG, OWiG
Vorschriften:
TierSchG § 16 Abs. 2 | |
TierSchG § 16 Abs. 3 | |
TierSchG § 18 Abs. 1 Nr. 26 | |
OWiG § 11 Abs. 2 |
2. Hat der Tierhalter nach unrichtiger Beratung durch seinen Rechtsanwalt der zuständigen Behörden das Betreten seines Grundstücks verboten, so scheitert die Verwirklichung einer Ordnungswidrigkeit nach § 18 Abs. 1 Nr. 26 TierSchG am unvermeidbarem Verbotsirrtum des Betroffenen.
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht
II. Senat für Bußgeldsachen
Beschluss
2 Ss OWi 44/07 (36/07)
in der Bußgeldsache gegen
wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Rendsburg vom 22. Dezember 2006, mit welchem die Betroffene neben dem ebenfalls verfolgten X. wegen Zuwiderhandlung gegen die Duldungs- oder Mitwirkungspflicht nach § 16 Abs. 3 Satz 2 TierSchG zu einer Geldbuße in Höhe von 100 € verurteilt worden ist, hat der II. Senat für Bußgeldsachen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig nach Anhörung der Staatsanwaltschaft am 12. April 2007 beschlossen:
Tenor:
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen werden das Urteil des Amtsgerichts Rendsburg vom 22. Dezember 2006 aufgehoben und die Betroffene freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe:
Auf die gemäß §§ 79 Abs. 1 Satz 2, 80 Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. OWiG durch Beschluss vom 10. April 2007 zugelassene Rechtsbeschwerde waren das angefochtene Urteil gemäß § 79 Abs. 3 OWiG mit §§ 337, 353 Abs. 1 StPO wegen festgestellter Rechtsverletzung aufzuheben und zugleich gemäß § 79 Abs. 6 OWiG die Betroffene durch eigene Sachentscheidung des Senats vom Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit wegen Verstoßes gegen Duldungs- und Mitwirkungspflichten nach § 16 Abs. 3 TierSchG freizusprechen.
Dies folgt zwar noch nicht aus der insoweit schon nicht im Sinne der §§ 79 Abs. 3 OWiG, 344 Abs. 2 StPO zulässig angebrachten Verfahrensrüge (1.), wohl aber aus der zulässig und mit Erfolg erhobenen allgemeinen Sachrüge (2.). Zwar hat auch nach Auffassung des Senats die Betroffene jedenfalls objektiv § 18 Abs. 1 Nr. 26 TierSchG deshalb zuwider gehandelt, weil sie, obwohl sie zu einer entsprechenden Duldung verpflichtet gewesen wäre, dem Kreis R. und dem Amt W. die erneute Begehung ihres Grundstückes zum Zwecke der Besichtigung des Hundezwingers versagt hatte (2 a). Doch handelte die Betroffene jedenfalls in unvermeidbarem Verbotsirrtum, weil und soweit sie der Rechtsauffassung ihres damaligen Verfahrensbevollmächtigten und späteren Verteidigers hinsichtlich der Unzulässigkeit des Begehrens der Behörden folgen durfte (2 b).
1. Die Verfahrensrüge ist bereits nicht zulässigerweise angebracht, weil die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde nicht dargelegt hat, an welchen konkreten Ausführungen ihr Verteidiger durch das Gericht gehindert worden sein soll und welche konkreten Sachanträge dieser noch hätte stellen wollen. Ungeachtet dessen lässt sich aus dem Protokoll der Hauptverhandlung für die behauptete Verkürzung von Verteidigerrechten nichts entnehmen.
2. Was die zulässigerweise angebrachte Sachrüge betrifft, gilt Folgendes:
a) Zu Recht ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass entgegen der Rechtsauffassung der Betroffenen und ihres Verfahrensbevollmächtigten die zuständigen Behörden auch außerhalb des sich aus § 208 LVerwG Schl.-H. zum Zwecke allgemeiner Gefahrenabwehr ergebenden Betretungsrechts gemäß § 16 Abs. 3 TierSchG zum Betreten des Grundstücks der Betroffenen und ihres Ehemannes - des ebenfalls verfolgten X. - berechtigt waren, so dass das vom Verfahrensbevollmächtigten beider "nach Rücksprache mit meiner Mandantschaft" dem Amt W. und dem Kreis R. gegenüber ausgesprochene "Betretungsverbot" den objektiven Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 26 TierSchG erfüllte.
Die Reichweite des in § 16 Abs. 2 und 3 TierSchG geregelten Auskunfts- und Betretungsrechts der zuständigen Behörden lässt sich allein dem Wortlaut der erwähnten Vorschriften zwar nicht abschließend entnehmen und kann auch nicht schon als in der Rechtsprechung ausdrücklich geklärt gelten. Denn immerhin könnte eine Entscheidung des VG Ansbach vom 12. Mai 2005 (AN 16 K 04.03545, bei juris, dort zu Ziff. 39) dahin verstanden werden, dass das Betretungsrecht im Zusammenhang mit der auf bestimmte Tierhaltungen beschränkten Aufsicht im Sinne des § 16 Abs. 1 TierSchG zu sehen ist, sich also auf die dort enumerativ aufgeführten Tierhaltungsformen - zu denen die Tierhaltung durch die Betroffene und ihren Ehemann mangels festgestellter Gewerblichkeit der Hundezucht noch nicht gehört - beschränkt. Demgegenüber wird überwiegend vertreten, dass sich § 16 Abs. 2 und Abs. 3 TierSchG im Rahmen des Tierschutzgesetzes an sämtliche Tierhalter richtet (so ausdrücklich VG Stuttgart, RdL 1998, 52, 54 = NuR 1999, 232, AG Germersheim, AgrarR 1999, 219; i. E. auch VG München NuR 2002, 507, 509; Lorz-Metzger, 5. Aufl., Rn. 17 zu § 16 TierSchG).
Der Senat teilt diese Auffassung, und zwar sowohl aus Gründen eines effektiven Tierschutzes als auch aus regelungssystematischen Erwägungen. Denn insbesondere § 16 Abs. 3 TierschG verschafft erst den zuständigen Behörden die für den grundrechtsrelevanten Bereich notwendigen Ermittlungsbefugnisse (zur Erforderlichkeit derartiger spezieller Befugnisse im Verwaltungsverfahren zuletzt etwa LG Itzehoe SchlHA 2007, 101, 102), ohne dass ein Grund dafür ersichtlich wäre, die den zuständigen Behörden in § 16 Abs. 2 und 3 TierschG eingeräumten Befugnisse allein auf die § 16 Abs. 1 TierSchG genannten Fälle von Tierhaltungen zu beschränken. Dies folgt nicht allein aus dem Umstand, dass das in § 16 Abs. 2 TierschG normierte Auskunftsrecht - dessen Flankierung das in § 16 Abs. 3 TierschG geregelte Betretungsrecht dient - "zur Durchführung der der Behörde durch dieses Gesetz übertragenen Aufgaben" insgesamt eingeräumt ist, sondern auch aus der lediglich eingeschränkten Reichweite der im Tierschutzgesetz des Bundes enthaltenen verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften. Da die Länder dieses als eigene Angelegenheit ausführen und insofern auch grundsätzlich selbst die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren regeln (Art. 83, 84 Abs. 1 GG), bezwecken nämlich die - ersichtlich auch unvollständigen - verfahrensrechtlichen Regelungen des Tierschutzgesetzes keine wirkliche Regelung des Verwaltungsverfahrens, sondern erklären sich lediglich aus einem das übliche Verwaltungsverfahren der Länder übersteigenden spezifischen Regelungsbedarf.
Ein derartiger Regelungsbedarf bestand für die in § 16 Abs. 1 TierSchG für bestimmte Tierhaltungsformen angeordnete "Aufsicht" deshalb, weil unter einer derartigen Aufsicht die kontinuierliche Überwachung durch die nach Landesrecht zuständige Behörde zu verstehen ist (Lorz-Metzger, 5. Aufl., Rn. 2 zu § 16 TierSchG) und es zu dieser Handlungsform bei einer lediglich anlassbezogenen Kontrolle nicht käme. Ein entsprechender zusätzlicher Regelungsbedarf bestand aber auch hinsichtlich der in § 16 Abs. 2 und 3 TierschG geregelten Auskunfts- sowie Betretungsrechte, da die entsprechenden Vorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts der Länder (§§ 9 ff VwVfGe, §§ 74 ff. LVwG Schl.-H.) derart spezifizierte Ermittlungsbefugnisse nicht kennen. Angesichts dieses nur fragmentarischen Regelungsziels des § 16 TierSchG ist es aber weder sachlich noch regelungssystematisch gerechtfertigt, in § 16 Abs. 2 und 3 TierSchG allein Ausgestaltungen der in § 16 Abs. 1 TierSchG normierten Aufsicht zu sehen..
b) Allerdings hat die Betroffene nicht schuldhaft gehandelt, da sie jedenfalls in einem nicht für sie vermeidbaren Verbotsirrtum gehandelt hat.
Die Staatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift hier näher ausgeführt:
Die Betroffene hat sich, als sie den Rechtsanwalt beauftragt hat, in ihrem Namen ein Betretungsverbot auszusprechen, in einem Verbotsirrtum im Sinne des § 11 Abs. 2 OWiG befunden, da ihr die Einsicht, etwas Unerlaubtes zu tun, gefehlt hat. Sie ist aufgrund der Beratung ihres Rechtsanwaltes irrtümlich davon ausgegangen, dass sie nicht gem. § 16 Abs. 2 TierSchG verpflichtet ist, das Betreten ihres Grundstücks durch Mitarbeiter der Verwaltungsbehörde zu dulden, da sie keine gewerbsmäßige Hundezucht betrieben hat.
Soweit das Amtsgericht hingegen davon ausgegangen ist, dass dieser Irrtum für die Betroffene vermeidbar gewesen ist, tragen die Feststellungen in dem Urteil diesen Rückschluss nicht. Die Betroffene darf sich regelmäßig auf die anwaltliche Auskunft verlassen, wenn die Auskunft vertrauenswürdig gewesen ist, also der Berater zutreffend informiert worden ist, objektiv und sachkundig erscheint, die Sach- und Rechtslage pflichtgemäß geprüft und sich in verbindlicher Weise geäußert hat (vgl. Karlsruher Kommentar, OWiG, 3. Aufl., § 11 Rn. 76 m. w. N.). Feststellungen, nachdem die Betroffene Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit der Auskunft hätte haben müssen, enthält das Urteil nicht. Zwar kann der Hinweis der zuständigen Verwaltungsbehörde, dass ein bestimmtes Verhalten nicht zulässig sei, ausreichen, um bei dem betroffenen Anlass zu Zweifeln an der Rechtsauskunft des bevollmächtigten Rechtsanwaltes zu geben (vgl. OLG Karlsruhe, Die Justiz 1991, 428; OLG Stuttgart JR 1978, 294). Allerdings lässt sich dem Urteil des Amtsgerichts Rendsburg nicht entnehmen, dass der Betroffenen die der Rechtsauffassung des Rechtsanwalts widersprechende Rechtsauffassung des Kreises R. bekannt gewesen ist. Die Schreiben der Verwaltungsbehörde, in denen sie ihre Rechtsauffassung begründet hat, sind ausschließlich an den bevollmächtigten Rechtsanwalt der Betroffenen gerichtet gewesen. Dass der Rechtsanwalt die Schreiben an die Betroffenen weitergeleitet hätte oder der Betroffenen den Inhalt der Schreiben in einem weiteren Beratungsgespräch mitgeteilt hätte, lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen. Damit ist die Betroffene entgegen der Rechtsauffassung des Amtsgerichts nicht verpflichtet gewesen, sich über die Auskunft von Rechtsanwalt Klimm hinaus weiteren Rechtsrat zu suchen, so dass die - unrichtige - Rechtsauskunft des bevollmächtigten Rechtsanwaltes zur Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums geführt hat."
Dem tritt der Senat bei und merkt zusätzlich an, dass die Rechtsauffassung des Bevollmächtigten der Betroffenen nach Wortlaut und systematischer Stellung des § 16 Abs. 2 und 3 TierSchG im Verhältnis zu § 16 Abs. 1 TierSchG immerhin einen nach den anerkannten Auslegungsgrundsätzen mögliche Auslegung darstellte, also selbst ein "Blick ins Gesetz" die Betroffene nicht ohne Weiteres hätte veranlassen müssen, an der Rechtsauffassung ihres Bevollmächtigten zu zweifeln.
Bei dieser Sach- und Rechtslage war nicht nur das Urteil des Amtsgerichts aufzuheben, sondern die Betroffene zugleich freizusprechen, da die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums nicht erwiesen ist und weitere diesbezügliche Feststellungen nicht zu erwarten sind. Folglich ist der Senat an einer eigenen Sachentscheidung nicht gehindert (§ 79 Abs. 6 OWiG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 79 Abs. 3 OWiG mit § 467 Abs. 1 StPO.
Ende der Entscheidung
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