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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 19.07.2006
Aktenzeichen: 2 W 107/06
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 62 II 4
AufenthG § 62 III 2
Zum Vertretenmüssen des Betroffenen und zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Abschiebehaft (Sicherungshaft), wenn die Ausländerbehörde - insbesondere verursacht durch das Verhalten der ausländischen Botschaft - einen längeren Zeitraum für die Abschiebung benötigt.
2 W 107/06

Beschluss

In der Abschiebesache

hat der 2. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen vom 27.06. 2006 gegen den Beschluss der 19. Zivilkammer des Landgerichts Kiel vom 19.06.2006 durch die Richter ...................... am 19.07.2006 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

Der Betroffene reiste am 05.05.2001 in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein. Nach bestandskräftiger Ablehnung seines Asylantrages wurde ihm mit Bescheid vom 06.09.2001 eine Ausreisefrist von einer Woche gesetzt und die Abschiebung nach Nigeria angedroht. Vom 15.01.2002 bis zu seiner Festnahme am 01.03.2006 war der Betroffene untergetaucht. Durch Beschluss vom 01.03.2006 hat das Amtsgericht Neumünster auf Antrag der Beteiligten die Sicherungshaft nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 4, 5 AufenthG bis zur Abschiebung aus der Bundesrepublik, längstens bis zum 31.05.2006 gegen den Betroffenen angeordnet.

Mit Beschluss vom 29.05.2006 hat das inzwischen zuständig gewordene Amtsgericht Rendsburg auf Antrag des Beteiligten die Dauer der Abschiebehaft bis zum 29.08.2006 verlängert und dies damit begründet, dass die Abschiebung in der ursprünglich vorgesehenen Zeit wegen zweifelhafter Angaben des Betroffenen zu seinem Familienstand nicht habe durchgeführt werden können, dies aber in der verlängerten Frist möglich sein werde.

Seine hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss (Bl. 78-80 d.A.), richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen, der der Beteiligte entgegengetreten ist.

Die nach §§ 7 FEVG; 27, 29 FGG zulässige weitere Beschwerde ist unbegründet.

Die Entscheidung des Landgerichts beruht zwar insoweit auf einer Verletzung des Rechts (§§ 27 FGG, 546 ZPO), als der Sachverhalt teilweise der weiteren Aufklärung bedurfte (§§ 3 Satz 2 FEVG, 12 FGG) und auch eine ausreichende inhaltliche Würdigung des sich aus den Akten bereits ergebenden Sachverhaltes unterblieben ist (§ 25 FGG; Keidel/Kuntze/Winkler, FG, 15. Aufl. , § 27 Rn. 40). Die Entscheidung stellt sich aber im Ergebnis als richtig dar, so dass die Beschwerde ohne Erfolg bleibt (§ 27 FGG, 561 ZPO).

Die Vorschrift des § 62 Abs. 2 S. 4 AufenthG steht vorliegend auch nach Auffassung des Senats dem Verlängerungsbeschluss nicht entgegen. Eine über drei Monate hinausgehende Sicherungshaft ist zulässig, wenn es der Betroffene selbst zu vertreten hat, dass die Ausländerbehörde einen längeren Zeitraum für die Abschiebung benötigt. Dieser Fall liegt hier vor, wie sich zwar nicht im einzelnen aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses, aber aus dem in der Akte befindlichen, unstreitigen Sachverhalt ergibt.

Der Beteiligte hat am 06.03.2006 und damit in wenigen Tagen nach der Festnahme des Betroffenen einen Vorführtermin am 25.04.2006 bei der nigerianischen Botschaft erlangt, um die notwendigen Passersatzpapiere zu erhalten. Ein etwaiges verzögerndes Verhalten der nigerianischen Behörden, die eine Vorführung erst mit siebenwöchigem Terminsvorlauf ermöglichten, müssen sich die deutschen Behörden grundsätzlich nicht zurechnen zu lassen.

Im Anschluss an die Vorführung kam es nur deswegen nicht zu einer Ausstellung von Ersatzpapieren, weil der Betroffene in der Botschaft wahrheitswidrig angegeben hatte, mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet zu sein. Am 04.05.2006, sechs Werktage nach der Vorführung in der Botschaft, erfuhr der Beteiligte, dass er diese Angaben zum Familienstand, die für die Ausweispapiere von Belang waren, auf Ersuchen der Botschaft klären sollte und führte hierzu schon am Folgetag eine Anhörung des Betroffenen durch. Da der Betroffene weder in der Botschaft noch bei der ersten Anhörung durch den Beteiligten nähere Angaben zum Namen oder der Anschrift seiner angeblichen Ehefrau machte, konnte seine Behauptung erst nach einer erneuten Anhörung am 22.05.2005 überprüft werden, als er zumindest einen Nachnamen und eine Telefonnummer nannte. Bereits zwei Tage später konnte die vom Betroffenen bezeichnete Frau erreicht werden, die dem Vortrag des Betroffenen von einer Eheschließung widersprach. Drei Werktage später informierte der Beteiligte die zuständige Bundespolizei und beauftragte diese, sich um einen neuen Vorführtermin vor der nigerianischen Botschaft zu kümmern. Dieser steht, wie die Beteiligte zwischenzeitlich erfahren und mitgeteilt hat, nunmehr für den 24.08. 2006 an.

Diese langen Vorlaufzeiten bei der nigerianischen Botschaft haben zur Folge, dass eine Abschiebung entgegen der Annahme des Landgerichts aller Voraussicht nach auch nicht in der verlängerten Frist, sondern frühestens im September 2006 durchgeführt werden kann.

Dieser Umstand hat jedoch nicht notwendig zur Folge, dass die Verlängerung der Sicherungshaft rechtswidrig war. Zum Zeitpunkt der amtsgerichtlichen Entscheidung stand der neue Sammeltermin für die Anhörungen an der nigerianischen Botschaft noch nicht fest, so dass noch mit einem früheren Abschluss des Abschiebeverfahrens hätte gerechnet werden dürfen. Die Verlängerung war auch verhältnismäßig, da die Verzögerung durch den Betroffenen zu vertreten war und nicht etwa auf einer Verletzung des Beschleunigungsgebotes durch die Ausländerbehörde beruhte (Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., § 62 AufenthG Rn. 23). Der Beteiligte hat vielmehr zeitnah alle notwendigen Anstrengungen unternommen, damit der Vollzug der Haft auf eine möglichst kurze Zeit beschränkt wird. Demgegenüber hat es der Betroffene zunächst durch seine Falschangaben bei der Botschaft und erneut bei der Anhörung am 22.05. 2006 und auch durch seine fehlende Mitwirkung bei der ersten Anhörung vom 05.05.2006 selbst zu vertreten, dass er nicht schon einige Wochen nach der ersten Vorführung bei der nigerianischen Botschaft seine Passersatzpapiere erhalten hat, welche nach Auskunft der Bundespolizei eine Abschiebung jedenfalls im Juni ermöglicht hätten. Den "Erfolg" dieses Verhaltens, der dazu geführt hat, dass der Betroffene nun erneut bei der Botschaft vorgestellt werden muss, muss sich der Beteiligte nicht zurechnen lassen.

Seit Mitte Juni 2006 ist zwar absehbar, dass auch die erneute Dreimonatsfrist nicht eingehalten werden kann. Allerdings liegen zugleich die Voraussetzungen vor, unter denen gemäß § 62 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ausnahmsweise eine Verlängerung über die ersten sechs Monate hinaus in Betracht kommt, nämlich die Verhinderung der Abschiebung durch das Verhalten des Ausländers, die fortbestehende Kausalität zwischen diesem Verhalten und der bisherigen Nichtabschiebung sowie die Beachtung des Beschleunigungsgebotes seitens der Ausländerbehörde (Renner, a.a.O.).

Die neuen Tatsachen, nämlich der Zeitpunkt, an dem ohne die Falschangaben eine Abschiebung möglich gewesen wäre und das Datum für die erneute Vorführung vor der Botschaft sind im Rechtsbeschwerdeverfahren ausnahmeweise im Sinne der Verfahrensökonomie zu berücksichtigen, weil das Landgericht diesen Sachverhalt unter Verstoß gegen § 12 FGG nicht ausreichend geklärt hat, beide Punkte aber aufgrund zwischenzeitlich eingereichter Unterlagen feststehen und schützenswerte Belange des Betroffenen hierdurch nicht verletzt werden (vgl. (Keidel/Kuntze/Winkler, a.a.O. § 27 Rn. 45). Denn auch die anderenfalls zu veranlassende Aufhebung und Zurückweisung hätte für den Betroffenen keine Verkürzung der Sicherungshaft zur Folge gehabt.

Ende der Entscheidung

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