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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 12.08.2002
Aktenzeichen: 2 W 108/02
Rechtsgebiete: FGG


Vorschriften:

FGG § 16
FGG § 22
FGG § 56 g
Das Beschwerderecht der Staatskasse gegen Vergütungsfestsetzungen in Betreuungssachen entfällt, wenn sie die rechtswidrige Zustellungspraxis eines Amtsgerichts über einen langen Zeitraum duldet und auch noch den Nichtlauf der Rechtsmittelfrist zu Lasten des Antragstellers ausnutzt.
2 W 108/02

Beschluß

In der Betreuungssache

hat der 2. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2. vom 5.04.2002 gegen den Beschluß der 3. Zivilkammer des Landgerichts Kiel vom 20.03.2002 durch die Richter am 12.08.2002 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht bestellte durch Beschluß vom 15./19.04.1999 zunächst Uwe T zum berufsmäßigen Betreuer des Betroffenen mit dem Aufgabenkreis: Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung mit der Entscheidung über die geschlossene Unterbringung, Vermögenssorge und Vertretung vor Ämtern und Behörden. Ferner ordnete es hinsichtlich der Vermögenssorge einen Einwilligungsvorbehalt an. Auf entsprechende Anträge des Betreuers bewilligte das Amtsgericht - ohne die Beteiligte zu 2. anzuhören und an sie zuzustellen - in 4 Beschlüssen - zuletzt am 18.02.2000 - Vergütungen mit einem Stundensatz von jeweils 60 DM aus der Staatskasse.

Durch Beschluß vom 11.02.2000 bestellte das Amtsgericht unter Entlassung des alten den Beteiligten zu 1. zum neuen Berufsbetreuer. Den ersten Vergütungsantrag des Beteiligten zu 1. vom 31.03.2000, der ebenfalls nach einem Stundensatz von 60 DM abrechnete, leitete das Amtsgericht mit den Akten der Beteiligten zu 2. zu, weil es der Auffassung war, daß nach § 1 Abs. 3 BVormVG nur ein Stundensatz von 50 DM zuzubilligen sei. Die Beteiligte zu 2. befürwortete in ihrer Stellungnahme vom 28.04.2000 einen Stundensatz von 60 DM, da der Betreuer vor dem Inkrafttreten des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes am 1.01.1999 über einen Zeitraum von mindestens 2 Jahren Berufsbetreuer gewesen und davon auszugehen sei, daß ihm ein entsprechender Satz gewährt worden wäre. Ferner empfahl die Beteiligte zu 2., daß der Beteiligte zu 1. bei seinen Abrechnungen auf etwas mehr Detailtreue achten solle, um die Einzelpositionen nachvollziehbar zu machen. Dem folgend hat das Amtsgericht seiner Bewilligung im Beschluß vom 3.05.2000 und auch in den weiteren 5 Beschlüssen vom 4.07.2000, 2.10.2000, 2.01.2001, 2.05.2001 und 31.07.2001 - jeweils ohne die Beteiligte zu 2. weitergehend anzuhören oder ihr zuzustellen - antragsgemäß jeweils einen Stundensatz vom 60 DM zu Grunde gelegt.

Gemäß Verfügung vom 31.07.2001 hat das Amtsgericht in 10 Betreuungsverfahren, so auch im vorliegenden Verfahren wegen der vorgenannten 6 Beschlüsse vom 3.05.2000 bis 31.07.2001, die Akten, ohne daß aus ihnen ein Anlaß oder Zweck dieser Aktion hervorgeht, der Beteiligten zu 2. zur Zustellung der Vergütungsbeschlüsse zugeleitet. Die Zustellung ist am 10.08.2001 erfolgt. Die Beteiligte zu 2. hat gegen "sämtliche" Ihr auf diesem Wege zugestellten Beschlüsse sofortige Beschwerde eingelegt und diese im vorliegenden Verfahren am 17.09.2001 begründet. Sie hat u.a. beantragt, den Stundensatz des Beteiligten zu 1. auf 45 DM herabzusetzen und dazu ausgeführt, das OLG Braunschweig habe in seiner Entscheidung vom 8.02.2000 dargelegt, daß die Übergangsregelung des § 1 Abs. 3 BVormVG mangels schutzwürdigen Vertrauens nicht greife, wenn der Betreuer nicht bis zum 31.12.1996 als selbständiger Berufsbetreuer tätig gewesen sei. Diese Auffassung sei hier einschlägig, da der Beteiligte zu 1. - wie aus anderen Verfahren bekannt sei - erst seit dem 1.04.1998 berufsmäßig selbständige Betreuungen führe. Der Beteiligte zu 1. hat dem widersprochen und geltend gemacht, er habe seit dem 1.01.1996 selbständige Vormundschaften mit einem durchschnittlichen Stundensatz von 66 DM geführt. Nachdem ihm seit 30 Monaten die Vergütungsanträge in allen Betreuungsverfahren gemäß § 1 Abs. 3 BVormVG bewilligt worden seien, habe er davon ausgehen dürfen, daß die Anwendung grundsätzlich nicht in Frage gestellt werde. Das Landgericht hat die sofortigen Beschwerden gegen die Beschlüsse vom 3.05.2000, 4.07.2000 und 2.10.2000 als unzulässig verworfen und die Beschlüsse im übrigen geändert. Soweit es die Rechtsmittel verworfen hat, hat es die sofortige weitere Beschwerde zugelassen, wovon die Beteiligte zu 2. Gebrauch gemacht hat.

Die nach §§ 56 g Abs. 5 Satz 2, 27, 29 FGG zulässige weitere Beschwerde ist unbegründet. Die angefochtene Entscheidung beruht nicht auf einer Verletzung des Rechts (§§ 27 FGG, 546 FGG).

Das Landgericht hat ausgeführt:

Die Beschwerden seien im Umfang der Verwerfung verwirkt (§ 242 BGB). Für die im Jahre 2000 ergangenen Festsetzungsbeschlüsse seien sowohl das Zeit- als auch das Umstandsmoment erfüllt. Hinsichtlich des Zeitablaufs sei im wesentlichen zu berücksichtigen, daß nach Ablauf des ersten Halbjahres in der Regel das Vorjahreseinkommen vom Betreuer gegenüber dem Finanzamt abschließend abgerechnet sei. Ferner bestehe Einklang mit anderweitigen Regelungen des Gesetzes, zum Beispiel mit § 127 Abs. 3 Satz 3 - 5 ZPO, wonach das Beschwerderecht - trotz fehlender Kenntnis von der Entscheidung - nicht mehr stattfinde, wenn seit Übergabe der Entscheidung an die Geschäftsstelle drei Monate vergangen seien. Ziel der Einführung der sofortigen Beschwerde sei es gewesen, kurzfristig eine bestandskräftige Festsetzung zu bewirken. Hinsichtlich des Umstandsmoments komme eine Verwirkung nicht nur dann in Betracht, wenn der Beschwerdeberechtigte von der anzufechtenden Entscheidung Kenntnis erlangt habe, vielmehr genüge es, wenn er es schuldhaft unterlassen habe, sich die Kenntnis von der Entscheidung zu verschaffen. Hier sei der Beteiligen zu 2. bekannt gewesen, daß die Amtsgerichte trotz der am 1.01.1999 in Kraft getretenen Gesetzesänderung und der im Verlauf des Jahres 2000 bekanntermaßen geklärten Rechtsfrage, daß das neue Verfahrensrecht auch auf Altfälle anzuwenden sei, eine förmliche Zustellung nicht veranlaßt hätten. Sie hätte jedenfalls ab dem 2. Halbjahr 2001 darauf drängen müssen, daß ihr die einzelnen Betreuungsverfahren zumindest in den Fällen, in denen die Höhe des Stundensatzes problematisch hätte sein können, einmal im Kalenderjahr zugeleitet würden. Das sei vorliegend vor der ersten Festsetzung sogar geschehen, wobei die Beteiligte zu 2. ausgehend von der früheren Rechtsprechung der Kammer den erhöhten Stundensatz von 60 DM auch akzeptiert habe. Die vom Amtsgericht mit Kenntnis der Beteiligten zu 2. nicht veranlaßte Zustellung könne dem Betreuer nicht zum Nachteil gereichen. Die Beteiligte zu 2. habe in diversen Verfahren, in denen der Beteiligte zu 1. zum Betreuer bestellt worden sei, rückwirkend für die letzten eineinhalb Jahre Beschwerde eingelegt. Würde diesen Beschwerden stattgegeben, würde das den Betreuer an den Rand der Insolvenz bringen, obwohl er - gerade im vorliegenden Fall - darauf hätte vertrauen dürfen, daß ihm auch weiterhin ein Stundensatz von 60 DM gewährt werden würde.

Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung stand. Nach allgemeiner Auffassung kann es gegen den auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit anwendbaren Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen, wenn ein befristetes Rechtsmittel erst eingelegt wird, nachdem seit dem Erlaß einer nicht (wirksam) zugestellten Entscheidung eine unangemessen lange Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzukommen, die eine späte Rechtsmitteleinlegung als rechtsmißbräuchlich erscheinen lassen (BGH NJW 1965,1532; NJW-RR 1989,768). Die Frage, ob das für eine Verwirkung erforderliche Zeit- und Umstandsmoment vorliegt, liegt zum großen Teil auf tatsächlichem Gebiet. Die vom Tatrichter insoweit getroffenen tatsächlichen Feststellungen sind für das Rechtsbeschwerdegericht bindend, wenn sie - wie vorliegend - keinen Rechtsfehler erkennen lassen (BayObLG ZMR 1999,847,848).

Der Senat hat bereits u.a. in seinem den Beteiligten bekannten Beschluß vom 13.11.2001 - 2 W 122/01 - zum Umstandsmoment und zu der dieses Merkmal grundsätzlich ausschließenden Unkenntnis des Beschwerdeführers von der anzufechtenden Entscheidung im Anschluß an BGH NJW 1965,1532 ausgeführt, die Zustellung von Vergütungsbeschlüssen sei allein Sache der Gerichte. Die Beteiligten seien daher grundsätzlich nicht verpflichtet, auf eine alsbaldige Zustellung hinzuwirken. Sie dürften vielmehr grundsätzlich untätig bleiben und die Zustellung abwarten. Allerdings gelte - so der Senat weiter - nach Treu und Glauben etwas Anderes, wenn ein Amtsträger eine rechtswidrige Zustellungspraxis der Gerichte monatelang dulde und nicht dagegen einschreite, um auf Kosten anderer Beteiligter in den Genuß eines unzulässigen Fristvorteils zu gelangen, weil von Amtsträgern grundsätzlich erwartet werden dürfe, daß sie nicht auf Kosten anderer Beteiligter bewußt unzulässige Vorteile in Anspruch nähmen. So liegt der Fall hier.

Die Praxis des Amtsgerichts, die Zustellung der Vergütungsbeschlüsse an die Beteiligten generell bis zu 15 Monaten - von Mai 2000 bis August 2001 - zurückzustellen, war rechtswidrig. Auch Gerichtsbehörden trifft die Amtspflicht, Anträge in angemessener Frist zu bearbeiten und zu bescheiden (Palandt-Thomas, BGB, 61. Aufl., § 839 Rn. 32). Zur Bescheidung gehört bei Entscheidungen, die - wie hier nach § 56 g Abs. 5 FGG - der (befristeten) sofortigen Beschwerde unterliegen, auch die Zustellung von Amts wegen nach § 16 Abs. 2 Satz 1 FGG, um die Wirksamkeit nach § 16 Abs. 1 FGG herbeizuführen und die formelle und materielle Rechtskraft (vgl. Keidel/Engelhardt, FGG, 14. Aufl., § 56 g Rn 16) zu ermöglichen. Daß die Zustellung hier nicht binnen einer angemessenen Frist erfolgte, bedarf mangels entgegenstehender Umstände keiner näheren Darlegung.

Diese rechtswidrige Praxis war der Beteiligten zu 2. nach den bindenden Feststellungen des Landgerichts, denen sie auch nicht entgegengetreten ist, bekannt. Ihre Kenntnis wird überdies belegt dadurch, daß ihr im April 2000 die Akten, aus denen sich die schon zuvor geübte Zustellungspraxis ohne weiteres ergab, zur Prüfung des Vergütungsantrags vom 31.03.2000 vorlagen. Ferner ist den Umständen nach davon auszugehen, daß ihr auch außerhalb der Akten nicht verborgen geblieben sein kann, daß ihr in den zahlreichen Vergütungsfällen entsprechende Beschlüsse nicht zugestellt wurden. Ob dieser Sachverhalt bereits auf das hier durch Erlaß des Ministeriums für Justiz, Frauen, Jugend und Familie des Landes Schleswig-Holstein vom 18.06.2002 bekannt gewordene, für den Landgerichtsbezirk geltende sogenannte Kieler Modell zurückgeht, wonach bei mittellosen Betreuten grundsätzlich nur noch der erste Vergütungsbeschluß bei einer neu eingerichteten Betreuung bzw. nach einem Betreuerwechsel zugestellt werden sollte, weil in diesen Fällen eine Prüfung der Höhe des Stundensatzes nötig schien, kann offenbleiben.

Die Beteiligte zu 2. hat die rechtswidrige Zustellungspraxis des Amtsgerichts über einen langen Zeitraum geduldet und schließlich den Nichtlauf der Rechtsmittelfrist zum Nachteil des Beteiligten zu 1. ausgenutzt. Der Senat hat bereits im Beschluß vom 13.11.2001 (2 W 122/01) Seite 7 allgemein darauf hingewiesen, daß Berufsbetreuer regelmäßig ihren Lebensunterhalt mit der Betreuervergütung bestritten und deshalb rechtzeitig wissen müßten, mit welchen Einnahmen aus ihrer Betreuungstätigkeit sie rechnen könnten. Deshalb sei die Beschwerde gegen Vergütungsfestsetzungsbeschlüsse mit dem Betreuungsrechtsänderungsgesetz vom 25.06.1998 auch befristet worden. Zu ergänzen ist, daß der Beschleunigungsgedanke andererseits aus § 1836 Abs. 2 Satz 4 BGB hervorgeht, wonach der Vergütungsanspruch erlischt, wenn der Berechtigte ihn nicht binnen 15 Monaten nach seiner Entstehung beim Vormundschaftsgericht geltend macht. Dementsprechend hat das Landgericht konkret ausgeführt, daß die Beteiligte zu 2. inzwischen in diversen Verfahren, in denen der Beteiligte zu 1. zum Betreuer bestellt worden sei, rückwirkend für die letzten einundeinhalb Jahre Rechtsmittel eingelegt habe, und dies - würde diesen Beschwerden stattgegeben - den Betreuer an den Rand der Insolvenz bringen könnte. Durch diese Praxis wird der dargelegte Gesetzeszweck unterlaufen. Dabei ist zu berücksichtigten, daß bis zur Rechtskraft unter Ausschöpfung zweier Instanzen ein weiterer beträchtlicher Zeitraum verstreichen kann. Der Beteiligte zu 1. hat den durch die angefochtenen Entscheidungen geschaffenen Zustand infolge Ausbleibens eines Rechtsmittels als endgültig angesehen und durfte dies auch tun (vgl. BGH NJW-RR 1989,768). Zutreffend hat das Landgericht ferner darauf hingewiesen, daß die auf Grund der Anhörung der Beteiligten zu 2. im April 2000 nach dem Betreuerwechsel erfolgte gerichtliche Billigung des Stundenssatzes von 60 DM ein zusätzliches Vertrauensmoment für den Beteiligten zu 1. darstellt.

Der Senat hält angesichts der nur zweiwöchigen Beschwerdefrist ebenfalls das Zeitmoment für erfüllt. Mit etwa 8 Monaten nach der bei einem ordnungsgemäßen Verfahren möglichen Beschwerdeeinlegung war die der Beteiligten zu 2. einzuräumende angemessene Frist jedenfalls überschritten. Ein "Altfall" im Sinne des Senatsbeschlusses vom 13.11.2001, bei dem die Umstellungsschwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Betreuungsänderunsgesetz zugunsten der Beteiligten zu berücksichtigen waren, liegt hier nicht vor. Die Abrechnungszeiträume betreffen die Zeit nach dem 1.01.2000.

Ende der Entscheidung

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