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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 23.11.2000
Aktenzeichen: 2 W 180/00
Rechtsgebiete: PsychKG S.-H., FGG


Vorschriften:

PsychKG S.-H. § 7
FGG § 12
FGG § 15
FGG § 70 h
FGG § 69 f.
Lassen sich im Feststellungsverfahren nach einer beendeten Unterbringung die Voraussetzungen der Unterbringung aus dem Inhalt der Akte nicht nachvollziehen, so sind Unklarheiten durch weitere Ermittlungen auszuräumen, gebenenfalls auch durch Anhörung des Betroffenen.

SchlHOLG, 2. ZS, Beschluss vom 23. November 2000, - 2 W 180/00 -


Beschluß

3 T 542/00 LG Kiel 2 XIV 3225 L AG Rendsburg

In der Unterbringungssache

betreffend Herrn

beteiligt:

Der Landrat des Kreises Rendsburg-Eckernförde als Kreisgesundheitsbehörde, Kaiserstraße 8, 24768 Rendsburg,

hat der 2. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen vom 9.10.2000 gegen den Beschluß der 3. Zivilkammer des Landgerichts Kiel vom 21.9.2000 durch die Richter Lindemann, Schupp und Stapel am 23.11.2000 beschlossen:

Tenor:

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe

I.

Unter dem 23.5.2000 stellte das Kreisgesundheitsamt des Kreises Rendsburg-Eckernförde beim Amtsgericht Rendsburg den Antrag auf Anordnung "der einstweiligen Unterbringung" des Betroffenen gemäß § 8 PsychKG. Der in diesem Punkt (wohl versehentlich) nicht angekreuzte Vordruck enthält außerdem die (angekreuzte) Mitteilung, daß das Kreisgesundheitsamt (der Landrat) gemäß § 11 PsychKG die vorläufige Unterbringung angeordnet habe, da eine gerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig habe herbeigeführt werden können. Beigefügt war dem Antrag die vorgedruckte Mitteilung des Arztes im Gesundheitsamt Dr. K daß er den Betroffenen am 23.5.2000 untersucht habe, die handschriftliche "Vorläufige Diagnose: manische Psychose" und als "Art der Gefährdung" folgender handschriftlicher Text:

O. a. Patient wurde bereits mehrfach in der Fachklinik Schleswig behandelt.

Momentan besteht ein erneuter manischer Schub, möglicherweise aufgrund unregelmäßiger Medikamenteneinnahme. Er zeigt ein äußerst aggressives Verhalten, schreibt ständig Drohbriefe an Behörden wie Polizei oder an den Kreis Rendsburg-Eckernförde, außerdem betreibt er Telefonterror bei Rechtsanwälten, Ärzten, Nachbarn oder der Polizei.

Am Vortag hat er eine Angestellte einer Rechtsanwaltskanzlei in Kiel tätlich angegriffen und verletzt.

Hinterher hat er mehrere Male in der Kanzlei angerufen und weitere Drohungen ausgesprochen. Bei meiner Exploration verhält er sich sehr aggressiv, ein tätlicher Übergriff ist jederzeit möglich. Eine Einweisung gemäß PsychKG in die Psychiatrische Abteilung in Rendsburg ist wegen Fremdgefährdung erforderlich."

Als nächstes findet sich in der Akte die maschinenschriftliche Fassung eines amtsrichterlichen Protokolls über die Anhörung des Betroffenen am 24.5.2000, dem ein Vermerk darüber folgt, daß die vorläufige Unterbringung des Betroffenen im Wege der einstweiligen Anordnung mit sofortiger Wirksamkeit bis zum 1.6.2000 beschlossen und verkündet ("b. u. v.") worden sei, ferner Gründe dieses Beschlusses und eine Rechtsmittelbelehrung. Danach folgen noch 3 Vermerke:

"Der Richter ist heute morgen um 9.03 Uhr von Dr. K angerufen worden. In dem Gespräch berichtete Dr. K, daß die Ehefrau des Betroffenen ein Teil der Krankheit sei, ohne seine Ehefrau sei der Betroffene "lammfromm". Der Betroffene habe noch Realitätsbezug, wolle, daß ihm jemand zuhöre. Er sei nicht zugänglich, nicht therapiefähig. Eine Behandlung von 6 - 8 Wochen sei notwendig, um ihn aus seiner akuten Phase herauszubekommen.

Der Betroffene gehört zur Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas.

Telefonat mit Dr. P. In dem Telefonat berichtet Dr. P, daß der Betroffene ihm seit 15/18 Jahren bekannt sei. Diagnostisch handele es sich bei ihm um eine schizoaffektive Psychose. Auch wegen Konflikt mit den Zeugen Jehovas sei sein Verhalten als "langsam aufdrehend" zu bezeichnen. So habe er gestern einen schweren Locher in einer Rechtsanwaltskanzlei in Kiel auf eine Mitarbeiterin geworfen. Eine stationäre medikamentöse Behandlung sei erforderlich."

Eine Ausfertigung dieses Protokolls ist am 26.5.2000 gemäß Verfügung des Richters ohne besondere Form dem Betroffenen, seiner Ehefrau, der unterbringenden Krankenhausstation und dem Kreisgesundheitsamt übersandt worden. Am 31.5.2000 ist die Anzeige eines Rechtsanwalts nebst Vollmacht des Betroffenen eingegangen, daß er den Betroffenen vertrete, zunächst allerdings noch kein Rechtsmittel eingelegt werden solle. Am selben Tag ist der Betroffene nach eigenen Angaben aus der Unterbringung entlassen worden.

In der Folgezeit hat der Betroffene zunächst etwas unzusammenhängende Texte an das Amtsgericht "zur Information" geschickt, ist dann allerdings am 6.9.2000 zur Rechtsantragsstelle des Amtsgerichts Eckernförde gegangen und hat dort eine sofortige Beschwerde gegen den Unterbringungsbeschluß vom 24.5.2000 zu Protokoll erklärt, die das Amtsgericht Rendsburg am 14.9.2000 erreicht hat. Ihr sind der nicht unterschriebene Text einer Dienstaufsichtsbeschwerde über Dr. K beim Landrat des Kreises Rendsburg-Eckernförde vom 22.7.2000 und ein ebenfalls nicht unterschriebener maschinenschriftlicher Text unter dem Namen der Ehefrau des Betroffenen vom 6.6.2000, der eine Schilderung der Tage vor der Unterbringung enthält, beigefügt. Schon am 8.9.2000 war beim Amtsgericht Rendsburg eine schriftliche Beschwerde des Betroffenen vom 7.9.2000 nebst allerlei Texten eingegangen, die der Amtsrichter zu den Akten verfügt hatte. Das Landgericht hat sich telefonisch beim Amtsrichter über das Zustandekommen des Protokolls vom 24.5.2000 informiert (sh. Vermerk vom 20.9.2000) und die sofortige Beschwerde des Betroffenen sodann mit dem angefochtenen Beschluß zwar als rechtzeitig und auch sonst als zulässig auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Unterbringung gerichtet erkannt, in der Sache aber als unbegründet zurückgewiesen. Es hat unter Hinweis auf die Entscheidung des Senats vom 17.6.1999 (FamRZ 2000, 247) von der Anhörung des Betroffenen abgesehen und lediglich aufgrund des Inhalts der Unterbringungsakte Feststellungen getroffen.

Die nach § 7 PsychKG erforderliche psychische Erkrankung des Betroffenen ergebe sich aus dem Gutachten des Dr. K vom 23.5.2000, das den Anforderungen des § 70 e FGG genüge. Ferner habe der Betroffene selbst in seiner richterlichen Anhörung von Terminen bei verschiedenen Ärzten für Psychiatrie gesprochen und auch der Amtsarzt Dr. P habe mitgeteilt, daß die psychotische Erkrankung des Betroffenen seit 15 - 18 Jahren bekannt sei. Schließlich belegten auch die eingereichten Schreiben einen psychotischen Erregungszustand.

Auch von einer "Gefährdungssituation für Dritte" habe der Amtsrichter ausgehen können. Der Betroffene habe sich in der Untersuchungssituation gegenüber Dr. K sehr aggressiv gezeigt. Er habe die Polizei und den Kreis Rendsburg-Eckernförde mit ständigen Drohbriefen überzogen. Schließlich sei die Situation so weit eskaliert, daß der Betroffene eine Angestellte einer Rechtsanwaltskanzlei in Kiel tätlich angegriffen hätte.

II.

Auf die rechtzeitig und formgerecht eingelegte sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen ist dieser Beschluß aufzuheben, da er auf einer Verletzung des Gesetzes beruht, §§ 27 FGG, 550 ZPO. Das Landgericht hat zur Feststellung der tatsächlichen Voraussetzungen der Unterbringung und damit zu deren Rechtmäßigkeit nicht die erforderlichen Ermittlungen veranstaltet (§ 12 FGG).

Das gilt allerdings nicht für die nach § 7 PsychKG als erstes vorausgesetzte Tatsache, daß der Betroffene psychisch krank ist. Für sie sprechen die fachärztlichen Äußerungen. Sie waren als Grundlage für eine vorläufige Unterbringung gemäß § 70 h, 69 f Abs. 1 FGG als ärztliche Zeugnisse (nicht Gutachten nach § 70 e FGG) in einer Gefahrenlage ausreichend.

Unerforscht ist demgegenüber die "Gefährdungsgeschichte" geblieben, wobei stets im Auge zu behalten ist, daß nur erhebliche Gefährdungen zu einer Unterbringung führen können, die zudem nicht anders abwendbar sein dürfen. Ferner ist für eine vorläufige Unterbringung Voraussetzung, daß dringende Gründe für die Annahme bestehen, daß die Voraussetzungen für die ("endgültige") Unterbringung gegeben sind und mit dem Aufschub (der Unterbringung) erhebliche Gefahr (für die in § 7 PsychKG genannten Rechtsgüter) verbunden ist (§ 70 h, 69 f Abs. 1 FGG, Senatsentscheidung vom 29.12.1993 BT Prax 1994, 62, 63 rechte Spalte; Keidel/Kayser Rn. 4 zu § 70 h FGG; Saage/Göppinger/Volkhart Rn. 7 zu § 70 h FGG).

Dies alles läßt sich aus der Unterbringungsakte entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht mit einer erforderlichen Sicherheit feststellen. Briefe und Telefonate scheiden als erhebliche Gefährdung oder (je nach Inhalt) auch schon Verletzung fremder Rechtsgüter aus. Das aggressive Verhalten des Betroffenen während der Untersuchung durch Dr. K ("ein tätlicher Übergriff ist jederzeit möglich") war möglicherweise situationsbedingt und daher durch den Arzt jederzeit abwendbar. Dann bleibt als einziges Ereignis für eine Gefahrenprognose der in Anlaß und Ablauf unaufgeklärte Vorfall in der Kieler Anwaltskanzlei. Dieser Vorfall hat nach der Angabe von Dr. K schon am 22.5.2000 stattgefunden, und wenn die vom Betroffenen unter dem Namen seiner Frau eingereichte Darstellung vom 6.6.2000 zutrifft, ist dies Ereignis weder am 22.5.2000 noch während der Tagesstunden des 23.5.2000 zum Anlaß für eine Unterbringung aus der Befürchtung einer Wiederholung genommen worden, sondern eine bislang nicht aufgeklärte Maßnahme der Polizei in den Abendstunden des 23.5.2000.

Zu all diesem sind unter dem Blickwinkel von §§ 7 Abs. 1 und Abs. 2 PsychKG, 70 h, 69 f Abs. 1 FGG weitere Ermittlungen anzustellen, zu denen das Verfahren an das Landgericht zurückzuverweisen ist (Keidel/Kahl, Rn. 66 zu § 27 FGG). Dafür sei ferner darauf hingewiesen, daß die undifferenzierte Übernahme der Senatsentscheidung vom 17.6.1999 (FamRZ 2000, 247) zur Anhörung des Betroffenen im vorliegenden Fall nicht richtig ist. Für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Unterbringung im vorliegenden Fall muß so detailliert wie möglich rekonstruiert werden, was wann wo und aus welchen Gründen geschehen ist. Soweit das im Unterschied zu dem vom Senat entschiedenen Fall (aaO.) nicht mit vorhandenen Betreuungs- und Unterbringungsakten oder mit polizeilichen Vorgängen möglich ist, kommt neben der Zeugenvernehmung sehr wohl auch die Anhörung oder Vernehmung des Betroffenen, - nicht zur Verschaffung eines gegenwärtigen persönlichen Eindrucks -, sondern wie bei der Parteianhörung oder -vernehmung im Zivilprozeß zur Rekonstruktion des vergangenen Sachverhalts in Betracht, § 15 FGG (Keidel/Schmidt, Rn. 2 und 56 ff zu § 15 FGG).

Ende der Entscheidung

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