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Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 09.01.2006
Aktenzeichen: 2 W 206/05
Rechtsgebiete: GVG, BGB
Vorschriften:
GVG § 119 Abs. 1 Nr. 2 | |
BGB § 1693 |
2. Nach § 1693 BGB ist für die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft wegen der rechtlichen Verhinderung der Eltern an der Vertretung ihrer minderjährigen Kinder nicht das Vormundschaftsgericht, sondern das Familiengericht zuständig.
3. Hat das Vormundschaftsgericht eine familiengerichtliche Zuständigkeit verletzt, ist seine Entscheidung aufzuheben und die Sache an die zuständige Abteilung für Familiensachen zur erneuten Behandlung und Entscheidung zu verweisen.
2 W 206/05
Beschluss
In der Pflegschaftssache
hat der 2. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die weitere Beschwerde der Betroffenen vom 20.10.2005 gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck vom 5.10.2005 durch die Richter ................. am 9.01.2006 beschlossen:
Tenor:
Der angefochtene Beschluss und der Beschluss des Amtsgerichts - Vormundschaftsgerichts - vom 3.06.2002 werden aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht - Familiengericht - zurückverwiesen.
Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde beträgt 3.000,00 Euro.
Gründe:
Die Betroffenen sind die Kinder der am 14.03.2002 verstorbenen N. G. K. und des K. J. K. Nach dem Erbschein vom 7.08.2002 - 3 IV 92/02 AG Ratzeburg - ist der Ehemann und Vater Alleinerbe der Verstorbenen. Das Amtsgericht - Vormundschaftsgericht - hat durch Beschluss vom 3.06.2002 für die Betroffenen die Pflegschaft nach § 1909 BGB angeordnet mit dem Wirkungskreis "Vertretung ...... im Erbscheinsverfahren vor dem Amtsgericht Ratzeburg ........ einschließlich der Überprüfung und ggfs. Geltendmachung eventueller Pflichtteilsansprüche" und die Beteiligte zur Ergänzungspflegerin ausgewählt sowie bestellt. Mit Schriftsatz vom 12.09.2005 ließen die Betroffenen durch ihren Verfahrensbevollmächtigten Beschwerde gegen den Beschluss vom 3.06.2002 einlegen mit dem Ziel der Aufhebung des Beschlusses, hilfsweise der Aufhebung der Bestellung der Beteiligten. Das Landgericht hat die Beschwerde als unzulässig verworfen, weil die Betroffenen zur Zeit der Übergabe der angefochtenen Entscheidung an die Geschäftsstelle noch nicht das 14. Lebensjahr vollendet hatten (§ 59 Abs. 3 FGG). Gegen diesen Beschluss, auf den zur weiteren Sachdarstellung Bezug genommen wird (Bl. 146 bis 148 d.A.), richtet sich die weitere Beschwerde der Betroffenen, diesmal gesetzlich vertreten durch ihren Vater. Die Beteiligte ist dem Rechtsmittel entgegengetreten.
Unabhängig davon, ob das Vormundschaftsgericht oder das Familiengericht in der Sache zur Entscheidung berufen waren, ist das Oberlandesgericht - Zivilsenat - nach §§ 27, 28 Abs. 1 FGG zuständig zur Entscheidung über die weitere Beschwerde, da sich nach § 119 Abs. 1 Nr. 2 GVG der Rechtsmittelzug- die Rechtsmittelzuständigkeit und das Rechtsmittelverfahren - nach der "formellen Anknüpfung" bestimmt, also danach, welcher Spruchkörper tatsächlich tätig geworden ist (BayObLG NJWE-FER 2000, 177; Zöller/Gummer, GVG, 25. Aufl., § 119 Rn 5 ff. m.w.Nw.; Keidel/Weber, FGG, 15. Aufl., Vorb. § 64 Rn. 24 ff., 24g). § 59 Abs. 3 FGG steht der Zulässigkeit der weiteren Beschwerde schon deshalb nicht entgegen, weil nunmehr der Vater das Rechtsmittel als gesetzlicher Vertreter der Betroffenen nach § 1629 Abs. 1 BGB eingelegt hat. Durch einen möglichen Interessenwiderstreit ist er an der Vertretung der Betroffenen jedenfalls in einem nicht streitigen Verfahren des FGG nicht gehindert (BayObLG a.a.O.; Palandt/Diederichsen, BGB, 64. Aufl., § 1795 Rn. 15 m.w.Nw.) Unabhängig hiervon stünde den Betroffenen nunmehr selbst ein Recht zur Einlegung der weiteren Beschwerde zu, weil sie zur Zeit des Erlasses der angefochtenen Entscheidung das 14. Lebensjahr vollendet hatten.
Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Verletzung des Rechts (§§ 27 FGG; 546 ZPO).
Der Vater hat nunmehr die Prozessführung der Betroffenen genehmigt. Dadurch wird der Mangel ihrer Beschwerdebefugnis vor dem Landgericht rückwirkend geheilt (Keidel/Zimmermann a.a.O. § 13 Rn. 33), so dass die Erstbeschwerde als zulässig anzuehen ist. Das Amtsgericht - Vormundschaftsgericht - hat eine familiengerichtliche Zuständigkeit verletzt. Diese Frage ist im vormundschaftsgerichtlichen Instanzenzug sowohl vom Beschwerdegericht als auch vom Gericht der weiteren Beschwerde von Amts wegen zu prüfen. Die Vorschriften der §§ 621e Abs. 4 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 3 FGG sind ihrem Regelungsgehalt nach nur anwendbar, wenn ein Familiengericht entschieden hat. Sie können auf Entscheidungen im vormundschaftsgerichtlichen Verfahren auch nicht entsprechend angewendet werden (BayObLG a.a.O S. 178; OLG Zweibrücken FamRZ 1997, 684; Keidel/Weber a.a.O. Vorb. § 64 Rn. 4 und 24g - jew. m.w.Nw.). Nach Auffassung des Senats ergibt sich aus § 1693 BGB in der seit dem 1.07.1998 geltenden Fassung, dass für die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft wegen der rechtlichen Verhinderung der Eltern an der Vertretung ihrer minderjährigen Kinder nicht mehr das Vormundschaftsgericht, sondern das Familiengericht zuständig ist, das nach § 1697 BGB auch den Pfleger auswählen kann (z.B.: BayObLG a.a.O. S. 178; NJW-RR 2000, 959; Brandenburgisches OLG FGPrax 2003, 265; OLG Hamm FamRZ 2001, 717, 718; OLG Dresden NJW-RR 2000, 1677, 1678; OLG Zweibrücken FGPrax 1999, 179, 180; a.A. z.B.: OLG Stuttgart FamRZ 2001, 364, 365; OLG Karlsruhe FamRZ 2001, 41, 42). Für diese Auffassung sprechen die besseren Gründe. Das Kindschaftsreformgesetz hat mit 1693 BGB eine von §§ 1915, 1774 BGB abweichende spezielle Regelung über die Anordnungskompetenz getroffen, um für Verfahren, welche die elterliche Sorge betreffen, eine einheitliche Zuständigkeit des Familiengerichts zu begründen. Dabei ist der eingefügte § 1697 BGB nicht als eine § 1693 BGB einschränkende Vorschrift zu verstehen, sie erweitert vielmehr die aus § 1693 BGB gegebene Anordnungskompetenz des Familiengerichts um eine vorher nicht gegebene Auswahlkompetenz, um das Verfahren zu beschleunigen und zu straffen (vgl. insbesondere OLG Zweibrücken und Hamm - jeweils a.a.O.).
Hat das Vormundschaftsgericht eine familiengerichtliche Zuständigkeit verletzt, so kann seine Entscheidung keinen Bestand haben. Da auch dem (nur) formell zuständigen Beschwerdegericht wie auch dem Rechtsbeschwerdegericht die Entscheidungskompetenz in der Sache fehlt, ist nur eine Zurückverweisung an das Gericht der ersten Instanz zur erneuten Behandlung und Entscheidung durch die zuständige Abteilung für Familiensachen möglich (BayObLG NJWE-FER 2000, 177, 178; OLG Düsseldorf FamRZ 1986, 203, 204; Jauernig FamRZ 1989, 1, 3).
Ende der Entscheidung
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