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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 09.03.2007
Aktenzeichen: 2 W 54/07
Rechtsgebiete: FEVG, GG, AufenthG


Vorschriften:

FEVG § 5 Abs. 1
GG Art. 103 Abs. 1
GG Art. 104
AufenthG § 62
1. Nach § 5 Abs. 1 FEVG; Art. 103 Abs. 1, 104 GG hat das Amtsgericht den Betroffenen zu einem Antrag der Ausländerbehörde auf Verlängerung der Sicherungshaft grundsätzlich persönlich anzuhören.

2. Wird der Betroffene durch einen Verfahrensbevollmächtigten vertreten, so ist diesem Gelegenheit zu geben, an der Anhörung teilzunehmen. Unterbleibt dies, so ist die Anhörung fehlerhaft.

3. Für das Beschwerdegericht besteht grundsätzlich die Pflicht, den Betroffenen erneut anzuhören. Hiervon kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn gegenüber der Anhörung durch das Amtsgericht keine neuen Erkenntnisse für die Sachverhaltsaufklärung zu erwarten sind und ein persönlicher Eindruck vom Betroffenen nicht erforderlich ist. Eine solche Ausnahme scheidet von vornherein aus, wenn eine Anhörung vor dem Amtsgericht nicht stattgefunden hat oder fehlerhaft war.


2 W 54/07

Beschluss

In der Abschiebehaftsache

hat der 2. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen vom 28.02.2007 gegen den Beschluss der 19. Zivilkammer des Landgerichts Kiel vom 13.02.2007 am 09.03.2007 beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zu erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Dem Betroffenen wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten bewilligt.

Gründe:

I.

Der Betroffene, der bisher als liberianischer Staatsangehöriger geführt wurde, reiste am 10.12.1992 unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sein Asylantrag vom 10.12.1992 und sein Asylfolgeantrag vom 26.08.2002 wurden rechtskräftig abgelehnt. Mit Schreiben vom 3.02.2005 teilte die Härtefallkommission mit, dass kein Härtefallersuchen nach § 23a AufenthG gestellt werde. Am 6.10.2005 forderte der Beteiligte den Betroffenen gemäß § 60a Abs. 5 AufenthG auf, bis zum 6.11.2005 freiwillig aus dem Bundesgebiet auszureisen. Dieser Aufforderung kam der Betroffene nicht nach. Am 18.04.2006 wurde ihm mitgeteilt, dass sein Flug zur Ausreise nach Liberia am 11.05.2006 vorgesehen sei. Am 8.05.2006 legte er eine ärztliche Bescheinigung vor, die nach Auffassung des Beteiligten nicht eindeutig seine Flugreiseunfähigkeit feststellte. Der Betroffene wurde deshalb aufgefordert, sich am 9.05.2006 für eine Untersuchung beim Gesundheitsamt vorzustellen. Er erschien dort nicht und tauchte in der Folgezeit unter. Auf Grund eines anonymen Hinweises wurde er am 7.11.2006 von der Kriminalpolizei in Bad Oldesloe aufgegriffen und in vorläufigen Gewahrsam genommen. Am selben Tag beantragte der Beteiligte beim Amtsgericht Bad Oldesloe, die Haft zur Sicherung der Abschiebung gegen den Betroffenen für die Dauer von drei Monaten anzuordnen. Das Amtsgericht hat den Betroffenen angehört. Dieser erklärte u.a., er sei Staatsangehöriger von Togo, er möchte jedoch so schnell wie möglich nach Liberia abgeschoben werden. Das Amtsgericht hat durch Beschluss vom 7.11.2006 die Sicherungshaft bis zum 6.02.2007 angeordnet. Am 25.01.2007 gab das Amtsgericht Bad Oldesloe das Verfahren an das Amtsgericht Rendsburg ab, weil sich der Betroffene in der dortigen Abschiebehafteinrichtung aufhielt. Die Akten gingen dort am 1.02.2007 ein. Ungeachtet des von der Liberianischen Botschaft ausgestellten Passersatzpapiers (Laissez Passer) vom 30.01.2007 (Bl. 31 d. A.) und der Bescheinigung des Arztes der Justizvollzugsanstalt Kiel vom 31.01.2007 (Bl. 30 d. A.), dass aus ärztlicher Sicht keine Bedenken gegen die geplante Rückführung des Betroffenen auf dem Luftweg bestünden, scheiterte die unbegleitete Rückführung per Flugzeug von Hamburg über Brüssel nach Monrovia am 2.02.2007, weil der Betroffene dem Piloten in Hamburg erklärte, er sei krank, und der Pilot die Beförderung ohne Sicherheitsbegleitung ablehnte (Bl. 32 d. A.). Der Betroffene wurde wieder der Abschiebehafteinrichtung in Rendsburg zugeführt.

Am 5.02.2007 hat der Beteiligte unter Darlegung des vorstehenden Sachverhalts beim Amtsgericht Rendsburg beantragt, die Sicherungshaft um drei Monate zu verlängern. Am selben Tag hat das Amtsgericht versucht, den Betroffenen anzuhören. Dieser hat die Einlassung und die Unterschrift unter das Protokoll unter Hinweis darauf verweigert, dass sein Verfahrensbevollmächtigter nicht vom Anhörungstermin benachrichtigt und nicht anwesend war. Dieser hatte sich am 28.12.2006 zu den Akten gemeldet, am 9.01.2007 die vom Betroffenen unterzeichnete Vollmacht eingereicht, (vergeblich) um die Übersendung eines Arztberichts des Zentralkrankenhauses gebeten und Akteneinsicht genommen. Das Amtsgericht hat dem Betroffenen mitgeteilt, dass die Benachrichtigung des Anwalts "wegen der Kürze der Zeit" unterblieben sei. Es hat durch Beschluss vom 5.02.2007 die Sicherungshaft bis zum 30.04.2007 verlängert. Das Landgericht hat - ohne den Betroffenen anzuhören - die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Betroffenen durch Beschluss vom 13.02.2007 zurückgewiesen. Gegen den Beschluss des Landgerichts, auf den zur weiteren Sachdarstellung Bezug genommen wird (Bl. 55 - 59 d. A.), wendet sich der Betroffene mit seine sofortigen weiteren Beschwerde. Ein zwischenzeitlich unternommener weiterer Versuch, den Betroffenen per Flug am 21.02.2007 nach Liberia abzuschieben, scheiterte daran, dass dieser den dortigen Einreisebehörden erklärte, er sei nicht Liberianer, sondern Togolese. Er wurde wieder nach Deutschland - diesmal in die Abschiebehafteinrichtung in Eisenhüttenstadt - zurückgeführt.

II.

Die nach §§ 106 Abs. 2 AufenthG; 3 Satz 2, 7 FEVG; 27, 29, 20, 21, 22 FGG zulässige sofortige weitere Beschwerde ist begründet. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Verletzung des Rechts (§§ 27 FGG; 564 ZPO). Amts- und Landgericht haben gegen ihre Pflicht verstoßen, den Betroffenen ordnungsgemäß anzuhören.

1. Nach § 5 Abs. 1 FEVG; Art. 103 Abs. 1, 104 GG hat das Amtsgericht den Betroffenen zu einem Antrag der Ausländerbehörde auf Verlängerung der Sicherungshaft grundsätzlich persönlich anzuhören. Die Anhörung bildet das Kernstück der Amtsermittlungspflicht (§ 3 Satz 2 FEVG; 12 FGG). Wird der Betroffene durch einen Verfahrensbevollmächtigten vertreten, so ist diesem Gelegenheit zu geben, an der Anhörung teilzunehmen. Unterbleibt dies, so ist die Anhörung nach allgemeiner Auffassung in der Rechtsprechung fehlerhaft, weil nicht auszuschließen ist, dass der Betroffene im Beisein seines Anwalts Angaben macht, die für die Entscheidung des Gerichts bedeutsam sein können (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 27.03.2006, 3 W 16/06, bei Melchior; OLG Celle, Beschluss vom 3.03.1999, 17 W 16/99, bei Juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 7.04.2003, 20 W 117/03, bei Juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 8.11.2005, 11 Wx 32/05, LS bei Juris). Vorliegend war aus den Akten, die dem Amtsgericht seit dem 1.02.2007 vorlagen, ersichtlich, dass der Betroffene durch einen Verfahrensbevollmächtigten vertreten wurde. Der Betroffene hat im Anhörungstermin am 5.02.2007 nochmals darauf hingewiesen. Angesichts der dem Gericht vorliegenden Vollmacht und anwaltlichen Schriftsätze, aus denen sich Anschrift, Telefonnummer und Faxnummer des Rechtsanwalts vollständig ergaben, war der Betroffene nicht gehalten, der Aufforderung des Amtsgerichts nachzukommen, den Verfahrensbevollmächtigten erneut namentlich zu bezeichnen. Der Mitteilung des Amtsgerichts an den Betroffenen gemäß Protokoll, "die Benachrichtigung sei wegen der Kürze der Zeit unterblieben", entnimmt der Senat, dass der Amtsrichter nicht einmal den Versuch unternommen hat, mit dem Verfahrensbevollmächtigten telefonisch oder per Fax in Verbindung zu treten. Der Hinweis auf die "Kürze der Zeit" ist unerheblich. Er würde in allen Fällen vorliegender Art in verfassungswidriger Weise anwaltlichen Beistand praktisch unmöglich machen, weil typischerweise die vor der Anhörung zur Verfügung stehende Zeit wegen der Pflicht zur unverzüglichen Vorführung des Betroffenen nach Art. 104 Abs. 2 Satz 2 und 3 GG (vgl. auch §§ 204 Abs. 5 und 6, 181 Abs. 4 LVwG S-H) stets kurz bemessen sein wird. Sollte der Verfahrensbevollmächtigte nicht gänzlich verhindert oder unerreichbar sein (was seine Beiziehung entbehrlich machen würde) wird in den meisten Fällen auch angesichts der Eilbedürftigkeit eine zeitliche Absprache zwischen Gericht, Ausländerbehörde bzw. Polizei und Anwalt zumutbar und möglich sein. Der Umstand, dass dem Verfahrensbevollmächtigten keine Gelegenheit gegeben worden ist, an der Anhörung teilzunehmen, reicht nach allem aus, einen Verfahrensfehler zu begründen. Die Entscheidung des Amtsgerichts beruht ohne weiteres darauf, denn dieses hat mit der Weigerung des Betroffenen, das Protokoll zu unterzeichnen und den Namen des Verfahrensbevollmächtigten mitzuteilen, ausdrücklich seine Überzeugung begründet, dieser werde künftig nicht freiwillig ausreisen.

2. Auf Grund der genannten Vorschriften besteht auch für das Beschwerdegericht grundsätzlich die Pflicht, den Betroffenen erneut anzuhören. Hiervon kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn gegenüber der Anhörung durch das Amtsgericht offensichtlich keine neuen Erkenntnisse für die Sachverhaltsaufklärung zu erwarten sind und auch ein persönlicher Eindruck nicht erforderlich ist. Eine Ausnahme scheidet indessen von vornherein aus, wenn eine Anhörung vor dem Amtsgericht nicht stattgefunden hat oder fehlerhaft war, und der Betroffene dies in der Erstbeschwerde ausdrücklich rügt (vgl. OLG Rostock a.a.O. m.w.Nw.; OLG Celle a.a.O.). In diesem Fall geht es nicht um die Frage einer erneuten Anhörung, sondern einer ordnungsgemäßen Erstanhörung, die nicht mit der vom Landgericht verwendeten Floskel, entscheidungserhebliche Erkenntnisse seien nicht zu erwarten gewesen, entbehrlich gemacht werden kann. Würde diese formelhafte vorweggenommene Sachverhaltswürdigung akzeptiert, würde praktisch die verfassungsrechtlich geschützte Anhörungspflicht zur beliebigen Disposition gestellt. Es kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass - wie schon eingangs erwähnt - der Betroffen im Beisein seines Anwalts Angaben gemacht hätte, die für den Ausgang des Verfahrens von Bedeutung hätten sein können, so dass die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensfehler auch beruht. Insbesondere hätte möglicherweise die Frage der unklar gewordenen Staatsangehörigkeit des Betroffenen, die bisher von keinem Gericht behandelt worden ist, zur Prüfung führen können, ob der Beteiligte dem Beschleunigungsgebot Genüge getan hat (vgl. Renner, Ausländerrecht, 6. Aufl., § 62 AufenthG Rn. 23) oder eine Abschiebung innerhalb der nächsten drei Monate möglich sein wird (§ 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG).

3. Nach allem kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben. Da der Verfahrensfehler in der vorliegenden Form einer nur fehlerhaften Anhörung nach Auffassung des Senats heilbar ist, war die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen, um die Anhörung in ordnungsgemäßer Weise nachzuholen (vgl. OLG Celle a.a.O.; OLG Frankfurt a.a.O.). Hiervon kann nicht deshalb abgesehen werden, weil der Betroffene sich nunmehr - aus dem Senat nicht nachvollziehbaren Gründen - in der Abschiebehafteinrichtung in Eisenhüttenstadt aufhält und deshalb mit seiner Anhörung durch die Kammer ein hoher Aufwand verbunden sein wird.

Ende der Entscheidung

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