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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 21.01.2004
Aktenzeichen: 2 Ws 235/03
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 56 c
StGB § 56 f
Hat ein Verurteilter, der tatsächlich nicht alkoholabhängig ist, eine solche Abhängigkeit (und Therapiewilligkeit ) nur vorgespiegelt, um sicherer seine vorzeitige Entlassung aus der Strafhaft zu erreichen, so liegt hierin zwar eine Unaufrichtigkeit. Nimmt der Verurteilte nach der Entlassung sodann sein Einverständnis zurück und tritt die auferlegte stationäre Therapie nicht an, rechtfertigt dies jedoch nicht den Bewährungswiderruf wegen Weisungsverstoßes gem. §§ 56 c, 56 f StGB
2 Ws 235/03 2 Ws 154/03

Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht II. Strafsenat Beschluss

in der Strafsache gegen

wegen gefährlicher Körperverletzung u. a..

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der 1. kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kiel vom 15. Mai 2003, durch den die Strafaussetzung zur Bewährung hinsichtlich der Reststrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Norderstedt vom 14. März 2001 widerrufen worden ist, hat der II. Strafsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig nach Anhörung der Staatsanwaltschaft am 21. Januar 2004 beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Der Antrag der Staatsanwaltschaft, die Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung aus dem Urteil des Amtsgerichts Norderstedt vom 14. März 2001 zu widerrufen, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens der sofortigen Beschwerde einschließlich der dem Verurteilten darin erwachsenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse.

Gründe:

Durch Urteil des Amtsgerichts Norderstedt vom 14. März 2001 ist der Verurteilte wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, davon einmal in Tateinheit mit versuchter Nötigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten unter Aussetzung der Vollstreckung der Strafe zur Bewährung verurteilt worden. Weil der Verurteilte in der Folgezeit den Bewährungs-(Arbeits-)auflagen nicht nachkam, ist die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen worden. Der Verurteilte hat die Hälfte der Strafe verbüßt. Nach einem Bericht der Justizvollzugsanstalt Neumünster hat er sich als Erstverbüßer durch die Haft erheblich beeindruckt gezeigt und sich im Vollzug einwandfrei verhalten. Durch Beschluss vom 8. Oktober 2002 hat daraufhin die 1. kleine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kiel den Verurteilten zum 17. November 2002 vorzeitig aus dem Strafvollzug entlassen. Weil der Verurteilte im Rahmen seiner Anhörung vor der Entlassung angegeben hatte, alkoholkrank, therapiebedürftig und therapiewillig zu sein, hat die 1. kleine Strafvollstreckungskammer dem Verurteilten insbesondere die Weisung erteilt, sich unmittelbar nach Entlassung aus dem Strafvollzug in eine stationäre Alkoholentwöhnungstherapie zu begeben und diese Therapie nicht eigenmächtig oder gegen ärztlichen Rat abzubrechen.

Nach seiner Entlassung aus dem Strafvollzug hat der Verurteilte eine solche Therapie jedoch nicht angetreten. Dies führte zur Androhung des Widerrufs der Strafaussetzung durch das Gericht. Der Verurteilte gab nunmehr an, er habe zuvor lediglich - dem Rat anderer Strafgefangener folgend - vorgespiegelt, alkoholkrank und therapiewillig zu sein, um so eine vorzeitige Haftentlassung zu erreichen; tatsächlich sei er nicht alkoholabhängig.

Daraufhin hat die 1. kleine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kiel durch den angefochtenen Beschluss die bewilligte Strafaussetzung zur Bewährung wegen groben Verstoßes gegen die erteilte Therapieweisung widerrufen. Das hiergegen form- und fristgerecht eingelegte Rechtsmittel des Verurteilten hat Erfolg. Es führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

Zwar ist der grundsätzliche Ansatz der Strafvollstreckungskammer zutreffend, wonach gemäß § 56 f Abs. 1 Nr. 2 StGB eine bewilligte Strafaussetzung zur Bewährung dann widerrufen werden kann, wenn ein Verurteilter gegen Weisungen gröblich oder beharrlich verstößt und dadurch Anlass zu der Besorgnis gibt, dass er erneut Straftaten begehen wird. Dies soll zumindest nach der herrschenden Meinung in der obergerichtlichen Rechtsprechung auch für einen Verstoß gegen eine Therapieweisung unter gleichzeitiger Rücknahme der Einwilligung gelten (vgl. dazu Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl., Rn. 11 zu § 56 c). Darauf, dass allerdings auch in einem solchen Fall die bloße Rücknahme der Einwilligung in die Behandlung nicht ohne weiteres und grundsätzlich als gröblicher Verstoß gegen die erteilte Weisung mit der Folge des Widerrufs gesehen werden kann (BGHSt 36, 97 (99)), kommt es im vorliegenden Fall nicht an.

Auch ist der Hinweis des Landgerichts zutreffend, wonach insbesondere dann ein Widerruf in Betracht kommt, wenn sich der Verurteilte seine vorzeitige Entlassung lediglich durch eine vorgespiegelte Einwilligung in eine Therapie erschlichen hat (BGH, a.a.O., 100). Jedoch ist in allen diesen Fällen (vgl. dazu etwa die vergleichbaren Entscheidungen OLG Hamburg, NStZ 1992, 301 und OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2002, 166 f) Voraussetzung, dass der Verurteilte nicht nur (vorgeblich) therapiewillig, sondern insbesondere aufgrund einer Rauschmittelabhängigkeit auch (tatsächlich) therapiebedürftig ist. Dass ein verurteilter rauschmittelabhängiger Straftäter, der sich unter der bloßen Vorspiegelung des Einverständnisses mit einer medizinisch erforderlichen Therapie die vorzeitige Entlassung aus der Strafhaft erschleicht, weil das Gericht wegen der angeblichen Behandlungswilligkeit das verbleibende Restrisiko für vertretbar hält, das gegebene Einverständnis zurück nimmt und sich der Therapie entzieht, Anlass zur Besorgnis bietet, er werde nunmehr weitere Straftaten begehen, leuchtet ein. Ebenso einleuchtend ist, dass in einem solchen Fall mit dem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung reagiert werden kann.

So liegt der Fall hier jedoch nicht.

Zwar hat der Verurteilte bei seiner Anhörung im Rahmen der Haftentlassung möglicherweise sein Einverständnis mit einer stationären Alkoholentwöhnungstherapie nur vorgespiegelt. Nach seiner - auch nach der weiteren Sachaufklärung durch den Senat nicht widerlegbaren - Einlassung hat er dies jedoch, ohne tatsächlich alkoholabhängig zu sein, lediglich auf entsprechende Ratschläge seiner Mitgefangenen hin getan. Es ist nicht feststellbar, dass der Verurteilte alkoholabhängig und behandlungsbedürftig krank wäre. Der Senat hat hierzu schriftliche Auskünfte des ehemaligen Anstaltsarztes der Justizvollzugsanstalt Neumünster sowie des Hausarztes des Verurteilten eingeholt. Anamnese und Diagnose weisen in beiden Fällen nicht auf eine Alkoholabhängigkeit hin.

Auch aus den früheren Verurteilungen - soweit sie dem Senat vorliegen - lassen sich Bezüge der Taten des Verurteilten zu einer Alkoholabhängigkeit nicht herstellen. In keinem früheren Strafverfahren ist ein Gutachter - etwa zur Frage der Beurteilung der Schuldfähigkeit des Verurteilten wegen übermäßigen Alkoholgenusses - herangezogen worden. Der Verurteilte ist bisher nicht unter Anwendung der §§ 21 oder 20 StGB verurteilt worden. Um die Frage der behandlungsbedürftigen Alkoholabhängigkeit des Verurteilten soweit als möglich zu klären, hat der Senat den Direktor des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Prof. Dr. med. Oehmichen, mit der Erstellung eines rechtsmedizinischen Gutachtens beauftragt. Dieses vom 18. Dezember 2003 stammende Gutachten basiert auf einer klinischen (Blutbild, enzymatischer Leberstatus etc.) sowie einer testpsychologischen Zusatzuntersuchung. In der zusammenfassenden Würdigung sowohl der psychopathologischen als auch der körperlichen Untersuchungsbefunde gelangt der Sachverständige zu dem Ergebnis, es seien keinerlei objektive Anschlussdaten vorhanden, die für einen chronischen Alkoholabusus oder eine Alkoholabhängigkeit des Verurteilten sprächen. Alle Untersuchungsbefunde in dieser Hinsicht seien negativ; der Verurteilte sei nicht therapiebedürftig.

Wenn dem aber so ist, so ergibt sich daraus zum einen, dass dem - nicht behandlungsbedürftig kranken - Verurteilten kein Vorwurf deswegen gemacht werden darf, weil er nach Haftentlassung die für ihn nicht erforderliche Entwöhnungstherapie nicht angetreten hat. Zum anderen lässt die Verweigerung der Therapie durch den Verurteilten in einer solchen Konstellation nicht den Schluss zu, er werde nunmehr verstärkt Anlass zur Sorge bieten, erneut Straftaten zu begehen, weil die besondere Labilität eines suchtmittelabhängigen Straftäters, der sich einer erforderlichen Behandlungsmaßnahme entzieht, bei ihm nicht vorliegt.

Zusammenfassend rechtfertigt daher die Rücknahme des Einverständnisses mit einer stationären Suchtmitteltherapie durch einen nichtbehandlungsbedürftigen Verurteilten und die daraus resultierende Weigerung des Verurteilten, einer Therapieweisung nachzukommen, nicht den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung, und zwar auch dann nicht, wenn der Verurteilte im Rahmen der Haftentlassung eine Therapiewilligkeit vorgespiegelt haben mag. Eine solche Unaufrichtigkeit allein reicht nicht aus, die Voraussetzungen zum Widerruf der Bewährung gemäß § 56 f StGB als erfüllt anzusehen.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf analoger Anwendung der §§ 467 und 473 Abs. 1 StPO.



Ende der Entscheidung

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