Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 24.01.2008
Aktenzeichen: 2 Ws 8/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 140
StPO § 141
Die nachträgliche Beiordnung eines Pflichtverteidigers ist nicht möglich. Dies gilt auch dann, wenn das Gericht auf einen rechtzeitigen und begründeten Beiordnungsantrag hin untätig geblieben ist.
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht II. Strafsenat Beschluss

2 Ws 8/08 2 Ws 9/08

in der Strafvollstreckungssache

Auf die Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der 9. kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kiel vom 26. September 2007, durch den der Antrag, ihm für das Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer Rechtsanwalt H. als Pflichtverteidiger beizuordnen, abgelehnt worden ist, hat der II. Strafsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig nach Anhörung der Staatsanwaltschaft am 24. Januar 2008 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird auf Kosten des Verurteilten als unbegründet zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Verurteilte verbüßt in der Justizvollzugsanstalt K. eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten u. a. wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes. Zwei Drittel der Strafe waren am 30. November 2007 vollstreckt, das Strafende ist für den 31. Januar 2009 vorgesehen. Im Verfahren über die vorzeitige Entlassung gemäß § 57 Abs. 2 StGB vor der Strafvollstreckungskammer zeigte der Verteidiger des Verurteilten mit Schriftsatz vom 31. Juli 2007 seine Beauftragung an und beantragte, dem Verurteilten als Pflichtverteidiger im Vollstreckungsverfahren beigeordnet zu werden. Mit Beschluss vom 26. September 2007 wies die Strafvollstreckungskammer den Antrag zurück mit der Begründung, unter Bezugnahme auf die klaren Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. S. in seinem Gutachten vom 27. Juli 2007 gemäß § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO seien Schwierigkeiten der Sach- und Rechtslage oder die Unfähigkeit des Verurteilten, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen, nicht ersichtlich.

Mit Schriftsatz vom 20. November 2007 legte der Verteidiger Beschwerde ein, die er mit dem Hinweis auf einen umfangreichem Schriftsatz vom 19. Oktober 2007 und darin enthaltenen Angriffen auf das Gutachten begründete. Ausweislich eines Aktenvermerkes vom 30. November 2007 v(erzichteten Verurteilter, Verteidiger und Staatsanwaltschaft auf die mündliche Anhörung des Sachverständigen. Außerdem erklärte sich der Verteidiger damit einverstanden, die Abhilfeentscheidung der Strafvollstreckungskammer und eine Vorlage der Akten an das Beschwerdegericht bis nach der Entscheidung über den Antrag des Verurteilten auf vorzeitige bedingte Entlassung zurückzustellen.

Im Anhörungstermin vor der Strafvollstreckungskammer am 19. Dezember 2007, an der der Verurteilte und sein Verteidiger teilnahmen, wurde die Sach- und Rechtslage erörtert. Anschließend nahm der Verurteilte seinen Antrag auf vorzeitige Entlassung zurück. Mit Beschluss vom 19. Dezember 2007 half die Strafvollstreckungskammer der Beschwerde nicht ab.

II.

Die Beschwerde ist gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthaft. Die Ablehnung der Pflichtverteidigerbestellung kann mit der Beschwerde angefochten werden (Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 141 Rn. 10). Gleichwohl ist das Rechtsmittel unzulässig.

Es fehlt an einer Beschwer des Rechtsmittelführers. Diese liegt nur vor, wenn die ergangene oder abgelehnte Entscheidung einen unmittelbaren Nachteil für den Betroffenen enthält, seine Rechte und geschützten Interessen eine unmittelbare Beeinträchtigung erfahren haben und wenn die Beseitigung einer fehlsamen Erwägung dem Beschwerdeführer die Aussicht auf eine andere, ihm günstigere Entscheidung eröffnet (BGHSt 27, 290, 293). Daran fehlt es hier. Das Verfahren war nach der Rücknahme des Antrages auf vorzeitige Entlassung abgeschlossen. Für die Führung der Verteidigung bestand danach kein Bedürfnis mehr. Die Bestellung eines Pflichtverteidigers dient nicht dem Kosteninteresse des Angeklagten oder seines Verteidigers, sondern allein dem Zweck, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass ein Betroffener in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet wird (BVerfGE 39, 238, 242; OLG Düsseldorf, StV 1984, 66). Dieser Zweck kann nach Abschluss der Instanz oder gar der Rechtskraft der Entscheidung nicht mehr erreicht werden. Eine nachträgliche, rückwirkende Bestellung für das im Rechtszug abgeschlossene Verfahren ist schlechthin unzulässig und unwirksam und mithin grundsätzlich ausgeschlossen, und zwar auch dann, wenn der Wahlverteidiger oder der Rechtsanwalt, den der Angeklagte als den zu stellenden Pflichtverteidiger benannt hatte, seine Bestellung beantragt hatte (KG Berlin, Beschluss vom 9. März 2006 - 5 Ws 563/05 - zitiert nach Juris; in StV 2007, 372 ff).

Der Senat schließt sich dieser Entscheidung und ihrer Begründung an. Eine andere Handhabung ist auch dann nicht gerechtfertigt, wenn das Gericht auf einen rechtzeitig und gegebenenfalls begründeten Antrag des bisherigen Wahlverteidigers hin untätig geblieben ist, oder - wie hier - im Einvernehmen mit dem Verteidiger die Entscheidung zurückgestellt hat. Nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung der §§ 140 ff. StPO steht immer nur die Sicherung einer ordnungsgemäßen Verteidigung im Vordergrund. Ebenso wie in der dem Kammergericht zugrunde liegenden Entscheidung war der Beschwerdeführer hier ständig durch einen Rechtsanwalt als Wahlverteidiger ordnungsgemäß verteidigt. Ein Verteidiger wird aber nur dem Beschuldigten bestellt, der in den Fällen des § 140 StPO noch keinen Verteidiger hat (§ 141 Abs. 1 StPO). Der Gesetzgeber hat die Notwendigkeit der Beiordnung eines Verteidigers im Strafverfahren allein mit Gesichtspunkten der Sach- und Rechtslage verknüpft; sie hängt nie von den Vermögensverhältnissen oder der finanziellen Leistungsfähigkeit des Beschuldigten ab. Eine rückwirkende Beiordnung zur Korrektur etwaiger gerichtlicher Versäumnisse ist nur zulässig, wenn der Gesetzgeber unter Fürsorgegesichtspunkten die Möglichkeiten der Prozesskostenhilfe eröffnet hat, etwa im Bereich des § 397 a StPO (KG a.a.O., Rn. 17). Dieses Verständnis benachteiligt den Beschuldigten auch nicht deshalb, weil er zunächst nicht sicher sein kann, möglicherweise doch für die Verteidigerkosten aufkommen zu müssen. Denn wenn er die Verfahrenskosten tragen muss, zählen dazu nach § 464 a Abs. 1 Satz 1 StPO auch die Auslagen der Staatskasse für die Pflichtverteidigergebühren, die gegen ihn festgesetzt werden.

Leidtragender dieser Rechtsprechung ist der Wahlverteidiger des mittellosen Beschuldigten. Dieser kann seinen Gebührenanspruch, dem aus den dargestellten Gründen das Instrument der Pflichtverteidigung nicht dient, nur dadurch sichern, dass er ausschließlich als Pflichtverteidiger, nicht aber als Wahlverteidiger auftritt, oder sein Mandat mit dem Beiordnungsantrag bedingungslos niederlegt. Unterbleibt dann im Falle der notwendigen Verteidigung die Beiordnung, handelt das Gericht fehlerhaft und geht das Risiko ein, dass die Sache im Falle einer für den Beschuldigten negativen Entscheidung zurückverwiesen wird (so auch KG a.a.O. Rn. 21).

Zu den Fragen einer notwendigen Verteidigung entsprechend § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO im Vollstreckungsverfahren, insbesondere für die Fallkonstellation der Notwendigkeit eines Prognosegutachtens, vgl. Senatsbeschluss vom 24. Oktober 2007 (- 2 Ws 450/07 - zur Veröffentlichung vorgesehen).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

Zurück