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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 05.11.2002
Aktenzeichen: 3 U 184/00
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 209 a.F.
BGB § 2306
BGB § 2332
Eine Erbin, welche berechtigt ist, die Nacherbschaft auszuschlagen, kann mit verjährungsunterbrechender Wirkung auf ihren Pflichtteil klagen.
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

3 U 184/00

Verkündet am: 5. November 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 3. September 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 18. September 2000 verkündete Urteil des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des Landgerichts Kiel wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsrechtszuges.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3, 313 a Abs. 1 ZPO n. F. abgesehen.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Die Berufungssumme ist hier nach dem gemäß § 511 a Satz 2 1. Halbsatz ZPO hinreichend glaubhaft gemachten Berufungsvortrag erreicht. Die Klägerin trägt insoweit vor, es fehle an einer konkreten Notarkostenrechnung oder jedenfalls einer eidesstattlichen Versicherung oder sonstigen Bescheinigung eines Notars, welche Kosten für die notarielle Bestätigung eines Bestandsverzeichnisses entstehen würden. Derartiger Nachweise bedarf es bei dem zur Entscheidung gestellten Sachverhalt nicht. Der Senat geht hier ohne Weiteres davon aus, dass eine auf der Grundlage der §§ 112, 114 KostO erstellte Notarkostenrechnung die nach § 511 a ZPO erforderliche Summe übersteigt. Die Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass die Klägerin selbst von einem Nachlasswert von 2,1 Mio DM ausgegangen ist. Ausgehend hiervon übersteigt allein die halbe Gebühr nach § 32 KostO die Berufungssumme.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Auskunftserteilung gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 BGB zu, denn sie ist durch die Erklärung der Ausschlagung der Nacherbschaft gemäß §§ 2306 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und 2303 BGB Pflichtteilsberechtigte geworden.

Die Pflichtteilsansprüche der Klägerin sind auch nicht verjährt. Die dreijährige Verjährungsfrist des § 2332 Abs. 1 BGB ist durch die rechtzeitig am 6. August 1999 eingereichte, am 10. September 1999 zugestellte Stufenklage auf Zahlung des Pflichtteils wirksam unterbrochen worden, denn die Klägerin ist so zu behandeln, als habe sie diese Klage als Berechtigte im Sinne des § 209 Abs. 1 BGB erhoben. Die Unterbrechungswirkung ist auch nicht gemäß § 212 Abs. 1 BGB durch die Klagrücknahme entfallen, weil die Klägerin binnen 6 Monaten erneut Klage auf Zahlung des Pflichtteils und zwar wiederum als Stufenklage erhoben hat (§ 212 Abs. 2 Satz 1 BGB). Anders als bei alleiniger Erhebung einer Auskunftsklage haben die beiden jeweils als Stufenklage erhobenen Klagen verjährungsunterbrechende Wirkung (vgl. BGH NJW 1975, 1409; BGH NJW 1999, 1101).

Die Klägerin ist bei Erhebung der ersten Stufenklage auch als Berechtigte im Sinne des § 209 BGB anzusehen gewesen.

Dabei kommt es nicht entscheidend auf die Rechtsinhaberschaft der Klägerin an, von der hier wegen der rückwirkenden Funktion der §§ 1953, 2317 BGB auszugehen ist, sondern es sind vielmehr ihre Befugnis zur klageweisen Geltendmachung des Anspruchs und demnach ihre materiell-rechtliche Verfügungsbefugnis entscheidend (Palandt-Heinrichs, § 209, Rn. 9 m.w.N.). Die klageweise Geltendmachung des materiellen Anspruchs kann allerdings nicht rückwirkend erfolgen. Es ist anerkannt, dass die Klage eines Nichtberechtigten nach späterer Genehmigung durch den Berechtigten die Verjährung nur mit Wirkung "ex nunc" unterbricht (Palandt, a.a.O., Rn. 11; BGHZ 46, 229). Sollte der Klägerin die materielle Verfügungsbefugnis zum Zeitpunkt der Klagerhebung also gefehlt haben, hätte deren späteres Vorliegen bei dem hier zur Entscheidung gestellten Fall nicht zu einer Unterbrechung der Verjährung führen können.

Die Klägerin ist hier allerdings unter Beachtung dieser Grundsätze materiell als verfügungsbefugt und damit als Berechtigte zu behandeln. Der Begriff des Berechtigten ähnelt dem des § 185 BGB. Er entspricht spiegelbildlich dem des Nichtberechtigten. Auch ein noch nicht Berechtigter ist nach ständiger Rechtsprechung bei Verfügungen über sein Anwartschaftsrecht Berechtigter (BGHZ 20, 88, 94). Nach diesen Grundsätzen ist hier die Berechtigung der Klägerin jedenfalls soweit angelegt gewesen, dass dies einer Berechtigung im Sinne des § 209 BGB gleichzusetzen ist.

Die rechtliche Stellung der Klägerin im Hinblick auf das Vorliegen ihrer Berechtigung zur Klagerhebung (vgl. BGHZ 20, a.a.O.) ist in den bereits in der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts genannten Vorschriften des Pflichtteilsrechts im einzelnen umschrieben. Nach § 2317 BGB entsteht der vererbliche und übertragbare Anspruch auf den Pflichtteil mit dem Erbfall, wobei in den Fällen der §§ 2306, 2307 BGB der Pflichtteilsberechtigte den Pflichtteil erst verlangen kann, wenn er den Erbteil ausschlägt. Welche rechtliche Stellung dem Ausschlagungsberechtigten im Hinblick auf den Pflichtteilsanspruch zukommt, lässt das Gesetz offen. Nach der einen Ansicht entsteht der Pflichtteilsanspruch in den Fällen der §§ 2306 Abs. 1 Satz 2, 2307 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht schon bereits mit dem Erbfall, sondern erst mit der Ausschlagung der Erbschaft (vgl. Erman-Schlüter, § 2332, Rn. 6 m.w.N.). Diese soll dann aber als mit dem Erbfall entstanden behandelt werden (Palandt-Edenhofer, 61. Aufl., § 2317, Rn. 1). Nach der anderen, auf der von der Klägerin angeführten Entscheidung des Reichsgerichts beruhenden Auffassung (RG JW 1931, 1354, 1356) ist bereits mit dem Erbfall von der Entstehung eines Pflichtteilsanspruchs auszugehen. Dieser kann allerdings mangels vorliegender Ausschlagung nach dieser Auffassung noch nicht geltend gemacht werden (RGRK-Johannsen, § 2332 Rn. 20 ff, m.w.N.).

Einer Entscheidung, welcher der vorgenannten Auffassungen der Vorzug zu geben ist, bedarf es nicht. Der Senat ist der Ansicht, dass die Berechtigung der Klägerin bei Erhebung der ersten Stufenklage unter Ansatz beider vorgenannter Auffassungen zumindest soweit angelegt gewesen ist, um mit der Klagerhebung die unterbrechenden Wirkungen des § 209 BGB auszulösen. Wie bereits dargelegt, kommt der Klage eines Nichtberechtigten grundsätzlich keine rückwirkende Funktion zu, wenn seine Berechtigung erst im Laufe des Rechtsstreits eintritt. Hier ist jedoch entscheidend, dass die Ausschlagung von Gesetzes wegen im Sinne der §§ 2306, 2307 BGB rückwirkende Kraft entfaltet. Von einem gänzlich Nichtberechtigten kann in dem Fall der Klage eines zunächst nur Ausschlagungsberechtigten mithin nicht ausgegangen werden, da dieser jederzeit durch die Abgabe seiner Ausschlagungserklärung den materiellen Anspruch auslösen kann. Er ist insoweit jedenfalls eher mit einem noch nicht Berechtigten im Sinne der bereits erwähnten Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu vergleichen, wenn auch der Eintritt seiner Berechtigung im wesentlichen von der Abgabe der eigenen Willenserklärung abhängt, nämlich der Ausschlagungserklärung. Diese Rechtsstellung kommt dem Ausschlagungsberechtigten von Anfang an und mithin zur Zeit der Klagerhebung zu. Man kann also nicht davon reden, dass die Klage im Zeitpunkt ihrer Erhebung von einem Nichtberechtigten erhoben worden ist. Aus der speziellen Regelung in § 2332 Abs. 3 BGB folgt nach Ansicht des Senats, dass die Verjährung hier losgelöst von der Ausschlagungserklärung des Nacherben zu laufen beginnt. Ist dies der Fall, muss es ihm dann aber auch möglich sein, als noch nicht Pflichtteilsberechtigter durch Erhebung einer Klage die Verjährung zu unterbrechen. Diese Bewertung wird durch die naheliegende Erwägung gestützt, dass nach § 2332 Abs. 3 BGB die Verjährung nicht dadurch gehemmt wird, dass die Pflichtteilsansprüche erst nach der Ausschlagung geltend gemacht werden können. Dies setzt allerdings voraus, dass die Pflichtteilsansprüche bereits vorher entstanden waren, denn sonst könnte deren Verjährung nicht zu laufen beginnen. Nach Ansicht des Senats folgt auch aus dem Rechtsgedanken des § 200 BGB, dass ein Anspruch, den man sich durch eine Willenserklärung jederzeit verschaffen kann, schon vor Abgabe der Erklärung zu verjähren beginnt. Dies gilt auch hier. Der Vorerbe erfährt durch die Klagerhebung, dass der Pflichtteilsanspruch geltend gemacht wird und kann mithin nicht mehr darauf vertrauen, mit diesem Anspruch nicht mehr behelligt zu werden. Es ist auch nicht ersichtlich, dass hier vor der Ausschlagung ein anderer Berechtigter vorhanden gewesen war, der anstelle der Klägerin hätte Klage erheben können. Wie auch das Landgericht unter Hinweis auf die einschlägige Literatur (vgl. Pentz NJW 1966, 1648) festgestellt hat, bewirkt die Ausschlagung der Erbschaft, dass der Ausschlagende rückwirkend zum Pflichtteilsberechtigten wird.

Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die Ausschlagung sei hier nicht im Laufe des Rechtsstreits erfolgt, sondern erst nach Klagrücknahme ausgesprochen worden. Nach Ergehen und Rechtskräftigwerden eines klagabweisenden Urteils in der Sache steht für den Kläger bindend fest, dass ihm keine Pflichtteilsansprüche zustehen. Die Rechtskraft dieser Entscheidung stünde dann dem Erfolg einer erneut im Anschluss an eine Ausschlagungserklärung erhobenen Klage entgegen, weil dann zwischen den Parteien die Nichtberechtigung desjenigen feststeht, der seinen Pflichtteil begehrt. Ein solches Urteil ist jedoch in dem Vorprozess nicht ergangen. § 212 Abs. 1 BGB setzt insoweit voraus, dass die Klage durch ein nicht in der Sache selbst entscheidendes Urteil rechtskräftig abgewiesen worden ist. Mit dieser Sachlage ist der hier zu verzeichnende Geschehensablauf vergleichbar, in dem die Klage zunächst zurückgenommen, dann allerdings nach Abgabe der Ausschlagungserklärung binnen sechs Monaten erneut erhoben worden ist.

Wie bereits das Landgericht festgestellt hat, bestehen hier auch keine Anhaltspunkte, dass eine verjährungsunterbrechende Wirkung der ersten Stufenklage dem Sinn und Zweck des § 2332 BGB zuwiderläuft, der darauf gerichtet ist, innerhalb von drei Jahren ab Kenntnis des Pflichtteilsberechtigten vom Erbfall und von der ihn beeinträchtigenden Verfügung Rechtsklarheit zu schaffen. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Klagerhebung von der Klägerin missbräuchlich dazu benutzt worden ist, die ihr zukommende Ausschlagungsfrist zu verlängern.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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