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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 13.02.2004
Aktenzeichen: 4 U 67/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 313 n.F.
1. Für einfache Postsendungen besteht kein Anscheinsbeweis, dass eine zur Post gegebene Sendung den Empfänger auch erreicht.

2. Wenn ein Pachtobjekt dem Betrieb einer sozialen Jugendhilfeeinrichtung (lerntherapeutische Einrichtung) dienen soll und dies Geschäftsgrundlage des Vertrages geworden ist, kann der Mieter für den Fall, dass die von ihm beantragte Nutzungsänderungsgenehmigung (vorherige Nutzung als Asylantenheim) bestandskräftig versagt wird, gemäß § 313 Abs. 2 BGB n.F. einen Anspruch auf Anpassung des Vertrages haben. Als Anpassungsfolge kommt auch die Herabsetzung oder Aufhebung einer Verbindlichkeit (hier der Pachtzinszahlungsverpflichtung) in Betracht.

3. Auch wenn der Pächter grundsätzlich das Verwendungsrisiko trägt, kann die Auslegung des Vertrages ergeben, dass dies nur zeitlich befristet bis zum endgültigen Abschluss des bauordnungsrechtlichen Genehmigungsverfahrens gilt. Mit der Bestandskraft des Ablehnungsbescheides kann sich gem. § 313 BGB n.F. ein Anspruch auf Vertragsanpassung ergeben (d.h. u.U. Aufhebung der Pachtzahlungsverpflichtung bei Räumung des Pachtobjekts).


Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

4 U 67/03

Verkündet am: 13. Februar 2004

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 21. Januar 2004 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das am 02. April 2003 verkündete Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsrechtszuges.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Beklagten bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung des Klägers gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Beschwer des Beklagten beträgt 24.540,00 €.

Gründe:

I. Der Kläger beansprucht von dem Beklagten rückständigen Pachtzins für die Monate Juli bis Dezember 2002 in Höhe von insgesamt 24.540 €.

Mit Vertrag vom 28.03.2002 pachtete der Beklagte von dem Kläger Grundstück und Gebäude des Mehrfamilienhauses Bäderstraße 1 in K.. Der Pachtvertrag hatte eine Laufzeit vom 01.04.2002 bis 01.04.2012, die monatliche Pacht betrug 4.090 €.

Der Beklagte beabsichtigte in dem bei Pachtbeginn leerstehenden Gebäude, das vorher einmal als Asylantenheim genutzt worden war, eine soziale Jugendhilfeeinrichtung (lerntherapeutische Einrichtung) für 14 Kinder und Jugendliche zu betreiben. Die Mutter des Beklagten hatte die Einrichtung bereits zuvor in F. betrieben. Vor Vertragsschluss hatten die Parteien das Problem einer möglicherweise noch zu erteilenden Nutzungsänderungsgenehmigung durch das zuständige Bauamt erörtert. In dem Pachtvertrag heißt es unter Ziffer II ausdrücklich: "Der Pächter ist allein für sämtliche Genehmigungen für seine Nutzung zuständig. Der Verpächter übernimmt keine Haftung dafür, dass die etwa notwendigen behördlichen Genehmigungen für seine Nutzung erteilt werden bzw. erteilte Genehmigungen fortbestehen. Der Verpächter verpflichtet sich, alles im Rahmen seiner Möglichkeiten zu unternehmen, um die vorgesehene Nutzung des Pächters möglich zu machen".

Unmittelbar nach Beginn des Pachtverhältnisses begann der Beklagte mit ersten Umbaumaßnahmen und einer relativ umfangreichen Innensanierung des Gebäudes. Im Rahmen einer Einwohnerversammlung der Gemeinde K. vom 08.05.2002 wurde jedoch klar, dass die Bürger und damit auch die Gemeinde der geplanten Nutzung ablehnend gegenüberstanden.

Die Pachtzinszahlungen wurden ab dem 01.07.2002 eingestellt. Der Antrag des Beklagten auf "Umnutzung des Asylbewohnerheims in eine soziale Jugendhilfeeinrichtung" wurde mit Bescheid des Kreises O. (Amt für Bauordnung) vom 02.01.2003 abgelehnt. Dagegen hat der Beklagte mit Schreiben vom 04.02.2003 Widerspruch eingelegt. Ob der Widerspruch inzwischen beschieden bzw. der Ablehnungsbescheid vom 02.01.2003 bestandskräftig geworden ist, konnte in der mündlichen Verhandlung nicht geklärt werden.

Der Beklagte hat behauptet, er habe das Pachtverhältnis bereits mit Schreiben vom 19.05.2002 wegen Unmöglichkeit der Erteilung einer Nutzungsänderungsgenehmigung gekündigt. Die Schlüssel zum Objekt habe er Ende 2002 / Anfang 2003 dem Kläger zurückgegeben (per Einschreibebrief).

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Beklagte habe den Zugang des behaupteten Kündigungsschreibens nicht bewiesen. Die Voraussetzungen für den Wegfall der Geschäftsgrundlage lägen nicht vor.

Dagegen richtet sich die Berufung des Beklagten, der im Wesentlichen ausführt, er habe einen Anspruch auf Anpassung des Pachtvertrages wegen der fehlenden bauordnungsrechtlichen Genehmigung für die beabsichtigte Nutzung als lerntherapeutische Einrichtung.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die tenorierten Klagansprüche abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf die von ihnen gewechselten Schriftsätze nebst aller Anlagen Bezug genommen.

II. Die Berufung des Beklagten ist unbegründet. Dem Kläger stehen jedenfalls die mit der Klage für den Zeitraum vom 01.07. bis 31.12.2002 geltend gemachten rückständigen Pachtzinsen zu.

1. Der Beklagte hat nicht bewiesen, dass der Pachtvertrag unter der aufschiebenden bzw. auflösenden Bedingung der baurechtlichen Genehmigungsfähigkeit bzw. Erteilung einer entsprechenden Nutzungsänderungsgenehmigung stand. Dagegen spricht bereits der ausdrückliche Wortlaut in Ziff. II des Pachtvertrages. Im Übrigen wird auf die zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

2. Der Pachtvertrag ist auch nicht durch die behauptete Kündigung vom 19.05.2002 beendet worden. Zu Recht hat das Landgericht ausgeführt, dass der Beklagte den Zugang des Kündigungsschreibens nicht bewiesen hat. Für einfache Postsendungen besteht kein Anscheinsbeweis, dass eine zur Post gegebene Sendung den Empfänger auch erreicht (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 62. Aufl. § 130 Rn. 21 m.Hinw. auf BGH NJW 1964, 1176).

3. Der Beklagte hätte allerdings für den Fall, dass die beantragte Nutzungsänderungsgenehmigung bestandskräftig versagt wird, gemäß § 313 Abs. 2 BGB n.F. einen Anspruch auf Anpassung des Vertrages. Bis zum Zeitpunkt einer bestandskräftigen bauordnungsrechtlichen Ablehnungsentscheidung trägt jedoch der Beklagte nach der vertraglichen Risikozuweisung allein das Verwendungsrisiko, so dass er bis dahin auch zur vollen Pachtzinszahlung verpflichtet ist.

Als Anpassungsfolge käme z.B. auch die Herabsetzung oder Aufhebung einer Verbindlichkeit (hier der Pachtzinszahlungsverpflichtung) in Betracht (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 62. Aufl. § 313 Rn. 28). Außerdem hat der Beklagte spätestens mit seiner Klagerwiderung vom 23.1.2003 deutlich gemacht, dass er an dem Pachtvertrag nicht festhalten möchte, so dass auch darin eine zumindest konkludent erklärte Kündigung des Dauerschuldverhältnisses aus wichtigem Grund zu sehen ist.

a) Der Umstand, dass das Pachtobjekt dem Betrieb einer "lerntherapeutischen Einrichtung für Kinder und Jugendliche" dienen sollte, ist Geschäftsgrundlage des Pachtvertrages gewesen. Die objektive Geschäftsgrundlage bilden diejenigen Umstände und allgemeinen Verhältnisse, deren Vorhandensein oder Fortdauer objektiv erforderlich ist, damit der Vertrag i.S. der Intentionen beider Vertragspartner noch als sinnvolle Regelung bestehen kann. Die Umstände, die für den Vertrag als eine sinnvolle Regelung von ausschlaggebender Bedeutung sind, sollen auch dann zur Geschäftsgrundlage gehören, wenn sie von den Parteien während der Vertragsverhandlungen nicht besonders angesprochen worden sind, es genügt vielmehr, wenn sie bestimmte Umstände als selbstverständlich ansahen, ohne sich diese bewusst zu machen (Palandt/Heinrichs, a.a.O. § 313 Rn. 7 m.w.N.). Hier haben die Parteien zwar nicht ausdrücklich in den Vertrag hineingeschrieben, dass das Pachtobjekt als "lerntherapeutische Einrichtung" betrieben werden sollte, beiden Parteien war diese beabsichtigte Nutzung unstreitig aber bekannt, denn schließlich hatte sich auch der Kläger gemäß Ziff. II S. 2 des Vertrages verpflichtet, aktiv den Erwerb einer entsprechenden Nutzungsänderungsgenehmigung zu unterstützen. Beide Parteien sind bei Abschluss des Vertrages von der materiellen baurechtlichen Genehmigungsfähigkeit - nicht zuletzt im Hinblick auf die frühere Nutzung des Objekts als Asylantenwohnheim - ausgegangen.

b) Für den Fall, dass die begehrte Nutzungsänderung - entgegen der beiderseitigen Vorstellungen der Parteien bei Vertragsschluss - materiell-rechtlich nicht genehmigungsfähig sein sollte und dies auch formal durch einen bestandskräftigen Ablehnungsbescheid festgestellt werden sollte, wäre die Geschäftsgrundlage für den Pachtvertrag mithin weggefallen. Gegen die materielle bauordnungsrechtliche Genehmigungsfähigkeit der Nutzungsänderung sprechen zwar einige Umstände (z.B. fehlendes Einvernehmen der Gemeinde gemäß § 36 BauBG; ablehnende Stellungnahme des Kreisjugendamtes E. vom 05.06.2002; Versagung der Betriebserlaubnis durch das MJFJF gemäß § 45 SGB VIII mit Bescheid vom 07.05.2002; Nichterfüllung von Brandschutzauflagen nach § 58 LBO; fehlende Genehmigungsfähigkeit nach § 34 BauBG), bislang ist dies jedoch formell noch nicht abschließend festgestellt.

c) Aufgrund der Formulierung in Ziff. II S. 1 des Pachtvertrages trägt der Pächter (= Beklagter) jedoch zumindest bis zum Abschluss des Genehmigungsverfahrens das Verwendungsrisiko. Der Beklagte war allein für die Einholung der formalen behördlichen Genehmigungen zuständig, ihm war als Pächter mithin jedenfalls das alleinige Risiko der fehlenden Nutzungsmöglichkeit des Pachtobjektes bis zur formellen Erteilung einer bestandskräftigen Genehmigungsentscheidung - d. h. zeitlich befristet - vertraglich auferlegt worden. Stünde aber endgültig fest, dass die baurechtliche Nutzungsänderungsgenehmigung nicht mehr erteilt werden kann (d.h. mit der Bestandskraft des Ablehnungsbescheides), kommt die Rechtsfolge des § 313 BGB n.F. zur Anwendung, d.h. es besteht ein Anspruch auf Vertragsanpassung (d.h. u.U. Aufhebung der Pachtzahlungsverpflichtung bei Räumung des Pachtobjekts). Für die vorgenannte Risikoverteilung sprechen folgende Umstände:

- Der Makler M. hat bekundet, dass die Parteien bei Abschluss des Vertrages davon ausgegangen seien, dass die Erteilung der Genehmigung eine "bloße Formsache" sei. Für den Fall, dass die Genehmigung nicht erteilt werden könnte, wollten sich die Parteien neu über den Vertrag unterhalten.

- Der Beklagte wusste zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht, ob überhaupt und generell eine behördliche Nutzungsänderungsgenehmigung erforderlich war. Dies ergibt sich aus der beigezogenen Bauakte. Das Bauamt hat der Familie Fiolka auf die Anfrage vom 11.03.2002 erst mit Schreiben vom 27.03.2002 mitgeteilt, dass eine Nutzungsänderungsgenehmigung erforderlich war. Dieses Schreiben ist beim Bauamt jedoch erst am 28.03.2003 abgesandt worden, am gleichen Tag haben die Parteien jedoch bereits den Pachtvertrag unterzeichnet. Damit stand bei Abschluss des Vertrages objektiv noch nicht einmal fest, dass die beabsichtigte Nutzungsänderung überhaupt genehmigungsbedürftig war. Auch dieser Umstand spricht indiziell dafür, dass der Beklagte nicht das volle materiellerechtliche Genehmigungsrisiko tragen wollte, sondern vielmehr "guter Hoffnung" war, den beabsichtigten Nutzungszweck wegen der Vornutzung des Gebäudes auch ohne eine weitere behördliche Genehmigung realisieren zu können.

- Der Kläger selbst ist von Beruf Rechtsanwalt. Er war sowohl vor Vertragsschluss als auch noch danach von der materiellen Genehmigungsfähigkeit der beabsichtigten Nutzungsänderung überzeugt, obwohl er wusste, dass die letzte Nutzung als Asylbewerberheim schon ca. sieben Jahre zurücklag und eine Vorprägung aus diesem Grunde zumindest fraglich war. Der Beklagte hat insoweit auch auf die Rechtsansicht des Klägers vertraut, die dieser auch in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt geäußert hat. Beide Parteien gingen bei Vertragsschluss mithin davon aus, dass die Erteilung der Baugenehmigung nur eine "formale Hürde" darstellte und auch nur insoweit wollte der Beklagte gemäß den Formulierungen in Ziff. II des Pachtvertrages das Verwendungsrisiko übernehmen.

Da bis zum 31.12.2002 das bauordnungsrechtliche Genehmigungsverfahren noch nicht bestandskräftig abgeschlossen war und der Beklagte das Objekt offenbar auch noch in seinem Besitz hatte (der Beklagte behauptet, er habe die Schlüssel erst zum Jahreswechsel 2002/2003 an den Kläger übersandt), steht dem Kläger ein Anspruch auf Pachtzinszahlung gemäß § 581 Abs. 1 S. 2 BGB jedenfalls noch für den hier geltend gemachten Zeitraum zu.

Die Berufung hat nach alledem keinen Erfolg. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Festsetzung der Beschwer folgt aus § 26 Nr. 8 EGZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Ende der Entscheidung

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