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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 10.12.2003
Aktenzeichen: 4 U 97/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823
BGB § 847
1. Es liegt kein Aufklärungsfehler vor, wenn der Patient nach einer unfallbedingten Verletzung (Hammerschlag auf die linke Hand) über die Risiken einer operativen Reposition des Daumensattelgelenks aufgeklärt wird, tatsächlich dann aber intraoperativ eine Luxation des Daumengrundgelenks erkannt und behandelt wird.

2. Es stellt keinen Behandlungsfehler dar, wenn bei einer frischen, unfallbedingten Verletzung an der Hand vor der Operation ein "Altschaden" ( hier Hypermobilität im Daumengrundgelenk wegen alter Fraktur und Versteifung des linken Daumensattelgelenks) - mangels Information durch den Patienten - nicht erkannt wird.


Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

4 U 97/02

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 10.12.2003 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 05.06.2002 verkündete Urteil des Einzelrichters der 7. Zivilkammer des Landgerichts Itzehoe wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsrechtszuges.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beschwer des Klägers beträgt 10.871,85 €.

Gründe:

I. Der Kläger beansprucht von den Beklagten Schmerzensgeld, Verdienstausfall sowie Feststellung künftigen Schadensersatzes wegen behaupteter Aufklärungs-/Behandlungsfehler anlässlich seines stationären Aufenthalts im Kreiskrankenhaus P. in der Zeit vom 30.09.1996 bis 01.10.1996.

Der Kläger (Stahlbauschlosser, geboren 18.06.1947) erlitt am 30.09.1996 (09.30 Uhr) bei der Arbeit am K. Sperrwerk eine Verletzung der linken Hand, als er sich beim Einsetzen einer Schraube versehentlich mit einem Hammer auf die linke Hand schlug. Die erste Untersuchung in der P.-Klinik in G. ergab keinen Anhalt für frische knöcherne Verletzungen, ein Repositionsversuch in Leitungsanästhesie misslang. Als Diagnose wurde eine "Luxation im Sattelgelenk linker Daumen" festgestellt. Anschließend erfolgte die Überweisung in das Kreiskrankenhaus P. , wo der Kläger stationär aufgenommen wurde. In dem Aufklärungsgespräch, das zunächst von dem Beklagten zu 3. geführt worden war und auf einem entsprechenden Merkblatt dokumentiert wurde, heißt es: "Reposition linkes Daumensattelgelenk und gegebenenfalls Kirschnerdrahtfixation". Unmittelbar vor der Operation kam es zu einem weiteren Gespräch zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 2., der nunmehr primär eine Verletzung im Daumengrundgelenk feststellte. In dem Operationsbericht wurde dann auch die Diagnose "Luxation im Daumengrundgelenk links" angegeben. Es erfolgte eine offene Reposition und Revision der Bandstrukturen ulnar und plantar sowie die Fixierung des Grundgelenks mit einem Kirschnerdraht. Der Kläger wurde am 01.10.1996 wieder entlassen und war bis einschließlich 05.01.1997 arbeitsunfähig erkrankt. Der Kirschnerdraht wurde nach dem Eingriff für ca. sechs Wochen belassen.

Erst im Nachhinein stellte sich heraus, dass ein alter Knochenbruch des ersten Mittelhandknochens (der möglicherweise aus einem Unfall aus dem Jahre 1967 resultierte) in Fehlstellung verheilt und somit das Daumensattelgelenk eingesteift war. Die dadurch entstandene Abspreizung im Daumensattelgelenk wurde im Laufe der Jahre durch die Überstreckbarkeit (Hypermobilität) im Daumengrundgelenk kompensiert.

Trotz der Operation im Kreiskrankenhaus P. und der erfolgten vorübergehenden Einsteifung des Daumengrundgelenks konnte schließlich die gleiche Hypermobilität im Laufe der Zeit wieder hergestellt werden. Der Kläger behauptet jedoch eine deutliche Kraftminderung links sowie Herabsetzung des Gefühlvermögens im gesamten Daumen links und eine weitere Verschleißumformung im Daumengrundgelenk.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, dass kein Behandlungsfehler vorliege, weil wegen des Verdachts auf eine Subluxation bzw. Ruptur im Kapselbandapparat des Daumengrundgelenks die Operation indiziert gewesen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt des angefochtenen Urteils.

Dagegen wendet sich die Berufung des Klägers, der im Wesentlichen vorträgt, er sei nicht ordnungsgemäß über die beabsichtigte "Sachverhaltserforschungsoperation" aufgeklärt worden. Die sofortige Operation sei nicht indiziert gewesen, vielmehr hätte man ihn noch für einige Tage unter weiterer Beobachtung lassen können.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und

1. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn aus Anlass der Behandlung vom 30.09./01.10.1996 im Kreiskrankenhaus P. ein angemessenes Schmerzensgeld (mindestens 10.000,00 DM) nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG seit dem 16.01.2001 zu zahlen,

2. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn Verdienstausfall in Höhe von 1.263,48 DM für die Zeit vom 11.11.1996 bis 05.01.1997 zu zahlen,

3. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, als Gesamtschuldner ihm sämtlichen zukünftigen materiellen und weiteren immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm aus Anlass der Behandlung im Kreiskrankenhaus P. vom 30.09./01.10.1996 entstanden ist bzw. noch entstehen wird, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 05.05.2003 wegen seiner Ansprüche auf Sozialleistungen aus dem Arbeitsunfall den entsprechenden Berufsgenossenschaften .... den Streit verkündet.

Wegen des Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf die von ihnen gewechselten Schriftsätze nebst aller Anlagen Bezug genommen. Der Senat hat den Kläger und die Beklagten zu 2. und 3. im Termin vom 10.12.2003 gehört sowie eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen PD Dr. E. eingeholt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche handchirurgische Sachverständigengutachten vom 13.12.2001 sowie auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 15.05.2002 Bezug genommen.

II. Die Berufung des Klägers ist unbegründet, denn nach dem Ergebnis der Parteianhörung sowie der ergänzenden Ausführungen des Sachverständigen liegen weder Aufklärungs- noch Behandlungsfehler vor.

Die Anhörung der Parteien im Senatstermin ergab, dass der Beklagte zu 2. unstreitig vor der Operation am 30.09.1996 und noch nach dem dokumentierten Aufklärungsgespräch des Beklagten zu 3. mit dem Kläger gesprochen hat, wobei auch der Unfall aus dem Jahre 1967 mit dem "Altschaden" zur Sprache kam. Der Beklagte zu 2. hat ausgeführt, er habe an jenem Tag Rufdienst gehabt und sei von dem Beklagten zu 3. telefonisch über den beabsichtigten Eingriff informiert worden. Er sei dann - insbesondere nach Durchsicht der Röntgenbilder - zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich primär um eine Verletzung im Daumengrundgelenk und mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine Luxation handele. Dies habe er mit dem Kläger besprochen, auch dass man versuchen wolle, das Gelenk zu reponieren. Der Kläger habe keine konkreten Auskünfte über den früheren Unfall geben können, seine Erinnerungen daran seien nur sehr verschwommen gewesen. Dem hat der Kläger bei seiner Anhörung vor dem Senat nicht widersprochen, er konnte sich nur noch daran erinnern, überhaupt vor der Operation mit dem Beklagten zu 2. gesprochen zu haben. Der Senat hält auch die Ausführungen des Beklagten zu 2. für glaubhaft. Der Kläger hat außerdem im Senatstermin ausgeführt, dass vor dem Unfall vom 30.09.1996 sein linker Daumen offensichtlich gerader war als heute (die Augenscheinseinnahme im Senatstermin zeigte eine deutliche Fehlstellung im Daumensattelgelenk), sodass auch aus diesem Grund - aus ex ante-Sicht insbesondere wegen der Röntgenaufnahmen - vor dem Eingriff hinreichender Verdacht für eine Akutverletzung im Daumengrundgelenk bestand.

Der Sachverständige hat anhand der Röntgenbilder im Senatstermin eindrucksvoll demonstriert, dass - aus ex ante-Sicht - die Fehlstellung im Daumengrundgelenk in der Tat augenfälliger war und somit als primäre Verletzung erschien. Er hat auch überzeugend ausgeführt, dass die Risiken bei einer operativen Reposition sowohl des Daumensattelgelenks als auch des Daumengrundgelenks gleichwertig seien, sodass - aus sachverständiger Sicht - hier von einer ordnungsgemäßen Aufklärung auszugehen sei.

Diesen Ausführungen des Sachverständigen folgt der Senat.

2. Ein Behandlungsfehler liegt ebenfalls nicht vor.

Die sofortige Operation vom 30.09.1996 war sowohl als diagnostischer als auch therapeutischer Eingriff indiziert. Der Sachverständige Dr. E. hat ausgeführt, dass - auch unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers vor der Operation - hinreichende Anhaltspunkte dafür bestanden, dass die Hypermobilität im Daumengrundgelenk Ausdruck einer frischen Luxation gewesen sein könnte. Wegen des insbesondere röntgenologisch unklaren Gelenkbefundes war die sofortige operative offene Revision indiziert, zumal vorherige Versuche einer ambulanten Reponierung des Gelenks in Leitungsanästhesie gescheitert waren. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass es - auch in Kenntnis einer möglichen Altverletzung - nichts gebracht hätte, weiter abzuwarten, denn auf den Röntgenbildern vom 30.09.1996 sei eine Luxation im Daumengrundgelenk gut erkennbar gewesen, sodass genügend Anhaltspunkte für den Verdacht auf eine Subluxation bzw. sogar eine Ruptur des Kapselbandapparates im Daumengrundgelenk bestanden. Ohne die Reponierung und Beseitigung der Luxation habe die Gefahr eines verstärkten Gelenkschadens sowie dauerhafter Bandschäden bestanden. Ohne die Exploration in Form einer operativen offenen Revision sei weder erkennbar gewesen, ob möglicherweise zusätzliche Beschädigungen des Bandapparates im Daumengrundgelenk vorlagen noch dass die Hypermobilität eine Folge der Anpassung an die frühere Verletzung im Daumensattelgelenk gewesen war. Die operative Freilegung habe im Hinblick auf die Verdachtsdiagnose (= Beschädigung des Bandapparates am Daumengrundgelenk) das geringere Übel dargestellt. Zwar beinhalte die Operation ein gewisses Komplikationsrisiko, die Nichtbehandlung einer akuten Luxation hätte aber das wesentlich größere Risiko irreversibler Gelenkschäden bedeutet.

Auch die vorübergehende Fixation des Daumengrundgelenks mit einem Kirschnerdraht sei - aus ex ante-Sicht - indiziert gewesen. Zwar habe sich der Verdacht eines Schadens im Bandapparat des Daumengrundgelenks nicht bestätigt, die vorhandene pathologische Grundgelenksluxation habe aber trotzdem beseitigt werden müssen, zumal es aus damaliger Sicht dafür keine vernünftige Erklärung gab. Der Sachverständige hat ausgeführt, es wäre fatal und fehlerhaft gewesen, diese unklaren Verhältnisse auf sich beruhen zu lassen und den Patienten nach der operativen Exploration des Gelenks später auf eine nochmals erforderliche Operation hinzuweisen. Insoweit sei es richtig gewesen, den Daumen im Grundgelenk operativ zu reponieren, d. h. in eine regelrechte Position zu bringen. Die vorübergehende Arthrodese mittels eines Kirschnerdrahtes sei - so der Sachverständige - richtig gewesen, um das Gelenk in jener traumatischen Situation ruhig zu stellen und so eine dauerhaft stabile und bessere Stellung des Daumens zu erreichen. Dass man die vorübergehende Fixierung des Gelenks möglicherweise unterlassen hätte, wenn man - wie aus heutiger Sicht unstreitig - schon zum damaligen Zeitpunkt von den konkreten Auswirkungen des Altschadens auf die Hypermobilität im Daumengrundgelenk gewusst hätte, ist in soweit unerheblich. Zu Recht hat der Sachverständige in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen, dass immerhin der Akutschaden aufgrund des Unfalls vom 30.09.1996 zumindest in unmittelbarer Nähe des Daumengrundgelenks lag.

Da ein Fehlverhalten der behandelnden Ärzte nicht feststellbar ist, kann offen bleiben, worauf die vorhandenen Verschleißumformungen im Daumengrundgelenk sowie die behaupteten Kraftminderungen sowie Sensibilitätsstörungen im linken Daumen zurückzuführen sind.

Die Berufung hat nach alldem keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Festsetzung der Beschwer folgt aus § 26 Nr. 8 EGZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Ende der Entscheidung

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