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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 10.01.2002
Aktenzeichen: 5 U 206/00
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 777 I
Soll ein Bürge i.S.d. § 777 Abs. I BGB in Anspruch genommen werden, so genügt es, die Absicht der Inanspruchnahme mitzuteilen, wobei der Betrag nicht beziffert werden muß.
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

5 U 206/00

Verkündet am: 10. Januar 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 5. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 13. Dezember 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Flensburg vom 17. November 2000 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß infolge zwischenzeitlicher Teilklagrücknahme die Beklagte nicht mehr verpflichtet ist, an den Kläger zu 2. die Lebensversicherung bei der A Lebensversicherung AG in Hamburg, Vertrag-Nr. vom 30. März 1984 in Höhe von 5.000,-- DM zurückzuübertragen und diese Freigabe der Albingia Vers. AG in Hamburg anzuzeigen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer beträgt für die Beklagte 26.144,50 Euro (51.134,19 DM).

Entscheidungsgründe:

Von der Wiedergabe des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.

Zu Recht begehren die Kläger von der Beklagten die Rückgabe der Bürgschaftsurkunde Nr. 17.000 vom 23. August 1991/Herbst 1993 über 250.000,-- DM für Verbindlichkeiten der Eheleute F N und H W sowie die Rückübertragung der von der Klägerin zu 1. an die Beklagte zu Sicherungszwecken abgetretenen Forderungen aus der Lebensversicherung zu Vertrag Nr. vom 01. April 1986 in Höhe von 34.944,-- DM bei der A Lebensvers. AG in Hamburg und aus der von dem Kläger zu 2. an die Beklagte zu Sicherungszwecken abgetretenen Lebensversicherung zu Vertrag Nr. vom 03. November 1986 in Höhe von 120.000,-- DM bei der A Lebensvers. AG in. Eine Bürgenhaftung ist zwar zustandegekommen, aber später erloschen. Dann aber hat die Beklagte sowohl die Bürgschaftsurkunde als auch gemäß Ziff. 5 der erwähnten Sicherungsabrede die zur weiteren Sicherung begebenen Lebensversicherungsforderungen an die Kläger zurückzuübertragen.

Der Entstehung einer wirksamen Bürgschaftsforderung steht nicht entgegen, daß formularmäßig " alle bestehenden und künftigen - auch bedingten Ansprüche ... aus der Geschäftsverbindung" besichert werden sollten. Eine derart weite Zweckabrede kann zwar überraschend, unangemessen und deshalb unwirksam sein (§§ 3, 9 AGBG; vgl. BGHZ 126, 174 ff; 139, 19, 24 ff). Die Parteien hatten jedoch individualvertraglich - und deshalb mit Vorrang, § 4 AGBG - eine Sicherung der "z.Zt. bestehenden Kredite für das Engagement "U" (vgl. Schreiben der Beklagten vom 22. Juli 1991, Bl. 11 d.A.) vereinbart.

War damit eine Bürgenhaftung der Kläger wirksam zustandegekommen, so ist diese jedoch aufgrund von Zeitablauf erloschen, ohne daß die Beklagte diesen in hinreichender Weise durch rechtswahrende Maßnahmen unterbrochen hätte. Gemäß Ziff. 12 der erwähnten Bürgschaftsurkunde hatten die Parteien nämlich vertraglich vereinbart:

"Der Bürgschaftsbetrag vermindert sich jährlich zum 31. Dezember um jeweils DM 50.000,--, erstmals am 31. Dezember 1992. Sie erlischt vollständig mit Ablauf des 31. Dezember 1996, soweit keine Inanspruchnahme bis dahin erfolgt ist."

Hintergrund war, dass die Beklagte die Kläger, die ehemals mit den Eheleuten Weinreich zusammen das Hotel-Restaurant "U" in S betrieben, sich später aber geschäftlich von diesen getrennt hatten, zwar einerseits in der Mithaftung für die gegenüber den Eheleuten W bestehenden Forderungen behalten wollte, andererseits aber die Kläger - wie auch der vorprozessualen Korrespondenz entnommen werden kann - ihr Risiko langsam zurückführen und in überschaubarer Zeit von diesem ganz frei werden wollten.

Für dieses Regelungsinteresse hält das Bürgschaftsrecht in § 777 Abs. 1 BGB das Regelungsmodell einer "Zeitbürgschaft" bereit und bestimmt insoweit:

"Hat sich der Bürge für eine bestehende Verbindlichkeit auf bestimmte Zeit verbürgt, so wird er nach dem Ablauf der bestimmten Zeit frei, wenn nicht der Gläubiger die Einziehung der Forderung unverzüglich nach Maßgabe des § 772 betreibt, das Verfahren ohne wesentliche Verzögerung fortsetzt und unverzüglich nach der Beendigung des Verfahrens dem Bürgen anzeigt, dass er ihn in Anspruchnahme nehme. Steht dem Bürgen die Einrede der Vorausklage nicht zu, so wird er nach dem Ablauf der bestimmten Zeit frei, wenn nicht der Gläubiger ihm unverzüglich diese Anzeige macht."

Nach dem gesetzlichen Leitbild vermag der Gläubiger sich trotz Fristablaufs seine Recht zu erhalten, wenn er dem Bürgen lediglich die Inanspruchnahme anzeigt und - als allgemeine Voraussetzung - die Hauptforderung bei Fristablauf fällig ist; auf die Einrede der Vorausklage wird ohnehin zumeist - wie auch im vorliegenden Fall - formularmäßig verzichtet. Da § 777 Abs. 1 BGB mit dem Erfordernis lediglich der Anzeige der Inanspruchnahme, nicht also dieser selbst oder gar von Schritten wie Klagerhebung, allein die Rechtswahrung und noch nicht die Rechtsdurchsetzung bezweckt, muss für einen derartigen rechtswahrenden Charakter die Mitteilung einer ernsthaften Absicht der Inanspruchnahme ausreichen, ohne daß es etwa einer Bezifferung bedarf (vgl. etwa OLG Karlsruhe WM 1985, 770, 771 f.). Gemessen an diesen Anforderungen dürften die Schreiben vom 27. Dezember 1993 (Anlage B 1, Bl. 25 d.A.), vom 28. Dezember 1994 (Anlage B 2, Bl. 26 d.A.) und auch noch vom 20. Dezember 1995 (Anlage B 3, Bl. 27 d.A.) in hinreichender Weise eine rechtswahrende Anzeige i.S.d. § 777 Abs. 1 BGB enthalten haben, während die Beklagte mit späteren Schreiben vom 08. Januar 1997 (Anlage B 4, Bl. 28 d.A.) und vom 15. Dezember 1997 (Anlage B 5, Bl. 29 d.A.) den Klägern lediglich pauschal mitteilte, dass sie diese "aus Ihrer Verpflichtung nicht entlassen" könne.

Indessen haben die Parteien nicht eine dem - dispositiven - Wortlaut des § 777 Abs. 1 BGB entsprechende Regelung vereinbart, sondern eine in zweifacher Hinsicht "atypische" Zeitbürgschaft. Dies betrifft zum einen die über die einfache Befristung hinausgehende mehrfache Befristung verbunden mit einer Staffelung, die erkennbar im Interesse der Kläger ihr Risiko innerhalb eines bis zum 31. Dezember 1996 laufenden Zeitraums völlig zurückführen sollte, und zum anderen die gewählten Anforderungen an die zur Rechtswahrung erforderlichen Maßnahmen. Denn ersichtlich ist auch die - insoweit keinesfalls als geschäftlich und rechtlich unkundig anzusehende - Beklagte darauf eingegangen, die Bürgschaft "vollständig mit Ablauf des 31. Dezember 1996" erlöschen zu lassen, "soweit keine Inanspruchnahme bis dahin erfolgt ist." Diesen im Vergleich zu § 777 Abs. 1 BGB strengeren Anforderungen an die zur Rechtswahrung notwendigen Maßnahmen genügt das in Betracht kommende Verhalten der Beklagten als Gläubigerin nicht.

Zwar hat die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung - verbunden mit einer verbindlichen und unwiderruflichen Freigabeerklärung hinsichtlich der Bürgenhaftung der Klägerin in Höhe von weitere 198.465,81 DM (S. 8 der Berufungsbegründung vom 26. April 2001, Bl. 108 d.A.) - erklärt, die Kläger aus der Bürgschaft nur noch in Höhe von 51.134,19 DM in Anspruch nehmen zu wollen und sich hierzu auf eine zum 31.12.1993 fällig gewordene Hauptforderung in Höhe von 50.000,-- DM und auf zum 31.12.1995 fällig gewordene weitere 1.534,19 DM stützen zu wollen, so daß es insoweit lediglich auf die bereits erwähnten Schreiben der Beklagten vom 27. Dezember 1993 und vom 20. Dezember 1995, allenfalls aber noch auf das erwähnte Schreiben vom 28. Dezember 1994, ankommen könnte. Jedoch hat auch hinsichtlich dieser Schreiben bereits das Landgericht zu Recht beanstandet, daß diesen Schreiben kein ernsthafter Wille zur Durchsetzung des Anspruches entnommen werden könne und die Beklagte gegenüber den Klägern trotz entsprechender Aufforderung noch nicht einmal die Fälligkeit der gesicherten Hauptforderung der jeweiligen Höhe habe nachweisen können. Damit hätten ihre Schreiben ersichtlich einzig und allein dem Zweck gedient eine Reduzierung der Bürgschaftsverpflichtung zu verhindern, was noch keine "Inanspruchnahme" i.S.d. Ziff. 12 der Bürgschaftserklärung darstellen könne.

Der Senat teilt diese Auffassung. Erkennbar ging es den Klägern bei Vereinbarung der Bürgschaftsverpflichtung darum, eine berechenbare Limitierung des Bürgschaftsrisikos zu erlangen und entsprechend handlungsfähig zu sein. Es liegt auf der Hand, daß vor diesem Interessenhintergrund eine Inanspruchnahme vor allem auch eine klare Aussage über Art, Höhe und Verbindlichkeit des realisierten Risikos zu vermitteln hatte, also wenigstens auch Informationen über den Bestand der gesicherten Hauptforderung und der Fälligkeit auch von Teilbeträgen, wie sie die Kläger durch ihren Verfahrensbevollmächtigten etwa mit Schreiben vom 07. Januar 1994 (Anlage BE 2, Bl. 137 d.A.) vergeblich erfordert hatten. Nur angemerkt sei, dass nach der von der Beklagten in ihrer Berufungsbegründung dargelegten Kontenentwicklung sehr zweifelhaft ist, ob bis Ende 1993 die "geduldeten Überziehungen" des den Eheleuten W eingeräumten Kontokorrentkreditlimits überhaupt schon fällig gestellt worden waren, da offenbar gerade insoweit im Juni 1994 noch eine Umschuldung in einen Festzinskredit erfolgte.

Ungeachtet einer möglichen Inanspruchnahme in den Jahren 1993 und 1995 hinsichtlich bestimmter Teilbeträge ist die Bürgschaftsverpflichtung der Kläger gegenüber der Beklagten aber jedenfalls zum 31. Dezember 1996 erloschen, weil weder bis dahin und im übrigen auch nicht bis zur Klagerhebung durch die Kläger am 19. Juni 2000 weitere Schritte der Beklagten erfolgten, die eine Inanspruchnahme der Kläger darstellen könnten. Selbst wenn nämlich die erwähnten Schreiben zu den jeweiligen Jahresendterminen noch gerade als zur Rechtswahrung geeignet angesehen werden könnten, war es aber für die Beklagte erkennbar, daß die Kläger nach dem 31. Dezember 1996 kein weiteres Risiko tragen wollten. Jedenfalls bis dahin hätte die Beklagte daher die Kläger konkret unter Darlegung des Bestandes der gesicherten Forderung zur Zahlung auffordern müssen.

War damit die Berufung insgesamt zurückzuweisen, so war diese Zurückweisung doch mit der Maßgabe des Erlöschens der Verpflichtung der Beklagten zur Rückübertragung der auf 5.000,-- DM sich belaufenden Lebensversicherung Nr. 1585.0797.3535-2 vom 30. März 1984 an den Kläger zu 2. auszusprechen. Denn insoweit hat der Kläger zu 2. die Klage in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zurückgenommen.

Der Wert der Beschwer wurde gemäß § 546 Abs. 2 ZPO einheitlich auf 51.134,19 DM festgesetzt, da die Beklagte trotz der verschiedenen Klaganträge nur in dieser Höhe noch ein durch Herausgabe der Bürgschaftsurkunde und Rückabtretung der Lebensversicherungsforderungen berührtes Sicherungsinteresse besitzt.

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97 Abs. 1, 269 Abs. 3 und den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Trotz übereinstimmender Teilerledigungserklärung war über die Kosten nicht ergänzend nach § 91 a ZPO zu entscheiden, weil es sich insoweit um keine echte Teilerledigungserklärung handelt, nachdem die Begrenzung des Sicherungsinteresses der Beklagten bereits in ihrer Berufungsbegründung erfolgt ist.

Ende der Entscheidung

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