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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 29.09.2005
Aktenzeichen: 5 U 46/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 276
BGB § 280
BGB § 675
BGB § 676 a
1. Erfordert eine Bank nach telefonischer Entgegennahme eines Auftrags für eine Blitzüberweisung zu Dokumentationszwecken zusätzlich einen schriftlichen Überweisungsauftrag, so hat sie durch geeignete Vorkehrungen in ihrem Geschäftsbetrieb sicherzustellen, dass es nicht zu einer irrtümlichen Doppelüberweisung kommt.

2. Auf die typischen und unvermeidbaren Risiken standardisiert abzuwickelnder Massengeschäfte kann sich nicht berufen, wer von deren standardisierter Behandlung abweicht.


Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Urteil Im Namen des Volkes

5 U 46/04

verkündet am: 29. September 2005

In dem Rechtsstreit

hat der 5. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 08. September 2005 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 24. Februar 2004 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Flensburg - 2 O 266/03 - abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 34.086,13 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 5. Januar 2000 zu zahlen, Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche der Klägerin in gleicher Höhe gegen die A. Spedition GmbH. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Von den Kosten beider Rechtszüge haben die Beklagte 2/3 und die Klägerin 1/3 zu tragen.

Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Jedoch kann die Beklagte die Vollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages Sicherheit leistet. Ebenso kann die Klägerin die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages Sicherheit leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der verklagten Bank Ersatz für eine irrtümlich ausgeführte Doppelüberweisung.

Die Mitarbeiterin R. der Rechtsvorgängerin der Klägerin beauftragte den Mitarbeiter L. der Beklagten telefonisch mit der Durchführung einer Blitzüberweisung. Die Beklagte sagte deren Ausführung zu, forderte aber zu Dokumentationszwecken durch ihren Mitarbeiter L. einen schriftlichen Überweisungsauftrag nach. In der Folgezeit wurde ein derartiger Überweisungsauftrag zusammen mit weiteren Aufträgen bei einer Filiale der Beklagten eingereicht. Nach Behauptung der Klägerin habe R. einen auf den L. lautenden Adressvermerk auf dem Überweisungsträger mittels einer Büroklammer befestigt gehabt. Eine Weiterleitung des Überweisungsauftrages an den L. erfolgte jedoch nicht. Vielmehr wurde der Überweisungsauftrag durch einen anderen Mitarbeiter der Beklagten irrtümlich erneut ausgeführt. Die Zahlungsempfängerin - die A. Spedition GmbH - befindet sich zwischenzeitlich in der Insolvenz.

Das Landgericht hat die Zahlungsklage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte überwiegend Erfolg.

Gründe:

I.

Die Klägerin, früher als J. GmbH & Co. KG firmierend und infolge Umwandlung Rechtsnachfolgerin der S. und P. GmbH, verlangt von der Beklagten die Rückzahlung einer doppelt ausgeführten Überweisung in Höhe von 51.129,19 € (100.000 DM).

Die S. und P. GmbH sowie die Beklagte standen bis vor einiger Zeit in langjähriger Geschäftsbeziehung. Hierbei waren schon in der Vergangenheit von der Beklagten Blitzüberweisungen auf telefonisch erteilten Auftrag durchgeführt worden. Am Donnerstag, den 28. Oktober oder am Freitag, den 29. Oktober 1999 erteilte die Mitarbeiterin R. der S. und P. GmbH telefonisch dem Mitarbeiter L. der Beklagten in der Hauptgeschäftsstelle F. den Auftrag, eine schnellstmöglich vorzunehmende Blitzüberweisung in Höhe von 100.000 DM zu Lasten des Geschäftskontos der S. und P. GmbH an die Firma A. Spedition GmbH auf deren Konto bei der D. Bank AG, Filiale F., zu veranlassen und diese Überweisung der D. Bank AG zugleich telefonisch zu avisieren. Der Mitarbeiter L. sagte eine Ausführung auch zu - ausweislich eines von der Beklagten vorgelegten Monatsauszuges erfolgte eine Abbuchung am 28. Oktober 1999 (B 2, Bl. 50 d. A.) -, erforderte aber noch einen unterschriebenen Überweisungsauftrag, der nachgereicht werden solle. Nach telefonischer Bestätigung der Richtigkeit der Anweisung durch Herrn K. - Mitglied der Geschäftsleitung der S. und P. GmbH - gegenüber dem Mitarbeiter L. erfolgte die telegrafische Anweisung des Betrages und die telefonische Benachrichtigung der D. Bank.

Am folgenden Montag, dem 1. November 1999, reichte die S. und P. GmbH den zur Bestätigung gedachten ausgefüllten Überweisungsauftrag zusammen mit einer Reihe weiterer Aufträge bei der Filiale R. der Beklagten in F. ein. Eine Weiterleitung des Dokuments an Herrn L. erfolgte jedoch nicht. Vielmehr wurde aufgrund des aus diesem ersichtlichen Überweisungsauftrags eine weitere Überweisung in Höhe von 100.000 DM zu Gunsten der Firma A. ausgeführt, was die S. und P. GmbH nach Durchsicht des ihr am 3. November 1999 zugegangenen Kontoauszugs feststellte. Die S. und P. GmbH und die Beklagte bemühten sich in der Folgezeit erfolglos um eine Rückzahlung des doppelt überwiesenen Betrages durch die Empfängerbank. Die Firma A. befindet sich zwischenzeitlich in der Insolvenz (AG Flensburg 56 IN 208/99). In dem Insolvenzverfahren ist die Rückforderung von 100.000 DM durch die S. und P. GmbH angemeldet worden.

Streit zwischen den Parteien besteht insbesondere darüber, ob entsprechend der Behauptung der Beklagten ihr Mitarbeiter L. ausdrücklich eine Adressierung des Überweisungsbelegs an sich verlangt habe (Beweis: Zeugnis L.) und ob - so hat es die Klägerin dargestellt - die bei der S. und P. GmbH tätige Mitarbeiterin R. an dem Überweisungsträger einen entsprechend adressierten Zettel mittels einer Büroklammer angebracht habe (Beweis: Zeugnis R.).

Das Landgericht, auf dessen Urteil hinsichtlich weiterer Einzelheiten gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat die Klage ohne Beweisaufnahme abgewiesen. Nach Eingang des schriftlichen Überweisungsbelegs habe die Beklagte davon ausgehen können, eine zweite Überweisung vornehmen zu müssen. Denn die Klägerin habe den Nachweis, dass sich der behauptete Zettel bei Eingang bei des Überweisungsträgers bei der Beklagten noch an jenem befunden habe weder erbracht noch könne sie ihn überhaupt erbringen. Auch sei nichts dafür ersichtlich, dass Anzahl und Höhe der Zahlungen außerhalb des Üblichen gelegen und der Mitarbeiter L. deshalb Rückfrage hätte halten müssen. Ohnehin schulde eine Bank im Massenverkehr keinen ausdrücklichen Hinweis auf die Gefahr einer Doppelüberweisung. Hausinterne Anweisungen oder entsprechende Eingaben in die EDV der Beklagten seien vor dem Hintergrund der Anweisung, das Formular zu Händen Herrn L. einzureichen, weder erforderlich noch im alltäglichen Geschäftsverkehr praktikabel und zumutbar.

Die Klägerin hat gegen dieses ihr am 23. März 2004 zugestellte Urteil am 15. April 2004 rechtzeitig Berufung beim Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht in Schleswig eingelegt und diese nachfolgend form- und frist gerecht wie folgt begründet:

- Entgegen der Auffassung des Landgerichts habe aus Sicht der Beklagten lediglich ein einheitlicher Überweisungsauftrag vorgelegen. Denn auch die Beklagte habe in Gestalt des Zeugen L. gewusst, dass für einen weiteren Überweisungsauftrag der Klägerin der Rechtsfolgewillen gefehlt habe.

- Ungeachtet dessen habe die S. und P. GmbH sich genau so verhalten, wie es die Beklagte gefordert habe. Es gehe insbesondere nicht an, das Risiko von im Bereich der Beklagten aufgetretenen Fehler einseitig auf die Klägerin zu verlagern. Dies gelte um so mehr, als seinerzeit sämtliche Unterlagen und Überweisungsaufträge über die Filiale R. abgegeben worden seien. Auch sei es der Beklagten auch ohne weiteres möglich gewesen, entsprechende Angaben in die kontoführende EDV einzugeben (Beweis: Sachverständigengutachten). Zudem sei in der Vergangenheit bei Blitzüberweisungen ähnlich verfahren worden, ohne dass jemals Probleme aufgetreten seien. Insoweit hätte die Beklagte ggf. warnen müssen.

- Außerdem habe - wie der heutige Geschäftsführer der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeführt hat - angesichts der seinerzeit hohen Verbindlichkeiten bei der Beklagten eine Überweisung in derartiger Höhe ohnehin gesondert vom Firmenkundenbetreuer oder zuständigen Sachbearbeiter der Direktion genehmigt werden müssen.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie 51.129,19 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 5. Januar 2000 zu zahlen,

hilfsweise festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den Schaden zu ersetzen, der ihr aus der Doppelüberweisung vom 1. November 1999 über 100.000 DM an die Firma A. entstanden ist bzw. entstehen wird.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil und vertieft ihr bisheriges Vorbringen wie folgt:

- Zum Zeitpunkt des Eingangs des Überweisungsträgers bei der Filiale R. habe sich an diesem kein mit einer Büroklammer befestigter Zettel befunden (Beweis: Zeugnis J.). Mit dem Mitarbeiter L. sei auch nicht die Verwendung eines Zettels abgesprochen gewesen. Vielmehr sei der Mitarbeiter L. davon ausgegangen, dass die Mitarbeiterin R. entsprechend üblichen Gepflogenheiten den Überweisungsträger ihm in einem gesonderten Umschlag mit entsprechender Adressierung zukommen lassen werde (Beweis: Zeugnis L.).

- Das Wissen des Mitarbeiters L. habe den Mitarbeitern der Filiale R. nicht zugerechnet werden können. Denn keinesfalls habe ein derartiges Wissen typischerweise aktenkundig festgehalten werden müssen (Beweis: Auskunft der Industrie- und Handelskammer; Sachverständigengutachten).

- Auch gebe es - dies hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2004 (Bl. 136 ff d.A.) und mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 12. September 2005 näher ausgeführt - im Massenverkehr für sie keine zumutbaren technischen Möglichkeiten, eine derartige Doppelüberweisung zu verhindern (Beweis: Sachverständigengutachten). Bei vorangegangenen Blitzüberweisungen im Auftrage der S. und P. GmbH habe sich die Situation anders dargestellt, weil dort über Faxaufträge (Anlagen 2-4 zum Schriftsatz der Beklagten vom 10. August 2004, Bl. 127-129 d.A.) schon ein Aktenvorgang angefallen sei. Zudem sei auch dort ein Original noch auf dem Postweg nachgesandt worden.

- Schließlich stehe der Eintritt eines ersatzfähigen Schadens noch nicht fest, weil ein ebenfalls anhängiger Rechtsstreit zwischen dem Insolvenzverwalter der A. und der durch Ausgliederung aus der J. GmbH entstandenen S. und P. Logistik GmbH vor dem Landgericht Flensburg (6 O 33/02) noch nicht entschieden sei, dort aber - was die Klägerin unter Hinweis auf ein Schreiben der S. und P. Logistik GmbH vom 21. Februar 2005 (Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 1. März 2005, Bl. 184 d.A.) und unter weiteren Darlegungen zum Ausgliederungsvorgang als bloßes Versehen ansieht - auch Ansprüche gegen die A. Spedition GmbH auf Herausgabe der fraglichen 100.000 DM aufgerechnet worden seien.

Im Übrigen wird Bezug genommen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die jeweils beigefügten Anlagen.

Der Senat hat die Akten 6 O 33/02 LG Flensburg und 56 IN 207/99 sowie 56 IN 208/99 AG Flensburg beigezogen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat überwiegend Erfolg.

Zu Recht nämlich begehrt die Klägerin im Wege der Geltendmachung eines ihr zustehenden Anspruchs (1.) von der Beklagten Ersatz für das durch Doppelüberweisung vom Konto der S. und P. GmbH als Rechtsvorgängerin der Klägerin abgebuchte und an die A. Spedition GmbH weiterüberwiesene Buchgeld (2.), allerdings gekürzt um einen den Verursachungsanteil der S. und P. GmbH angemessen berücksichtigenden Betrag und Zug um Zug um Abtretung gegen entsprechende Ansprüche der Klägerin gegen die A. Spedition GmbH (3.). Insoweit war unter Abweisung der weitergehenden Klage das Urteil des Landgerichts abzuändern und im Übrigen die Berufung zurückzuweisen.

1. Von der Berechtigung der Klägerin zur Geltendmachung der Klagforderung ist auszugehen, obwohl die durch Ausgliederung von der Klägerin - seinerzeit als J. GmbH GmbH & Co. KG firmierend - entstandene S. und P. Logistik GmbH in einem vor dem Landgericht Flensburg zu 6 O 33/02 geführten Rechtsstreit als dortige Beklagte gegenüber dem klagenden Insolvenzverwalter der A. Spedition GmbH unter anderem die Hilfsaufrechnung mit einem Herausgabeanspruch über erhaltene 51.129,19 € (100.000 DM) eingewendet hat, der auf dem diesseits streitgegenständlichen Geschehen gründet (dortige Klagerwiderung vom 28. Januar 2002, S. 9, Bl. 94 d. A.). Denn zum einen berühmt sich laut von der Klägerin vorgelegtem Schreiben der S. und P. Logistik GmbH vom 21. Februar 2005 (Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 1. März 2005, Bl. 184 d. A.) diese zwischenzeitlich nicht mehr gegenüber der A. Spedition GmbH einer derartigen Forderung und will diese auch nicht mehr vor dem Landgericht Flensburg im Wege der Hilfsaufrechnung geltend machen. Zum anderen sieht der Senat nach Vorlage der Anlage II. zum Ausgliederungsvertrag vom 28. August 2000 (UR-Nr. 340/2000 des Notars S., F., Anlage zum klägerischen Schriftsatz vom 9. Februar 2005, Bl. 180 ff d. A.) und nach Namhaftmachung der Debitoren betreffend Forderungen, die 100.000 DM übersteigen, mittels von der Klägerin vorgelegten Schreiben der B. Treuhand GmbH vom 8. August 2005 (Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 10. August 2005, Bl. 210 d. A) keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, am Verbleib der streitgegenständlichen Forderung über 100.000 DM bei der Klägerin auch nach Ausgliederung der S. und P. Logistik GmbH zu zweifeln. Denn weder gehört die A. Spedition GmbH ausweislich der vorgelegten Schreiben zum Kreis dieser Großdebitoren, noch ist die Beklagte dieser plausiblen Darlegung substantiiert entgegengetreten.

2. In der Sache bestehen bereits erhebliche Zweifel, ob nach Lage der Dinge die Beklagte nach telefonischer Veranlassung einer Blitzüberweisung von 100.000 DM an die A. Spedition GmbH den zur Bestätigung gedachten ausgefüllten Überweisungsauftrag noch überhaupt als weiteren Überweisungsauftrag ansehen durfte oder bereits auftragsrechtlich (§ 667 BGB) zur Herausgabe des Erlangten - nämlich des abgebuchten Buchgeldes - verpflichtet ist. Indessen kann diese Frage offen bleiben, weil - anders als es das Landgericht angenommen hat - die Beklagte jedenfalls schadensersatzrechtlich zur Rückerstattung verpflichtet ist, weil diese gegenüber der Rechtsvorgängerin der Klägerin die ihr die girovertragliche Nebenpflichten obliegenden Hinweis bzw. Sicherungspflichten verletzt hat. Da die Geschäftsbeziehung zwischen den Parteien dieses Rechtsstreits nicht mehr besteht, begehrt die Klägerin auch zu Recht Auszahlung und nicht nur Wiedereinbuchung.

Im Ausgangspunkt ist daran festzuhalten, dass - wie es auch in Nr. 11 Abs. 2 Muster-AGB Banken zum Ausdruck kommt - die einen Überweisungsauftrag ausführende Bank grundsätzlich nicht das Irrtumsrisiko des Kunden trägt und daher lediglich ausnahmsweise zu Rückfragen bzw. Nachforschungen verpflichtet sein kann. Gleichwohl ist es selbst unter den Bedingungen des massenhaften Anfalls von Überweisungsvorgängen als derartige Sondersituation angesehen worden, wenn etwa Empfängerbezeichnung und Namen des Kontoinhabers differierten (angenommen von OLG Jena ZIP 2001, 955 ff; offengelassen noch in BGH NJW 1989, 1754 ff). In noch stärkerem Maße ist nach Auffassung des Senats von einer zu besonderen Sorgfaltspflichten führenden Sondersituation dann auszugehen, wenn auch bankseitig vom im Massenverkehr erprobten Regelverfahren zu einem individuell abgesprochenen Verfahren übergegangen wird, ohne dass zugleich sachadäquate und zumutbare Sicherungsmechanismen veranlasst werden. So aber liegt es im hier zu beurteilenden Sachverhalt:

Zwar ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte über ihren Mitarbeiter L. nach Entgegennahme des telefonischen Auftrags zur Blitzüberweisung von der auf Seiten der S. und P. GmbH damals tätigen Mitarbeiterin R. noch die Nachreichung eines schriftlichen Überweisungsauftrages verlangte, liegt doch eine derartige schriftliche Dokumentation eines lediglich fernmündlich veranlassten Geschehens unter den heutigen Bedingungen arbeitsteilig arbeitender Betriebe im Interesse aller Beteiligten. Ebenso musste für die erwähnte Mitarbeiterin R. die Notwendigkeit erkennbar sein, eine derartige schriftliche Dokumentation dem fernmündlich abgesprochenen Geschehen gerade unter den Bedingungen der für jedermann ersichtlichen Arbeitsteiligkeit eines Bankbetriebs eindeutig zuordnen zu können, sei es durch eine dem Überweisungsauftrag hinzuzufügende schriftliche Erläuterung, sei es durch die Adressierung an einen bestimmten Empfänger, hier den Mitarbeiter L. der Beklagten. Dass die von der Mitarbeiterin R. nach Darstellung der Klägerin insoweit gewählte Verbindung eines Adresszettels mit dem Überweisungsträger allein über eine - leicht zu lösende - Büroklammer ein erhebliches Risiko in sich birgt (dazu noch unten 3.), liegt auf der Hand.

Dies ändert allerdings nichts an der Urheberschaft des Mitarbeiters L. der Beklagten dafür, dass in deren Hause ein schlichter Überweisungsauftrag zirkulieren konnte, der - gerade so, wie es dann nach Einreichung dieses Überweisungsauftrages bei der Filiale R. der Beklagten auch wahrgenommen wurde - bei einem uneingeweihten Dritten den Eindruck der Ausführungsbedürftigkeit einer Überweisung von 100.000 DM im Regelverfahren hervorrufen musste, obwohl das verwendete Formular nach der individuellen Absprache zwischen dem Mitarbeiter L. und der Mitarbeiterin R. lediglich noch Dokumentationszwecken dienen sollte. Die Irrtumsträchtigkeit schon dieses Vorgangs hätte der Mitarbeiter L. der Beklagten erkennen und bei pflichtgemäßen Handeln ausschließen müssen, so dass es auch nicht mehr auf die - vom Beklagten in dessen nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 12. September 2005 nochmals aufgeworfene - Frage ankommt, welche EDV-mäßigen Erkenntnismöglichkeiten hinsichtlich schon durchgeführter Überweisungen in gleicher Höhe der mit der Ausführung der zweiten Überweisung betraute Mitarbeiter hatte oder nicht.

Die Irrtumsträchtigkeit ausschließen können - soweit nicht auf eine im Nachhinein erfolgendend Verwendung von Überweisungsauftragsformularen besser überhaupt verzichtet wird -, hätte der Mitarbeiter L. aber schon dadurch, dass er im Rahmen der internen Akten- oder Buchführung der Beklagten für einen nicht nur ihm allein zugänglichen Vermerk gesorgt hätte, etwa "Beleg folgt" in der internen EDV oder in der internen Aktenführung. Dass dies technisch nicht machbar oder jedenfalls wirtschaftlich unzumutbar sein könnte, hat die Beklagte bereits nicht für den Senat nachvollziehbar dargetan, so dass auch nicht ihrem Begehren auf Einholung eines Sachverständigenbeweises nachzugehen war. Alternativ hätte die Beklagte durch ihren Mitarbeiter L. über eine Adressierung an ihn - den Mitarbeiter L. - hinaus auf ein den Überweisungsauftrag selbst ergänzenden und entweder auf dem gleichen Dokument selbst befindlichen oder mit diesem fest verbundenen schriftlichen Vermerk bestehen können und müssen, der den bloßen Dokumentationszweck des Überweisungsauftrages klar gestellt hätte. Dies um so mehr, als gerade ihm hätte auffallen müssen, dass anders als im Falle der bisher praktizierten Blitzüberweisungsaufträge per Fax (vgl. die vorgelegten Anlagen 2-4 zum Schriftsatz der Beklagten vom 10. August 2004, Bl. 127-129 d.A.) infolge allein des bisherigen Telefonauftrags noch kein Aktenvorgang angefallen war. Dass wenigstens derartige Vorkehrungen erforderlich gewesen wären, wird nicht zuletzt dann deutlich, wenn der Fall einer plötzlichen Erkrankung des Mitarbeiters L. bedacht wird. Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben der Prozessbevollmächtigte der Beklagten und deren instruierter Vertreter dem Senat nämlich nicht erläutern können, auf welche Weise in einem derartigen Fall ein Irrtumsrisiko bei der Beklagten ausgeschlossen worden wäre.

Demgegenüber kann die Beklagte nicht die besonderen Bedingungen von Massengeschäften und der Arbeitsteiligkeit von Großorganisationen einwenden. Soweit Massengeschäfte typischerweise Risiken in sich bergen, werden diese nämlich dort durch die standardisierte formalisierte Behandlung auf ein für alle Beteiligten vertretbares Maß vermindert. Vorstehend nahm die Beklagte jedoch nicht nur - wie bereits erwähnt -gerade von einer entsprechenden Standardisierung Abstand, so dass der hier zu beurteilende Sachverhalt dem Erscheinungsbild eines Massengeschäfts schon nicht mehr entspricht. Vielmehr unterließ sie es insbesondere, das hierdurch entstandene Sicherungsrisiko durch geeignete Maßnahmen aufzufüllen. Dies wäre jedoch auch unter den Bedingungen des arbeitsteiligen Betriebs von Großunternehmen besonders deshalb zumutbar gewesen, weil es sich um die Sicherstellung von Informationen gehandelt hätte, die sowohl nach tatsächlicher Praxis als auch dem Erwartungshorizont des Geschäftsverkehrs typischerweise aktenmäßig festgehalten werden (vgl. zur entsprechenden Diskussion beim Problem der Wissenszurechnung BGH WM 1990, 524, 525; BGH WM 1995, 1145, 1147; BGH WM 1997, 1092 f).

3. Im Rahmen des gemäß § 254 Abs. 1 BGB anzurechnenden Mitverschuldens ist der Zahlungsanspruch der Klägerin - im Rahmen einer entsprechenden Anwendung des § 254 Abs. 1 BGB auch ein Anspruch aus §§ 675, 677 BGB (BGH WM 1978, 367; BGH WM 1983, 834, 835; BGH WM 1989, 1754, 1755) - jedoch um eine Mitverschuldensquote von 1/3 zu Lasten der Klägerin zu kürzen.

Die Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldenseinteilung ergibt nämlich, dass die Beklagte zwar dadurch den überwiegenden Verursachungs- und Verschuldensanteil gesetzt hat, dass sie in Abkehr von dem standardisierten Vorgehen im Überweisungsverkehr einen Verfahrensweg gewählt hat, infolge dessen in ihrem Hause bei anderen als den ursprünglich handelnden Mitarbeitern der Eindruck eines standardisierten abzuhandelnden und auszuführenden Überweisungsauftrages hervorgerufen wurde, obwohl ein solcher längst ausgeführt und lediglich noch die Ausführung zu dokumentieren war.

Andererseits konnte dieses Risiko auch der bei der S. und P. GmbH seinerzeit handelnden Mitarbeiterin R. nicht vollständig verborgen bleiben, war doch auch dieser bewusst, dass der Überweisungsauftrag nicht nur einfach abgegeben, sondern aufgrund der bereits vorgenommenen Blitzüberweisung an den Mitarbeiter L. zu adressieren war. Erfolgt dieses aber auf der Grundlage des klägerischen Sachvortrags - den sich die Beklagte insoweit schon in ihrer erstinstanzlichen Klagerwiderung hilfsweise zu eigen gemacht hat - lediglich im Wege der gewählten "Büroklammerlösung", geht der Einsender eines derartigen Dokuments zumindest das Risiko ein, dass sich Adresse und Büroklammer lösen und nunmehr der scheinbare Überweisungsauftrag möglicherweise bei einem anderen als dem avisierten Adressaten zur Bearbeitung gelangt. Gleichwohl wiegt dieser Mitverursachungs- und Mitverschuldensanteil insgesamt geringer als derjenige der Beklagten, weil die S. und P. GmbH nicht wissen musste, dass die Beklagte in ihrem Bankbetrieb keinerlei weitere Sicherungsmaßnahmen ergriffen hatte.

Der vom Konto der S. und P. GmbH als Rechtsvorgängerin der Klägerin abgebuchte Betrag ist der Klägerin grundsätzlich ungeschmälert zu erstatten, ohne dass diese gehalten ist, sich zunächst im Insolvenzverfahren der A. Spedition GmbH zu befriedigen. Im Rahmen der nach Treu und Glauben gebotenen Vorteilsausgleichung hat die Klägerin jedoch analog § 255 BGB Zug um Zug der Beklagten ihre gegenüber der A. Spedition GmbH zustehenden Ansprüche in dem Umfange an die Beklagte abzutreten, in welchem diese der Klägerin zur Rückerstattung verpflichtet ist.

Das Zinsbegehren rechtfertigt sich aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB.

Die Nebenentscheidungen ergehen gemäß §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision hat der Senat nicht zugelassen, weil der durch die Umstände der streitgegenständlichen Individualabsprache geprägte Rechtsstreit weder grundsätzliche Bedeutung besitzt noch die Rechtsfortbildung oder die Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung eine revisionsgerichtliche Entscheidung erfordern (§ 543 Abs. 2 ZPO).



Ende der Entscheidung

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