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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 02.05.2002
Aktenzeichen: 5 U 52/01
Rechtsgebiete: BGB, AGBG


Vorschriften:

BGB § 138
AGBG § 9 II

Entscheidung wurde am 25.10.2002 korrigiert: bei Stichworte neue Zeile nach "Altfällen" entfernt
Zur Frage der Einzelverfügungsberechtigung bei einem vor dem 22.01.1991 (= Zeitpunkt der Entscheidung XI ZR 111/90 des BGH) eröffneten "Oder-Konto" von Eheleuten.
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht

Im Namen des Volkes Urteil

5 U 52/01

Verkündet am: 2. Mai 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 5. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 11. April 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht sowie die Richter am Oberlandesgericht für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck vom 2. Februar 2001 wird dieses wie folgt abgeändert:

Das Teil-Versäumnisurteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck vom 13. Dezember 1999 - 4 O 272/ 99 - bleibt insoweit aufrechterhalten, als die Beklagte und Berufungsklägerin zur Zahlung eines Betrages von 11.248,42 € (= 22.000,00 DM) nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank ab dem 29. September 1999 verurteilt wird. Im übrigen wird das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage im Verhältnis zur Beklagten zu 1) und Berufungsklägerin abgewiesen.

Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens haben die Beklagte zu 1) 1/8 der Gerichtskosten, 1/8 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin sowie 1/4 ihrer eigenen außergerichtlichen Kosten und die Klägerin 3/8 der Gerichtskosten, 3/8 ihrer eigenen außergerichtlichen Kosten sowie 3/4 der außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) zu tragen; im übrigen bleibt die Kostenentscheidung der Schlußentscheidung vorbehalten.

Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen der Klägerin zur Last.

Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Jedoch können die Beklagte zu 1) die Vollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 14.000,00 € und die Klägerin die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 4.200,00 € abwenden, wenn nicht zuvor die Klägerin oder die Beklagte zu 1) Sicherheit in jeweils gleicher Höhe leisten.

Tatbestand:

Die Klägerin, eine Sparkasse, begehrt von der Beklagten - nach Tod des erstinstanzlichen Beklagten zu 2), ihres Ehemannes, ist das insoweit anhängige Verfahren derzeit unterbrochen - den Ausgleich des Kreditsaldos, den die Klägerin für ein von den Eheleuten O bei ihr eingerichtetes "Oder-Konto" zum 16. März 1999 fällig gestellt hat. Am 12. Februar 1981 eröffneten die Eheleute O bei der Klägerin das Girokonto mit der Nr. 152.002.200 bei Vereinbarung eines Dispositionskredits in Höhe von 20.000,00 DM. Auf der von den Eheleuten O unterschriebenen "Unterschriftenkarte" heißt es u. a.:

"Die vorstehend aufgeführten Personen sollen über das Konto verfügungsberechtigt sein (einschließlich der Abgabe von Salden-Anerkenntnissen), auch soweit Verpflichtungen entstehen, und über meinen/unseren Tod und über den Tod eines Verfügungsberechtigten (Gemeinschaftskonto) hinaus."

Der eingeräumte Dispositionsrahmen war spätestens ab November 1998 ausgeschöpft, wurde in der Folgezeit erheblich überschritten und betrug schon ausweislich des Mahnschreibens vom 23. November 1998 69.627,00 DM und zum Zeitpunkt der Kündigung durch die Klägerin mit Schreiben vom 16. März 1999 79.484,05 DM sowie per 28. September 1999 82.483,69 DM (K 5, Bl. 20 d. A.).

Nach Erlaß eines klagstattgebenden Versäumnisurteils und rechtzeitigem Einspruch der Beklagten hat die Klägerin beantragt,

dieses Teilversäumnisurteil aufrechtzuerhalten.

Die Beklagte hat beantragt,

unter Aufhebung des Versäumnisurteils die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, jedenfalls schon seit Anfang Januar 1998 geschäftsunfähig gewesen zu sein (sachverständiges Zeugnis Dr. L, Sachverständigengutachten) und macht geltend, deswegen habe sie - weder aus überziehenden Verfügungen noch aus Saldoanerkenntnissen - verpflichtet werden können.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, da die möglicherweise gegebene eigene Geschäftsunfähigkeit der Beklagten nicht einer wirksamen Verpflichtung durch den zu ihrer Vertretung befugten Ehemann entgegenstanden habe.

Hiergegen richtet sich die - nach Gewährung von Prozesskostenhilfe und Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand - eingelegte Berufung der Beklagten:

- Soweit Abänderung des landgerichtlichen Urteils über den Umfang der Inanspruchnahme des Kontos in Höhe des eingeräumten Dispositionskredits hinaus beantragt werde, könne die Bevollmächtigung des Ehemannes durch sie jenen nicht schrankenlos zu Verfügungen berechtigt haben. Auch habe die Klägerin sie über derartige Überschreitungen nicht unterrichtet.

- Selbst wenn sie Kontoauszüge erhalten hätte, hätte sie hieraus spätestens ab März 1997 wegen fortschreitender Alzheimer-Erkrankung - insoweit ist für die Beklagte mit Beschluß des Amtsgerichts Oldenburg vom 9. Februar 2000 eine Betreuung eingerichtet worden - aber keine Schlußfolgerungen mehr ableiten können.

- Angesichts ihrer geringen Renteneinkünfte (Witwenrente) sei ihre Inanspruchnahme schließlich auch sittenwidrig.

Die Beklagte zu 1) beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage unter Aufhebung des Teilversäumnisurteils der 4. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck vom 20. Dezember 1999 insoweit abzuweisen, als die Beklagte zu 1) verurteilt worden ist, an die Klägerin mehr als 20.000,00 DM nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank ab 29. September 1999 zu zahlen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil und macht insbesondere geltend, daß die ab 1991 ergangene einschlägige BGH-Rechtsprechung nicht auf den bereits 1981 geschlossenen Kontoführungsvertrag angewendet werden dürfe.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten hat im wesentlichen Erfolg, so daß das landgerichtliche Urteil mit der Folge einer Verurteilung der Beklagten zu einem Betrag in Höhe von lediglich 22.000,00 DM zzgl. Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank seit dem 29. September 1999 abzuändern war.

Denn zu Unrecht nimmt die Klägerin die Beklagte hinsichtlich des mit der Klage im ersten Rechtszug geltend gemachten überschießenden Betrages auf Ausgleich der von ihrem verstorbenen Ehemann vorgenommenen Belastungen des ehemaligen gemeinschaftlichen Kontos bei der Klägerin in Anspruch.

Zwar hatte das fragliche Konto zum Zeitpunkt der Kündigung der Klägerin mit Schreiben vom 16. März 1999 einen Negativsaldo in Höhe von 79.484,05 DM aufgewiesen, der sich zzgl. weiterer Zinsen per 28. September 1999 zu einem ausstehenden Kreditsaldo in Höhe von 82.483,69 DM weiterentwickelt hatte, ohne daß ein Widerspruch der Beklagten gegen ihr zuvor zugegangene periodische Saldenabrechnungen zu verzeichnen gewesen wäre. Ungeachtet dessen, ob der Beklagten überhaupt periodische Saldenmitteilungen zugegangen sind, könnte die Klägerin aus einem fehlenden Widerspruch der Beklagten jedoch selbst vor dem Hintergrund der in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen bzw. Ziffer 7 Abs. 3 Muster-AGB der Sparkassen (vgl. Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch, 30. Aufl., S. 1442) vereinbarten Genehmigungsfiktion nichts zu ihren Gunsten herleiten. Denn diese Genehmigungsfiktion führt hinsichtlich der Richtigkeit vorangegangener Einzelbuchungen zwar zu einer Umkehr der Darlegungs- und Beweislast, kann aber - wie bereits ein Vergleich zu den von Rechtsprechung und Lehre zum kaufmännischen Bestätigungsschreiben entwickelten Grundsätzen zeigt - keinesfalls dazu dienen, sachlich und rechtlich eindeutige Fehlbuchungen nachträglich zu legitimieren (vgl. nur Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechtshandbuch I., 2. Aufl., Rn. 27, 29 zu § 12 m. w. N.). So aber liegt der Fall hier, da die bei Einrichtung des "Oder-Kontos" von den Eheleuten O untereinander eingeräumte Einzelverfügungsberechtigung den jeweils Verfügenden bei zutreffender Auslegung nur zu Verfügungen im banküblichen Rahmen ermächtigte, diesen Rahmen die Überschreitung des ursprünglich in Höhe von 20.000 DM eingeräumten Dispositionskredits um Mehr als das Doppelte aber eindeutig überschritt.

Was die Beschränkung der Einzelverfügungsberechtigung anbelangt, ist der Klägerin zwar zuzugeben, daß sich - anders als bei den heute üblichen Formularanträgen auf Eröffnung von Oder-Konten (vgl. das Muster bei Schimansky/Bunte/ Lwowski, a. a. O., Anh. 1 zu § 35) - die Vereinbarung einer derartigen Beschränkung nicht bereits den Formulierungen der von den kontoeröffnenden Eheleuten O unterschriebenen "Unterschriftenkarte" entnehmen läßt und eine höchstrichterliche Klärung der Problematik erst mit Entscheidung des BGH vom 22. Januar 1991 (-XI ZR 111/90 - ,NJW 1991, 923 ff.) erfolgte, während die Kontoeröffnung bereits am 12. Februar 1981 vorgenommen wurde. Gleichwohl wurde bereits zuvor schon eine nach Treu und Glauben vorzunehmende einschränkende Auslegung der formularmäßig vereinbarten Einzelverfügungsberechtigungen durchaus befürwortet, so etwa in der bankrechtlichen Literatur von Liesecke (WM 1969, 549, 553 f.: "Vorübergehendes Überziehen des Kontos ..., wie es von den Banken ohne besondere Kreditvereinbarung in begrenztem Umfang gelegentlich zugelassen wird") oder in der Rechtsprechung etwa durch das OLG Köln (ZIP 1980, 979, 980: "Überziehungen innerhalb gewisser Grenzen") bzw. später das OLG Nürnberg (ZIP 1990, 1558, 1559: bis zum Dreifachen des Monatseinkommen). Kam die erwähnte Entscheidung des BGH auch für die seinerzeitige Bankpraxis daher kaum überraschend, so kann außerdem unter Aspekten des Vertrauensschutzes von einer unzulässigen rückwirkenden Anwendung einer später ergehenden Rechtsprechung insbesondere dann nicht die Rede sein, wenn die Haftung des mitverpflichteten Teils zu einer im Sinne des § 9 Abs. 2 AGBG unangemessenen oder im Sinne des § 138 BGB sittenwidrigen Risikoverteilung führen würde (ebenso Schimansky, WM 2001, 1898, 1890). Von einer derartigen Qualität der Inanspruchnahme ist aber auch für den vorliegenden Fall vor dem Hintergrund auszugehen, daß die Klägerin bei ihrer seinerzeitigen Entscheidung den Eheleuten O eigentlich nur einen Dispositionskredit von 20.000,00 DM einräumen wollte und die Beklagte daher nur im Wesentlichen mit dessen Ausschöpfung rechnen musste, nicht aber mit einem weitere Überziehungen duldenden Verhalten der Klägerin, welches bei fehlender Stellung neuer Sicherheiten und Versterben des Ehemannes sämtliche Risiken ihr auferlegen würden.

War die Inanspruchnahme der Beklagten damit im Wege der einschränkenden Auslegung der ihrem Ehemann eingeräumten Einzelverfügungsberechtigung auf das Ausmaß einer Kontoüberziehung "im banküblichen Rahmen" zu beschränken, so hat der Senat keine Bedenken, dieses Ausmaß im Anschluß an die heutige Praxis auf einen Betrag von 10 % über dem Volumen des eingeräumten Überziehungskredits (vgl. Schimansky/Bunte/Lwowski, a. a. O., Anm. 3 des Anhangs 1. zu § 35) zzgl. weiter laufender Zinsen zu begrenzen und daher - unter entsprechender Abänderung des landgerichtlichen Urteils - dem eingeschränkten Berufungsbegehren der Beklagten im Wesentlichen stattzugeben.

Die Revision hat der Senat nicht zugelassen, da die Fragen der Reichweite der Einzelverfügungsberechtigung im wesentlichen als geklärt anzusehen sind und daher die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Rechtsfortbildung eine Entscheidung durch den Bundesgerichtshof erfordern (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Die übrigen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91, 92, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

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