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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 09.02.2004
Aktenzeichen: 5 W 4/04
Rechtsgebiete: InsO, AnfG, ZPO


Vorschriften:

InsO § 93
AnfG § 17 I
ZPO § 240
1. Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach Anhängigkeit, aber vor Rechtshängigkeit einer Klage hindert deren Zustellung nicht. Mit Rechtshängigkeit ist das Verfahren jedoch unterbrochen.

2. Die persönliche Nachhaftung ausgeschiedener Gesellschafter (§ 93 InsO) kann während des Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter selbst geltend gemacht werden. Eine "modifizierte Freigabe" durch Ermächtigung eines Gesellschaftsgläubigers zur Fortführung eines unterbrochenen Rechtsstreits ist nicht möglich.


Beschluss

In dem Rechtsstreit

hat der 5. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig am 9. Februar 2004 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Beklagten gegen den die Unterbrechung des Rechtsstreits feststellenden Beschluss des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck vom 9. Januar 2004 - 5 O 124/03 - wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach einem Gegenstandswert von 22.045,99 € zu tragen.

Tatbestand:

Die Klägerin ist Gläubigerbank einer Kommanditgesellschaft auf Aktien, die nach Eingehung der streitgegenständlichen Darlehensverbindlichkeiten in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde. Mit am 7. März 2003 bei Gericht eingegangener Klagschrift nahm sie den Beklagten als früheren Komplementär aus dem Gesichtspunkt gesellschaftsrechtlicher Nachhaftung in Anspruch. Vor Zustellung der Klagschrift am 16. April 2003 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der zwischenzeitlichen AG eröffnet, was dem Gericht erst wesentlich später mitgeteilt wurde. Die Klägerin hat daraufhin seine Klage auf Zahlung an den Insolvenzverwalter umgestellt und ein Schreiben vorgelegt, laut dessen dieser die Klägerin zur Führung des Rechtsstreits in Prozessstandschaft "ermächtige". Der Beklagte hält das Verfahren weder für wirksam unterbrochen noch die Ermächtigung für wirksam, sondern meint, dass die Klage schon jetzt als unzulässig abgewiesen werden müsse.

Das Landgericht hat im Beschlusswege die Unterbrechung des Verfahrens festgestellt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beklagten hatte keinen Erfolg.

Gründe:

Die gemäß §§ 252, 567 ff. ZPO als sofortige Beschwerde zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg, da das Landgericht in dem angegriffenen Beschluss zu Recht die Unterbrechung des Rechtsstreits festgestellt hat.

1. Im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH WM 2003, 159 f. = ZIP 2003, 39; s. auch bereits OLG Stuttgart BB 2002, 2086, 2088) geht auch der Senat davon aus, dass bei Geltendmachung von § 93 InsO unterliegenden Ansprüchen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 1 AnfG zur Unterbrechung des Rechtsstreits führt. Dass § 93 InsO auch die - nicht untergegangene - Nachhaftung von Gesellschaftern betrifft, die aus einer umgewandelten Vorgängergesellschaft der Insolvenzschuldnerin ausgeschieden sind, erscheint dem Senat als hinreichend gesichert (vgl. auch Hirte in Uhlenbruck, 12. aufl., Rn. 11 zu § 93 InsO).

Was allerdings die zeitliche Vorwirkung dieser Unterbrechung anbelangt, gehen sowohl § 17 Abs. 1 AnfG als auch die Interpretation zu § 240 ZPO (vgl. nur Stein/Jonas-Roth, 21. Aufl., Rn. 6 zu § 240 ZPO; MünchKomm-InsO-Schumacher, Rn. 42 vor §§ 85-87 InsO) davon aus, dass die Unterbrechungswirkung nicht nur die Anhängigkeit, sondern auch die Rechtshängigkeit und damit die Entstehung eines Prozessrechtsverhältnisses voraussetzt. Soweit § 85 Abs. 1 S. 1 InsO bereits die Aufnahme "anhängiger" Rechtsstreitigkeit durch den Insolvenzverwalter gestattet, ist dies kein Widerspruch, sondern aus der anders gearteten Perspektive - nämlich der Definition von Handlungskompetenzen des Insolvenzverwalters - zu erklären. Soweit - wie vorliegend der Fall - das Insolvenzverfahren zwischen Eingang der Klagschrift bei Gericht (7. März 2003, "Anhängigkeit") und Zustellung der Klagschrift an den Beklagten (16. April 2003, "Rechtshängigkeit") eröffnet wurde, nämlich am 26. März 2003 (Beschluss des Amtsgerichts Hamburg 67b IN 318/02, K 25, Bl. 70 f. d. A.), war die Zustellung der Klagschrift somit im Sinne der Bewirkung von Rechtshängigkeit wirksam (i. E. ebenso MünchKomm-InsO-Schumacher, Rn. 42 a. a. O.).

Gleichwohl kann sowohl § 240 ZPO als auch § 17 Abs. 1 AnfG nichts dafür entnommen werden, dass die angeordneten Unterbrechungswirkungen nicht ab Rechtshängigkeit eintreten könnten. Derartiges folgt auch nicht etwa daraus, dass - nach Insolvenzeröffnung in Konsequenz des § 93 InsO - die Klägerin schon von Gesetzes wegen nicht mehr prozessführungsbefugt und deshalb die Klage zunächst unzulässig war. Denn zum einen liegt es gerade im Normzweck der Unterbrechungsvorschriften, dem nunmehr allein prozessführungsbefugten Insolvenzverwalter unter Vermeidung eines Prozessurteils die Aufnahme des Rechtsstreits zu ermöglichen; die Unterbrechungswirkung setzt keineswegs die Zulässigkeit der Klagerhebung voraus. Zum anderen ist es auch in anderen Zusammenhängen häufig der Fall, dass eine zunächst unzulässige oder unbegründete Klage im Verlaufe eines Rechtsstreits durch Veränderung der tatsächlichen Umstände zulässig oder unbegründet wird und umgekehrt. Allein für die Prozessvoraussetzung der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts als enthält § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO eine nicht verallgemeinerungsfähige Sonderregelung.

2. Ist daher im Anschluss an das Landgericht grundsätzlich von der Unterbrechung des Rechtsstreits ab Rechtshängigkeit auszugehen, so hat die Unterbrechung auch nicht durch Aufnahme des Rechtsstreits durch eine prozessführungsbefugte Partei geendet. Hinsichtlich des Insolvenzverwalters folgt dies schon daraus, dass dem von der Klägerin eingereichten Schreiben dieses Insolvenzverwalters vom 23. September 2003 (K 24, Bl. 69 d. A.) bisher gerade nicht eine eigene Aufnahme des Rechtsstreits durch den Insolvenzverwalter als Partei kraft Amtes entnommen werden kann, sondern nur eine "Ermächtigung" des Klägers zur Prozessführung. Aber auch von deren Erteilung in zulässiger Weise kann nicht ausgegangen werden: Zwar müsste der Klägerin für eine damit bewirkte gewillkürte Prozessstandschaft noch nicht zwingend das erforderliche schutzwürdige eigentliche rechtliche Interesse abgesprochen werden (vgl. in neuerer Zeit BGHZ 100, 217 ff.), weil und soweit sie Ansprüche geltend macht, die ungeachtet des § 93 InsO eigene Ansprüche darstellen. Jedoch muss die entsprechende Anwendung von § 17 Abs. 1 AnfG letztlich insoweit mit dem Regelungsgehalt von § 240 ZPO übereinstimmend interpretiert werden, dass hier wie hier wie dort zur Beendigung der Unterbrechung darauf abzustellen ist, ob das Verfahren "nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen oder das Insolvenzverfahren beendet" worden ist (§ 240 ZPO).

Insoweit hat aber das Landgericht völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass weder § 93 InsO noch §§ 16, 17 AnfG im Gegensatz etwa zu § 85 Abs. 2 InsO keine Regelung über eine "Freigabe" enthalten. Auch eine sog. "modifizierte Freigabe" - also die Geltendmachung von Ansprüchen in gewillkürter Prozessstandschaft für den Insolvenzverwalter kann aber die Insolvenzmasse beeinträchtigen, da der Insolvenzverwalter über die Verfahrenseinleitung durch Ermächtigung hinaus die Art und Weise der Prozessführung lediglich im Innenverhältnis bestimmen kann. Regelungsziel bei Einführung des § 93 InsO war es jedoch, im Interesse der Gläubigergesamtheit die Geltendmachung der persönlichen Haftung - oder auch Nachhaftung - der Gesellschafter der Insolvenzschuldnerin beim Insolvenzverwalter zu konzentrieren. Dies liegt insoweit auch zugleich im Interesse persönlich haftenden Gesellschafter, als der Verwalter selbstverständlich keine Zahlungen einfordern kann, die über den zur Befriedigung aller Insolvenzgläubiger unter Berücksichtigung der vorhandenen Masse erforderlichen Betrag hinausgehen (vgl. auch BT-Drs. 12/2443, Einzelbegründung zu § 105 InsO-E). Angesichts dieses Konzentrations- und Regulierungsziels wäre es Sache des Gesetzgebers gewesen, eine Freigabebefugnis sowie deren Ausmaß anzuordnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Wertfestsetzung (1/5 des Hauptsachestreitwertes) beruht auf §§ 12 Abs. 1 GKG, 3 ZPO.



Ende der Entscheidung

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