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Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 08.07.2000
Aktenzeichen: 6 U 13/00
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 717 Abs. 3. |
SchlHOLG, 6. ZS, Urteil vom 08. Juli 2000, - 6 U 13/00 -
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil
6 U 13/00 4 O 121/99 Landgericht Lübeck
Verkündet am: 8. Juli 2000
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
In dem Rechtsstreit
1.
2.
Beklagte und Berufungskläger,
gegen
Klägerin und Berufungsbeklagte,
hat der 6. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 27. Juni 2000 durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts und die Richter am Oberlandesgericht und für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 29. Oktober 1999 verkündete Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck - 4 O 121/99 - wird zurückgewiesen.
Die Beklagten tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagten dürfen die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 95.000 DM abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Wert der Beschwer beträgt 76.912,62 DM.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Erstattung von Beträgen aus § 717 Abs. 3 ZPO in Anspruch.
Die Beklagten erwirkten gegen die Klägerin beim Landgericht Stralsund einen gegen Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärten Zahlungstitel über 170.356,62 DM Architektenhonorar nebst Zinsen. Auf die Berufung der Klägerin änderte das Oberlandesgericht Rostock das Urteil teilweise ab und faßte es unter teilweiser Zurückweisung des Rechtsmittels dahingehend neu, dass die Klägerin an die Beklagten 71.959,35 DM nebst Zinsen zu zahlen hatte. Das Urteil wurde gemäß § 708 Nr. 10 ZPO für vorläufig vollstreckbar erklärt.
Die Klägerin zahlte per Banküberweisung an die Beklagten am 03.04.1996 71.959,35 DM unter Angabe des Verwendungszwecks, "AZ ..." und am 03.05.1996 weitere 4.960,27 DM unter Angabe des Verwendungszwecks "AZ ... Zinsen", nachdem die Beklagten die Vollstreckung angekündigt hatten.
Am 05.06.1997 wurde das Urteil des OLG Rostock auf die Revision der Beklagten hin aufgehoben, soweit zu deren Nachteil erkannt worden war, und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen, wo sie noch anhängig ist.
Die Klägerin forderte die Beklagten am 08.12.1998 ergebnislos unter Fristsetzung auf den 22.12. auf 76.919,62 DM zurückzuzahlen.
Die Klägerin hat behauptet, sie habe die beiden an die Beklagten geleisteten Beträge zur Abwendung der Zwangsvollstreckung gezahlt und hat beantragt,
die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die Klägerin 76.919,62 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 23.12.1998 zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
den Rechtsstreit gemäß § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Rechtsstreits vor dem Oberlandesgericht Rostock auszusetzen.
Die Beklagten haben im Hinblick auf den vor dem Oberlandesgericht Rostock noch anhängigen Rechtsstreit anderweitige Rechtshängigkeit eingewendet und haben behauptet, die Klägerin habe freiwillig geleistet.
Die Beklagten haben gemeint, sie seien nicht ungerechtfertigt bereichert, sondern hätten die Zahlungen aufgrund der vorläufigen Vollstreckbarkeit des vom Oberlandesgericht aufrechterhaltenen landgerichtlichen Urteils erlangt. Vorsorglich haben die Beklagten schließlich die Einrede der Entreicherung erhoben, weil sie als Gegenleistung für die Zahlungen für die Klägerin Architektenleistungen erbracht hätten.
Das Landgericht hat die Beklagten aus § 717 Abs. 3 ZPO zur Zahlung verurteilt; soweit das Landgericht im Tenor statt der ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 28.09.1999 (Bl. 62 d. A.) beantragten 76.919,62 DM nur 76.912,62 DM aufgeführt hat, beruht das offensichtlich auf einem Irrtum.
Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens und der Entscheidungsgründe wird auf den Inhalt des angefochtenen Urteils (Bl. 74-76 d. A.) einschließlich der darin in Bezug genommenen Schriftsätze verwiesen.
Gegen das ihnen am 29.11.1999 zugestellte Urteil haben die Beklagten am 28.12.1999 Berufung eingelegt und diese am 18.04.2000 begründet, nachdem die Berufungsbegründungsfrist zuletzt bis zum 28.04.2000 verlängert worden war.
Die Beklagten machen geltend, die Zahlungen seien nicht zur Abwendung der Vollstreckung, sondern als Erfüllung des materiell-rechtlichen Anspruchs der Klägerin erfolgt.
Sie, die Beklagten, seien nicht ungerechtfertigt bereichert, da das nach wie vor existierende Urteil des Landgerichts Stralsund den Rechtsgrund für das Behaltendürfen der gezahlten Beträge bilde.
Hilfsweise erklären die Beklagten gegenüber dem Klaganspruch die Aufrechnung mit dem Zahlungsanspruch gegen die Klägerin aus dem Urteil des Landgerichts Stralsund.
Soweit die Beklagten sich schriftsätzlich auch noch auf eine Sicherheitsvollstreckung gemäß § 720 a ZPO aus dem Urteil des Landgerichts Stralsund in die Forderung der Klägerin, die diesem Rechtsstreit zugrundeliegt, berufen haben, haben sie dies in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht aufrechterhalten. Ihr Prozessbevollmächtigter hat erklärt, dass dem Antrag auf entsprechende Vollstreckungsmaßnahmen noch nicht entsprochen worden sei.
Die Beklagten beantragen,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens,
die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagten einen Anspruch aus § 717 Abs. 3 Satz 2 und 3 ZPO. Danach ist der Kläger auf Antrag des Beklagten zur Erstattung des von diesem aufgrund eines Urteils eines Oberlandesgerichts gemäß § 708 Nr. 10 ZPO Gezahlten oder Geleisteten zu verurteilen, wenn das Urteil aufgehoben oder abgeändert wird; die Erstattungspflicht bestimmt sich nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung.
1. Maßgebendes Urteil eines Oberlandesgerichts gemäß § 708 Nr. 10 ZPO ist hier dasjenige des Oberlandesgerichts Rostock vom 06.03.1996. Dieses Urteil ist durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 05.06.1997 aufgehoben worden. Damit sind die Beklagten - die Kläger jenes Verfahrens - zur Erstattung des von der Klägerin - der Beklagten jenes Verfahrens - aufgrund des Urteils Gezahlten zu verurteilen.
2. Die Klägerin hat ihre beiden Anfang April und Anfang Mai 1996 geleisteten Zahlungen auch aufgrund des Urteils des Oberlandesgerichts geleistet.
Zunächst einmal sind die Zahlungen zeitlich kurz nach der Verkündung jenes Urteils erfolgt.
Zum Zweiten entsprechen die beiden Zahlungen exakt der Summe einschließlich Zinsen, in deren Höhe das Oberlandesgericht Rostock die Verurteilung durch das Landgericht Stralsund bestätigt hatte.
Zum Dritten enthalten die beiden Überweisungsträger als Verwendungszweck das Aktenzeichen des Urteils des Oberlandesgerichts Rostock.
Schließlich ist bereits im ersten Rechtszug unstreitig geworden, dass die Beklagten vor der Zahlung der Klägerin die Vollstreckung aus dem oberlandesgerichtlichen Titel angekündigt hatten, was sie auch in der Berufungsinstanz nicht bestreiten.
Selbst wenn insoweit noch Zweifel verblieben wären, ob die Klägerin zur Erfüllung des Anspruchs der Beklagten oder zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus dem für vorläufig vollstreckbar erklärten Titel geleistet hat, wäre zugunsten der Klägerin von Zahlungen zur Abwendung der Zwangsvollstreckung auszugehen. Der Bundesgerichtshof hat zu einem Fall, in dem im Anschluss an einen für vorläufig vollstreckbar erklärten Titel der Schuldner Zahlungen geleistet hatte, ausgeführt (MDR 76, 1005):
"Die Klägerin konnte die Zahlung des Urteilsbetrages nicht als endgültige Erfüllungsleistung ansehen, weil die Verurteilung vorläufig vollstreckbar, aber noch nicht formell rechtskräftig war. Das erstinstanzliche vorläufig vollstreckbare Leistungsurteil mit dem darin enthaltenen Leistungsbefehl an den Beklagten war somit zum Zeitpunkt der Zahlung noch nicht endgültig, sondern stand unter der auflösenden Bedingung der Urteilsaufhebung in der Rechtsmittelinstanz. Die Klägerin mußte daher von der Möglichkeit ausgehen, dass der Beklagte mit seiner Zahlung des Urteilsbetrages nur einem vorläufigen, jedoch mit staatlicher Zwangsgewalt durchsetzbaren Leistungsbefehl nachkommen und entsprechend auf diesen vorläufigen Vollstreckungstitel nur vorläufig zahlen wollte....".
3. Liegen somit die Voraussetzungen für den Anspruch aus § 717 Abs. 3 Satz 2 und 3 ZPO vor, bestimmt sich die Erstattungspflicht der Beklagten nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung.
Die Beklagten dürfen die Beträge entgegen ihrer Auffassung nicht im Hinblick auf das Urteil des Landgerichts Stralsund behalten, weil die in ihm ausgesprochene Verurteilung keinen Rechtsgrund darstellt. Abgesehen davon, dass die Klägerin im Zusammenhang mit ihren Zahlungen klargemacht hat, dass sie auf das Urteil des Oberlandesgerichts und nicht auf dasjenige des Landgerichts zahlt, bliebe für die Anwendung des § 717 Abs. 3 ZPO praktisch kein Raum, wenn der Schuldner dieses Anspruchs sich erfolgreich darauf berufen könnte, dass es neben dem aufgehobenen Berufungsurteil noch das erstinstanzliche Urteil gebe. Wenn die Zahlung aufgrund des Berufungsurteils erfolgt ist, ist es dem Zahlungsempfänger verwehrt, sich gegenüber einem Anspruch aus § 717 Abs. 3 ZPO auf andere (Rechts-)Gründe zu berufen.
4. Die hilfsweise von den Beklagten geltend gemachte Aufrechnung mit ihrem Zahlungsanspruch aus dem landgerichtlichen Urteil ist unzulässig; auf die Frage, ob die Verhandlung gemäß § 148 ZPO bis zur rechtskräftigen Entscheidung des vor dem Oberlandesgericht Rostock noch anhängigen Rechtsstreits über die Forderung der Beklagten auszusetzen ist, kommt es nicht an.
Zwar sind gegenüber dem Anspruch aus § 717 Abs. 3 ZPO grundsätzlich diejenigen materiell-rechtlichen Einreden und Einwendungen zulässig, die auch bei einem Anspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO zulässig sind. Das bedeutet, dass grundsätzlich auch eine Aufrechnung mit der Forderung, deren Vollstreckung angedroht worden war, als rechtshindernder Einwand in Betracht kommt, wenn die Ersatzforderung selbstständig eingeklagt wird (vgl. Stein/Jonas/Münzberg, 21. Auflage, RdZiff. 55 und 34 zu § 717 ZPO m. w. N.). Der Senat folgt jedoch der Auffassung des Bundesgerichtshofs (NJW 97 2601), wonach materiell-rechtliche Einwendungen gegen den Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO nur zulässig sind, wenn sie mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift, nämlich dem Vollstreckungsschuldner bezüglich dieses Teils seines Schadens sofortigen Ersatz zu sichern, vereinbar sind. Mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift, dem Vollstreckungsschuldner die umgehende Erstattung seiner Leistung zur Abwendung der Vollstreckung zu sichern, sobald dem Vollstreckungsgläubiger nicht mehr das Privileg eines vorläufigen Titels zur Verfügung steht, ist es nicht zu vereinbaren, gegen die entsprechende in einem gesonderten Verfahren geltend gemachte Schadensersatzforderung die Aufrechnung mit dem streitigen Klageanspruch des Parallelprozesses zuzulassen. Anderenfalls müßte der Gläubiger der Schadensersatzforderung auf den Ausgleich seines Vollstreckungsschadens bis zur rechtskräftigen Entscheidung darüber warten, ob die zur Aufrechnung gestellte Forderung besteht. Da diese Forderung Gegenstand des Parallelprozesses ist, besteht die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen in den beiden Rechtsstreiten, so dass der Schadensersatzprozess bis zur endgültigen Erledigung des Parallelprozesses gemäß § 148 ZPO ausgesetzt werden müßte. Ein solcher Aufschub des Schadensausgleichs würde den von § 717 Abs. 2 ZPO bezweckten Schutz des Vollstreckungsschuldners aushöhlen und das Interesse des Vollstreckungsgläubigers einseitig bevorzugen. Der Vollstreckungsgläubiger könnte mit der Aufrechnung den Schadensersatz bis zum rechtskräftigen Abschluss des Parallelprozesses hinausschieben; bis dahin trüge der Vollstreckungsgläubiger nicht das Risiko einer Insolvenz des Vollstreckungsschuldners, weil er sich gleichsam die Vorteile eines Arrestes oder einer Hinterlegung gesichert hätte (BGH a. a. O.).
Diese zu § 717 Abs. 2 ZPO entwickelten Grundsätze lassen sich ohne weiteres auf die Anspruchsgrundlage des § 717 Abs. 3 ZPO übertragen. Der Sinn und Zweck der Vorschrift des Absatz 3 entspricht nämlich derjenigen des Absatz 2. Der Unterschied der Regelung in Abs. 3 besteht lediglich darin, dass das Vertrauen auf die Richtigkeit von oberlandesgerichtlichen Urteilen privilegiert wird, indem dem Vollstreckungsschuldner kein Schadensersatzanspruch, sondern lediglich ein Erstattungsanspruch, der nach den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung abzuwickeln ist, zugestanden wird.
Nach alledem ist die Berufung mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Die übrigen Nebenentscheidungen ergeben sich aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 546 Abs. 2 Satz 1 ZPO.
Ende der Entscheidung
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