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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 01.10.2002
Aktenzeichen: 6 W 32/02
Rechtsgebiete: ZPO, EEG


Vorschriften:

ZPO § 568 S. 1 n. F.
EEG § 3
1. Der Vorsitzende der Kammer für Handelssachen ist nicht Einzelrichter i. S. v. § 568 S. 1 ZPO n. F.

2. Zum Inhalt der Anschlusspflicht des Anlagenbetreibers gem. § 3 Abs. 1 Erneuerbare Energien Gesetz (EEG)


6 W 32/02

Beschluss

In dem Rechtsstreit

hat der 6. Zivilsenat des Schleswig- Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig durch die Präsidentin des Oberlandesgerichts sowie die Richter am Oberlandesgericht und am 01. Oktober 2002 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen I des Landgerichts Itzehoe vom 21. Juni 2002 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach einem Beschwerdewert von bis zu 13.000,- €.

Gründe:

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

A. Zur Entscheidung über die Beschwerde ist der Senat berufen und nicht gemäß § 568 S. 1 ZPO n. F. der (originäre) Einzelrichter der Beschwerdeinstanz, denn die angefochtene Entscheidung hat nicht ein Einzelrichter im Sinne von § 568 S. 1 ZPO n. F. erlassen, sondern der Vorsitzende der Kammer für Handelssachen. Diesen bezeichnet das Gesetz gerade in Hinblick auf Rechtsmittel nicht als Einzelrichter, wenn es im § 350 ZPO ausdrücklich zwischen Entscheidungen des Einzelrichters (§§ 348, 348 a ZPO) und solchen des Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen (§ 349 ZPO) unterscheidet. Auch im übrigen nimmt der Vorsitzende der Kammer für Handelssachen eine besondere Position ein (§§ 136, 272 Abs. 2, 275, 276 ZPO, 176, 194 GVG; mit entsprechender Begründung ebenso OLG Karlsruhe, NJW 2002, 1962; anderer Auffassung - allerdings ohne jegliche Begründung - Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 568 Rn. 2 und Thomas-Putzo-Reichold, ZPO, 24. Aufl., § 568 Rn. 2).

B. Die Zulässigkeit des Rechtsmittels ergibt sich aus den §§ 91a Abs. 2 S. 1, 567, 569 ZPO.

C. Die sofortige Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, da das Landgericht nach § 91a Abs. 1 ZPO der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits zu Recht auferlegt hat.

Nach dieser Vorschriften entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen über die Kosten des Rechtsstreites unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes, wenn die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben. Dabei ist im Allgemeinen zu berücksichtigen, welche Partei im Falle einer streitigen Entscheidung zur Hauptsache voraussichtlich obsiegt hätte bzw. unterlegen wäre (Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 91 a Rn. 24).

Die Beklagte wäre bei einer streitigen Entscheidung in der Hauptsache voraussichtlich unterlegen.

I. Die Beklagte war passivlegitimiert.

Ein Beklagter ist passivlegitimiert, wenn sich der materielle Anspruch gegen ihn richtet (Thomas-Putzo-Reichold, a.a.O., vor § 253 Rn. 39), er also Schuldner des Klaganspruches ist. ( Zöller/Greger, a.a.O., vor § 253 Rn. 25)

Der Anspruch der Klägerin aus § 3 Abs. 1 EEG richtete sich gegen die Beklagte.

Nach § 3 Abs. 1 EEG ist der Netzbetreiber verpflichtet, Anlagen zur Erzeugung von Strom aus Windkraft i.S.d. § 2 EEG an sein Netz anzuschließen, wenn dieses technisch für die Aufnahme geeignet ist und zu seinem Netz die kürzeste Entfernung vom Standort der Anlage aus besteht.

1. Die Beklagte ist i.S.d. §§ 2, 3 EEG Netzbetreiberin, da sie als Elektrizitätsversorgungsunternehmen ein Netz für die allgemeine Versorgung betreibt. (Vgl. Salje, EEG, 2. Aufl., § 3 Rn. 11)

2. Ihr Netz war auch technisch für die Aufnahme geeignet.

Denn die Beklagte hat nicht entsprechend ihrer Darlegungs- und Beweislast schlüssig darlegen können, daß eine Einspeisung in ihr Netz technisch nicht möglich war.

Der Netzanbieter muß nämlich die nicht vorhandene technische Eignung seines Netzes darlegen und wegen der Schutzrichtung sowie des Förderzwecks des EEG auch voll beweisen. (vgl. Brandt/ Reshöft/ Steiner, EEG, 1. Aufl., § 3 Rn. 15; Salje, a.a.O., § 3 Rn. 14) Insofern wird widerleglich vermutet, daß das Netz technisch geeignet ist. Der Netzanbieter hat die Möglichkeit die Vermutung zu widerlegen, indem er schlüssig nachweist, daß dem von ihm betriebene Netz die technische Eignung fehlt, um Elektrizität aus Windkraftanlagen aufzunehmen, oder die Windkraftanlage selbst von vornherein nicht die Fähigkeit besitzt, an dieses Netz angeschlossen zu werden.

Dieses ist aber der Beklagten nicht gelungen, da sie in Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast bereits nicht substantiiert genug vorgetragen hat.

a. Zu berücksichtigen ist hierbei, daß die technische Eignung zur Aufnahme von Strom bei allen in Deutschland betriebenen Stromnetzen generell vorhanden ist (Brandt/ Reshöft/ Steiner, a.a.O., § 3 Rn. 19), sofern die Gesamtkapazitäten dazu ausreichen. (Salje, a.a.O., § 3 Rn. 15) Der Gesetzgeber geht hierbei explizit im Rahmen des Vorrangprinzips davon aus, dass das Netz erst dann nicht mehr technisch geeignet ist, wenn es bereits vollständig mit Strom aus Anlagen zur Verstromung regenerativer Primärenergieträger ausgelastet ist. (BT-Drucks. 14/2776, S. 22; vgl. auch Brandt/ Reshöft/ Steiner, a.a.O., § 3 Rn. 21; Salje, Vorrang für Erneuerbare Energien, RdE 2000, S. 125, 127)

b. Die Beklagte hat hierzu ausgeführt, dass ihr Netz zwar grundsätzlich, aber durch die derzeitige starke Beanspruchung durch Windkraftanlagen nicht mehr technisch geeignet gewesen sei, zusätzliche Windkraftanlagen an das Netz anzuschließen. Ihr eigenes Netz in Form des Verteilungsnetzes könne keine weiteren Windkraftanlagen über die derzeitigen Einspeisung von ca. 1.430 MWA technisch verkraften, da unter anderem das vorgeschaltete Netz der E GmbH keine weitergehenden Transportkapazitäten habe.

c. Zwischen den Parteien ist aber auf der anderen Seite unstreitig, daß das Netz der Beklagten, welches eine Gesamtkapazität von ca. 6.200 MWA umfaßt, zumindest eine theoretische Einspeiseleistung von 2.500 MWA hat. Insofern lag zumindest für dieses Windkraftanlagenprojekt eine Kapazität in dem betreffenden Netz der Beklagten noch vor.

Aber selbst wenn auf die Netzbegrenzung von ca. 1.400 MWA wegen des vorgelagerten Netzes der E GmbH abgestellt wird, bestand für die Beklagte dennoch die nicht ausgeschlossene Möglichkeit, weitere Anlagen i.S.d. §§ 2,3 EEG auch unter Beachtung dieser Grenze und den Sicherheitsaspekten des § 16 EnWG anzuschließen. Denn es ist möglich, dass durch technische Einrichtungen wie z.B. einer "prioritätengesteuerten Abschaltautomatik" die Netzsicherheit gewährleistet werden kann. (vgl. Salje, a.a.O., § 3 Rn. 24; Brandt/ Reshöft/ Steiner, a.a.O., § 3 Rn. 23; LG Itzehoe, ZNER 1999, S. 53 bis 57 - prioritätengesteuerte Abschaltautomatik-; LG Itzehoe, ZNER 1999, S. 75 bis 77 - Windhundprinzip-; LG Krefeld, RdE 2002, S. 109) Die zu der prioritätengesteuerten Abschaltautomatik vorgetragenen ablehnenden Argumente der Beklagten sind nicht substantiiert genug, da die Auswirkungen auf das Netz durch eine solche Abschaltautomatik wenn überhaupt nur oberflächlich und daher insgesamt unzureichend aufgezeigt worden sind. Es sind keine technischen Details und speziellen Zusammenhänge zwischen dieser Automatik und der generellen Netzsicherheit dargelegt und vertiefend ausgeführt worden. Als eine der Darlegungs- und Beweislast entsprechende Darlegung kann der pauschale Hinweis auf wechselnde Windverhältnisse als maßgebliche Problemstellung nicht ausreichen, da bei einer derart komplexen technischen Sachmaterie ein Zusammenhang zwischen wechselnden Winden, der Netzsicherheit und einer prioritätengesteuerten Abschaltautomatik nicht ohne weiteres ersichtlich ist bzw. hergestellt werden kann; dies vor allem vor dem Hinterrund, daß bereits gutachterlich festgestellt worden ist, das eine solche prioritätengesteuerte Abschaltautomatik technisch möglich und unter Sicherheits- und wirtschaftlichen Aspekten auch vertretbar ist (ausführlich LG Itzehoe, ZNER 1999, S. 53 bis 57 - prioritätengesteuerte Abschaltautomatik-). Zudem ist in Hinblick auf die prioritätengesteuerte Abschaltautomatik nicht ausgeführt worden, in welcher Weise technische Probleme bei einem Einbau dieser Automatik für die Netzsicherheit bestehen können bzw. tatsächlich bestehen.

d. Insofern kann es dahinstehen, ob die jeweiligen Netzbetreiber ihre Stromnetze entsprechend den Vorgaben des Gesetzgebers vorrangig immer mit Strom aus regenerativen Quellen speisen müssen oder ob die Vorschrift des § 3 EEG auf ein solches Maß teleologisch zu reduzieren ist, dass nur das unter Sicherheitsaspekten i.S.d. § 16 EnWG technisch mögliche Einspeisungsvolumen maßgeblich ist (siehe dazu Salje, RdE 2000, S. 125, 127 f).

3. Die Beklagte hat auch die Darlegungs- und Beweislast dahingehend, ob es für die Aufnahme der Stromanlage i.S.d. §§ 2,3 EEG ein anderes technisch geeignetes Netz gibt, welches in geographischer und in speziellen Fallkonstellationen auch in wirtschaftlicher Hinsicht (Salje, a.a.O., § 3 Rn. 16 ff; Brandt/ Reshöft/ Steiner, a.a.O., § 3 Rn. 17) besser geeignet ist. Denn dem Anlagenbetreiber fehlen zum einen in der Regel die notwendigen technischen Daten hinsichtlich der verschiedenen potentiell in Frage kommenden Netze (vgl. LG Frankfurt/Oder, ZNER 2001, 269 f und vorgehend AG Fürstenwalde, RdE 2001, 161), und zum anderen kann ihm nicht angesonnen werden, sich an verschiedene Netzbetreiber wenden zu müssen, um gegenüber diesen eventuell über mehrere Instanzen hinweg eine Verpflichtung aus § 3 EEG feststellen zu lassen.

Dieser Darlegungs- und Beweislast hat die Beklagte nicht entsprochen. Sie hat nicht bis zum Zeitpunkt der übereinstimmenden Erledigungserklärungen vorgetragen, dass ein anderes technisch geeignetes Stromnetz, sei es auch ein vorgeschaltetes Transportnetz wie das der E GmbH, zum Standort der Windkraftanlage näher liegt bzw. wirtschaftlich als geeigneter erscheint.

II. Der materielle Anspruch der Klägerin aus § 3 Abs. 1 EEG war bei der nach der übereinstimmenden Erledigungserklärung hier nur noch gebotenen summarischen Prüfung dieser schwierigen Rechtsfrage (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 91 a Rn. 26 a) direkt auf den Anschluss der Windkraftanlage und nicht nur auf den Abschluss eines Anschlussvertrages gerichtet.

1. Die Frage eines Kontrahierungszwanges war bereits beim Stromeinspeisungsgesetz umstritten, das durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz abgelöst wurde. Obgleich der Gesetzgeber den Meinungsstand kannte, hat er hierzu bei der Begründung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes nicht explizit Stellung genommen (vgl. AG Friedberg, RdE 2001, S. 198).

2. Für das EEG wird deshalb aus dieser Tatsache geschlussfolgert, dass § 3 Abs. 1 EEG ebenfalls auszulegen sei; in diesem Zusammenhang wird wie schon früher auch vertreten, dass der Stromerzeuger ausschließlich einen Anspruch auf Vertragsschluß habe, nicht hingegen eine Verpflichtung des Netzbetreibers bestehe, die Anlage ohne einen Vertrag anzuschließen (so etwa Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteile v. 17. Mai 2002 - 1 U 166/98 - und 1 U 167/98, beide nicht rechtskräftig).

3. Dieser Ansicht tritt der Senat bei der hier nur gebotenen summarischen Prüfung nicht bei (noch offen gelassen im Beschluss vom 15. März 2002 - 6 W 43/01 -).

a. Bereits der Wortlaut des § 3 Abs. 1 EEG schreibt vor, daß die Netzbetreiber "verpflichtet" sind, "Anlagen zur Erzeugung von Strom nach § 2 an ihr Netz anzuschließen...". Der Gesetzgeber spricht insofern von einer Anschlußpflicht. (BT- Drucks., 14/ 2776 S. 22 li. Sp.) Der Wortsinn von "Pflicht" bedeutet "etwas, das man zu tun hat" (Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 1980, Sp. 2835). Damit hat bereits nach dem Wortsinn der Netzbetreiber die unmißverständliche Obliegenheit, durch aktives Handeln die Anlage tatsächlich an das Netz anzuschließen. Es entsteht insofern von vornherein ein gesetzliches Schuldverhältnis, eines Vertragsschlusses bedarf es dafür nicht (vgl. Salje, Der Stromeinspeisungsvertrag, VersorgW 2002, S. 77 ff; Salje, a.a.O., § 3 Rn. 19 ff; Gent, Der gesetzliche Anspruch auf Stromeinspeisung, ZNER 2001, S. 237 f; LG Krefeld, RdE 2002, S. 109; vgl. auch Hermann, Anwendungsprobleme des Stromeinspeisungsgesetzes, S. 104 f).

b. Auch der Sinn und Zweck des "Erneuerbare-Energien-Gesetzes" erfordert ein solches gesetzliches Schuldverhältnis. Denn nach § 1 EEG dient das Gesetz dazu, im Interesse des Klima- und Umweltschutzes eine nachhaltige Entwicklung der Ernergieversorgung zu ermöglichen und den Beitrag der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung deutlich zu erhöhen. Ziel ist hierbei, den Anteil um das fünffache des bislang genutzten Anteils an der Stromgewinnung zu erhöhen (Salje, a.a.O., § 1 Rn. 5). Damit soll vor allem durch ein unverzügliches Handeln die metereologisch zunehmende nachweisbare Erwärmung der Erdatmosphäre und die weltweite Häufung von Naturkatastrophen gestoppt werden (vgl. BT- Drucks. 14/ 2776, S. 18 li. Sp.). Diesem Sinn könnten die Netzbetreiber aber zuwider handeln, sofern sie lediglich verpflichtet wären, Anschlußverträge abzuschließen. Denn sie könnten auf Grund der Komplexität der notwendigen Vertragswerke (vgl. OLG Koblenz, NJW 2000, S. 2031, 2032 f) im Rahmen langwieriger Gerichtsverfahren durch mehrere Instanzen den Anschluß hinauszögern. Daher dürfte einem Anschlußvertrag lediglich die Aufgabe der praktischen Abwicklung einer Stromeinspeisung zugeordnet werden können (vgl. LG Krefeld, RdE 2002, S. 109 f). Offen bleiben kann, ob es nach durchgeführtem Anschluß überhaupt eines solchen die praktische Abwicklung regelnden Vertrages bedarf (vgl. OLG Koblenz, NJW 2000, S. 2032, 2033 f; Hermann, a.a.O., S. 104 f).

Ende der Entscheidung

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