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Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 27.05.2004
Aktenzeichen: 7 U 146/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 833
Tierhalter ist, wer andere erlaubtermaßen der nur unzulänglich beherrschbaren Tiergefahr aussetzt; zum Begriff des Tierhalters in Rechtsprechung und Literatur.
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

7 U 146/03

In dem Rechtsstreit

hat der 7. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 27. Mai 2004 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 24. Oktober 2003 verkündete Urteil des Einzelrichters der 13. Zivilkammer des Landgerichts Kiel wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Schadensersatz mit der Begründung, das Pferd des Beklagten habe ihr Pferd verletzt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil der Beklagte nicht Tierhalter sei. Die Berufung der Klägerin mit der Begründung, der Beklagte sei Halter, weil er für die wirtschaftlichen Kosten des Pferdes für seine Tochter aufkomme und die Haftpflichtversicherung für das Pferd abgeschlossen habe, hat keinen Erfolg.

Gründe:

Es wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen. Der Senat hat zur Frage der Tierhaltereigenschaft die Parteien persönlich angehört; wegen des Ergebnisses wird auf den Inhalt des Berichterstattervermerks vom 27. Mai 2004 verwiesen.

Die Berufung der Klägerin, mit der sie die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 14.477,65 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klagzustellung begehrt, ist unbegründet; das Landgericht hat zu Recht die Tierhaltereigenschaft des Beklagten verneint:

Das Bürgerliche Gesetzbuch enthält ebensowenig wie die ihm vorausgegangenen Gesetze eine Definition des Begriffes "Tierhalter" (siehe auch OLG Hamm VersR 1970, 729, 730; Kreft in: RGRK, 12. Aufl., § 833 Rn. 389). Demgemäß hat eine Begriffsbestimmung im Wege der Auslegung zu erfolgen.

Abstellend auf den Sinn und Zweck des § 833 BGB und seine Funktion im Schadensersatzrecht sieht die Rechtsprechung denjenigen als Tierhalter an, der andere erlaubtermaßen der nur unzulänglich beherrschbaren Tiergefahr aussetzt (BGH NJW-RR 1988, 655; OLG Saarbrücken NJW-RR 1988, 1492; s.a. OLG Hamm VersR 1970, 729, 731). Wer "Unternehmer" des mit der Tierhaltung verbundenen Gefahrenbereichs ist, soll für den daraus erwachsenden Schaden einzustehen haben. Nach ihrem Sinn und Zweck handelt es sich bei der Tierhalterhaftung mithin um "Betriebskosten einer gefahrträchtigen Veranstaltung" (BGH NJW-RR 1988, 655).

Bei dieser Betrachtung des Halterbegriffes kommt es nicht entscheidend darauf an, wessen unmittelbarer Einwirkung das Tier zur Zeit des Schadensfalles unterliegt (BGH NJW-RR 1988, 655, 656; vgl. auch OLG Hamm VersR 1970, 729, 731). Vielmehr ist darauf abzustellen, wem die Bestimmungsmacht über das Tier zusteht, wer aus eigenem Interesse für die Kosten des Tieres aufkommt und wer das wirtschaftliche Verlustrisiko trägt (BGH NJW-RR 1988, 655; BGH NJW 1977, 2158; OLG Saarbrücken NJW-RR 1988, 1492; OLG Düsseldorf, Urt. v. 18.07.1997 - 22 U 6/97 (juris); LG Hanau NJW-RR 2003, 457; s.a. BGH VersR 1982, 348; vgl. OLG Celle VersR 1979, 161 und LG Osnabrück NJW-RR 1998, 959; OLG Düsseldorf VersR 1983, 543).

Auch das Schrifttum stellt bei der Bestimmung der Haltereigenschaft auf die seitens der Rechtsprechung auslegungsweise ermittelten Kriterien des Eigeninteresses an der Nutzung des Tieres (Kreft in: RGRK, 12. Aufl., § 833 Rn. 39 a.E.; Spindler in: Bamberger/Roth, § 833 Rn. 12; Schiemann in: Erman, 11. Aufl., § 833 Rn. 7; vgl. Zeuner in: Soergel, 12. Aufl., § 833 Rn. 12; Teichmann in: Jauernig, 10. Aufl., § 833 Rn. 3; Sprau in: Palandt, 63. Aufl., § 833 Rn. 9; Belling/Eberl-Borges in: Staudinger, Neubearbeitung 2002, § 833 Rn. 80 ff.), der Gewährung von Obdach und Unterhalt (Wagner in: MüKo BGB, 4. Aufl., § 833 Rn. 21; Kreft in: RGRK, 12. Aufl., § 833 Rn. 39; vgl. Teichmann in: Jauernig, 10. Aufl., § 833 Rn. 3), der Sorge für das Tier (Kreft in: RGRK, 12. Aufl., § 833 Rn. 39; s.a. Belling/Eberl-Borges in: Staudinger, Neubearbeitung 2002, § 833 Rn. 74), der Aufnahme in den eigenen Haus- bzw. Wirtschaftsbetrieb (Zeuner in: Soergel, 12. Aufl., § 833 Rn. 12; Schiemann in: Erman, 11. Aufl., § 833 Rn. 7; Wagner in: MüKo BGB, 4. Aufl., § 833 Rn. 21; Kreft in: RGRK, 12. Aufl., § 833 Rn. 39), des Bestimmungsrechts (Sprau in: Palandt, 63. Aufl., § 833 Rn. 9; Kreft in: RGRK, 12. Aufl., § 833 Rn. 39: "tatsächliche Verfügungsgewalt"; Spindler in: Bamberger/Roth, § 833 Rn. 12), der Kostentragung (Belling/Eberl-Borges in: Staudinger, Neubearbeitung 2002, § 833 Rn. 76; Spindler in: Bamberger/Roth, § 833 Rn. 12; Kreft in: RGRK, 12. Aufl., § 833 Rn. 39; Sprau in: Palandt, 63. Aufl., § 833 Rn. 9; s.a. Wagner in: MüKo BGB, 4. Aufl., § 833 Rn. 21 u. 24; zur Tragung der Versicherungskosten differenzierend Belling/Eberl-Borges in: Staudinger, Neubearbeitung 2002, § 833 Rn. 78 f.) und der Belastung mit dem wirtschaftlichen Verlustrisiko (Schiemann in: Erman, 11. Aufl., § 833 Rn. 7; Sprau in: Palandt, 63. Aufl., § 833 Rn. 9; Spindler in: Bamberger/Roth, § 833 Rn. 12; differenzierend Belling/Eberl-Borges in: Staudinger, Neubearbeitung 2002, § 833 Rn. 77) ab.

Einigkeit besteht in Rechtsprechung und Literatur darüber, daß nicht alle vorgenannten Kriterien kumulativ vorliegen müssen, um die Tierhaltereigenschaft einer Person zu begründen (statt vieler OLG Düsseldorf, Urt. v. 18.07.1997 - 22 U 6/97 (juris) und Kreft in: RGRK, 12. Aufl., § 833 Rn. 39). Vielmehr handelt es sich bei sämtlichen Gesichtspunkten um Indizien, deren Einschlägigkeit anhand der besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu überprüfen ist und die erforderlichenfalls gegeneinander abzuwägen sind (OLG Düsseldorf, Urt. v. 18.07.1997 - 22 U 6/97 (juris); vgl. auch Spindler in: Bamberger/Roth, § 833 Rn. 12).

Unter Anwendung dieses Prüfungsmaßstabs lässt sich die Tierhaltereigenschaft des Beklagten nicht begründen. Die einzigen Indizien, die für eine Haltereigenschaft des Beklagten sprechen, sind, dass er im eigenen Namen eine Haftpflichtversicherung für die Stute "A." unterhält und dass er seiner Tochter die finanziellen Mittel für die Unterhaltung des Pferdes zur Verfügung stellt.

Hingegen kann nicht festgestellt werden, dass dem Beklagten ein Bestimmungsrecht über "A." zusteht. Für die Beurteilung des Bestimmungsrechts bedarf es nach allgemeiner Ansicht einer Berücksichtigung der Eigentums- und Besitzlage (LG Hanau NJW-RR 2003, 457, 457 m.w.N.; Belling/Eberl-Borges in: Staudinger, Neubearbeitung 2002, § 833 Rn. 71).

Daß der Beklagte das Eigentum an der Stute innehat, kann nicht festgestellt werden. Zwar hat er den schuldrechtlichen Kaufvertrag über das Pferd im eigenen Namen abgeschlossen. Ob in Vollziehung des Verpflichtungsgeschäfts auch eine Übereignung an den Beklagten vorgenommen wurde, steht allerdings nicht fest. Denn der Beklagte erwarb das Pferd unstreitig "für seine Tochter". Weiterhin hat der Beklagte bei seiner Anhörung vor dem Senat erklärt, seine Tochter sei bei der Anlieferung des Tieres persönlich zugegen gewesen. Es besteht mithin die Möglichkeit, dass "A." von ihrem Veräußerer unmittelbar an die Tochter des Beklagten übereignet wurde. Auch erscheint es denkbar, dass eine Übereignung des Tieres zwar zunächst an den Beklagten erfolgte, dass dieser jedoch anschließend das Eigentum an der Stute in Vollziehung einer Schenkung zugunsten seiner Tochter auf diese übertrug. Die Unklarheit des Sachverhalts in diesem Punkt fällt der für die Tierhaltereigenschaft des Beklagten darlegungs- und beweisbelasteten Klägerin zur Last (vgl. Sprau in: Palandt, 63. Aufl., § 833 Rn. 21).

Weiterhin lässt sich unter Berücksichtigung der Besitzverhältnisse an der Stute "A." ein Bestimmungsrecht des Beklagten über das Pferd nicht feststellen. Ausweislich des Equidenpasses ist nur die Tochter des Beklagten Besitzerin des Pferdes. Für die Anerkennung eines unmittelbaren Besitzes i.S.d. § 854 Abs. 1 BGB zugunsten des Beklagten fehlt es an dessen tatsächlicher Sachherrschaft über das Tier. Hierfür ist nichts vorgetragen. Schließlich ist kein mittelbarer Besitz des Beklagten i.S.d. § 868 BGB an dem Pferd anzuerkennen. Unstreitig hat der Beklagte "A." an seine Tochter verschenkt. Die Schenkung begründet jedoch kein Besitzmittlungsverhältnis.

Auch weitere Indizien für eine Haltereigenschaft des Beklagten sind nicht ersichtlich. Der Beklagte hat kein Eigeninteresse an einer Nutzung des Pferdes. Insbesondere reitet er das Tier nicht und zieht auch sonst keine wirtschaftlichen Vorteile aus dessen Existenz. Zudem hat der Beklagte die Stute nicht etwa in seinen Haus- oder Wirtschaftsbetrieb aufgenommen.

Auch sorgt er nicht selbst für das Tier. Vielmehr obliegt die Pflege der Stute allein der Tochter des Beklagten. Zwar hilft er gelegentlich beim Ausmisten des Pferdestalles; jedoch handelt es sich hierbei nach der unbestritten gebliebenen Einlassung des Beklagten allein um eine Gefälligkeit zugunsten seiner Tochter, da das Ausmisten eine schwere körperliche Arbeit darstellt. Soweit die Klägerin bei ihrer Anhörung behauptet hat, die Tochter des Beklagten habe "immer an ihren Vater verwiesen, wenn es um einen Tierarzt, einen Hufschmied o.ä. ging, dass der Vater das bezahlen solle," ergibt sich auch hieraus nicht, dass der Beklagte persönlich die Tiersorge übernommen hat. Selbst wenn man den Vortrag der Klägerin als zutreffend unterstellt, so spricht er allein dafür, dass der Beklagte die Kosten sämtlicher durch die Pferdehaltung verursachter Maßnahmen zumindest mittrug. Dass der Beklagte jemals selbst einen Schmied oder Tierarzt mit der Behandlung des Pferdes beauftragt hat oder sich durch persönlichen Arbeitseinsatz an der Pflege der Stute beteiligte, lässt sich dem Sachvortrag der Klägerin nicht entnehmen.

Schließlich kann nicht festgestellt werden, dass der Beklagte das Verlustrisiko des Pferdes trägt, weil ihm, wie dargestellt, weder eine Eigentümer- noch eine Besitzerstellung an dem Tier zuerkannt werden kann.

Dass der Beklagte die Prämien der Tierhalterhaftpflichtversicherung bezahlt und seiner Tochter finanzielle Mittel zur Unterhaltung des Pferdes zur Verfügung stellt, rechtfertigt nicht die Annahme der Haltereigenschaft des Beklagten. Denn nach Sinn und Zweck des § 833 S. 1 BGB ist nur derjenige mit der Tierhalterhaftung zu belasten, der aufgrund seines Bestimmungsrechts die Verantwortung für die Existenz des Tieres trägt und es in eigenem Interesse nutzt (vgl. BGH NJW-RR 1988, 655; OLG Saarbrücken NJW-RR 1988, 1492; OLG Hamm VersR 1970, 729, 731 und Belling/Eberl-Borges in: Staudinger, § 833 Rn. 72). Zwar ließe sich argumentieren, dass die Kostentragung als Indiz für ein Interesse an der Versorgung des Pferdes angesehen werden kann und dass die Zahlung der Versicherungsprämien für ein Interesse des Beklagten an der Begleichung möglicher Tierschäden spricht. Indes können sich diese Indizien nicht als ausschlaggebend erweisen. Denn weil der Beklagte das Pferd gerade nicht selbst nutzt und weil ihm eben nicht das Bestimmungsrecht über das Tier zukommt, wachsen ihm keine Vorteile aus der Existenz der Stute zu. Auch beherrscht der Beklagte das Pferd nicht etwa in einer Weise, die es als notwendig erscheinen lässt, ihm die Verantwortung für die Abwendung bestehender Tiergefahren von Dritten aufzubürden. Insgesamt fehlt es dem Beklagten an einer tatsächlichen Beziehung zu der schadensverursachenden Stute, die es rechtfertigt, ihm die Haftung gem. § 833 S. 1 BGB aufzuerlegen und ihn zu diesem Zwecke als Tierhalter zu qualifizieren.

Für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO bestehen keine Anhaltspunkte.

Ende der Entscheidung

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