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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 12.08.2004
Aktenzeichen: 7 U 153/03
Rechtsgebiete: StVO, BGB


Vorschriften:

StVO § 3 I 3
BGB § 781
1. Bei aufziehenden Nebelschwaden muss der Vorfahrtsberechtigte bei Annäherung an einen Kreuzungsbereich seine Geschwindigkeit ggf. bis unter 50 km/h herabsetzen.

2. Zahlungen des Haftpflichtversicherers stellen bei unerkannten Einwendungen gegen den Haftungsgrund kein deklaratorisches Anerkenntnis dar.


Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

7 U 153/03

verkündet am: 12. August 2004

In dem Rechtsstreit

hat der 7. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 28. Juni 2004 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 31. Oktober 2003 verkündete Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Flensburg wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die klägerische Gemeindehaftpflichtversicherung begehrt 75 % ihrer Zahlungen anlässlich eines Verkehrsunfalls zurück, weil sie von einer überhöhten Geschwindigkeit des Fahrzeugs des Beklagten nichts gewusst habe, 25 % Mithaftung rechne sie sich als Betriebsgefahr an.

Der wartepflichtige Versicherungsnehmer der Kläger überquerte mit seinem Traktor bei aufziehenden Nebelschwaden unterschiedlicher Stärke den Kreuzungsbereich; das von rechts kommende vorfahrtsberechtigte Fahrzeug des Beklagten habe er nicht kommen sehen. Der Beklagte, welcher die Annäherungsgeschwindigkeit seines Fahrzeugs auf 70 km/h herabgesetzt hatte, stieß im Kreuzungsbereich mit dem Traktor zusammen.

Das Landgericht hat die Rückzahlungsklage abgewiesen, weil der Versicherungsnehmer der Klägerin wegen Vorfahrtsverletzung allein hafte. Auf die Berufung der Klägerin hat de Senat zwar eine abweichende Haftungsverteilung vorgenommen (75 % zu Lasten der Klägerin, 25 % zu Lasten des Beklagten wegen überhöhter Geschwindigkeit), die Berufung aber aus anderen Gründen zurückgewiesen.

Gründe:

Es wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen. Der Senat hat den Beklagten persönlich angehört, die Zeugen K., F. und A. vernommen sowie den Sachverständigen Dipl.-Ing. M. ein mündliches Gutachten erstatten lassen; wegen des Ergebnisses wird auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls und des Sitzungsvermerks vom 28. Juni 2004 verwiesen.

Die Berufung der Klägerin, mit der sie die Rückzahlung erbrachter Versicherungsleistungen in Höhe von 5.308,02 € (75 % der gezahlten 7.077,37 €) nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09. September 2002 begehrt, ist nicht begründet. Die Klägerin kann von den gezahlten 7.077,37 € zwar 1.769,34 € (25 %) von dem Beklagten gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 BGB zurückverlangen, dem stehen aber von dem Beklagten (hilfsweise) zur Aufrechnung gestellte Gegenforderungen in derselben Höhe entgegen.

Das Landgericht hat die Sichtweite bei dem am Unfallmorgen herrschenden Nebel nicht richtig geklärt und ist so zu einer alleinigen Haftung des Versicherungsnehmers der Klägerin, des Zeugen K., gekommen. Das Ergebnis der Durchführung der Beweisaufnahme vor dem Senat führt zu einer Haftungsverteilung von 75 % zu Lasten des Zeugen K. und 25 % zu Lasten des Beklagten.

Der Zeuge F. konnte nicht sagen, ob er nach links in Fahrtrichtung des Beklagten gesehen hat, zur Sichtweite könne er heute nichts mehr sagen, der Nebel sei aber recht dicht gewesen. Der Zeuge K. hat ausgesagt, dass es ziemlich neblig gewesen sei. Der Beklagte hat erklärt, dass bei der Annäherung an die Kreuzung Nebelschwaden auf ihn zugekommen seien. Das deckt sich mit der Aussage des Zeugen A., dass bei seiner Annäherung an die Unfallstelle Nebelschwaden aufgezogen seien, die extrem wechselhaft gewesen seien, teilweise fast normale Sicht, teilweise dichter Nebel. Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der Zeuge K., als er in die vorfahrtsberechtigte Straße einfuhr, möglicherweise kurz davor das Fahrzeug des Beklagten wegen eines aufgezogenen dichteren Nebelschwadens nicht gesehen hat, das Fahrzeug bei entsprechender aufmerksamer Sicht zuvor aber hätte bemerken können.

Aus den Aussagen der Zeugen und der eigenen Erklärung des Beklagten, dass Nebelschwaden unterschiedlicher Stärke aufgezogen waren, folgt eine Mithaftung des Beklagten wegen zu hoher Geschwindigkeit in der letzten Annäherungsphase an die Kreuzung. Der Sachverständige Dipl.-Ing. M. hat aus den Hauptschadenszonen der Fahrzeuge, den Ein- und Auslaufrichtungen, insbesondere dem Zurückstoßen des Beklagtenfahrzeugs, bei der Weg-Zeit-Berechnung mögliche Ausgangsgeschwindigkeiten des Beklagtenfahrzeugs von 55 km/h bis 83 km/h ermittelt; dabei deckt sich die vom Sachverständigen zunächst ermittelte Ausgangsgeschwindigkeit von rund 70 km/h mit der Erklärung des Beklagten, dass er zuvor 90 km/h gefahren sei und wegen auf ihn zukommender Nebelschwaden bei der Annäherung an den Kreuzungsbereich die Geschwindigkeit um 20-25 km/h herabgesetzt habe.

Eine Geschwindigkeit in dieser Höhe ist bei aufziehenden Nebelschwaden in einem Kreuzungsbereich zu hoch; nach § 3 Abs. 1 S. 3 StVO darf nicht schneller als 50 km/h gefahren werden, wenn die Sichtweite durch Nebel weniger als 50 m beträgt, wobei diese Geschwindigkeitsnorm nicht so zu verstehen ist, dass man schneller als 50 km/h fahren darf, wenn die Sichtweite genau 50 m oder etwas darüber beträgt; führt Nebel zu Sichtweiten unter 50 m, so darf unter keinen Umständen schneller als 50 km/h gefahren werden; wenn bei der Annäherung an eine Kreuzung Nebelschwaden aufziehen, kann der Fahrzeugführer nicht ausschließen, dass unmittelbar im Kreuzungsbereich die Nebelschwaden für einen die Kreuzung querenden Fahrzeugführer so dicht aufgezogen sind, dass er das vorfahrtsberechtigte Fahrzeug nur bei entsprechend vorheriger Aufmerksamkeit erkennen konnte.

Die Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile führt, weil die Vorfahrtsverletzung gravierender als die etwas überhöhte Geschwindigkeit ist, zu einer Haftungsverteilung von 75 % zu Lasten der Klägerin und 25 % zu Lasten des Beklagten.

Der Zeuge W. (Beifahrer im Fahrzeug des Beklagten) ist vor dem Senat nicht erneut zu vernehmen. Er hat vor dem Landgericht nur bekunden können, dass er im Bereich der Unfallstelle nach links und rechts nach Wild Ausschau gehalten habe, weil er dort mal einen Wildunfall gehabt habe, er habe dann wieder aufgeschaut und gesehen, dass der Traktor gestanden habe bzw. losgefahren sei und dann habe es auch schon geknallt, wie weit die Sichtweite gewesen sei, könne er nicht sagen.

Eine Auskunft des Wetteramtes ist nicht einzuholen, weil damit nichts für die konkreten Sichtverhältnisse am Unfallort gewonnen wäre.

Die Klägerin kann mithin von dem Beklagten 25 % der gezahlten 7.077,37 € (= 1.769,34 €) zurückverlangen; dem stehen jedoch Gegenforderungen des Beklagten in derselben Höhe entgegen:

450,00 € für eine bei dem Verkehrsunfall beschädigte Brille + 5,00 € für eine ärztliche Bescheinigung des Kreiskrankenhauses H. + 18,00 € für Fahrtkosten von der Wohnung ins Kreiskrankenhaus + 435,06 € für die außergerichtliche Vertretung, insgesamt 908,06 €, 75 % davon = 681,04 €.

Der Differenzbetrag zwischen 1.769,34 € und 681,04 € beträgt 1.088,30 €; dieser Betrag wird durch ein dem Beklagten zustehendes Schmerzensgeld zumindest in derselben Höhe aufgezehrt; ein Schmerzensgeld in dieser Höhe ist bei den von dem Kläger erlittenen Verletzungen angemessen und liegt in einem Bereich, den der Senat in ähnlichen Fällen zugrunde gelegt hat.

Die geltend gemachte Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 377,00 €, die gegenüber dem geltend gemachten Schmerzensgeld als vorrangig zur (hilfsweisen) Aufrechnung gestellt anzusehen ist, ist nicht begründet; der Beklagte hatte keine Nutzungsmöglichkeit, weil er bei dem Verkehrsunfall einen Schlüsselbeinbruch erlitten hat und er nach seiner Erklärung vor dem Senat erst etwa vier Wochen nach dem Unfall wieder mit einem Fahrzeug gefahren ist.

Die Zahlungen der Klägerin in Höhe von 7.077,37 € stehen ihrem Rückforderungsanspruch von 1.769,34 € nicht entgegen; sie enthalten kein deklaratorisches Anerkenntnis. Bei der zweiten Zahlung vom 10. Juni 2002 folgt das schon daraus, dass diese unter Vorbehalt der Rückforderung erfolgt ist. Im Übrigen soll ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis eine bereits bestehende Schuld bestätigen; das setzt voraus, dass zwischen den Parteien Streit oder subjektive Ungewissheit über das Bestehen der Schuld besteht und die Parteien durch das Anerkenntnis dieses zwischen ihnen bestehende Schuldverhältnis insgesamt oder in einzelnen Beziehungen dem Streit oder der Ungewissheit entziehen wollen. Das war bei den Zahlungen der Klägerin nicht der Fall. Hinzu kommt, dass ein Verzicht auf unbekannte Einwendungen regelmäßig nur dann anzunehmen ist, wenn dieses in den Erklärungen klar zum Ausdruck kommt. Bei der insoweit erforderlichen Auslegung ist entscheidend, wie der Empfänger die Erklärung unter Berücksichtigung der ihm bekannten Interessen des Schuldners verstehen muss. Der Beklagte hat selbst gegenüber dem den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten erklärt, mit einer Geschwindigkeit von ca. 70-80 km/h gefahren zu sein. Hätte die Klägerin das gewusst, hätte sie nicht vollen Schadensersatz geleistet.

Für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO bestehen keine Anhaltspunkte.

Ende der Entscheidung

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