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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 10.03.2005
Aktenzeichen: 7 U 166/03
Rechtsgebiete: BGB, GmbHG, InsO


Vorschriften:

BGB § 823 II
GmbHG § 64 I
InsO § 19
Eine Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung einer GmbH entfällt nicht durch Gewährung eines eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehens, wenn der darlehensgewährende Gesellschafter keine Rangrücktrittserklärung abgegeben hat. Hierbei ist es unerheblich, dass der Gesellschafter zugleich Geschäftsführer ist.
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

7 U 166/03

verkündet am: 10. März 2005

In dem Rechtsstreit

hat der 7. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 10. Februar 2005 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 26. November 2003 verkündete Urteil des Einzelrichters der 7. Zivilkammer des Landgerichts Itzehoe teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:

Das Versäumnisurteil des Landgerichts vom 13. August 2003 wird teilweise aufgehoben; der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.578,93 € nebst 4 % Jahreszinsen seit dem 08. Dezember 2002 zu zahlen.

Im Übrigen wird das Versäumnisurteil aufrechterhalten und wird die Klage abgewiesen; die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 27 % und trägt der Beklagte 73 %, mit Ausnahme der Kosten der Säumnis, die der Kläger trägt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der Kl. verlangt vom Bekl., dem ehemaligen Geschäftsführer einer GmbH Schadensersatz , wegen Insolvenzverschleppung, weil eine Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung vor der Auftragserteilung an den Kl. bestanden habe.

Das Landgericht hat eine Überschuldung der GmbH wegen gewährter eigenkapitalersetzender Darlehen verneint. Eine Rangrücktrittserklärung, dahin dass der darlehensgebende Gesellschafter außerhalb des Insolvenzverfahrens nur aus ungebundenem Vermögen und innerhalb eines Insolvenzverfahrens im Rang nur hinter den einfachen Insolvenzgläubigern bedient werden dürfe, sei nicht erforderlich gewesen. Denn der Darlehensgeber sei nicht nur Gesellschafter, sondern auch Geschäftsführer gewesen, so dass für diesen keine Unsicherheit über die Nachrangigkeit bestanden habe könne.

Die Berufung hatte in der Sache dem Grunde nach erfolg, in der Höhe aber nur begrenzt auf den zu ersetzenden Vertrauensschaden.

Gründe:

Die Berufung des Klägers, mit der er Schadensersatz wegen Insolvenzverschleppung und Betruges in Höhe von 6.223,89 € begehrt, ist in Höhe von 4.578,93 € begründet.

Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Schadensersatzanspruch wegen eines schuldhaften Verstoßes gegen die Insolvenzantragspflicht aus den §§ 823 Abs. 2 BGB, 64 Abs. 1 GmbHG.

Der Beklagte hat gegen die Insolvenzantragspflicht nach § 64 Abs. 1 GmbHG verstoßen. Er ist wegen dieses Delikts vom Strafrichter des Amtsgerichts Itzehoe zu einer Geldstrafe verurteilt worden und hat seine Berufung dagegen zum Landgericht Itzehoe allein auf die Strafhöhe beschränkt.

Er hat nicht bestritten, dass er am 24. August 2000 die gesamte Betriebs- und Geschäftsausstattung der GmbH für rund 90.000,00 DM veräußert hat. Er hat weiter nicht bestritten, dass er am 06. September 2000 gemeinsam mit dem Mitgesellschafter Volker P. die Gesellschaftsanteile an der GmbH, von der zu diesem Zeitpunkt außer den Verbindlichkeiten nur noch eine leere Hülle vorhanden war, für 3,00 DM an einen sog. Firmenbeerdiger übertragen hat.

Der Beklagte war sich damit zu diesem Zeitpunkt der aussichtslosen Lage der GmbH bewusst. Er hätte, anstatt die Gesellschaftsanteile zu veräußern und einzelne Gläubiger aus den Veräußerungserlösen zu befriedigen sowie die Gesellschafterdarlehen zu bedienen, beantragen müssen, das Insolvenzverfahren über die GmbH zu eröffnen.

Das für den Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 64 Abs. 1 GmbHG erforderliche Verschulden liegt, jedenfalls ab dem Zeitpunkt, in dem der Beklagte begann, die GmbH auf eigene Faust abzuwickeln, auf der Hand. Seine Einlassung, dass er davon ausgegangen sei, dass der Erwerber der Gesellschaftsanteile die Gesellschaft sanieren wolle, ist angesichts der Umstände nicht glaubhaft.

Beweispflichtig für die objektiven Voraussetzungen der Insolvenzverschleppung ist der Gläubiger; mangelndes Verschulden hingegen hat der Geschäftsführer in entsprechender Anwendung des § 130 a Abs. 3 S. 2 HGB zu beweisen (BGHZ 126, 181, 200).

Wie die Haftung des Beklagten zu berechnen ist und wie der Kläger sie geltend machen kann, bestimmt sich danach, ob der Kläger Altgläubiger (wenn der Anspruch vor dem Zeitpunkt der Insolvenzantragspflicht entstanden ist) oder Neugläubiger (wenn der Anspruch nach dem Zeitpunkt der Insolvenzantragspflicht entstanden ist) ist. Für den Altgläubiger ist der Schadensersatzanspruch gegen den Geschäftsführer auf den Betrag beschränkt, um den sich die Insolvenzquote, die der Gläubiger bei rechtzeitiger Insolvenzanmeldung erhalten hätte, durch Verzögerung der Antragsstellung verringert hat (sog. Quotenschaden; BGHZ 126, 181, 190). Der Schadensersatzanspruch eines Neugläubigers besteht in seinem Vertrauensschaden, soweit dieser durch eine auf den Gläubiger entfallende Insolvenzquote nicht gedeckt ist (BGHZ 126, 181, 201).

Der Kläger ist Neugläubiger, weil eine Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung vor der Auftragserteilung an den Kläger bestand.

Mit dem Tatbestandsmerkmal der Überschuldung in § 64 Abs. 1 S. 2 GmbHG ist auf § 19 InsO verwiesen; danach liegt Überschuldung vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Ausreichend ist mithin eine rechnerische Überschuldung. Zwar verlangt der Bundesgerichtshof zusätzlich zur rechnerischen Überschuldung, dass die Finanzkraft des Unternehmens mittelfristig nicht zu seiner Fortführung ausreichen wird (sog. Fortführungsprognose). Nach § 19 Abs. 2 S. 2 InsO führt eine positive Fortführungsprognose bei rechnerischer Überschuldung der Gesellschaft aber nicht dazu, dass keine Überschuldung vorliegt; eine positive Fortführungsprognose bewirkt nur, dass in der Bilanz das Vermögen der Gesellschaft mit den (höheren) Fortführungswerten und nicht mit den (niedrigeren) Liquidationswerten vorzunehmen ist.

Eine rechnerische Überschuldung ergibt sich aus einer eigenen Überschuldungsbilanz; eine fortgeschriebene Jahresbilanz hat lediglich indizielle Bedeutung, weil in ihr stille Reserven enthalten sein können, deren Berücksichtigung in einer eigenen Überschuldungsbilanz eine rechnerische Überschuldung entfallen lassen kann (vgl. BGH NJW 2001, 1280).

Anhaltspunkt dafür, dass eine Überschuldung der GmbH bereits vor ihrer Liquidation im September 2000 bestanden hat, ist die eingereichte Bilanz zum 31. Dezember 1998, die einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag in Höhe von 176.530,53 DM ausweist. Zwar handelt es sich dabei um eine Jahresbilanz und nicht um eine Überschuldungsbilanz. Der Beklagte hat aber nicht geltend gemacht, dass in der Bilanz stille Reserven enthalten seien, deren Berücksichtigung eine rechnerische Überschuldung entfallen ließe.

Die Überschuldung entfiel nicht durch eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen; denn solche Darlehen sind zu passivieren, wenn der darlehensgebende Gesellschafter keine Rangrücktrittserklärung abgegeben hat, d. h. wenn er nicht erklärt hat, dass er außerhalb eines Insolvenzverfahrens nur aus dem ungebundenen Vermögen und innerhalb eines Insolvenzverfahrens im Rang hinter den einfachen Insolvenzgläubigern bedient werden darf (BGH NJW 2001, 1280).

Eine solche Rangrücktrittserklärung haben die beiden darlehensgebenden Gesellschafter nicht abgegeben.

Das Landgericht meint, dass eine Rangrücktrittserklärung nicht erforderlich gewesen sei, weil die Darlehensgeber nicht nur Gesellschafter, sondern auch Geschäftsführer gewesen seien und mithin keine Unsicherheit über die Nachrangigkeit der Darlehen für den Geschäftsführer bestanden habe; im Übrigen hätten die Gesellschafter bei Übertragung der Anteile auf Ausgleich verzichtet bzw. sich diesbezügliche Ansprüche nicht vorbehalten, sodass auch mit Rücksicht hierauf von einer rechnerischen Überschuldung, insbesondere auch noch bei Auftragserteilung, nicht auszugehen sei.

Einer solchen (teleologischen) Argumentation ist nicht zu folgen, weil - so der Bundesgerichtshof - es nicht zuletzt das Anliegen der Forderung nach Rangrücktrittserklärungen ist, den Geschäftsführer nicht mit der Entscheidung zu belasten, ob § 32 a GmbHG erfüllt ist oder nicht, so dass schon grundsätzlich von einer Passivierungspflicht auszugehen ist (BGH NJW 2001, 1280, 1281). Eine Rangrücktrittserklärung ist schon deshalb unentbehrlich, weil einem Geschäftsführer die Befugnis entzogen ist zu prüfen, ob ein Darlehen unter § 32 a GmbHG fällt oder nicht.

Für die Bestimmung, ob die Gesellschaft überschuldet war, ist zudem der Zeitpunkt der Auftragsvergabe (Februar 2000) maßgeblich. Ein Verzicht der Gesellschafter auf Ausgleich für ihr Darlehen erfolgte aber erst im September 2000. Dass die Gesellschafter zuvor einen Verzicht oder eine Rangrücktrittserklärung abgegeben haben, haben sie selbst nicht behauptet. Die (strengen) Anforderungen des BGH für das Entfallen der Passivierungspflicht sind auch deshalb nicht erfüllt, weil ein Teil der Darlehen der Gesellschafter noch vor Beendigung der Gesellschaft zurückgezahlt worden ist (siehe das Gutachten im Insolvenzeröffnungsverfahren vom 07. Mai 2002: "Wie bereits berichtet, haben die Gesellschafter zur Aufrechterhaltung der Liquidität der Schuldnerin Darlehen gewährt. Diese Darlehen sind nachweislich an die Schuldnerin ausgezahlt worden. Die Darlehen sind teilweise an die Gesellschafter zurückgezahlt bzw. im Rahmen von Verrechnungen ausgeglichen worden. Hier bestehen mithin Ansprüche gegen die Gesellschafter gem. § 32 a GmbHG.").

Das kann aber letztlich dahingestellt bleiben, weil es unstreitig ist, dass der Beklagte bis zum 06. September 2000 Alleingeschäftsführer der GmbH war, sodass das Darlehen des Gesellschafters Volker P. in Höhe von 115.000,00 DM selbst auf der Grundlage der Argumentation des Landgerichts hätte passiviert werden müssen.

Entscheidend ist, ob die Überschuldung zum 31. Dezember 1998 auch noch im Februar 2000 vorlag. Weil keine aktuellere Bilanz als die aus dem Jahre 1998 vorliegt, bleibt allein die Zeugenaussage der Steuerberaterin W. vor dem Landgericht.

Bei dem Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 64 Abs. 1 GmbHG hat der Gläubiger die objektiven Voraussetzungen der Insolvenzantragspflicht zu beweisen. Wenn aber die Überschuldung der Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt feststeht, ist es Sache des Geschäftsführers, Umstände darzulegen, die es rechtfertigen, das Unternehmen trotz Überschuldung fortzuführen (BGHZ 126, 181, 200). Dass es Sache des Beklagten ist darzulegen, dass die GmbH in der Zeit vom 31. Dezember 1998 bis zum Februar 2000 ihre rechnerische Überschuldung überwunden hat, gilt insbesondere auch deshalb, weil es in seinen Verantwortungsbereich fällt, dass keine Bilanz zum 31. Dezember 1999, aus der für den Februar 2000 genauere Schlüsse gezogen werden könnten, vorgelegt worden ist.

Hinzu kommt, dass eine positive Fortführungsprognose bei rechnerischer Überschuldung der Gesellschaft wegen des (seit 1999 geltenden) §§ 19 Abs. 2 S. 2 InsO nicht zur Verneinung der Überschuldung führt (siehe oben).

Die Aussage der Zeugin W. ergibt nicht, dass die Überschuldung der GmbH nach dem 31. Dezember 1998 überwunden worden ist. Die Zeugin räumt ein, dass sich aus ihren Angaben eine Aussage über die finanzielle Situation der GmbH nur bedingt treffen lasse, weil sie nur die Positionen habe einstellen können, die auch bebucht worden seien.

Hinzu kommt, dass die GmbH gut ein halbes Jahr nach der Auftragserteilung mit offenen Verbindlichkeiten von rund 290.000,00 DM in die Insolvenz gegangen ist und keine Masse vorhanden war, die die Kosten des Insolvenzverfahrens gedeckt hätte, was darauf hindeutet, dass sich die finanzielle Situation nach dem 31. Dezember 1998 nicht wesentlich verbessert hat.

Wenn die GmbH zuvor noch "überlebt" hat, mag das an den eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen oder an die Überschuldung nicht ersetzenden Umständen gelegen haben, die der darlegungspflichtige Beklagte nicht vorgetragen hat.

Für mangelndes Verschulden hat der beweispflichtige Beklagte (BGHZ 126, 181, 200) nichts dargetan: Wer eine GmbH im Wirtschaftsleben führt, muss wissen, wenn Insolvenzreife vorliegt; dass eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen nicht eine rechnerische Überschuldung überwinden, weiß man; die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsführers verlangt, die wirtschaftliche Lage des Unternehmens laufend zu beobachten und zu prüfen; bei Anzeichen einer Krise muss er sich durch Aufstellung eines Vermögensstatus einen Überblick über den Vermögensstand verschaffen; stellt sich dabei eine rechnerische Überschuldung heraus, muss er prüfen, ob sich für das Unternehmen ein positive Fortbestehensprognose stellt (BGHZ 126, 181, 199 f.). Dass der Beklagte diesen Anforderungen, die für den Geschäftführer einer mit einem beschränkten Haftungsvermögen ausgestatteten Gesellschaft selbstverständlich sind, nachgekommen ist, hat er nicht dargetan; die Bekundungen der Zeugin W. entlasten ihn nicht (siehe oben), zumal er nach 1998 keine weiteren Jahresbilanzen hat erstellen lassen.

Der Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 64 Abs. 1 GmbHG ist auf das Vertrauensinteresse gerichtet (BGHZ 126, 181, 201). Der Kläger ist so zu stellen, wie er stünde, wenn der Vertrag mit der GmbH im Februar 2000 nicht abgeschlossen worden wäre. Dem Gläubiger ist nur das negative Interesse zu ersetzen, weil ordnungsgemäßes Verhalten des Geschäftsführers der GmbH gewesen wäre, den Vertrag mit dem Gläubiger nicht abzuschließen, weil die Gesellschaft insolvenzreif war; ersetzte man dem Gläubiger das positive Interesse, würde er besser gestellt als er stünde, wenn der Geschäftsführer rechtmäßig gehandelt hätte.

Dem Kläger steht danach Schadensersatz in folgender Höhe zu:

 12.172,88 DMRestforderung
+ 20.000,00 DMausgeglichene Abschlagsrechnung
32.172,88 DMGesamtforderung aus dem Bauvorhaben
- 3.217,28 DM10 % Gewinnanteil (für einen höheren Gewinnanteil ist angesichts der wirtschaftlichen Lage im Jahr 2000 nichts ersichtlich)
- 20.000,00 DMAbschlagsleistung
8.955,60 DM 
= 4.578,93 €.

Dem Kläger steht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB kein höherer Schadensersatzanspruch zu; ein Anspruch würde auch insoweit nur auf Ersatz des negativen Interesses gehen.

Zinsen stehen dem Kläger nur ab Rechtshängigkeit zu, weil er für einen Verzug des Beklagten nichts vorgetragen hat; des Weiteren nur in Höhe von 4 %, weil der Schadensersatzanspruch im Februar 2000 entstanden, mithin vor Mai 2000 fällig geworden ist, so dass noch altes Recht gilt.

Anhaltspunkte für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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