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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 05.12.2002
Aktenzeichen: 7 U 19/02
Rechtsgebiete: StVG, PflVG, ZPO


Vorschriften:

StVG § 18
PflVG § 3 Nr. 1
ZPO § 286
ZPO § 287
Ein Schadensersatzanspruch gegen die Versicherung des Unfallgegners entfällt, wenn der Geschädigte den Unfall nach dem sogenannten "Berliner Modell" verabredet hatte.
7 U 19/02

Verkündet am: 05. Dezember 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 7. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 14. November 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 04. Dezember 2001 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 11. Zivilkammer des Landgerichts Kiel teilweise geändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der Kläger hatte sein Fahrzeug, einen Dodge, in den späten Nachtstunden im Bereich einmündender Straßen abgestellt. Ein zuvor gestohlener Opel Kadett älteren Baujahres fuhr mit ca. 25 km/h frontal in die Seite des Dodge, obgleich die beim Einbiegevorgang notwendige Bogenfahrt mit einer Geschwindigkeit von 25 km/h problemlos hätte durchgeführt werden können; der "Dieb" flüchtete.

Das Landgericht hat der Klage auf Schadenersatz (Abrechnung auf Gutachtenbasis) stattgegeben, weil es sich trotz weiterer Beweisanzeichen nicht in der Lage sah, sich die nötige Gewissheit eines manipulierten Unfalls zu verschaffen. Auf die Berufung des beklagten Haftpflichtversicherers hat der Senat die Klage abgewiesen.

Gründe:

Es wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil und wegen des Ergebnisses der Anhörung des Klägers vor dem Senat auf den Inhalt des Berichterstattervermerks vom 14. November 2002 Bezug genommen.

Der Kläger kann keinen Schadensersatz verlangen, weil er in die Beschädigung seines Fahrzeugs eingewilligt hat; es steht zur persönlichen Gewissheit des Senats, welche den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen, fest, dass der Kläger den Unfall nach dem sog. "Berliner Modell" verabredet hat; die Überzeugungsbildung des Senats gründet sich auf eine Vielzahl von Beweisanzeichen, die in der Gesamtschau dazu führen, dass es sich um einen gestellten Unfall handelt:

Diebstahl und Kollision erfolgten in den späten Nachtstunden, so dass mit unliebsamen Zeugen nicht gerechnet werden musste; zudem waren Diebstahlsort und Kollisionsstelle so gewählt, dass sie nahe beieinander lagen, mithin das Risiko aufzufallen, gering war.

Der Kläger befand sich nicht in seinem Fahrzeug, so dass eine Eigenschädigung ausgeschlossen war. Gleiches gilt für den Dieb, der mit einer von dem Sachverständigen Dipl.-Ing. Dressler errechneten Geschwindigkeit zwischen 25 und 28 km/h auf das klägerische Fahrzeug gefahren ist; mit der zuvor heruntergekurbelten Scheibe an der Fahrerseite vermied er einen Überdruck im Fahrzeuginneren und damit die Gefahr eines Berstens der Scheibe bei der Kollision; auch konnte er so bei möglicherweise eingeklemmten Türen das Fahrzeug noch schnell verlassen. Solche Überlegungen anzustellen, dürften für den Kläger aufgrund seines Berufes als Kfz-Mechaniker nicht fernliegend gewesen sein. Aufgrund des Diebstahls konnte kein (eigener) weiterer materieller Schaden eintreten.

Ein gewichtiges Anzeichen für eine Unfallmanipulation ist das auffällige und anders als ein gewolltes Auffahren nicht zu erklärende Fahrverhalten des Diebs; er ist mit dem Opel Kadett aus der Schleswiger Straße kommend frontal in die linke Seite des klägerischen Fahrzeugs gefahren; das ist nur als ein gewolltes Auffahren nachzuvollziehen, weil bei dem Einbiegevorgang die notwendige Bogenfahrt mit einer Geschwindigkeit von 25-28 km/h problemlos hätte durchgeführt werden können. Hinzu kommt, dass der Einmündungsbereich aus der Schleswiger Straße voll einsehbar ist; mithin hätte der Fahrer des Kadetts im Abblendblicht das quasi gegenüberstehende Fahrzeug vorher sehen müssen (auch bei kurzfristiger Unaufmerksamkeit, gleichfalls bei Alkoholisierung oder Drogeneinfluss).

Die Polizeibeamten haben am Unfallort weder Brems- noch Blockierspuren festgestellt; das spricht für ein ungebremstes Hineinfahren, mithin für ein gewolltes Auffahren; das wird bestätigt durch die Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. Dressler bei seiner Anhörung vor dem Landgericht: "Bezüglich der Anprallsituation ist unter Berücksichtigung der Höhen über Grund am Dodge (klägerisches Fahrzeug) und auch nach den Abmessungen des Opel Pkw davon auszugehen, dass dieser zum Zeitpunkt der Kollision nicht gebremst war, denn die Auftreffhöhe von 70-72 cm im oberen Grenzbereich des Dodge entspricht der oberen Haubenkante des Opel Pkw ohne eines Nickvorganges infolge einer starken Bremsung". Hinzu kommt eine fehlende Ausweichbewegung; selbst in der letzten Sekunde würde jemand, der unaufmerksam war, noch den frontal vor ihm stehenden Dodge erkennen und noch eine Ausweichbewegung vornehmen (nach den Feststellungen des Sachverständigen statt dessen eine Kollision in einem Winkel von rund 85 Grad); so fährt nur jemand hinein, der die Kollision will.

Die rein technische Überlegung des Sachverständigen, dass die Lenkradsperre, die zuvor möglicherweise zum Ingangsetzen des Opel Kadett teilweise beseitigt worden war, nun wieder entsprechend mit dem Sperrstift in die entsprechende Nut eingerastet war und ein Lenken des Fahrzeugs nicht mehr möglich machte, liegt im Rahmen der Zweifel, denen Schweigen zu gebieten ist: Der Sperrstift müsste gerade unmittelbar vor der Kollision in die entsprechende Nut eingerastet sein, und die ganze Fahrzeit zuvor nicht.

Weitere Beweisanzeichen für einen gestellten Unfall sind in den verwendeten Fahrzeugen zu sehen; der Opel Kadett war ein altes Fahrzeug, mithin leicht "zu knacken" (einfaches Tür- und Lenkradschloss, keine Wegfahrsperre, keine Alarmanlage). Der Dodge ist ein hochwertiges Fahrzeug, bei dem konstruktionsbedingt hohe Reparaturkosten zu erwarten sind, so dass sich eine Abrechnung auf Gutachtenbasis wirtschaftlich lohnt, wenn man selbst billig repariert (der Kläger ist von Beruf Kfz-Mechaniker); auch wenn keine Absicht zu reparieren besteht, ist ein wirtschaftliches Tatmotiv in den nicht geringen Unterhaltungskosten des Dodge und seiner schlechten Absetzbarkeit auf dem deutschen Gebrauchtwagenmarkt zu sehen; das findet seine Bestätigung in dem Verkauf des Dodge in unrepariertem Zustand während des Rechtsstreits (bei dem Verkaufserlös von 4.000,00 DM und den vom Landgericht zuerkannten 18.000,00 DM hätte der Kläger den Dodge mittels gestellten Unfalls nicht unlukrativ abgesetzt).

Nach alledem liegt eine solche Häufung von Beweisanzeichen, die für eine Unfallmanipulation sprechen, vor, dass der Senat den für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit erlangt hat, dass das Unfallereignis absprachegemäß herbeigeführt worden ist; daran ändern die Erklärungen des Klägers zu seinen finanziellen Verhältnissen, zum zwischenzeitlichen Abmelden des Dodge, zum Fotografieren noch wenige Tage vor dem Unfall und zum Abstellen gerade im Einmündungsbereich der Straßen nichts; alles das (als wahr unterstellt) schließt eine Unfallmanipulation nicht aus.

Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat bzw. die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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